„WOAH, WAS IST DAS FÜR EIN OARGER SCHEISS” – SIMON HAFNER (SUN PEOPLE) IM MICA-INTERVIEW

SIMON HAFNER macht Kultur in Graz, eine Radiosendung bei dem immer schon guten britischen Basssender Sub.FM. Und seit über 20 Jahren Musik. In wilderen Zeiten nannte er sich Simon/Off und filzte sich die Haare. Noch früher war der Winterstrand, ein Projekt unter Brüdern. Inzwischen ist HAFNER schon seit ein paar Jahren sehr souverän Vorstandsvorsitzender der IG Kultur Steiermark. Und nennt sich auf Bandcamp und Bühnen SUN PEOPLE. Veröffentlichungen via schönen Labels wie Exit, outlines und candy mountain sprechen mehrere Sprachen. Ein Gespräch über Grazification und Gategiving. 

Wieso kommen deepe, dubsteppige Sounds so häufig aus Graz?

Simon Hafner: Als hier Ende der 2000er Jahre musikalisch viel los war, hat der Journalist Chris Hessle Graz als „Bristol of Austria” bezeichnet. Weil Bassmusik da wie dort immer wichtig war. Außerdem ist Bristol wie Graz die große Stadt neben der Hauptstadt. Man will sich abheben. Das war zumindest die letzten 20 Jahre so. Zwischenzeitlich hätte auch was Großes passieren können. Es gab das Niesen Berger, ein Independent-Club für fast 1.000 Leute, der regelmäßig zu den besten Österreichs gewählt wurde. Es gab starke Netzwerke zwischen DJ-Crews und Veranstaltenden. Und: Das Elevate war damals voll im Saft.

Was ist dann passiert?

Simon Hafner: Die konservative Landespolitik hat ein neues Veranstaltungsgesetz erlassen. Daraufhin haben viele Clubs zugesperrt. Eckpfeiler der Szene sind weggezogen. Das hat die Dynamik gekillt. 

Und heute?

Simon Hafner: Es gibt einzelne gute Veranstaltungen wie die Nerd Nights im Dom. Daneben sind SUb und Forum Stadtpark aber die wenigen alternativen Venue-Konstanten, denn: Die avancierte Clubmusik-Ecke ist in Graz klein geblieben. Dass sie trotzdem möglich ist, geht nur, weil manche Dinge anders machen. 

Wie meinst du das?

Simon Hafner: Wer in einer Stadt wie Graz an bestimmten Dingen interessiert ist, kennt sich. Es leben hier zu wenig Leute, dass Szenen nebeneinander existieren könnten. Also tauscht man sich aus, arbeitet zusammen. Und hält Beziehungen zu Artists, die ein Andersmachen möglich machen.

Es geht also …

Simon Hafner: Um Kontinuität, sei es das Pflegen von internationalen Kontakten oder der Austausch untereinander. Man bleibt miteinander in Verbindung und versucht, Gatekeeping zu verhindern. Klar, die Szene mag immer noch männlich geprägt sein, allerdings hat sich an Personen wie Atmosphäre etwas verändert. Heute ist es demokratischer als damals. Das zieht sich durch alle Bereiche: Anfang der 2000er musste ich Monate auf eine Platte aus dem UK warten. Musikmachen war eine Wissenschaft. Inzwischen hat sich ein Bewusstsein gebildet: Wenn ich Wissen weitergebe, verliere ich nichts. Das mag überall so sein, in einer kleinen Stadt wie Graz kann eine Szene aber nur so wachsen.

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Du bist über 20 Jahre Teil dieser Szene. Deine nächste Platte kommt bei candy mountain raus. Wer ein bisserl vernarrt ist in elektronische Musik, weiß: Das ist das Label von Steffi und Virginia. Große Sache?

Simon Hafner: Der Release schließt an die Kontinuität an. Ich habe dazu einen oldschooligen Ansatz, also: Klassische E-Mails an Artists und Labels schreiben, die man schätzt und kennt. Sich also nicht ausschließlich auf Promoagenturen, Hypes und Social Media verlassen. Das mag anstrengend sein und dauern, ist aber nachhaltiger als kurzer Erfolg, denn: Der persönliche Kontakt zählt. Dafür braucht man Geduld, was schwierig ist, wenn ein ganzes System auf instant gratification ausgelegt ist. Manche hauen ihre Tracks lieber unkompliziert auf Bandcamp raus, anstatt 60 Demo-Mails zu schicken und zu hoffen, dass sich jemand meldet. Aber: Nur so geht es. Man muss an seinem Glück arbeiten.

Oder diszipliniert hartnäckig bleiben?

Simon Hafner: Ich bin nicht sehr diszipliniert, aber: hartnäckig, unbedingt! Wichtig ist auch – dabei tu ich mir manchmal immer noch schwer –, sich dabei ernst zu nehmen. Wenn du nicht gerade einen Instant-Hit hast, bestärkt dich nämlich niemand in deinem Tun. Zumindest nicht in Österreich. Hier glauben die Leute zuerst, dass du scheiße bist. Wenn du dann Erfolg damit hast, kommt der Neid.

Bild Simon Hafner
Simon Hafner / Sun People (c) Clara Wildberger

Die Suderanten und Neideranten!

Simon Hafner: Genau, man muss lernen, sich aus diesem österreichischen Zirkel rauszunavigieren. An Orten wie Bristol oder Leipzig herrscht eine andere Kultur vor. Es geht darum, sich gegenseitig zu pushen. Die Älteren treten dabei nicht als Gatekeeper auf, sondern als Mentoren und Gategiver

In einem Buch über Bassmusic im UK hat der Autor Matt Anniss das als „positiven Wettbewerb” bezeichnet. Es geht nicht um mehr Effizienz, sondern um die Sache an sich.

Simon Hafner: Ja, mir geht es darum, rauszugehen und andere Perspektiven wahrzunehmen – um sie dann für mich zu etablieren. Dazu gehört auch, sich gegenseitig zu feedbacken. Und über die Business-Seite zu sprechen. Das war damals mit Chris [Hessle, Anm.] so und ist heute mit Timo [Bürgler, Anm.] alias Toupaz nicht anders. 

Du meintest vorhin, du tust dir schwer, dich dabei ernst zu nehmen. Warum?

Simon Hafner: Vielleicht schwingt da ein bisschen Impostor mit, aber: Es ist gut, hungrig zu bleiben. Und zu realisieren, wo mehr gehen könnte, das heißt: Der nächste große Step ist immer der nächste. Nach außen hin mag eine EP auf einem Label wie candy mountain ziemlich besonders wirken …

Dabei bist du innerlich schon woanders?

Simon Hafner: Auch das. Der Prozess hat ja schon vor zwei Jahren begonnen. Aus dem Nichts kam eine Message von Steffi auf Insta. Sie sei mit Virginia auf meinen Release bei Exit UK gestoßen. Irgendwann fragten sie, ob ich nicht mal was für sie machen wollen würde. Daran hab ich mich festgefressen, auch weil es eine Herausforderung für mich war – mich an einen Sound anzunähern, den ich als DJ spiele, aber zuvor nicht produziert habe. Übrigens: Gleichzeitig hat sich eine Verbindung zu Paweł Dunajko vom polnischen Label outlines ergeben. Dort geht es um eine futuristische, minimale Auslegung von Footwork. Etwas, das ich davor schon probiert habe: Rhythm & Sound, Berliner Dub Techno, aber auf 160 Beats in der Minute.

Das war für mich damals komplett neu, ich find das bis heute sehr geil!

Simon Hafner: Um dieses Neue geht es. Ich will keine Retrowelle reiten. Jungle gab es als Revival schon mehrmals. 90er-Techno auch. Trance ebenso. Ich hab das alles gehört, deshalb sag ich allen, die heute drauf abfahren: Sorry, es ist fad! Statt nur zurückzuschauen, sollten wir eher daran arbeiten, aus alten Formen neue zu formulieren. Das passiert auf outlines! Es schließt an abstraktem Techno genauso an wie an minimalen Clicks&Cuts-Sounds. 

„ICH MACHE NICHTS, WAS LEICHT FUNKTIONIERIT.”

Das ist für den Release bei candy mountain ganz anders …

Simon Hafner: Mein Auftrag an mich war: Mach Electro! Deshalb klingt es – einige werden mir widersprechen – nach Electro, ohne wie Drexciya zu klingen. Es klingt aber auch nicht so, als liefe ich einem Hype hinterher. Weil ich nichts mache, was leicht funktioniert.

Es muss schwierig sein?

Bild Simon Hafner
Simon Hafner / Sun People (c) Clara Wildberger

Simon Hafner: Nein, gerade nach Corona nicht. Statt weirdere Sounds zu spielen, legen viele zugänglicher auf. Das mag ökonomische Gründe haben, aber: Manchmal würd ich mir wünschen, die Euphorie von damaligem Trance oder Jungle oder UK Hardcore nicht einszueins zu reproduzieren. Sondern Übersetzungen ins Jetzt zu suchen. 

Du übersetzt also die Vergangenheit?

Simon Hafner: Mit einer gewissen Subtilität, ja. Allerdings war 90s-Trance-Sound schon in den 90ern abgeklatschter Emo-Shit. Man muss sich als Gegenbeispiel nur frühen Detroit-Techno anhören. Da sind all diese Emotionen drinnen, sie kommen vom Soul und vom Jazz. Spielen sich aber nicht prominent ab, sondern im Hintergrund. Trotzdem haben diese Tracks eine Radikalität, die … Na ja, ich hab gerade wieder mal das „Minimal-Nation”-Album von Robert Hood angehört. Würdest du das heute im Club spielen, hättest du es schwer.

Du probierst es trotzdem.

Simon Hafner: Weil ich die Momente ausreizen will. Und weil ich weiß, dass auch ganz minimale Tracks im Club aufgehen können. Natürlich mag das nicht immer funktionieren, aber wenn, wird es crazy. Also setz ich mir diese Challenge. Mir muss dabei auch immer der Sound taugen. Deshalb kann ich es nicht verstehen, wenn sich DJs oder Musiker:innen dazu zwingen, etwas zu spielen, das sie gar nicht mögen. Klar, ich bin auch nicht derjenige, der nicht für die Crowd spielt. Trotzdem will ich eine Edginess reinbringen. Das ist mein Anspruch an Techno-Kultur. Also mach ich keine Musik, die nur funktioniert. Selbst wenn Labels anfragen für einen Release, der klingt wie … Ich sag dann immer: Na, das hab ich ja schon gemacht! 

Hat mit Integrität zu tun, oder?

Simon Hafner: Ich seh es viel einfacher. In all den Jahren hat sich weder mein Ansatz noch mein Anspruch verändert: Ich will immer überrascht werden. Dafür muss man offen sein und sich drauf einlassen. Das kann dazu führen, dass ein paar zur Bar gehen. Aber ein paar werden bleiben und sich denken: Woah, was ist das für ein oarger Scheiß!

Gut, ich sag nicht Integrität. Vielleicht ist Risiko das bessere …?

Simon Hafner: Ich bin sicher nicht so radikal wie andere in dem Bereich. Auch weil ich keine Floors leerspielen will. Deshalb suche ich nach der Balance zwischen Funktionalität und Überraschung. 

Danke für deine Zeit!

Christoph Benkeser

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