„Das Hip-Hop-Rad haben wir mit der Platte nicht neu erfunden“, sagen ANTRUE UND CHILL ILL. „Aber wenn’s uns zaht, einen Boom-bap-Beat zu bauen, dann verschließen wir uns nicht der Idee.“ Die beiden ziehen ihre Basecap ins Gesicht, von Autotune haben sie bisher nur gehört. Trotzdem sitzen mir im Schanigarten des Café Reimann keine Traditionalisten gegenüber. Mit ihrer neuen Platte „L.A. 2 L.A.“ blinzeln beide aus Realkeeper-Sunglasses und mundarteln von Linz bis nach Los Angeles. Mit Features von der West Coast haben ANTRUE und CHILL ILL allerdings keine Paypal-Konten aus dem Ami-Underground gefüllt. Das Duo teilt mit seiner Connection in die USA eher eine Idee. Vom Underground. Von Hip-Hop. Von einer Attitüde, die man zwischen Gucci-Gucci-Bling-Bling schon verloren geglaubt hat. Warum sie dafür dennoch nie in die USA gejettet sind und wieso man in Linz trotz Kritik gesund wachsen kann, erzählen ANDREAS STAUDINGER und SIEGFRIED GANSCH,die Namen hinter ANTRUE und CHILL ILL, im Interview mit Christoph Benkeser.
Ihr habt ein Album mit MCs von der West Coast aufgenommen. Was kann L.A. von Linz lernen?
Andreas Staudinger: Wahrscheinlich ist es eher umgekehrt – was kann Linz von L.A. lernen …
Na ja, wer weiß?
Andreas Staudinger: Dabei waren wir noch nie in L.A., aber mein Bruder [Alex The Flipper, Anm.] arbeitet gerade dort und schickt mir Fotos.
Siegfried Gansch: Und jedes einzelne lässt uns dort sein. Nein, im Ernst: Der ursprüngliche Knotenpunkt des Projekts geht auf Blu zurück.
Andreas Staudinger: Ein MC aus Kalifornien, den ich vor einigen Jahren für ein Festival in Oberösterreich gebucht habe. Wir kennen uns und wissen, wie wir ticken. Mich hat’s gezaht, was mit ihm zu machen – auch weil er mein Lieblingsrapper ist.
Siegfrid Gansch: Nicht nur für dich! Von der Westküste hört man: Blu ist der Lieblingsrapper von den Lieblingsrappern.
Ich kenne ihn nicht. Hört sich aber nach OG-Status an!
Andreas Staudinger: Genau. Er ist im Mainstream komplett underrated, im Underground aber eine fixe Größe! Man muss sich nur anschauen, mit wem er schon zusammengearbeitet hat: Madlib und Alchemist schätzen ihn, auf einem meiner Lieblingsalben von The Roots – „How I Got Over“ – hat er mitgearbeitet …
Der Vibe zwischen euch dürfte gepasst haben. Ihr stellt euch auch nicht automatisch in die erste Reihe, da spielt Understatement eine Rolle …
Andreas Staudinger: Das ist die österreichische Hip-Hop-Schule und hebt uns von der deutschen Szene ab. Man tut auf Understatement. Deshalb stimmt es schon, Blu teilt nicht nur eine musikalische, sondern auch eine …
Siegfried Gansch: …persönliche Herangehensweise! Anders wäre es gar nicht zu diesem Projekt gekommen. Es ist bei allen aus Überzeugung zur Sache entstanden, nicht durch Paypal-Überweisungen für Gast-Features.
Andreas Staudinger: Klar, wir setzen uns mit dem Output der anderen auseinander. Ob Texte oder Beats, man hört rein. Das tun sie in L.A. auch. Gerade weil sie in Europa geachteter sind als in den USA.
Echt?
Siegfried Gansch: Sie spielen sicher öfter in Europa als drüben, ja.
Andreas Staudinger: Rakaa von Dilated Peoples, einer bekannten Underground-Gruppe von der Westküste, hat eine große Fanbase in Europa. Das hängt auch mit dem Festival Hip Hop Kemp zusammen, das jährlich in Tschechien stattfindet.
Für „L.A. 2 L.A.“ habt ihr nur Underground-MCs aus Los Angeles angehaut.
Andreas Staudinger: Genau. Denkt man an Hip-Hop von der West Coast, haben die Meisten nur Dr. Dre im Kopf.
Siegfried Gansch: Es gibt aber auch Independent-Hip-Hop in Los Angeles.
Andreas Staudinger: Und zwar seit Langem! Anfang der 90er war der Mainstream riesig. Dr. Dre, N.W.A oder Snoop Dogg kennen alle. Ab Mitte der 90er entstand aber eine alternative Leftfield-Bewegung, die in …
Siegfried Gansch: …West-Coast-Independent-Hip-Hop aufging.
Andreas Staudinger: Mit Crews wie Souls of Mischief zum Beispiel. Sie orientierten sich musikalisch stärker …
Siegfried Gansch: …an der Eastcoast.
Soulig und stark auf Samples aufgebaut – ein bisserl wie bei euch.
Siegfried Gansch: Mit dem Unterschied, dass Andi auf oberösterreichischer Mundart rappt und der Flow im Englischen ganz anders ist – trotzdem gibt es Mundartwörter, die sich besser mit englischen Wörtern reimen als hochdeutsche.
Andreas Staudinger: Deshalb macht ein Kollabo-Projekt wie „L.A. 2 L.A.“ Sinn – auch weil es das in Österreich noch nie gab.
Siegfried Gansch: Was heißt Österreich? International gesehen gab es noch keine Zusammenarbeit zwischen Mundart und West Coast.
Andreas Staudinger: Weil dafür Wahnsinnige im positiven Sinn auf andere Wahnsinnige treffen müssen. Man braucht die Zeit, das Geld und die Geduld, um sich über eine längere Zeit auszutauschen und an der Sache zu arbeiten.
Hört sich nach einem leiwanden Austausch an. Und nach mehr als das Rüberschicken von Dropbox-Files.
Andreas Staudinger: Wichtig ist der Austausch, genau! Wir sind schon länger im Business,kennen den Schmäh mit Ami-Features. Da ist das Credo oft, wenn auch augenzwinkernd: „Wie viel hast du dafür gezahlt?“
Siegfried Gansch: Das wäre ein oberflächlicher Austausch. Bei uns war es …
Andreas Staudinger: … die freundschaftliche Basis – das Wichtigste für uns!
Siegfried Gansch: Damit entsteht Tiefe, auch lyrisch! Man nimmt nicht einfach den erstbesten Take, sondern spielt sich, passt zum Beispiel den Refrain an die Rhyme-Patterns an oder baut ein eigenes Intro. Außerdem gibt es musikalische Add-ons, die aus L.A. kommen. Seb Zillner kommt ursprünglich aus Salzburg, lebt aber seit Jahren drüben und hat uns für den Track mit Blu den Saxofon-Part eingespielt.
Andreas Staudinger: Durch den Austausch mit ihm sind wir übrigens draufgekommen, …
Siegfried Gansch: …dass Seb beim letzten Album von Blu manche Parts eingespielt hat. Das macht das Projekt noch übergreifender als ohnehin schon. Man merkt, wie sehr wir zusammenhängen – wir teilen denselben Spirit!
Schon spannend, dass Linz immer der Nukleus für diesen Spiritist.
Siegfried Gansch: Dabei komm’ ich aus St. Pölten, hab zwischenzeitlich zehn Jahre in Linz gewohnt und arbeite mittlerweile in Wien. Aber ich versteh’, was du meinst. In Linz ist es sich immer gut ausgegangen. Man hat das Gefühl, dass man in die Szene reinkommt – auch als Neuankömmling und Nicht-Linzer.
In Wien …
Siegfried Gansch: …hab’ ich immer das Gefühl gehabt, dass die Community nicht so selbstverständlich ist wie in Linz. Die Lager sind zersplittert, es gibt fast nur Einzelkämpfer. In Linz redet man mehr miteinander.
Andreas Staudinger: Das ist Texta, unseren Ziehvätern,geschuldet. Sie haben 1993 angefangen und bald die nächste Generation mit ins Boot geholt. Mit vielen sind wir freundschaftlich verbunden, fahren gemeinsam auf Urlaub … das ist eine Seelenverwandtschaft.
Eine, die es in der Wiener Szene nie gegeben hat.
Andreas Staudinger: Die Szene konnte nie so gesund wachsen wie in Linz, ja.
Siegfried Gansch: Gesund, das ist wichtig! In Wien kommt mir vor, dass man aus der Sache nicht so gesund rauskommt.
Andreas Staudinger: Trotzdem hängt es von einzelnen Personen ab, Zufälle spielen hinein, man schaut zu Leuten wie Manuva vonder Innsbrucker Crew Total Chaos auf.
Siegfried Gansch: Mein erstes Hip-Hop-Konzert!
Andreas Staudinger: Für viele! Bei Texta war es ähnlich. Dass es sie so lange gibt, hängt auch damit zusammen, dass mit Flip einer dahintersteht, der über Jahre antreibt.
Siegfried Gansch: Und in der KAPU in Linz mit seinem Booking …
Andreas Staudinger: …einen Bildungsauftrag erfüllt hat. In Wien hast du immer ein Angebot. In Linz gab und gibt es das nicht automatisch. Die Leute müssen aktiv werden und kommen auf andere Ideen, indem sie ausprobieren.
Ich fasse mal zusammen: Aus der Langeweile entsteht das Geniale.
Andreas Staudinger: Na, das wär’ ein bisserl gar einfach. Vielleicht kommt es aus der Abgefucktheit! In Linz hat man mit KAPU und Stadtwerkstatt alternative Zentren, die man in Wien länger sucht. Das macht was aus!
Siegfried Gansch: Als ich aus St. Pölten nach Linz gezogen bin, habe ich mir gedacht: „Da geht was!“
„LEUTE AUS DEN EIGENEN REIHEN KRITISIEREN UNS, DASS WIR IMMER NOCH DENSELBEN HIP-HOP WIE DAMALS MACHEN.“
So habt ihr euch kennengelernt, nehm’ ich an.
Andreas Staudinger: Das war schon davor, den Sound machen dann doch zu wenige Leute …
Siegfried Gansch: Einen, der kommerziell nicht wirklich verwertbar ist, meinst du?
Andreas Staudinger: Na, ich mein auf das Projekt bezogen: Trifft ein Mundart-Rapper auf einen Ami-Rapper, kannst du wahrscheinlich nie …
Siegfried Gansch: … live spielen!
Andreas Staudinger: Deshalb hab’ ich vorhin gemeint: Es müssen Wahnsinnige aufeinandertreffen!
Fragt ihr euch manchmal, wieso Leute mit Bullshit-Hip-Hop größeren Erfolg haben als ihr mit der Liebe zur Kultur?
Andreas Staudinger: Wir sind Freaks, wir würden nie was anderes machen. Zum Teil sind wir damit festgefahren. Und: Leute aus den eigenen Reihen kritisieren uns dafür, dass wir immer noch denselben Hip-Hop wie damals machen. Organisch, möglichst analog, Samples …
Siegfried Gansch: Ich verwehr’ mich aber nicht automatisch neuen Spielweisen. Mit Mr. Freed betreibe ich seit zwei Jahren ein Lofi-Projekt und behalte trotzdem meine Handschrift als Producer.
Hier treffen mehrere Dogmen aufeinander, oder?
Siegfried Gansch: Wir teilen Musik immer nach Zeitepochen und Entstehungsort ein, klar. Mit dem L.A.-Projekt haben wir das Hip-Hop-Rad nicht neu erfunden, aber: Wenn’s mich zaht, einen Boom-bap-Beat zu bauen, dann verschließ’ ich mich nicht der Idee, solange ich sie spüre. Zu dieser Herangehensweise sollten wir wieder hin!
Joey Bada$$ veröffentlicht bald mit „2000“ eine Platte, die diese Realkeeper-Attitude hochhält. Dabei hat er die Ära nur als Kind erlebt. Trotzdem kommt der Sound wieder durch.
Siegfried Gansch: Das Internet trägt viel dazu bei, dass diese Sounds wiederkommen. Außerdem gibt es unzählige Tutorial-Videos, die es damals nicht gab. Anders gesagt: Jemand zeigt dir, wie du reproduzieren kannst. Mit einem Laptop, einer Bluetoothbox oder ein paar Kopfhörern lassen sich easy Beats bauen. Kein Wunder, dass der Output explodiert, neue Projekte entstehen und es immer schwieriger wird, sich abzuheben.
Über die Jahre habt ihr euch konsequent eine Fanbase erspielt. Sowohl solo als auch mit eurem Duo-Projekt oder in Crews wie Da Staummtisch.
Siegfried Gansch: Dafür haben wir in jedem Dorf gespielt. In einem holst du drei Leute ab, im nächsten vielleicht nur zwei. Trotzdem sind es erspielte Fans, die deine Platte oder dein T-Shirt kaufen. Diese Identifikation währt langfristiger als ein Like auf Insta.
Andreas Staudinger: Wir betreiben Musik nicht als Hobby, auch wenn sich’s mit dem Geld nie ausgeht. Es hauptberuflich zu machen, ist eine andere Sache.
Siegfried Gansch: Das Projekt wäre nie entstanden, wenn’s uns um die Kohle ginge. Trotzdem schwebt es uns allen vor.
Andreas Staudinger: Jetzt nimmer!
Siegfried Gansch: Stimmt, dabei wär’ ich fast all-in gegangen. In der Woche vor dem ersten Lockdown saß ich im Büro meiner Chefin, wollte kündigen – sie hat den Stichtag aufgeschoben, ich noch nicht unterschrieben. Im Nachhinein bin ich froh dafür.
Danke für eure Zeit!
Christoph Benkeser
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