„ZIEL IST ES, STETS, EIN GESAMTKUNSTWERK FÜR ALLE SINNE AUF DIE BÜHNE ZU BRINGEN“ – BLANK MANUSKRIPT IM MICA-INTERVIEW

Mit „A Live Document“ hat die Salzburger Art- & Progressive-Rock-Band BLANK MANUSKRIPT nun endlich ein richtiges Live-Album veröffentlicht. Gehört die Band doch auch zu den international erfolgreichsten Acts ihres Genres. Dabei haben sie nicht nur stetig ihren Stil verfeinert, sondern auch einen quasi typischen „Blank Manuskript“-Sound geprägt. Anlässlich des nun veröffentlichen Live-Album hat sich für mica Didi Neidhart mit der Band zum Interview getroffen.

Wie seid ihr auf die Idee gekommen, ein gleichsam klassisches Live-Album aufzunehmen? Ist das auch eine Art Hommage an all die Art- & Progrock-Acts der 1970er, die da ja mitunter mit 3fach-Vinyl-Alben dahergekommen sind?

Jakob Sigl: Wir haben die Covid-Zeit intensiv genutzt, um unser Programm teils neu zu arrangieren und um auch einmal richtig an Feinheiten zu arbeiten. Nach vielen Proben ohne Konzerte in Aussicht, war die Band extrem heiß darauf, wieder auf die Bühne zu gehen. Wir haben eine ganz neue Energie gespürt und uns war klar, dass wir das festhalten möchten. Gleichzeitig wussten wir schon, dass ich Blank Manuskript als Schlagzeuger bald verlassen würde und so ist „A Live Document“ für mich persönlich auch tatsächlich ein Abschluss einer wunderbaren Zeit geworden.
Dass in den 70ern viele derartige Live-Alben gemacht wurden, hat uns aber sicherlich auch dazu motiviert, unsere Idee auch wirklich umzusetzen. Für 3-fach Vinyl reichte allerdings das Geld nicht…

Alfons Wohlmuth: Konzerte waren immer ein unglaublich wichtiger Punkt bei Blank Manuskript. Gerade in der heutigen kurzlebigen Zeit, wo Musik immer mehr zum Hintergrundgeräusch von Streamingdosen zu verkommen droht, ist es wichtig, die Fahne hochzuhalten und qualitative Live-Musik zu bieten, die sowohl musikalisch wie auch visuell etwas Besonderes vorzeigen kann.

Die Aufnahmen sind 2022 im Rahmen von Night of the Prog Loreley Woodstock Forever und in der ARGEkultur Salzburg entstanden. Wie kam es zur Wahl ausgerechnet dieser Locations?

Alfons Wohlmuth: Ursprünglich war geplant, nur das ARGE-Konzert zu veröffentlichen. Allerdings haben sich danach überraschenderweise noch diese zwei weiteren Möglichkeiten ergeben. Da wir in Folge bei insgesamt drei kolossalen Konzerten mit dem Technik-Wizzard Jakob Guggenberger (Show2Go) zusammenarbeiten konnten, bot es sich an, eben diese drei Konzerte zu einem repräsentativen Live-Album zusammenzufassen.

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Blank Manuskript sind als sehr konzeptuell arbeitende Band bekannt. Wieviel Vorlauf und konzeptuelle Planung gab es bezüglich des Live-Albums?

Peter Baxrainer: Die konzeptionelle Planung von Live-Shows hat speziell für große Bühnen immer eine lange Vorlaufzeit und läuft prinzipiell für jedes Konzert gleich ab: Ziel ist es stets, ein Gesamtkunstwerk für alle Sinne auf die Bühne zu bringen. Speziell für den jeweiligen Anlass und die Location sollen sich die einzelnen Aspekte der Darbietung, i.e. Musik, Bühnenbild, Kostüme, Maske, Licht und Raum also zu einem großen Ganzen ergänzen. Insofern bestehen keine Unterschiede in der Planung, egal ob Konzerte audiovisuell oder tontechnisch aufgenommen werden oder nicht. Selbst wenn man am Album nicht direkt hört, ob ich etwa während eines Gitarrensolos auf den Laufsteg gehe, so wird diese Energie der Interaktion mit dem Publikum doch aufgefangen.
Für unsere Auftritte arbeiten wir mit unseren wunderbaren Bühnen- und Kostümkünstlerinnen Lena Kalt und Linda Hofmann zusammen, die unsere Kostüme roadtauglich machen und bei größeren Bühnen die Kulissen entwerfen.

„Eine Live-Vorstellung zeigt heute noch, wozu eine Band im Stande ist.“

Was ist eigentlich der Reiz bzw. die Herausforderung bei einem Live-Album?

Jakob Sigl: Blank Manuskript hat scheinbar eine sehr mitreißende Bühnenpräsenz. Das spürt man im Saal und man hört es bei den Mitschnitten. Die Perfektion einer Studio-Produktion hat natürlich auch seine Reize, aber die Energie der Bühnenshow mit einem Publikum, das dich dauernd wieder neu anheizt, bekommst du im Studio einfach nicht.

Alfons Wohlmuth: Eine Live-Vorstellung zeigt heute noch, wozu eine Band im Stande ist. Während gerade durch den technischen Fortschritt im Musiksektor mittlerweile schon jedes Ein-Personen-Wohnzimmerprojekt Alben aufnehmen und auch teilweise damit noch erfolgreich und wohl-gefördert sein kann, haben wir es uns zum Ziel gemacht, als tatsächliche Band mit allen Vor- und Nachteilen die Bühnen zu betreten. Im Normalfall lässt sich die Energie einer Live-Performance kaum im Studio erleben, was uns schon bei unserem letzten Konzeptalbum „Himmelfahrt” dazu bewegt hat, die gesamte Sache eben in einem Guss und im selben Raum, mit geladenen Gästen und ohne Overdubs einzuspielen.

Bild Blank Manuskript
Blank Manuskript (c) Sven-Kristian Wolf

Im Studio wird ja auch viel mit Overdubs und diversen Studiotricks gearbeitet. Welche Abstriche müssen da Live gemacht werden?

Jakob Sigl: Wir haben diese drei Konzerte mitgeschnitten und uns die jeweils beste Version der Songs ausgesucht. Es gab in einigen Fällen also sozusagen drei “Takes” und einer davon musste in seiner Gesamtheit gut genug sein, denn Schneiden zwischen den Konzerten oder gar den einzelnen Spuren war da nur sehr bedingt möglich. Die Möglichkeit, etwas so oft zu wiederholen bis es passt, gab es da natürlich nicht.

Alfons Wohlmuth: Mit viel Vorbereitung eigentlich nur sehr wenige. Natürlich muss man Abstriche machen; bspw. lassen sich Leadstimmen oder Gitarren nicht doppeln und man hat weniger Spielraum mit Effekten und EQ, dafür aber die pure Emotion einer Live-Performance.

Probt man als Band anders, wenn einem bewusst ist, dass die Live-Aufnahmen später auf einem Tonträger verewigt werden?

Jakob Sigl: Musikalisch in unserem Fall nicht, aber man muss sich auf der Bühne und auch technisch womöglich anders organisieren, damit alles “im Kasten” landet…

Alfons Wohlmuth: In unserem Fall kann man das nur mit einem klaren “Nein” beantworten. Die Proben laufen penibel und analytisch ab wie immer.

Peter Baxrainer: Nein. Und selbst wenn die Vorbereitung anders wäre: In der Live-Situation auf der Bühne denke ich nicht daran, ob meine gespielten Töne gerade mitgeschnitten werden, ob es die Möglichkeit für Ausbesserungen geben wird oder nicht, oder wie viele Handyaufnahmen aus dem Publikum laufen und nach dem Konzert online gestellt werden. Vielmehr lebt man nur im Moment, und dieses Leben und Erleben der Gegenwart, ohne an gestern oder morgen zu denken, ist auch einer der besonderen Reize eines Konzertbesuchs.

Wie habt ihr die Songs ausgesucht?

Alfons Wohlmuth: Durch die vielen Live-Konzerte der vergangenen Jahre haben wir bereits ein Gefühl für den Spannungsbogen einer Bühnenshow bekommen und so haben wir bei allen drei Konzerten spezielle Setlists gewählt, die an Location und Publikum angepasst waren.
Im Endeffekt konnten wir so aus verschiedenen Stimmungen wählen. Für mich ist es ein Qualitätsmerkmal, wenn Konzerte auch mal komplett unerwartete Dynamiken annehmen und genau das ist auch hier passiert. Nachdem alle Aufnahmen im groben Maße gemixt waren, folgten gemeinsame Analysen und somit konnten wir uns bald auf eine endgültige Auswahl einigen, die einen weiten Bogen über unser Schaffen spannt. Wer also noch nie etwas von Blank Manuskript gehört hat, dem sei dieses Album als “Einstiegsdroge” ans Herz gelegt.

„Jedes Stück ist so arrangiert, dass wir ohne große Einschränkungen die Musik transportieren können.“

Die Reihenfolge bei Live-Konzerten folgt ja nicht immer nur dramaturgischen Aspekten. Manchmal geht es da mitunter ja auch um banale technische Fragen (Instrumentenwechsel, „Ausruhphasen“, etc.). Wie war das jetzt bei der Zusammenstellung der Abfolge der Songs für das Live-Album: ist das alles genau so wie auch Live, oder habt ihr da Reihenfolgen verändert?

Jakob Sigl: Die Reihenfolge am Album hat sich tatsächlich erst nach den Shows ergeben. Klar war anfangs nur das Intro („Foetus“), welches wir speziell für den Beginn des Albums konzipiert hatten und das auch in der Intimität des Saales der ARGEkultur Salzburg super live funktioniert hat. Bei den anderen beiden Shows (beides OpenAir Festival-Auftritte) hätte so ein Intro nicht funktioniert, da mussten wir das Programm sowieso ein wenig abändern.

Alfons Wohlmuth: Instrumentenwechsel sind bei uns auch bei Live-Konzerten meist so verpackt, dass der wechselnde Musiker nicht im Arrangement fehlt, sondern der Wechsel von den restlichen Musikern kompensiert wird. Jedes Stück ist so arrangiert, dass wir ohne große Einschränkungen die Musik transportieren können. Die Reihenfolge haben wir allerdings aufgrund der begrenzten Spieldauer einer CD leicht abgeändert, um trotzdem ein flüssiges und stimmiges Hörerlebnis zu gewährleisten.

Mit „Studio-Live-Session ORF RadioKulturhaus“ gab es 2018 ja schon mal ein Live-Album von euch. Wodurch unterscheiden sich die damaligen Aufnahmen von den aktuellen?

Jakob Sigl: Der große Unterschied ist, dass die ORF-Session zwar live, aber ohne Publikum und in Studio-Atmosphäre und direkt für Ö1 eingespielt wurde. Für uns eine komplett andere und vielleicht etwas steife Situation.

Alfons Wohlmuth: Aber die Erfahrung, in diesem großartigen Studio stehen zu dürfen, war etwas ganz Besonderes. Mit dem nun vorliegenden Album haben wir eine Momentaufnahme unserer Musik aus dem Jahr 2022 festgehalten: „A Live Document“

Von vielen klassischen Live-Alben der 1970er ist mittlerweile bekannt, dass da bei einigen Stellen später im Studio etwas „nachgeholfen“ wurde. Ist „Blank Manuskript – A Live Document“ zu 100% Live, oder kann das so gar nicht gesagt werden, weil es ja bei der Post-Production immer Eingriffe gibt?

Bild Blank Manuskript
Blank Manuskript (c) Sven-Kristian Wolf

Jakob Sigl: Natürlich hat man heute ganz andere technische Möglichkeiten als in der 1970ern und es wäre gelogen zu behaupten, dass wir die gar nicht genutzt hätten. Man muss bedenken, dass es sich trotz quasi identer Technik ja doch um drei verschiedene Konzerte auf drei verschiedenen Bühnen – teilweise Indoor, teilweise OpenAir – handelt und natürlich auch ein ordentliches musikalisches Verständnis und die nötigen technischen Fähigkeiten vonnöten sind, um diese Aufnahmen soundtechnisch zu vereinen.
Trotzdem wollten wir bewusst die Rohheit erhalten und Ungenauigkeiten eben NICHT ausbügeln. So haben wir beispielsweise keinen Gesang gedubbt. Außer an zwei Stellen, wo mein Mikro ausgefallen war. Wir haben auch im Nachhinein keine zusätzlichen Instrumente (z.B. eine verdoppelte oder ergänzende Gitarrenstimme) eingespielt.

Dass das nicht nötig war, ist wohl auch unserem vielen Tüfteln an funktionierenden Live-Arrangements und unserer Idee, uns so zu präsentieren, wie wir live sind, zu danken.

Alfons Wohlmuth: Das Mixing wurde anschließend von Hannes Plattmeier in den Ashfield Street Studios London erledigt. Das Ergebnis ist nun wirklich eine erstklassige Produktion, die sich auch vor namhaften audiophilen Live-Werken nicht verstecken muss.

„Es gibt kaum einen interessanteren Moment auf der Bühne, als wenn etwas mal nicht funktioniert.“

Auf welchen Formaten und wo wird das Album erhältlich sein?

Alfons Wohlmuth: Das Album wird vorerst auf CD erhältlich sein. Der zunehmende Marktanteil von Spotify und ähnlichen Streamingdiensten ist ohne Zweifel mit einer Entwertung des Mediums “Album” verbunden. Es werden zufallsgenerierte Playlists gehört und der komplette Genuss eines zusammenhängenden Werks gerät immer mehr in Vergessenheit.
Selbstverständlich bieten unsere Alben aber stets auch einen haptischen und optischen Hochgenuss, um uns so zusätzlich von dem musikalisch entwertenden Streaming-Konsum abzuheben. Ein voll ausgestattetes Digipack mit beigelegtem Poster soll die musikalische Qualität auch im außermusikalischen Stil würdigen. Das spezielle Artwork stammt wie bei allen unseren Alben von dem großartigen Designer Philip Reitsperger/Identity Lab.

Gab es dafür irgendwelche Förderungen?

Alfons Wohlmuth: Glücklicherweise gab es vonseiten der Stadt Salzburg eine Tonträger-Sonderförderung, durch die wir die Kosten zumindest zu einem kleinen Teil reduzieren konnten. In diesem Sinne ist ein großes Dankeschön an die Kulturabteilung für die regelmäßige Unterstützung angebracht. Es ist für uns eine unglaublich schöne Sache, wenn man das Gefühl hat, dass harte Arbeit für Salzburger Kunst abseits der institutionalisierten Stätten berücksichtigt wird. Merci!

Was würdet ihr Acts raten, die auch vorhaben ein Live-Album zu machen bzw. wovon würdet ihr ihnen abraten bzw. sie warnen?

Alfons Wohlmuth: Üben, üben und üben! Außerdem ist bei dem gesamten Produktionsprozess von Aufnahme bis Mixing stets eine gute Zusammenarbeit innerhalb der Band obligat. Viele geschulte Ohren hören mehr als nur zwei. Ohne gute Technik und einen fähigen Tontechniker ist so ein Projekt auch sehr schnell dem Tode geweiht.
Ich kann nur empfehlen, immer wieder Test-Aufnahmen von Proben und Konzerten zu analysieren, um sich der Tragweite einer Multitrack-Live-Aufnahme bewusst zu werden.

Peter Baxrainer: Ich kann das Aufnehmen von Live-Auftritten als Instrument zur Selbstwahrnehmung, Reflexion und Inspiration für zukünftige Konzerte nur wärmstens empfehlen. Darüber hinaus ist die Produktion eines Livealbums für jede Band ein sinnvoller Schritt, sofern der technische und finanzielle Aufwand der Qualität der Darbietung entspricht. Habt keine Scheu und versucht erst gar nicht, eine unmenschliche Perfektion zu erreichen, die eure Ohren womöglich gewohnt sind – denn erst die Besonderheiten und sogar Fehler sind das Salz in der Suppe.

Dominik Wallner: Es gibt kaum einen interessanteren Moment auf der Bühne, als wenn etwas mal nicht funktioniert und die Erwartungshaltung der Band bzw. des Publikums enttäuscht wird. In diesen Momenten sind alle hellwach und wir treffen uns in der Musik und handeln aus, wie es weitergeht. Ich habe unzählige Bootlegs und Liveaufnahmen von Rock- und Jazzformationen gehört und suche immer nach diesen Momenten, in denen sich plötzlich etwas verändert. In diesen Momenten ist die Musik lebendig.

Wird es eine Promo-Tour bzw. ein Release-Konzert geben?

Alfons Wohlmuth: Als Release-Konzert haben wir das bekannte ArtRock-Festival in Reichenbach auserkoren. Die Ehre, auf der berüchtigten Bühne im Neuberinhaus zu stehen, ist für uns nur noch mit dem gleichzeitigem Verkaufsstart von „A Live Document“ zu toppen. Da eine Release-Tour im herkömmlichen Sinn für ein Live-Dokument, das eine Rekapitulation des bisherigen Schaffens darstellt, sich selbst ad Absurdum führt, wird es allerdings keine für dieses Album designierten Konzerte geben.

Danke für das Interview.

Didi Neidhart

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Blank Manuskript Herbst-Tour
20.10.23 Il Giardino, Lugagnano IT
15.11.23 223 The Venue, London UK
16.11.23 The Musician, Leicester UK
17.11.23 The Portland Arms, Cambridge UK
18.11.23 Northcourt, Abingdon UK
19.11.23 The 1865, Southampton UK
03.02.24 KL17, Döbeln DE

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