„WIR WOLLEN ETWAS WEITER GEBEN“ – DIWAN IM MICA-INTERVIEW

Der in Wien lebende Autor und Musiker REZA ALGÜL hat persische Wurzeln und veröffentlicht im Herbst 2021 mit seiner Gruppe DIWAN das Debüt-Album „Die vergessenen Gedichte. Alevitische Lyrik und Musik“. Im Interview mit Jürgen Plank spricht die Band über die musikhistorischen Wurzeln ihrer Stücke und wie es gelingt Texte des Dichters Yunus Emre aus dem 13. Jahrhundert ins 21. Jahrhundert zu transferieren.

Wie war denn der Weg bis hin zur ersten Platte und was ist dein kultureller Hintergrund?

Reza Algül: Mein Hintergrund ist die alevitische Kultur. Mein Vater hat gespielt und gesungen, genau wie meine Mutter. Unser Haus war ein so genanntes Jem-Haus, das bedeutet in persischer Sprache so viel wie Zeremonienhaus. Mein Vater hat das Instrument Sazgespielt, mit 3 Saiten, das ist ein persisches Instrument. Dieses Instrument hat sich mit der Zeit auch verändert, ich spiele zurzeit mit 7 Saiten, dadurch hat sich auch die Spieltechnik verändert. In meiner Familie wurde ich mit traditioneller Musik sozialisiert.

Wann hast du begonnen die Saz, das ist eine Laute, zu spielen?

Reza Algül: Ich habe ungefähr im Alter von 9 Jahren zu spielen begonnen und habe seitdem immer gespielt. Anfangs habe ich für mich oder für Freunde im kleinen Rahmen gespielt, bei Ausstellungen etwa. Ich wollte nicht wirklich auf der Bühne stehen. Mit der Zeit wollte ich aber mehr in die Tiefe der historischen, alevitischen Gedichte gehen. Unzählige Gedichte wurden über alle Themen des Lebens geschrieben.

Wo wird die Saz überall gespielt und welche Musik wird damit gemacht?

Reza Algül: Von Persien über Anatolien, im Iran, im Irak und Syrien bis hin zu den Balkan-Ländern, überall wird die Saz gespielt. Auch in Albanien, überall dort, wo Aleviten leben. Überall gibt es andere Melodien, zum Teil werden aber dieselben Gedichte mit anderen Melodien verknüpft. Insgesamt gibt es aber Traditionals, die in dieser Region jeweils ein wenig unterschiedlich gespielt werden.

Reza Algül (c) Robert Ott

Damit zu eurer Musik, die eine eigene Mischung darstellt. Denn mit der Saxofonistin Edith Lettner und durch die Rezitationen von Andrea Hiller gestaltet ihr eure eigene Weiterführung von Traditionen. Was macht ihr?

Reza Algül: Ich bin jemand, der nicht gerne das Gleiche wiederholt. Weil ich in Europa lebe, möchte ich die Traditionen ein bisschen europäisieren. Die Melodien und Rhythmen, die wir spielen, kann man in der Türkei genauso wie in Persien verstehen, das ist grenzenlos. Ich habe versucht, ein anderes Bild zu zeichnen, indem ich eigene Melodien komponiere.

„Die Gedichte von Yunus Emre sind einfach zu verstehen, sie sind praktische Philosophie.“

Auf dem Album werden hauptsächlich Texte von Yunus Emre, einem Sänger und Dichter des 13. Jahrhunderts, interpretiert und vertont. Wer ist diese historische Figur und welche Themen werden in seinen Gedichten behandelt?

Reza Algül: Welche Themen werden nicht von ihm nicht behandelt! Yunus Emre ist der Begründer der Gedichte der Aleviten. Die Gedichte von Yunus Emre sind einfach zu verstehen, sie sind praktische Philosophie. Er lässt alle Grenzen verschwinden, auch in Bezug auf Identität, Religion und Nationalitäten. Der Mensch steht im Mittelpunkt, egal wo er lebt. Er spricht vom Universum, in dem der Mensch natürlich nur winzig klein ist, neben Tieren und Bäumen.

Andrea Hiller: Immer wieder geht es in den Texten um die Freiheit der Entscheidung. Darum, wie ich mich als Mensch im Universum sehe. Das ist eine sehr tiefgehende, zeitlose Philosophie. Ich habe auch Rückmeldungen beim letzten Auftritt bei der Kunstgebung in Stammersdorf bekommen. Da haben Leute gesagt: unglaublich, wie aktuell diese Texte sind. Das zeichnet, glaube ich, diese CD aus: es sind Traditionals, die in die heutige Zeit hineinwirken, weil die Themen immer aktuell sind.

Sind die Texte Übersetzungen oder Übertragungen ins Deutsche?

Andrea Hiller: Ich würde von Übertragungen sprechen, Reza hat übertragen und ich habe bei einigen Formulierungen geholfen. Bei spirituellen Texten hat das Verstehen immer mit meinem eigenen Bewusstseinszustand zu tun. Deswegen ist dieses singende, musizierende Vortragen, das im Alevismus üblich ist, so wichtig. Es gibt auch immer eine Interaktion mit dem Publikum und dem Ort, an dem man vorträgt.

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Gleichzeitig Musiker und Dichter zu sein, ist auch eine Tradition in Europa. Welche Schnittmenge würdet ihr da zu Yunus Emre sehen?

Andrea Hiller: Yunus Emre ist Dichter, Musiker und Philosoph und wenn man nach Zentralanatolien reist, zum Beispiel zum Festival von Mevlana Rumi, bei dem ich mal dabei war, dann sieht man sehr viele Gedenkstätten für Yunus Emre, er ist präsent. Wie Rumi – der jüdische, christliche und muslimische Menschen um sich hatte – ist er einUniversalgelehrter. In unserer Gruppe spiegelt sich die Vielfalt der Philosophie von Yunus Emre wider.

Edith Lettner (c) Robert Ott

Du bist gemeinsam mit Edith Lettner der österreichische Teil der Gruppe und für Rezitation und Trommel zuständig. Wie bist du zu Diwan gekommen?

Andrea Hiller: Ich habe Reza Algül bei einer Veranstaltung kennen gelernt, damals war Edith Lettner schon an Bord, Diwan hat sich ja seit dem Jahr 2012 formiert. Edith ist von Anfang an dabei. Als Reza mich gefragt hat, ob ich die Rezitation übernehmen möchte, habe ich sofort zugesagt, weil es mir immer gefällt, etwas vorzutragen. Die Gruppe ist inzwischen zusammengewachsen, vor allem auch durch das Aufnehmen der CD.

Wie ist die CD aufgebaut?

Andrea Hiller: Das Album ist so aufgebaut, dass zwischen den Liedern jeweils ein Gedicht gelesen wird. Die Texte sprechen mir aus dem Herzen, muss ich sagen, weil ich auch Religionswissenschaft studiert habe. Für mich sind das zeitlose Texte über Dogmen, Zwänge und Druck. All das kann man auch in religiösen Institutionen erleben.

Wer kommt zu euren Konzerten, wer ist eure Zielgruppe?

Reza Algül: Es hat mich immer ein wenig überrascht und auch ein wenig enttäuscht. Es besteht meiner Wahrnehmung nach von Seite der Alevitinnen und Aleviten ein wenig Distanz zu diesen Texten, zu diesen Inhalten und daher auch zu mir, das kann ich ganz offen sagen. Die AlevitInnen kommen also eher nicht zu unseren Auftritten. Zu unseren Konzerten kommen hauptsächlich ÖsterreicherInnen.

Andrea Hiller: Live lebt unsere Musik auch davon, dass es Improvisation gibt. Insbesondere von Hamid Reza, der die Daf, eine Rahmentrommel, spielt. Er kommuniziert mit dem Publikum, streut kurdische Anklänge ein und kommuniziert musikalisch mit Edith Lettner am Saxofon. Auch wegen der Improvisationen ist kein Konzert gleich. Aber es gibt immer die Abwechslung von gelesenen Texten und Musikstücken.

„Man muss mutig sein und sich das Trommeln zutrauen.“

Und du hast diese Trommel auch schon bei einem Konzert gespielt.

Andrea Hiller: Bei einem Konzert habe ich ausnahmsweise Daf gespielt, weil der Kollege gerade im Iran war. Das ist natürlich ein traditionelles Sufi-Instrument, mit diesen Ketten dran. Das ist ein relativ lautes Instrument: man muss mutig sein und sich das Trommeln zutrauen. Hamid Reza unterrichtet Dafan der Universität und hat also einige Daf-SchülerInnen in Wien.

Gibt es in Wien eine Szene von Musikerinnen und Musikern, die ähnliche Ansätze hat wie ihr oder habt ihr mit den Texten von Yunus Emre ein Alleinstellungsmerkmal?

Reza Algül: Diese Richtung gibt es nur bei uns. Nach Konzerten werde ich manchmal gefragt, wo man noch Texte von Yunus Emre hören kann und das gibt es in Wien nur bei uns. Meine Hoffnung und mein Wunsch sind: Wir machen weiter und hoffentlich entwickeln andere diese Stücke mit diesen Texten weiter. Die Verbreitung soll mit uns nicht aufhören, wir wollen etwas weitergeben. Das wäre eine gute und positive Entwicklung für uns.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Album-Präsentation
3. Dezember 2021
Galerie Alma, Diefenbachgasse 54, 1150 Wien

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Link:
Reza Algül (Facebook)