Dieses Porträt von Aisha Gstöttner entstand im Zuge der Lehrveranstaltung „Ästhetischer Diskurs, Reflexion, Kritik: Schreiben und Sprechen über Neue Musik“ von Monika Voithofer im Wintersemester 2022/23 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und wird als Teil einer Kooperation mit mica – music austria hier im Magazin veröffentlicht. Für diese Aufgabenstellung konnten die Studierenden frei eine aufstrebende Persönlichkeit aus dem Bereich der neuen Musik wählen.
Durch eine Strafaufgabe herausgefordert, begann Jakob Gruchmanns Karriere als Komponist. Sein Musiklehrer forderte ihn damals auf, ein Stück für die gesamte Musikklasse zu komponieren, da der 11-jährige Gruchmann die Herbstlieder immer in Dur anstatt in Moll gesungen hatte. Somit bewältigte er die erste Challenge und schrieb ein Stück für alle Instrumente seiner Klasse – und siehe da, das war der Beginn des Klassenorchesters am Musischen Gymnasium Salzburg und auch der Karriere des Komponisten Jakob Gruchmann.
Reicht es, Wunderkind zu sein, oder braucht es einen Plan B?
Als Wunderkind bezeichnet zu werden, findet Jakob Gruchmann etwas übertrieben. Zwar ist ihm schon bewusst, dass am Ende schon etwas Zufriedenstellendes herauskommt, wenn er sich ein Zeitlimit setzt. Allerdings denkt der Komponist, dass das nicht alleine Talent, sondern auch viel Übung und Fleiß erfordert:
„Das Talent oder die Begabung ist eine Sache, aber viel wichtiger ist es, dass man etwas daraus macht. Beharrlichkeit, Dranbleiben, Fleiß und sich nicht gleich von Misserfolgen abbringen zu lassen, ist hier essentiell. Genauso wie das Handwerk – Instrumentation, Kontrapunkt und Tonsatz sollte man als Komponist beherrschen.“
Als Militärmusiker und gleichzeitiger Student der Musiktheorie am Mozarteum Salzburg bei Ernst Ludwig Leitner und Klaus Ager war dem jungen Gruchmann jedenfalls noch nicht ganz klar, ob er dem Komponieren treu bleiben würde oder ob er doch einen Plan B als Hornlehrer verfolgen sollte, falls das mit dem Komponieren nicht klappt. Allerdings lernte der Student dann Gerd Kühr, Kompositionsprofessor an der Universität für Musik und darstellende Kunst Graz (KUG), kennen und beschloss kurzerhand, zu ihm zu wechseln und das Kompositionsstudium dort weiterzuführen. Der Gedanke, zudem Dirigieren als Zweitfach zu belegen, erledigte sich spätestens dann, als der 22-jährige Jakob Gruchmann 2014 als Kompositionsprofessor ans Kärntner Landeskonservatorium (mittlerweile Gustav Mahler Privatuniversität) gerufen wurde und sich ab diesem Zeitpunkt keine Sorgen mehr um einen Plan B machen musste.
Die Reise vom Kopf bis in die Feder
Festivals, Orchesterdirigent:innen, Musiker:innen – sie alle haben etwas gemeinsam, denn sie sind die Zielgruppe von Jakob Gruchmann – bzw. eigentlich umgekehrt – Gruchmann ist die Zielgruppe für sie. Klangkörper und Musiker:innen kennt er also meistens, wenn er einen Auftrag erhält, und kann so kann er sich schon im Vorhinein gut vorstellen, wie sein Werk interpretiert wird, was den Prozess des Komponierens enorm unterstützt.
Da er sich hauptsächlich auf absolute Musik konzentriert, schwirren keine Geschichten oder Bilder in seinem Kopf herum, außer es handelt sich tatsächlich um Werke, die sich, wie etwa im Fall von Messen, auf thematische Inhalte beziehen.
„Wenn ich eine gute und spannende Idee habe, bleibt sie auch da.“ Vom Kopf bis in die Feder braucht es allerdings ein bisschen, denn das ist der schwierigste Prozess, sich einmal nach viel Zeit und Ideensammeln schlussendlich zu entscheiden, was wirklich aufs Papier kommt. In dieser heiklen Phase braucht Gruchmann viel Konzentration und muss abgekapselt von der Außenwelt sein, um seine Ideen zu sortieren und niederzuschreiben.
Wie klingt „ein Gruchmann“?
Von Passion bis Konzert, von Polka bis Fanfare – man findest so gut wie alles in Jakob Gruchmanns Kompositionsschatz. Aber wie klingt ein typischer Gruchmann?
Selbst kann der Komponist schwer beschreiben, was ihn auszeichnet, allerdings wird er durch Kritiken immer wieder damit konfrontiert, welche Gemeinsamkeiten seine Werke haben und was typisch für seinen Kompositionsstil ist: Gruchmann bewegt sich in einer gewissen Kompositionstradition, die spezielle Harmonien, Instrumentation und melodische Linien beibehaltet und die in den meisten Werken wiedergefunden werden können. Allerdings verfolgt er keine Ideologien oder Konzepte beim Komponieren, sondern möchte die reine Musik aufs Papier bringen, die aus ihm herauskommt.
Paul Kornbeck beschrieb Gruchmann als jemanden, der „einen spannenden Weg zwischen kreativ geformter Tradition und neugieriger Avantgarde-Aneignung geht, der in diesem Chor-Fall schon höchst eigene, expressive und erfreulicher Weise tonal zentrierte, harmonisch fokussierte Energie bewirkt.“
Ein Blick in die Vergangenheit
Preisverleihungen und Nominierungen sind für den inzwischen zum Vizerektor der Gustav Mahler Privatuniversität ernannten 31-Jährigen nichts Neues. Schon als Jugendlicher gewann er Prima la Musica mit seinem Horn, mit 17 Jahren folgt der Preis von Jugend komponiert. Hier erlangte der junge Gruchmann auch zum ersten Mal nationale Aufmerksamkeit, auf die 2021 der 3. Platz beim Toru Takemitsu Composition Award, einem renommierten Kompositionspreis für neue Orchestermusik, folgt. Die Uraufführung seines für den Wettbewerb komponierten Stücks „TEHOM“ in Tokio mit dem Tokyo Philharmonic Orchestra hat sich auch in seine persönliche Erinnerung als eines der größten Highlights seiner Kompositionskarriere eingebrannt.
Allerdings freut sich der Salzburger immer wieder, wenn er „back to the roots“ nach Salzburg reisen kann, wenn auch manchmal nur arbeitstechnisch, um Aufträge für das Mozarteum Orchester auszuarbeiten, welches ihm 2020 ein Portrait Konzert gewidmet hat.
„Es ist interessant, was meine Musik alles auslöst“, meint Gruchmann, vor allem in diesen Momenten, wenn nach einem Konzert Zuhörende zu ihm kommen und spannende Gespräche suchen, oder jemand zu Tränen gerührt ist. Manchmal kann der Komponist gar nicht glauben, dass sein Schaffen Menschen so bewegt.
Bucketlist und Zukunftsausblick
Jakob Gruchmann ist aber auch ein Träumer – auf seiner Bucketlist ganz oben stehen auf jeden Fall viele weitere Werke für ein großes und renommiertes Symphonieorchester zu komponieren, ebenso wie seine Kompositionsabteilung an der Gustav Mahler Privatuniversität gut, stabil und nachhaltig aufzustellen. Seine eigene Kompositionsklasse zu leiten, konnte er zumindest schon einmal von seiner Bucketlist streichen, denn das tut er seit 2014.
„Natürlich ist es schön, wenn die eigene Musik von vielen renommierten und exzellenten Klangkörpern aufgeführt wird, aber für mich als Komponist ist das eigentliche Ziel doch immer noch das Komponieren selbst.“
Uns Zuhörende erwartet jedenfalls einiges – momentan in Arbeit sind zum einen ein Schlagzeugkonzert für Thomas Lechner (Schlagwerker bei den Wiener Philharmonikern), zum anderen ein Saxofonquartett für das Spectrum Saxophonquartett sowie eine Komposition für Vibrafon und zwei Gitarren anlässlich des Bloomsday, der am 16. Juni 2023 zu Ehren der Hauptfigur des Romans „Ulysses“ Leopold Bloom gefeiert wird.
Links:
Jakob Gruchmann
Jakob Gruchmann (SoundCloud)
Jakob Gruchmann (music austria Datenbank)
Ö1 Talentebörse: Jakob Gruchmann