YELVILAA BODOMO ist YIELU: eine Verschmelzung all ihrer bisherigen Lebens- und Musikerfahrungen, die, wie sie selbst sagt, fragmentarisch sind, aber alle zusammenkommen und in dieser kraftvollen Persona Platz finden. Diese Sängerin und Songwriterin hat eine einzigartige und persönliche Beziehung zur Musik und zum Geschichtenerzählen, möchte sie aber gleichzeitig mit ihrem Publikum teilen und erleben.
Jede Erfahrung schafft ein neues Bewusstsein.
Als wir ein paar Stunden vor dem Auftritt in einer Schulaula im tiefsten Österreich zur Generalprobe sitzen, geht YIELU eine Zeile aus ihrem selbstgeschriebenen Song „Seeker” durch. Sie schließt die Augen und unterbricht das Ende der kraftvollen ersten Strophe und den geladenen Vorrefrain mit “bury me deep”. In diesem Moment ist es so, als wäre niemand sonst im Raum und plötzlich werden wir zum letzten Auftritt vorgespult, bei dem ein nun voller Raum bei genau dieser Zeile den Atem anhält.
Wenn YIELU auf der Bühne steht, fühlt es sich genauso an wie bei Yelvilaa Bodomo, der Kreativen, der Sängerin, der Songwriterin, aber irgendwie auch anders. Gleich, weil ihre Botschaft und ihre Kraft ihre Konstanten sind, anders wegen der besonderen Wirkung, die YIELU hat, wenn sie auftritt. In jedem Moment, in dem sie singt, sind wir nicht mehr in der Schulhalle der Stadt, die über Nacht zu einem Konzertraum verkabelt und inszeniert wurde. Der anhaltende Geruch von Sportzeug ist sofort irrelevant. Das Backstage ist ein Umkleideraum für Schulkinder, höflich überdeckt von einem behelfsmäßigen Willkommenskorb mit Wein und vegetarischem Fingerfood. All das fällt in sich zusammen, sobald YIELU zu singen beginnt. Ihre Anwesenheit erfüllt den Raum und auch wir werden aufgefordert, uns auf das einzustimmen, was in diesem Moment zählt: sie. Wie ist sie hier hingekommen, an diesen Ort, um diese Lieder zu singen und diese Menschen zu erreichen?
Für Yelvilaa ist die Bühne nur in den Momenten, in denen sie als YIELU singt, ein Ventil und Verstärker, aber ihre Stärken liegen auch abseits der Bühne. Ihre Arbeit ist eine fortlaufende Praxis, die in das Medium der Musik eingebettet ist und gleichzeitig ihre Lebensweise darstellt. Sie ist eine Geschichtenerzählerin, ein “Griot“, wenn man so will, die für und von einer Gemeinschaft auftritt, mit dem Ziel, Geschichten zu erzählen, die für die Existenz und das Überleben dieser Gemeinschaft notwendig sind. Das ist die Tiefe des Ausdrucks, über die wir hier sprechen. Ihre Geschichte muss man einfach hören.
Abseits der Bühne hinterlässt Yelvilaa mit ihrer Art zu sprechen ein Gefühl der Befriedigung und gleichzeitig ein Gefühl der Faszination, denn ihr Schweigen ist genauso stark wie ihre Sprache. Als selbsternannte Introvertierte ist sie auch eine offensichtlich selbstbewusste und “unkaputtbare” Person, die ihre Macht und ihren Sinn kennt.
do we stand to be misunderstood
our words twisted and bruised?
well silence, smiling did no good
there’s nothing left to lose
(Auszug von ‘Seeker’, geschrieben von Yelvilaa)
Yelvilaa selbst bezeichnet ihre Rolle als “Channeler”. Auf die Frage, was das bedeutet, antwortet sie: “Es ist der Ort, an den ich mich begebe, wenn ich auftrete, und es kanalisiert einen Ort jenseits [meines] unmittelbaren Bewusstseins”. Sie sagt, es sei, als würde man aus einer größeren menschlichen Erfahrung und einem achronologischen Wissen schöpfen. Sie beschreibt es als ein kollektives Gedächtnis von der Vergangenheit bis zur Gegenwart, das sie selbst noch nicht definiert, aber ständig heraufbeschwört. Und diese erkennbar mehrstimmige Darbietung hinterlässt das Gefühl, etwas Größeres als einen Song gespürt zu haben. Durch das Kanalisieren ermöglicht sie es anderen, Teil einer Aufführung zu sein, ohne sich ihr zu unterwerfen oder gar von ihr unterhalten zu werden. Es geht nicht darum, sie zu konsumieren, sondern sie zu erleben. Das ist es, was sie als Künstlerin so wichtig macht: Sie hat die Kontrolle über ihre eigene Geschichte und ihre eigenen Lieder. Und in einem Raum voller Menschen, in einem winzigen Dorfsaal, ist diese Macht der Schlüssel. Mit der letzten Note ihres Sounds ist man gefesselt. Sie hat ein neues kollektives Bewusstsein durch eine Erfahrung geschaffen, die sie so bereitwillig geteilt hat.
Gemeinschaft und Kollektiv waren schon immer der Schlüssel zu Yelvilaas künstlerischer Praxis: Sie stammt aus einer Familie äußerst talentierter Kreativer und Denker*innen, von ihrem Vater, einem Professor für Afrikastudien an der Universität Wien, über ihre älteste Schwester, eine erfolgreiche Filmemacherin, die zwischen Westafrika und den USA lebt, bis hin zu ihrer jüngsten Schwester, die ebenfalls Schriftstellerin und Dichterin ist. Nicht nur das Vermächtnis ist für ihre Arbeit von zentraler Bedeutung, sie sind auch durch ihre Diaspora-Bewegungen über mehrere Kontinente hinweg als Familie vereint und beeinflusst. Yelvilaa wurde in Norwegen geboren, wo ihre Eltern zu der Zeit studierten, dann zogen sie alle nach Ghana, wo sie aufwuchs. Als sie 7 Jahre alt war, zog die Familie nach Hongkong, wo sie den größten Teil ihrer Kindheit verbrachte.
Nach der Schule ging sie dann zurück nach Norwegen. Und dann nach Österreich. Die Musik begleitete sie die ganze Zeit: Sie nahm Gesangsunterricht in Hongkong und auch in Wien, zog dann aber um und belegte einige Kurse an der MDW (Universität für Musik und darstellende Kunst Wien), die von Komposition über Harmonielehre bis hin zu Musikgeschichte reichten (unter anderem), um ein wenig Erfahrung mit einer formaleren Musikausbildung zu sammeln. Darüber hinaus und als Erwachsene war Wien der Ort, der die Sängerin zentrierte und erdete. Hier war die Musik der Hauptfokus und damit ein Treffpunkt für die Fragmente, von denen sie oft spricht, wenn es um ihre Identität geht. Fragmentierung könnte die Vorstellung von “gebrochen” hervorrufen, aber im Gegenteil, Yelvilaa beschreibt ihre Erfahrungen als positiv prägend für ihren musikalischen Stil und ihre Referenzen. Musik ist, wie sie sagt, ihr Weg, all diese Facetten ihrer Identität zu verarbeiten und auszudrücken.
outside of the maze
beyond all the dark days
(Auszug von ‘Seeker’, geschrieben von Yelvilaa)
Das Erzählen von Geschichten und die Sprache sind daher ein zentraler Bestandteil ihrer Arbeit, um solchen Erfahrungen einen (groben) Sinn zu geben. Sie schöpft aus ihrer sprachlichen Flexibilität, da sie sich in so vielen Kontexten und Kontinenten bewegt und verständigt hat. YIELU ist selbst ein Wort aus ihrer familiären Abstammung und Sprache “Dagaare”, einer Sprache des Dagaaba-Volkes in Ghana und Burkina Faso. YIELU ist dagaare und steht dem Wort für “Lied” nahe, bedeutet aber auch einfach eine Sache oder Materie oder etwas, das “hier” ist – etwas Existierendes.
Dagaare ist in der Tat ein Dialekt-‘Kontinuum’, buchstäblich eine Sprache, die reist und sich verändert, und so reflektiert und ergänzt es auf wunderbare Weise YIELUs eigenen Wunsch, dass ihre musikalische Person ein länger andauerndes Werk ist. So schließt sich der Kreis, und alles wird von der Künstlerin selbst mit brillanter Absicht orchestriert. YIELUs Songs wurden daher in den letzten Jahren in verschiedenen Kontexten aufgeführt, aber ihr nicht linearer Ansatz und die Entwicklung ihrer Musik in einem Kontinuum bedeutet, dass sie oft Momente und Songs erneut erlebt und wieder aufgreift, um sie erneut ins Leben zu rufen. Derzeit arbeitet sie daran, diese Lieder zum ersten Mal aufzunehmen. Eines von Yelvilaas Liedern, “Kɔngmaarong (Cold Water)”, ist von einem dagaare-Sprichwort inspiriert, das in etwa bedeutet: “Sogar kochendes Wasser wird zu kaltem Wasser” – was bedeutet, dass sich schlussendlich alles legt und zur Ruhe kommt. Während sie dies erklärt, reflektiert sie über diese Bedeutung in ihren eigenen Erfahrungen: dass Chaos, Bewegung, Veränderung, alles wieder zur Ruhe kommt und sich entspannt. Und das ist es, was die Musik für Yelvilaa tut: “Durch die Musik kann ich das verarbeiten, und indem ich meine Musik mit anderen teile, kanalisiere ich es”, bemerkt sie.
Das Schreiben in Dagaare ist für die Songwriterin ein neues Unterfangen, auch wenn sie zu Hause mit der Sprache aufgewachsen ist. Als Kind und im familiären Kontext lernte sie Vokabeln und Stichwörter, aber als Erwachsene erklärt Yelvilaa, dass sie Dagaare in diesem Lied benutzt, um die Sprache auf ihre eigene Art und Weise zu erkunden. In ihren Worten ist es eine Möglichkeit, sich auszudrücken, ohne erklären zu müssen, wie es ankommt, oder davon abhängig zu sein, wie die Leute es hören und interpretieren, es geht nur darum, dass es existiert (dagaare) und hier ist, und das ist Teil ihres Prozesses. Das ist ihr Lied.
In diesem temporären Konzertsaal, in dem wir uns befinden, wird deutlich, dass ihr Spiel und ihre Absicht mit der Sprache uns in ein lebendigeres Gefühl und einen lebendigeren Raum versetzt hat. Dass diese Person, die so viele Erfahrungen in dieser kleinen, aber weiten Welt gemacht hat, all das an diesem Abend in diese kleine Stadt in Österreich gebracht hat. Sie hat uns verbunden, indem sie Emotionen und Gefühle kanalisiert hat, von denen wir nicht wussten, dass wir sie haben können.
we’ve seen it all before it could exist
(Auszug von ‘Seeker’, geschrieben von Yelvilaa)
Sie hat uns ein Leben betrauern lassen, das wir nie gelebt haben. Um einen Verlust trauern lassen, den wir nie hatten. Sie erzählt mir, dass jede Erfahrung, die sie gemacht hat, ein neues Bewusstsein geschaffen hat: eine neue Vorstellung von sich selbst, wie sie sich in der Welt bewegt und durch welche Perspektive sie interagiert, dass sie sich in jedem Kontext, in dem sie bisher war, immer wieder neu formieren musste und, dass dies YIELU zu genau dem gemacht hat, was sie ist. Alles ist in ihr zur Ruhe gekommen.
Tonica Hunter
Übersetzt aus dem englischen Original von Itta Francesca Ivellio-Vellin
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Link:
YIELU (Instagram)