Wolfram Schurig – ein Blockflötist und Komponist mit Weitblick

WOLFRAM SCHURIG hat eine Doppelbegabung als Blockflötist und Spezialist für die Barockmusik sowie als Komponist im Genre der avancierten zeitgenössischen Musik. Gleichwertig stehen die beiden Tätigkeitsbereiche nebeneinander und sie befruchten sich auch gegenseitig. Aktuell arbeitet Wolfram Schurig an einem Violinkonzert für die Geigerin Ivana Pristasova und das Ensemble PHACE.

Das Werk wird im Herbst im Rahmen von Wien Modern uraufgeführt. Sonaten des fast völlig vergessenen Komponisten Giovanni Battista Somis hat der Blockflötist mit Johannes Hämmerle am Cembalo eingespielt. In seinem Tun wird Wolfram Schurig von einer großen Entdeckerlust geleitet, denn vornehmlich interessiert sich der Musiker für bislang unbekannte Schätze, die in den Archiven verstaut sind. Neu entdecke musikalische Fundstücke präsentiert Wolfram Schurig unter anderem beim ersten Abokonzertes des Barockorchesters „Concerto Stella Matutina“. Als musikalischer Leiter und Blockflötist wird er zusammen mit den Orchestermusikerinnen und -musikern extra für diesen Anlass aufbereitete Kompositionen Barocker Meister neu beleben. Dass die beiden musikalischen Welten der Barockzeit und der Gegenwart im Schaffen Wolfram Schurigs auch zusammen treffen können, zeigt die neueste Komposition „Parcours“, die Johannes Hämmerle im ORF Publikumsstudio erstmals aufführen wird. Über die vielfältigen Arbeitsbereiche sowie Tendenzen des derzeitigen Musikbetriebs, die den Komponisten das Leben schwer machen, erzählt Wolfram Schurig im Gespräch mit Silvia Thurner.

Welche Wechselwirkungen gibt es zwischen deiner kompositorischen Seite und deinem Wirken als Blockflötist?

Wolfram Schurig: Beim Komponieren gehe ich stets sowohl vom Instrument aus als auch von seinem Spieler. Diese Vorgangsweise wäre sicher nicht so stark ausgeprägt, wenn ich nicht selbst auf der Bühne stehen und spielen würde. Eine Parallele zwischen meinem Musiker- und Komponistendasein ist sicher auch die Tatsache, dass ich immer neugierig und offen für Neues bin. Ich spiele fast immer unbekannte oder vergessene Werke, die ich oft genug selber aus den Archiven ausgrabe und editiere. Beim Eintauchen in die historischen Quellen bin ich ganz nah am schöpferischen Prozess von damals. Die Noten sehr genau zu studieren, gibt mir unglaublich viel für mein eigenes Komponieren, auch wenn die alten Werke und meine Kompositionen stilistisch nichts miteinander zu tun haben.

Musiktheatralisch gedacht

Aktuell arbeitest du an einem Violinkonzert für die Geigerin Ivana Pristasova und das Ensemble PHACE. Worin liegt für dich der Reiz, ein Violinkonzert zu schreiben?

Wolfram Schurig: Die hervorgehobene Stellung der Solistin ist nicht nur ein Anknüpfungspunkt für meine kompositorische Arbeit, sondern auch für den Hörer im Sinne einer Identifikationsfigur. Man nimmt sie automatisch als Rolle war, die – wie in einem Theaterstück – in mannigfaltige Beziehungen tritt mit den übrigen Beteiligten. Darin liegt ein unglaubliches musikdramatisches Potenzial, das ich in den Vordergrund rücken möchte. Klar sprechen wir letztlich über Musik und musikalisches Material, aber das ist in gewisser Weise so inszeniert, wie die Figuren in einer Oper – nur ohne den mühseligen Bühnenapparat bedienen zu müssen.

Ist auch das haptische Moment wichtig, wenn du beispielsweise Musik für Violine komponierst?

Wolfram Schurig: Ja, der Umgang mit dem Instrument – mit diesem kreatürlichen Ding – spielt eine unglaublich wichtige Rolle. Man muss ja das Instrument bedienen und man muss herausfinden, wie es behandelt werden möchte. Nicht der Spieler, sondern das Instrument und der Klang, der entstehen soll, stehen an erster Stelle. Erst danach geht es um Techniken.  Der Spieler ist in gewisser Weise selber ein Instrument auf einer höheren Ebene. Man könnte sagen, er induziert seine eigene Seele in die des Instrumentes und verschmilzt mit ihm zu jenem Wesen, das im  musikalischen Zusammenhang als Rolle wahrnehmbar wird. Im Violinkonzert gibt es aber auch noch andere Instrumente in wichtigen „Nebenrollen“, die sehr spezifische Aufgaben in der Gesamtdramaturgie erfüllen, etwa die Harfe oder das Fagott. Im Vorfeld zur Komposition des Violinkonzertes habe ich viel Musik aus dem frühen 20. Jahrhundert gehört und dabei einige Stücke entdeckt, die mich sehr beeindruckt haben.

Das ist eine untypische Vorgangsweise für dich. Beeinflusst dich diese Recherche?

Wolfram Schurig: Doch, insofern, als einige dieser Werke für mich eine komplett neue Welt aufgetan und mich entsprechend in ihren Bann gezogen haben. Ich brauchte dann notwendigerweise wieder einigen Abstand, um diese ästhetische Erfahrung zu verarbeiten. Daraus ist beispielsweise das Cembalostück „Parcours“ entstanden.

Musikbetrieb auf Abwegen

WolframSchurig 300Heutzutage ist es oft so, dass Komponisten von Musikern beziehungsweise Ensembles nicht mehr angefragt werden, sondern selbst die Initiative ergreifen und sich Interpreten suchen müssen. Wie kommt es deiner Meinung nach dazu, dass Komponisten mit ihren Werken hausieren gehen müssen?

Wolfram Schurig: Es gibt eine Verschiebung von dem, was man als Kreativität wahrnimmt. Dramaturgen und Manager sehen sich als Macher, die fürs Kreative zuständig  sind, die Künstler sind die Dienstleister, die zu liefern haben. Dabei wird mit notorischer Selbstverständlichkeit die Verpackung mit dem Inhalt verwechselt. Statt inhaltlicher Profilierung gibt es eine Überbetonung „neuer“ Veranstaltungsformate und Event-Design. Kunst aber hat im Design keinen Platz, denn sie ist größer und diesem übergeordnet. Deshalb kann man sie in diesem Milieu kaum finden, denn sie muss sich unglaublich klein machen, um in die Verpackung zu passen. Inhaltliche Verflachung und austauschbare Programme von der Stange sind ebenso die Folge, wie Personenkult, denn ohne Namen lässt sich nichts verkaufen. Wer es schafft, mit möglichst wenig künstlerischem Gewicht wichtig zu erscheinen, ist im Geschäft. Deshalb ziehen es doch einige vor, selber die Initiative zu ergreifen, um an adäquate Produktionsbedingungen zu kommen. Oft ist eben weniger mehr.

Für Neuentdeckungen eine Lanze brechen

Du hast Anfang des Jahres eine CD mit Blockflötensonaten von Giovanni Battista Somis eingespielt. Was hat dich dazu veranlasst?

Wolfram Schurig: Einerseits stellt eine Einspielung dieser anspruchsvollen Stücke natürlich eine blockflötistische Visitenkarte dar. In erster Linie möchte ich aber eine Lanze für die zu Unrecht vergessene Musik dieses Komponisten brechen, denn sie ist nicht einfach nur schön, sondern in mancherlei Hinsicht auch bahnbrechend. Den Basso Conintuo haben wir nur mit Cembalo besetzt, heute nicht besonders in Mode, aber Somis schreibt das dezidiert. Johannes spielt wunderbar. In unserer Interpretation sind die Registrierungen des Cembalos sowie die Artikulationen der Basslinien und die Harmonik sehr transparent zu hören.

Beglückendes Zusammenwirken

Die Zusammenarbeit mit dem „Concerto Stella Matutina“ im Juni 2014 war so erfolgreich, dass sie nun fortgesetzt wird. Was erwartet die Zuhörenden im aktuellen Programm?

Wolfram Schurig: Wir konzentrieren uns dieses Mal auf den Nachlass von Aloys Thomas Raimund Graf Harrach und beleuchten das musikalische Umfeld des damaligen Weltenbürgers. Graf Harrach hat überall wo er hinkam, Kunst gesammelt, Stücke bestellt oder kopiert. Die Werke liegen in Archiven und sind weitgehend unbekannt. So findet sich etwa ein Konzert eines gewissen Mattäus Nikolaus Stulick, eines der originellsten Stücke, die ich aus der Barockzeit überhaupt kenne. Daneben spielen wir auch ein spektakuläres Blockflötenkonzert von Johann Friedrich Fasch und zahlreiche andere unbekannte Meisterwerke.

Fühlst du dich wohl in der Rolle des Ensembleleiters oder ist deine bevorzugte Rolle die des Solisten?

Wolfram Schurig: Wir proben in einer sehr freundschaftlichen Atmosphäre, in der auch Platz für Diskussionen ist. Dirigieren ist beim CSM nicht nötig, aber es ist entlastend für die Musiker, wenn sie wissen, dass jemand die Verantwortung bei den Proben inne hat. Die Zusammenarbeit ist eine große Freude. Wir können froh sein, dass es das „Concerto“ gibt, denn in den Konzerten wird immer Innovation und Spielfreude auf hohem Niveau geboten.

Musizieren in kleinen Besetzungen

Hast du dich schon mit dem Gedanken getragen, ein eigenes Barockensemble zu gründen und welche Pläne hast du für die Zukunft?

Wolfram Schurig: Sicher nicht. Die leidige Tätigkeit der Selbstvermarktung beherrsche ich schon als Komponist nur mäßig. Ich musiziere sehr gerne in kleinen Besetzungen, wie eben im Duo mit Johannes Hämmerle. Aber an Ideen herrscht da kein Mangel und manches Projekt entsteht aus einer Gelegenheit.

Danke für das Gespräch.

 

Dieses Interview ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, im April 2016 erschienen.

Factbox

Freitag, 15. April 2016, „Concerto Stella Matutina“, Kulturbühne AMBACH, 20 Uhr
1. Abonnementkonzert „Der Vizekönig lädt ein.“ Blockflöte und Leitung: Wolfram Schurig

Donnerstag, 21. April 2016, Neue Musik im Gespräch, ORF Funkhaus Dornbirn, 20 Uhr
Zeitgenössische  Werke von W. Schurig, G.F. Haas und F. Ali-Zadeh, die für historische Instrumente wie Cembalo, Viola d’amore und Harfe komponiert worden sind.

Links:
Wolfram Schurig (Musikdokumentation Vorarlberg)
Wolfram Schurig (mica-Datenbankeintrag)