“Wir wollten beleuchten, wo wir herkommen” – RAPHAEL WRESSNIG im mica-Interview

Mit „Groove and Good Times” hat der Organist RAPHAEL WRESSNIG gemeinsam mit dem brasilianische Gitarristen IGOR PRADO im vergangenen Jahr ein Album an der Schnittstelle zwischen Rhythm & Blues, Soul und Funk veröffentlicht, das den Groove in seiner lässigsten Form zelebriert. Markus Deisenberger verriet er, wie das “gepimpte Orgeltrio” zu seinem Sound kam, warum das Album “home made” entstand, und wie es gelang, den Songs aus fremder Feder so den eigenen Stempel aufzudrücken, dass die geliebten 1970er im Jetzt erstrahlen.

Lass uns zuerst über den Titel des neuen Albums reden. „Groove and Good Times” passt wie die Faust aufs Auge, weil wir alle derzeit kaum etwas nötiger haben als das. War das der Hintergedanke? Dass man nach all der Isolation und der damit einhergehenden Vereinsamung einfach coole Musik zum Abgehen braucht? Groove als Heilung sozusagen?

Raphael Wressnig: Im Prinzip war das die Idee oder überhaupt der Grund, weshalb ich Musik mache: Good Times-Sound ist immer schon ein gemeinsamer Nenner, auch bei vielen vorhergehenden Alben. Jede “schwarze” Musik ist nicht so zweckgebunden wie europäische Musik. Egal ob man Afrobeat, Salsa, Samba oder Funk, Soul oder Blues hernimmt – es geht immer darum, eine gute Zeit zu haben. Bei uns ist Musik oft sehr anlass- und zweckgebunden. Die Kapelle spielt beim Marsch in die Kirche. Der Aspekt des Absichtslosen hat mir immer schon gefallen. Bei der Auswahl der Aufnahmen, als wir das Repertoire zusammenstellten, ging es immer mehr in diese Richtung. Bei jedem Konzert ist das ja auch mein Auftrag: Die Leute abholen und gemeinsam auf eine Reise gehen, von der hoffentlich jeder beseelt zurückkehrt, die gute Stimmung nach Hause mitnimmt und möglichst lange davon zehrt. Das spielte also immer eine Rolle, ja, und dann kommt der Moment, in dem man einen Titel definieren muss, und da fragten wir uns, worum es bei dem Album geht. Es ist kein Jazz, kein Funk, kein Blues, dazu ist es zu sehr im Midtempo verhaftet. Authentisch, knarzig, bewusst dreckig zu klingen – darum ging es uns. Der Groove steht im Vordergrund, wir wollen eine gute Zeit haben. Die zweite Bedeutung des Titels ist: Es sind schon auch Eigenkompositionen auf dem Album, aber vorrangig Bearbeitungen bekannter Songs. D.h. wir besinnen uns gemeinsam auf die Dekade ist, die uns inspiriert hat: Die 1970er. Wir gingen zurück, erinnerten uns an die spezielle Stimmung damals, und holten sie ins Hier und Jetzt.

Die Platte hat einige begeisterte Kritiken bekommen. Aber oft sind die privaten Kommentare ja die schönsten. Ein US-amerikanischer Musikliebhaber etwa schrieb auf der Seite eines bekannten Musikanbieters: “The guitar and Hammond B-3 sounds like they’re coming straight from the heart of the Motor City.” Da geht einem das Herz auf, oder?

Raphael Wressnig: Absolut. Wie die Assoziation konkret ausschaut, ist egal. Das ist ein schönes Beispiel. Mir ist der Southern Soul, das Kantigere aus den Südstaaten ja noch lieber, aber das Mekka der Soul und Groove-Musik ist natürlich Detroit. Für mich persönlich vielleicht eher Memphis. Aber egal, das freut natürlich. In den USA ist der Markt ja ungleich größer, offene Musikhörerinnen und-hörer können leichter anknüpfen, weil es die Musiktradition gibt. Bei uns ist der Zugang oft snobistischer. Mir wurde oft schon vorgeworfen, ich würde keinen spezifisch europäischen Zugang suchen. Stimmt. Den hab´ ich nicht. Meine Musik ist so wie sie ist, ich mache das, was mir taugt. Musik darf nicht künstlich zusammengezimmert werden. Ich muss keinen europäischen Zugang suchen, wenn sich der für mich nicht erschließt. Ich spiele ein amerikanisches Instrument, bin so aufgewachsen, war mit vielen Amerikanern auf Tour. Für mich ist es so logisch, wie ich es mache.

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Dass der Prophet im eigenen Land nichts zählt, dass das beste Feedback zu deiner Musik aus dem Ausland kommt, wurmt das oder ist das etwas, das einem mit Fortdauer der Zeit und dem immer größer werdenden Erfolg – egal, wo er eingefahren wird – zunehmend egal wird?

Raphael Wressnig: Ich stoße mich nicht daran. Es fällt auf, aber es motiviert mich eher, möglichst gut zu sein. Die Musik spricht für sich selbst. Österreich ist ein kleines Musikland mit großer Tradition und einem kleinen Markt. Und je kleiner eine Szene ist, desto mehr Missgunst gibt es auch, so meine Theorie.

In einem älteren Interview auf musicaustria.at sprichst Du in den höchsten Tönen von Belgrad. Dort verstünden die Leute, auch mal laut zu sein und ausgelassen zu feiern. Nun ist aber doch auch der serbische Markt ein kleiner. Was macht den Unterschied? Die dort größere und hierzulande kleinere Begeisterungsfähigkeit der Menschen?

Raphael Wressnig: Soweit ich mich an das Interview erinnere, ging es um das Laute und Ungehobelte in unserem Sound. Ich stellte den Vergleich zwischen dem Publikum in der Schweiz an, das sich aus großen Musikliebhabern zusammensetzt, die aber mit dem Lauten nicht immer so gut klarkommen, und dem Balkan, wo das genaue Gegenteil zutrifft: Mit Laustärke stimuliert man da etwas, eine Energie, die auf die Musikerinnen und Musiker zurückwirkt. Eine Symbiose entsteht. Wenn man mit seiner Musik etwas stimulieren kann, ist das sehr lässig.

Manche Musikerinnen und Musiker hören nicht viel fremde Musik. Sie blenden alles aus, weil sie Angst haben, sonst zu kopieren. Und dann gibt es die Vielhörerinnen und -hörer. Du gehörst zur letzteren Kategorie, oder? Soll heißen: Du bist Liebhaber, der auch viel Zeit beim Stöbern verbringt und mit dem ich mich stundenlang über R&B und Soul unterhalten könnte, oder?

Raphael Wressnig: Ich höre mein ganzes Leben schon viel Musik, ja. Aber auch das gesamte Umfeld, in dem ich mich bewege, die Leute, mit denen ich auf Tour bin. Das sind alles große Sammler. Die Leute, mit denen ich intensiv zusammenarbeite, die sind auch alle so gestrickt. Dass man sich mit Gleichgesinnten umgibt, geschieht ganz unbewusst, aber dafür umso automatischer, weil man sich mit ihnen besser austauschen kann, weil der gemeinsame Nenner größer ist.

Von mir gibt es viele Alben, die nur eigene Sachen beinhalten. Igor Prado und ich wählten aber, als wir begonnen, einen philosophischeren Zugang. Wir wollten beleuchten, wo wir herkommen. Das wäre mit eigenem Material schwieriger zu bewerkstelligen gewesen. Igor sitzt außerdem in Sao Paolo. Wir hätten dort, um eigenes Material zu schreiben, schon ein Jahr verbringen müssen. Deshalb griffen wir auf das zurück, was uns gefiel: Das, was man über die Jahre beim Sammeln zusammengetragen hat. In den Spielräumen auf Ö1 hat Mirjam Jessa das Album gelobt. Der einzige Wehrmutstropfen, meinte ich, sei, dass das Album mit ausschließlich eigenen Songs ein großer Wurf geworden wäre. Das sah sie nicht so: Wir hätten es geschafft, jeden der fremden Songs in eine eigene Welt zu tauchen und den Songs so unseren einen eigenen Stempel aufgedrückt. Tatsächlich haben wir die Songs alle ganz bewusst gewählt. Im Prozess brauchte es Themen, die wir in unsere Welt tauchen konnten. Das nächste Album wird wieder mit eigenem Material sein. Mit Igor aber, der ein Connaisseur und Musikliebhaber ist, fällt es mir leichter, auf etwas zurückzugreifen, das wir beide kennen. Etwas, das wir aus unseren Musiksammlungen kennen.

Raphael Wressnig (c) Aleksandra Pruenner

Wie habt ihr euch gefunden, Igor Prado und Du?

Raphael Wressnig: Das erste Mal haben wir 2014 zusammengespielt, worauf mich Igor gleich nach Brasilien einlud, auf eine erste gemeinsame Tour. Da hat sich relativ schnell herauskristallisiert, dass der gemeinsame Nenner so groß ist und dass wir gemeinsam aufnehmen wollen. 2016 haben wir dann das erste gemeinsame Album eingespielt: „Soul Connection”. Seitdem arbeiten wir immer wieder und intensiv zusammen, gehen alljährlich auf eine gemeinsame Lateinamerika-Tournee und touren auch in Europa. Die Platte jetzt war der nächste Schritt, eine Fortsetzung der gemeinsamen Geschichte, die hoffentlich noch lange andauern wird.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit? Igor Prado sitzt in Sao Paolo, Du in Graz oder Bad Radkersburg. Schickt ihr euch die Sachen via Internet hin und her?

Raphael Wressnig: Gar nicht, nein. Wir haben das Album zum Großteil während unserer letzten Südamerika-Tournee im November/Dezember 2019 aufgenommen, und haben es dann im Jänner 2020 gemeinsam in Europa und Russland gespielt. Das war der Start. An den Tagen, die frei waren, haben wir aufgenommen. 22, 23 Stücke. Das Album ist die Essenz daraus.

Auf dem Album zelebriert ihr Groove in seiner lässigsten Form. Das klingt alles leicht, logisch in seiner Abfolge, oder wie der Wiener gerne sagt: „Gschmeidig”. Oft ist das einfach Klingende aber das Schwerste. Wie kommt´s zu so einer Chemie, dass es einfach passt? Was muss da zusammenkommen?

Raphael Wressnig: Ich glaube, wir haben damals auf der Tournee einfach begonnen, uns ziemlich gemütlich darüber zu unterhalten, wie wir klingen wollen und in welche Richtung dieses Album gehen soll. Wohin soll die Reise gehen? Was ist das Soundkonzept? Das Spezielle an dieser Produktion war, dass wir alles selber gemacht haben: Die Produktion, den Mix, das Master. Alles ist “homemade”. Wir brauchten keinen Techniker, keinen Mastering- oder Recording- Engineer und niemanden, der uns den Sound zaubert. Alles passierte in Eigenregie. Das war ein riesiger Lernprozess, was aber auch bedeutete, dass man oft genug wieder zurück an den Start muss. Dafür haben wir uns umso intensiver mit der Thematik auseinandergesetzt und dann auch die Tools erlernt, die nötig sind, um genau den Sound zu erzielen, den wir haben wollten.

Raphael Wressnig (c) Lucas Hammerer

Ein Investment in die gemeinsame Zukunft?

Raphael Wressnig: Auf jeden Fall. Ein Investment. Das Ganze ist ein Prozess. Da werden hoffentlich noch einige Dinge für gute Laune und gute Stimmung sorgen. Uns ging es darum, der Musik nicht nur durch die Songs, sondern auch soundmäßig bis in die letzte Instanz die eigene Note zu verpassen. Also nicht nur Songs zu schreiben oder sie zu arrangieren und dann die Hammondorgel so zu spielen, dass man dem Ganzen die richtige Farbe gibt, sondern die Musik auch im Sounddesign und in der Produktion mit der eigenen Essenz aufzuladen.

Du hast auch schon in New Orleans in einem Studio aufgenommen. Wie würdest Du den Unterschied beschreiben?

Raphael Wressnig: Dort bucht man einen Studio und einen Engineer dazu. Ich stelle jetzt einen Vergleich an, der vielleicht hinkt: Aber wenn man einen Tisch zusammenbaut, braucht man auch irgendwann jemanden, der einem das Holz hält, das man verarbeitet. Soll heißen: Irgendwann kommt man an seine Grenzen. In New Orleans war das eine Session, in die viele Leute involviert waren. Man könnte das gar nicht in Eigenregie machen. In unserem Fall jetzt ist das leichter. Wir sind ein “gepimptes Orgeltrio”: Drei Leute, von denen jeder einzelne ein bisschen was extra macht. Vintage. Ich spiele nicht nur Orgel, sondern auch Keyboard. Yuri Prado spielt nicht nur Drums sondern auch Percussion etc. In New Orleans aber war das eine Session, zu der viele Leute kamen. Das ginge nicht ohne Techniker.

New Orleans war sicher lange ein Sehnsuchtsort für Dich. Schloss sich da ein Kreis, als Du dort endlich ein Album aufnehmen konntest? War es ein ehrfurchtsvoller Moment?

Raphael Wressnig: Ich habe seit über zwanzig Jahren intensiven Kontakt zu Musikerinnen und Musikern aus Louisiana. Aber mit der Idee, dort aufzunehmen, habe ich lange zugewartet. Larry Garner, der in New Orleans geboren wurde, mittlerweile in Baton Rouge lebt und mit dem ich auf Tour spielte, lud mich immer wieder ein, zu ihm zu ziehen und mit ihm auf Tour zu gehen. Das traute ich mich damals aber nicht, obwohl ich gute Kontakte hatte. Ich dachte, wenn ich meine Songs nach New Orleans bringe, möchte ich nicht nur mitspielen, sondern auch gestalten, d.h. den Ton angeben können. Im angloamerikanischen Raum sagt man: “I want to hang”. Man will nicht abstinken.

Der Respekt war also zu groß?

Raphael Wressnig: Ja. Es gibt den Moment, an dem man sich reif für gewissen Aufgaben fühlt. Gerade dieses Album war ein Wunsch gewesen, den man sich irgendwann erfüllt. Aber mit zwanzig fährt man nicht nach New Orleans und sagt dem George Porter jr. von den Meters, was er machen soll. Wenn man älter ist und ein bisschen weiß, wo oben und unten ist, fühlt sich das schlüssiger an. Mit den eigenen Songs dorthin zu fahren und die Gründergeneration einzuladen, war schon etwas Besonderes. Noch einmal so etwas zu machen, mit dem Know How von jetzt, wäre auch interessant.

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Du bist in Downtown Bad Radkersburg aufgewachsen. Wie kommt man in diesem malerischen, wunderbaren, aber nicht gerade für seinen Soul und R&B bekannten Städtchen in Kontakt mit der Musik eines Jimmy Smith oder Brother Jack Mc Duff? Wie ging das von statten?

Raphael Wressnig: Ich habe immer wieder in Graz gewohnt, aber meine Homebase, mein Studio, war und ist in Bad Radkersburg. Ich verbringe immer noch viel Zeit hier, wenn es sich ausgeht. Als ich begann, mich mit der Musik auseinanderzusetzen, gab es das Internet gerade noch nicht, aber man konnte in Läden herumstöbern. Mit fünfzehn, sechzehn Jahren begann ich mich mit Musik auseinanderzusetzen. Das war die MTV-Zeit und da stolperte ich irgendwann über Eric Clapton und von dem zu Buddy Guy, von Buddy Guy zu Jimmy Smith. Und ich fand heraus: Klavier ist nett, aber Orgel ist lässiger. Da führte eins zum anderen.

Was macht Deinen Sound, denkst Du, so einzigartig?

Raphael Wressnig: Interessante Frage. Der Orgelsound ist toll, kann sich für manche aber auch schnell abnutzen. Eine Hammondorgel kann fauchen, kreischen, euphorisch sein, aber auch nerven. Ich habe kein Bedürfnis danach, gefällig zu klingen. Ich weiß, was mit gefällt, und möchte das aus meinem Naturell heraus so machen, wie ich es für richtig halte, eine Kompromisslosigkeit im Zugang walten lassen. Ich lasse die Musik auf mich wirken und möchte das unmittelbar weitergeben. Heraus kommt ein Stilmix aus Rhythm & Blues, Soul und Funk. Es gibt keine Schublade, die ich aufmachen oder bedienen will.

Eines Deiner Alben hieß „Soul Gumbo“. Gumbo ist ein Eintopf mit einer Menge Zutaten.

Könnte man das nicht nur als Motto für diese eine Platte, sondern überhaupt als Motto für Deine Musik begreifen?

Raphael Wressnig: Definitiv. Den Titel wählte ich damals bewusst, wie jetzt den “Groove and Good Times”, als Hinweis darauf, dass die Musik mehrschichtiger ist.

Musiker sprechen oft davon, dass nicht sie ein Instrument gefunden haben, sondern das Instrument sie fand. Wie hat Dein aktuelles Instrument Dich gefunden?

Raphael Wressnig: Die Orgel, die ich jetzt spiele, stammt aus 1957, ist also ein Vintage-Instrument. Wenn man solch ein Instrument in den Alltag integrieren, auf Tour mitnehmen will, muss man es einmal ganz auseinandernehmen, warten und wieder zusammenbauen, damit es ein zuverlässig funktioniert. Zumindest handhabe ich das so. Die Geschichte, wie die Orgel mich fand, geht so: Ein Tiroler hatte einen Container mit Instrumenten aus den USA importiert. Der hatte alle Instrumente in einer Industriehalle aufgebaut, um die den interessierten Käufern vorzuführen. Ich kam eigentlich hin, um ein Fender Rhodes zu kaufen. Aber es waren auch zwanzig Orgeln aufgebaut. Von denen stach diese eine, die ich jetzt spiele, hervor. Die war am besten, aber leider auch optisch am ramponiertesten. Ich sagte zum Importeur: „Lässig, aber schon ein bisschen fertig.” Er antwortete: „Wenn du die haben willst, kriegst du sie günstig.” Was soll ich sagen: Das Angebot war so günstig, dass ich mit dem Fender Rhodes und mit der Orgel heimkam.    

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger

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