In einer Zeit, in der spartenübergreifende Projekte allgegenwärtig sind, scheint JOANNA WOZNY auf beinahe altmodische Weise einem „reinen“ Musikverständnis verpflichtet. Selten sind es literarische Eindrücke, politische Ereignisse oder wissenschaftliche Erkenntnisse, die am Anfang einer neuen Arbeit der Komponistin stehen.
Meist geht Joanna Wozny von einer konkreten Klangvorstellung aus, wobei sie den spezifischen Instrumentalklang der jeweiligen Besetzung im Ohr hat. Insbesondere interessieren die Komponistin Klänge, die durch eine bestimmte Widerborstigkeit gekennzeichnet sind – etwa durch einen hohen Geräuschanteil oder dadurch, dass sie für das jeweilige Instrument „eigentlich zu hoch […] oder zu tief oder zu leise sind“, wie sie im Interview mit Daniel Ender erklärte (ÖMZ 62/11–12, 2007). Woznys Komponieren basiert also auf instabilen Klangmomenten, die schwierig oder nahezu unmöglich zu realisieren sind. Diese Klänge bilden nicht nur den konzeptuellen Ausgangspunkt, sie stehen meist auch am Beginn des musikalischen Resultats.
Mitunter lässt sich die Komponistin auch von visuellen Vorstellungen inspirieren. Der Ursprungsgedanke von „as in a mirror, darkly“ ist jener von Kratzern und Verunreinigen, wie sie etwa auf alten Filmstreifen zu sehen sind. Das 2010 uraufgeführte Ensemblewerk beginnt mit einer Art Explosion, aus der sich eine dichte Fülle an Klangereignissen entwickelt. Trotz eines chaotischen Moments herrscht in der Komposition ein filigraner Klangcharakter vor, dominiert vom hohen Register der StreicherInnen und HolzbläserInnen und dem hellem Flirren des Klaviers, zu dem sich als dunkler Kontrapart Posaune und Schlagwerk gesellen.
Vermeidung klarer melodischer Konturen
Im Zusammenhang mit Woznys Komponieren fallen oft Begriffe wie „zerbrechlich“ oder „filigran“. Tatsächlich ist ihre Musik zu einem großen Teil von einer durchsichtigen, fragilen Textur geprägt. Ungeachtet dieser klanglichen Zurückhaltung ist Joanna Wozny aus dem hiesigen Musikleben nicht wegzudenken. Nicht erst, seit sie 2010 den Kompositionspreis der Erste Bank erhielt, ist ihre eigensinnig-kompromisslose Musik hierzulande hörbar – etwa beim Festival Wien Modern oder in den Konzerten des Klangforums Wien und des Ensembles PHACE, wo sie 2010 bis 2011 als „young composer in residence“ tätig war. International ist ihre Arbeit beim Warschauer Herbst ebenso präsent wie beim ECLAT-Festival Stuttgart oder in den Konzerten führender Neue-Musik-Ensembles.
In Österreich – nämlich im Grazer Kulturzentrum bei den Minoriten – war Woznys Klaviertrio „Vom Verschwinden einer Landschaft II“ (2011) erstmals zu hören. Das Stück beginnt mit schabenden Geräuschen der StreicherInnen, die in ein filigranes Gewirr von Flageolett-Klängen und Holz-Geräuschen übergehen. Zwischen unbestimmten, tremolierenden Figuren des Klaviers dehnen sich längere Streichertöne. Im Laufe der Komposition entfernen sich die Instrumente zunehmend von ihrem „angestammten“ Idiom und nähern sich klanglich einander an. Dies führt zu einer „pointilistischen“ Schreibweise, die – abgesehen von einzelnen länger ausgehaltenen Tönen – klare melodische Konturen vermeidet.
Der „pointilistische“ Charakter verbindet „Vom Verschwinden einer Landschaft“ mit „mobile elements“, einer ebenfalls 2011 uraufgeführten Ensemblekomposition, deren Ausgangspunkt kurze, deutlich begrenzte Motive bilden. Diese werden in scheinbar zufälliger Reihenfolge wiederholt, wobei die zu Beginn erklingenden Motive einem allmählichen Auflösungsprozess unterworfen sind. Das Prinzip der Wiederholung spielt in Woznys Schaffen eine zentrale Rolle, wobei es stets mit einer Verwandlung der wiederholten Elemente einhergeht. Ist die Wiederholung im Fall von „mobile elements“ noch eine annähernd „wörtliche“, so ändert sich Woznys Arbeitsweise in der Folge dahingehend, dass „die Arbeitsschritte der Wiederholung und der Veränderung […] sozusagen zu einem Arbeitsschritt, eben dem der Transformation, geworden“ sind.“ (ÖMZ 70/3, 2015)
Komposition als Sprachkritik
Woznys Fokus auf den Klang als konkretes Phänomen hindert sie nicht daran, sich mit den philosophischen Grundlagen des Komponierens auseinanderzusetzen. Von 1992 bis 1999 studierte die gebürtige Polin in Katowice Philosophie, während sie parallel ein Kompositions- und Musiktheoriestudium an der Kunstuniversität Graz absolvierte. Ihre Lehrer Beat Furrer und Gerd Kühr zählen neben Morton Feldman, Luigi Nono und Salvatore Sciarrino zu jenen Komponisten, die Joanna Wozny in ihrer Arbeit beeinflusst haben. Dennoch hat die Komponistin, die auch heute noch in Graz lebt und arbeitet, eine unverkennbar eigenständige Musiksprache herausgebildet. Ihre Abschlussarbeit im Rahmen ihres Philosophiestudiums war übrigens Ludwig Wittgenstein gewidmet. Mit dem österreichischen Philosophen verbindet die Komponistin das Interesse an Fragen der sprachlichen Vermittlung von Wirklichkeit und ihren Grenzen. Während sich die Wirklichkeit nach Joanna Wozny nie eindeutig fixieren lässt, versucht die Sprache genau dies: das Begrenzen der unendlichen Vielfalt des Realen.
Diese Skepsis gegenüber der vermeintlichen Eindeutigkeit sprachlicher Fixierungen äußert sich auch in Woznys vorsichtigem Umgang mit jeglicher Art sprachlicher Vermittlung von Musik. Sie ist auch einer der Gründe für ihren zögernden Zugang zum Genre der Vokalmusik. Dass nun gleich drei Arbeiten in Folge die menschliche Stimme mit einbeziehen, verdankt sich den Zufälligkeiten der Auftragslage: So geht die Komposition „Lacunae“, die am 24. April 2015 bei den Wittener Kammermusiktagen uraufgeführt wurde, auf einen Auftrag der Vocalsolisten Stuttgart zurück. Neben sinnfreien Lauten arbeitet Wozny hier mit Texten von Julio Cortázar, T. S. Eliot und anderen ihr nahestehenden Autoren.
„Für mich werden kleinste Nuancen zu großen Ereignissen.“
Durch die Beschäftigung mit dem „Problemfall“ Sprache erschlossen sich der Komponistin neue Gedankengänge. Indem sie den Text hauptsächlich in gesprochener bzw. geflüsterter Form einsetzt, aber auch durch die Mehrsprachigkeit begrenzt Wozny bewusst die Möglichkeiten des Verstehens und schafft zugleich Raum für Vieldeutigkeit. Durch das Unterbinden sprachlicher Eindeutigkeit wird somit gerade die Auslassung (lacuna) zur Quelle vielfältiger Bedeutungen. „Fragmentierung, die keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit erhebt – das hat mich interessiert“, so Joanna Wozny (ÖMZ 70/3, 2015).
Determiniert die Besetzung für Wozny stets die Grundidee einer Komposition, so war dies bei „Lacunae“ besonders nachdrücklich der Fall: „Beinah bei jeder Note dachte ich an die Person, die sie singen wird – so stark sind die Neuen Vocalsolisten Stuttgart für mich als konkrete Personen konnotiert“, so die Komponistin (ÖMZ 70/3, 2015). Anders war dies bei der Komposition „un altro … di vento, di cielo“ für Chor, Live-Elektronik und Video, die am 21. Mai 2015 in Wrocław (Polen) uraufgeführt wird. Hier ging Wozny aufgrund der größeren Besetzung eher von der Vorstellung „anonymer“ Stimmen aus; außerdem dominieren – im Gegensatz zu der „rissigen“ Textur von „Lacunae“ – länger ausgehaltene Töne und Klangflächen. Indes spiegelt sich in beiden Stücken Woznys zunehmende Konzentration auf die Mikroebene des musikalischen Geschehens: „Für mich werden kleinste Nuancen zu großen Ereignissen.“ (ÖMZ 70/3, 2015)
Lena Dražić
Foto Joanna Wozny: J. J. Kucek