Wolfgang Mitterer ist ein hervorragender Organist. Er gehört in Österreich und international nicht nur zu den „Spezialisten“ für Elektronik, virtuos an Tasten und Reglern, sondern auch zu den innovativsten Komponisten. Auch für Lied (Georg Nigl) und Musiktheater („Massacre“, „Das tapfere Schneiderlein“ …). Vom Zentrum des Musiklebens in Porto, der vor neun Jahren errichteten Casa da música, erhielt er den Kompositionsauftrag eines Stücks für Orgel und Orchester. Damit mit dem Orquestra sinfónica auf Tournee, gastierte er am Samstag im Wiener Konzerthaus.
Zuvor führte Mitterer auch ein interessiertes Publikum – darunter viele Portugiesen auf „Betriebsausflug“ – in die Große Konzerthausorgel ein und spielte auch wunderbar auf deren sechs Manualen. „Das ist mein symphonisches Orchester“ sagte er am Ende der Vorführung schmunzelnd – und musste doch noch etwas spielen. Die wunderschöne, moderne Casa da música macht interessante Programme, unterhält neben dem großen Sinfonieorchester auch einen Chor und ein Barockorchester und für die Neue Musik das „Remix Ensemble“. Dieses wird am 19. und 21. November sogar „versus“ das Klangforum Wien antreten, das eine unter Emilio Pomárico, dem designierten neuen musikalischen Direktor des Ensembles (derzeit ist es Peter Rundel), die „Unsrigen“ unter Enno Poppe. Sie spielen an zwei aufeinander folgenden Abenden zwei gleiche Werke mit zwei unterschiedlichen Pianisten: Auf dem Programm jeweils Wolfram Schurigs „vom gesang der wasserspieler“ (ein gemeinsames Auftragswerk der Casa da musica, von Wien Modern und dem Klangforum) und „…es…“ von Mark Andre. Das Klangforum gastiert auch mit Joanna Woznys Auftragswerk und einem Stück von Jorge E. Lopez. Und das Remix-Ensemble kommt im Gegenzug auch ins Wiener Konzerthaus (u.a. mit Schurig).
Themenschwerpunkt „Österreich“ der Casa da música im Jahr 2010
2009 war Brasilien der Themenschwerpunkt. Und 2010 ist in einem schön gemachten Katalog (auch „English“ und „Espanol“ erschienen) zu lesen: „In 2010 the compass needle shifts to the most eastern country of the Holy Roman Empire: Österreich, the ‚Eastern border’. It is Austria, the Music Country par excellence, which had and still has in Vienna the paradoxical centre of tradition and innovation, the stiffest conservatism an the boldest vanguardism … Portugal shares a very similar geographical dimension and number of inhabitants, as well as the same religion.
Since Porto 2001 European Capital of Culture: Austria would always be a tempting candidate for the Country theme at Casa da Música … proliferating relations with musicians and institutions as the late Joe Zawinul, Alfred Brendel, Vienna Art Orchestra, Klangforum Wien, Wien Modern, Linz09 and a significant number of composers who benefited through commissions from Casa da Música, such as Olga Neuwirth, Johannes Maria Staud, Georg Friedrich Haas, Bernhard Lang, Thomas Larcher and Wolfgang Mitterer – Composer in Association at Casa da Música 2010.”
Wegen des 150. Geburtstags von Gustav Mahler bot sich die Aufführung aller dessen Symphonien an, und „Austrian music will feature in all the key moments of the 2010 programme, not only in the form of the music of its great composers, but also with the regular presence of its great performers and the very varied music genres: Austria 2010.”
In der heurigen Saison gibt es in Porto einen neuen Namen des dortigen Symphonieorchesters: „Orquestra Nacional do Porto“. Unter dem alten Namen noch eröffnete es die Saison im Wiener Konzerthaus. Und diese Saison hat einen Themenschwerpunkt: Austria. Geladen ist demnächst Till Fellner (Klavier), er spielt Mozart und das Orchester (in einem Konzert mit projektierten Bildern) auch noch Johann Strauß II und Alexander Zemlinsky („Die kleine Meerjungfrau“). Und der Associate Composer 2010 war und ist Wolfgang Mitterer. Er präsentiert dort noch ein neues Werk für das Remix Ensemble, das Anton Bruckner gewidmet ist, er wird auch der Solist (Orgel und Elektronik) sein („The Church of Bruckner“ hat am 18.9. Weltpremiere). Im diesem Konzert auch zwei Bruckner-Sätze (I und II der Siebten Symphonie) in Arrangements der Schönberg-Schüler Hanns Eisler, Karl Rankl und Erwin Stein) und „Remix“ von Georg Friedrich Haas. Auch in weiteren Konzerten spielen die Sinfoniker u. a. Korngold, Schönberg und Beethoven und Haydn, Berg und Bruckner im Original.
Nur einige Termine dieses Jahres, die schon stattfanden: Mitterers “Masaccre” als Koproduktion mit Paris, Strasbourg, und Schauspiel Frankfurt in szenischer Aufführung auch in Lissabon, ein „Wiener“ Neujahrskonzert, Webern, „Schuberts Winterreise“ von Zender, die schädeldeckelhebende „Nosferatu“-Orgelmusik zum Film von Murnau mit Mitterer, Wolfgang Muthspiel & Ralph Towner, Cerhas „Les Adieux“, Christian Muthspiel, Johannes Maria Staud („Portugal“ und „Berenice-Suite“), Olga Neuwirth („Construction in Space“, mit Peter Böhm als Elektroniker), Matthias Rüegg und das Vienna Art Orchestra. Ja, und im Mai gab’s eine Konferenz mit dem Thema „Music In The Couch“ zu Sigmund Freud u. a. mit einem Referat von Berno Odo Polzer. Im Restaurant des Konzerthauses gab’s ein „Austria Year“ mit dem Küchenchef des Restaurants des Wiener Konzerthauses.
Das Konzert in Wien
Chefdirigent ist der junge, in Dresden aufgewachsene Christoph König. Er wurde international, auch in Salzburg, bereits umjubelt und macht in Porto zum Teil ungewöhnliche, kontrastreiche Programme und Kombinationen des Standardrepertoires mit unbekannten, zeitgenössischen oder Werken des 20. Jahrhunderts.
Das gut besuchte Gastspiel in Wien wurde zum Publikumserfolg – Höhepunkt war im zweiten Teil des Konzertes eine ungemein gute Aufführung der Ersten Symphonie von Gustav Mahler, in der das Orchester, von der exzellenten Solo-Kontrabassistin über wunderbare Streichergruppen bis zu den Bläsern enorm brillierte – ein Mahler, wie man ihn hören will, mit aller Ländlerherrlichkeit, mit Beethovenscher Motivstruktur und Herausarbeitung der Themen aus einem Nukleus im ersten Satz, mit wunderschön traurig blasenden „böhmischen“ Trompeten, mit Dramatik und tollen Steigerungen („Schalltrichter in die Höhe“ lautet eine Anweisung Mahlers für etliche Bläser in der Partitur und: „Im Stehen zu spielen “ gegen Ende für die gesamte Horngruppe) …
Es machte aber auch der erste Teil Freude. Da hörte man Mahlers „Blumine“ – ursprünglich der zweite Satz in Mahler erster Symphonie, dann von ihm gestrichen und erst 1959 wiederentdeckt. Zu Beginn erklang ein Kompositionsauftragsstück von Daniel Moreira, das sich u. a. an Antonionis „Zabriskie Point“ orientiert und „vom Sonnenaufgang bis zur Dämmerung“ führen will.
Wolfgang Mitterers zur Uraufführung kommende Musik „15 minutes for 13 morphs, für Orgel und Orchester“ erwies sich beim Hören keinesfalls als „Orgelkonzert“, eher als Musik für Orchester mit Orgel, vielleicht wäre sie auch als „für zwei Orchester“ (die Orgel als zweites) gedacht. Mitterer versagt sich und der Orgel weitgehend Alleingänge, sein Spiel verschmilzt fast mit den Orchesterklängen, die Orgel kann Klangmischungen und –farben der verschiedenen Gruppen, von der Basstuba über das Blech bis zu Diskantklängen, Flöten-, Oboenregistern auch eindrucksvoll machen. Ein wenig zu wenig war die Orgel über dem kontrastreichen Treiben des groß besetzen Symphonieorchesters gut auszumachen. Die Idee Mitterers: „das stück gliedert sich akustisch in 4 ebenen: hinten, oben die orgel, wie ein grosses radio am ende des raues oder (durch die Werkaufteilung der orgeln) ein links/rechts.
… vor der orgel 4 Lautsprecher mit elektronischen einspielungen, wiederum davor 4 schlagwerker und dann das gas große orchester im vordergrund, die musikalischen ereignisse schweben zwischen diesen 4 ebenen hin und her“ (im Konzerthaus eben ein bisschen zu wenig, hr).
„die untertitel der 13 prozesse: dark, make a mass, bruckner, strange, flagelant, flutes, stravinsky, pizzicato, breath, glissando, fast, vivaldi, und what is that. … sehr schnelle tempi, dauern von nur knapp einer minute pro morph ergeben ein rasantes musikstück.“
Ja: Es war spannend, sehr dicht, man hörte in alle Seiten und man möchte das bald wieder hören. Das Orchester spielte die vertracktesten Passagen virtuos.
Hingewiesen sei zum Schluss noch auf eine Menge von (auch brandneuen CDs) mit Musik von und mit Wolfgang Mitterer, eben ist bei col legno die CD „stop playing … durch die Pfeifen strömen…“ erschienen, mit Aufnahmen ohne Verwendung von elektronischem Klangmaterial. Die sieben Stücke hat Mitterer auf der Orgel der Pfarrkirche St. Andrä in Lienz (da dürfte er mit dem Orgelspiel angefangen haben) eingespielt, stop playing 02 entstand mt ähnlichen Registrierungen und Spieltechniken in den Kirchen Piber, Köflach, Stephansdom Wien und abermals in Lienz. Drei der Titel: „grand jeu“. Eine CD dieses Namens „für mechanische orgel“ von Wolfgang Mitterer ist bereits 1991 herausgekommen (damals in limitierter Edition bei austro mechana) und das mica hat eine Auskopplung daraus sechs Jahre später in der CD-Box-Anthologie „Musik aus Österreich- Das 20.Jahrhundert“ präsentiert, das vom Außenministerium weltweit an die österreichischen Botschaften verteilt wurde. Leider ist die Anthologie heute vergriffen.
Vor kurzem (2009) erschien bei col legno „massacre“ – Opera for five singers, nine instruments and electronics, 2003), einst bei den Wiener Festwochen uraufgeführt, mit dem Remix-Ensemble unter Peter Rundel (2008, Live recording). Im Privatarchiv des Autors dieses Beitrags findet sich auch die einst vom ORF Tirol herausgegebene schöne CD mit „Amusie“ für 6 Musiker, Lautsprecher & kaputte Kirchenorgel und „Tastatura“ für zwei Tastenspieler und Zubehöre 1993 – gemeinsam mit Thomas Larcher in der Galerie St. Barbara in Hall in Tirol aufgenommen. . .
Und eine Lieblingsplatte noch: „IM Sturm“ (2004/07), Liederzyklus, frei nach Franz Schubert für Bariton (Georg Nigl), präpariertes Klavier und electronics. (© 2008).
Heinz Rögl