„Touch. Unlocking Bodies“ lautet das Motto des diesjährigen UNSAFE+SOUNDS FESTIVALS in Wien. Nach langen Monaten der Isolation wolle man sich berühren lassen. Von Körpern, die Sounds sind. Und Sounds, die Körper werden. Am 18. und 19. August scheppert es deshalb unterm Tabernakel – im Betonschiff der Wotrubakirche wird der Messbecher gegen die heilige Dreifaltigkeit aus Rauschen, Drones und Orgelpfeifen getauscht. Eine Woche später übersiedelt das UNSAFE+SOUNDS vom 23. Bezirk zum Donaukanal. Am 27. und 28. August betoniert man das WERK am Donaukanal neu. Techno wird zum Heiland. Wie sich das Line-up zusammensetzt, was Berührung auslösen kann und wieso das UNSAFE+SOUNDS kein Spektakel sei, erklärt Chef-Kuratorin und Festival-Initiatorin SHILLA STRELKA im Gespräch.
Das Unsafe+Sounds Festival findet dieses Jahr an vier Tagen statt. Es gehe um körperliche Berührung, um eine Form von klanglicher Verbundenheit, steht in der Ankündigung. Wie setzt sich das in deiner Kuratierung um?
Shilla Strelka: Das Festival konzentriert sich zu einem Großteil auf relativ abstrakte, elektronische Sounds. Dem Festival jedes Jahr ein Thema zu geben, gibt mir als Kuratorin die Freiheit, mich von der Frage nach Genres zu lösen und einen größeren Kontext zu öffnen. Ich möchte den Fokus diesmal auf ein rein sinnliches Wahrnehmen lenken, auf Intensitäten und Affekte, d. h. erstmal wegzugehen von der musikalischen Form, von Fragen der Repräsentation und sich auf die Materialität der Sounds als solche zu konzentrieren. Das Thema bietet also eine Perspektive an. Es ist eine Art Vorschlag für eine Rezeptionshaltung. Genau hinzuspüren, was die Sounds mit dir machen. Ich frage mich, wie konkrete Klänge unsere Körper affizieren. Was da passiert. Klang materialisiert sich am Körper, Klänge resonieren in uns, sie bringen etwas zum Schwingen. Sie berühren uns tatsächlich.
Das lässt sich auch in Bezug auf die vergangenen Monate der Isolation verstehen.
Shilla Strelka: Ja, „Touch“ ist auch im Kontext der Pandemie zu lesen, die eine zumindest temporäre Konvention des Einander-nicht-Berührens etabliert hat. Die Frage ist, wie vernetzen sich Körper, wenn nicht über Berührung? Meine Behauptung ist, dass sich Körper auch über Klang verknüpfen, eben weil er uns alle gleichzeitig durchdringt. Dass uns die Berührung als Akt der Zwischenmenschlichkeit für eine Zeit abhandengekommen ist, ebenso wie Musik nur mehr über Heim-PAs, Laptopboxen oder Kopfhörer gehört wurde, und ihr so eine Form von vehementer Körperlichkeit genommen wurde, fand ich als Tatsache interessant zu unterstreichen. Diese Körperlichkeit wurde stark vermisst – die Bässe genauso wie die Umarmungen. Sie zurückzugewinnen, ist ein wichtiger Punkt. Das Festivalmotto lautete im Arbeitstitel „Touch. Unlocking Bodies“, was diesen Konnex vielleicht noch stärker betont.
„Im Chaos des Jetzt wollen wir uns auf jene Klanggemeinschaften konzentrieren, die durch Berührung induziert werden“, heißt es außerdem im Programm. Wodurch können solche Gemeinschaften entstehen?
Shilla Strelka: Mir ging es hier um einen weiter gefassten Begriff der Berührung und um ein nicht-exklusives Verständnis von Gemeinschaft. Jean-Luc Nancy spricht von Gemeinschaften, die sich über Berührung herstellen. Berührung ist eine Form der Kommunikation. Die Tatsache, dass Klänge mit uns kommunizieren und uns berühren, lässt den Rückschluss zu, dass sie uns verbinden. Sie affizieren und verknüpfen Körper.
Lass uns kurz bei Nancy bleiben. Er schreibt von Körpern als Stätten, wo etwas stattfinden könne. Dieses Etwas könnte die Außenwelt sein. Indem sie empfunden wird, wird sie verinnerlicht, weil sie an uns rührt.
Shilla Strelka: Es gibt ein gemeinschaftsstiftendes Moment, das in Sounds als solchen angelegt ist. Sich auf den Körper und das sinnliche Wahrnehmen zu konzentrieren, bedeutet auch von einer anderen Form der Gemeinschaft auszugehen – einer existentielleren Form vielleicht, auf jeden Fall keiner exklusiven. Es geht um die Beziehung von Klang und Körpern zueinander und um geteilte Erfahrung. Klangliche Gemeinschaften lassen sich so auch als Verbund von sonic bodies verstehen. Darin liegt auch transformatives, politisches Potenzial, wie Paul C. Jasen in „Low End Theory“ meint: „The sonic body begins in material vibration, but it is always potentially the start of something more: an incitement to thought, movement, collective transformation.“
Davor steht das Gefühl von Unsicherheit, das mit dem Drang einhergeht, nach vermeintlichen Sicherheiten zu suchen.
Shilla Strelka: Wir wollen gerade die Unsicherheit akzeptieren, die uns umgibt, und sie für uns produktiv machen. Wir suchen nicht nach dem Gefühl der Sicherheit, nach dem Gefühl des In-sich-Geschlossenen, des Übersichtlichen, des Bekannten, sondern nach der Möglichkeit, etablierte Ordnungen zu erschüttern, Konventionen des Hörens in Frage zu stellen. Es geht um Brüche, Umbrüche, Störungen, Irritationen. Indem wir die Unsicherheit akzeptieren, gehen wir von der Möglichkeit nach Veränderung aus.
Veränderung, die sich auch in der Wahl der Location niederschlägt. Ihr bespielt die Wotrubakirche im 23. Bezirk. Ein schöner Ort, aber keine säkularisierte Kirche. Wie viel Verhandlungsarbeit steckt in der Location?
Shilla Strelka: Bevor die Zusage kam, haben wir tatsächlich lange gewartet. Verhandlungsarbeit steckt aber keine dahinter. Wir haben das Line-up vorgeschlagen und abgewartet. Es gab nur die Auflage, dass die Musiker*innen nicht nackt auftreten. Das war nicht so schwierig umzusetzen. Der Altar in der Mitte des Kirchenschiffs ist allerding heilig, wir dürfen keine Instrumente darauf abstellen. Produktionsseitig wird das eine Herausforderung.
Die Besonderheit der Kirche, ihr Körper aus Beton – ist das nicht ein Spektakel, das Leute dazu bewegt, sich eine Stunde in die Öffis zu setzen, um auf Kirchenbänken dem Rauschen zu lauschen?
Shilla Strelka: Das weiß ich nicht. Ich denke, der Ort ermöglicht eine besondere Art von Verschworenheit und darauf haben schon viele Lust, genauso wie darauf, mal rauszukommen aus der Stadt. Wir haben auch nur Kapazitäten für circa hundert Gäste, insofern ist es nicht als großes Event oder Spektakel gedacht.
Wieso muss ein Spektakel an eine Kapazitätsgrenze gebunden sein?
Shilla Strelka: Mich verstört der Begriff des Spektakels im Kontext des Festivals, weil es uns eher darum ging, einen eben verschworenen, besonderen Ort zu finden. Einen Ort, wo vielleicht nicht alle so einfach hinfinden, aber die, die da sind, sich dafür umso mehr als Community empfinden können. Ein Spektakel ist in meinen Augen dafür da, möglichst viele Leute anzuziehen, den Blick gewaltsam auf sich zu lenken. Das tut das Festival nicht. Ich würde die Architektur nicht als spektakulär bezeichnen, ich finde sie eher kompromisslos.
An zwei weiteren Tagen schließt das Unsafe+Sounds den Bogen zur sogenannten Clubkultur. Das Werk wird Austrangungsort sein – das ist nicht nur ein räumlicher Bruch, nehme ich an?
Shilla Strelka: Genau, anfangs war es allerdings nur geplant, open air zu veranstalten. Dass wir nun den Clubraum auch bespielen, haben wir den Öffnungen zu verdanken. Mit dem Mainfloor des Werks können wir jetzt auch härteren Techno spielen, was wiederum dem Motto „Touch“ entgegenkommt. Wenige Genres affizieren unseren Körper so stark wie Techno. Weiters zu hören ist der Post-Industrial Act Puce Mary, einer der subversivsten Positionen im Line-up. Das wäre wohl schwieriger in der Kirche umzusetzen gewesen. Allerdings finden sich auch im Line-up des ersten Wochenendes Club-Acts, deren Sounds gut zur Open-Air-Situation passen, wie zum Beispiel der Ambient-Techno von Anthony Linell. Umgekehrt wäre jemand wie Dino Spiluttini mit seinen transzendentalen, hyperrealen Sounds auch in der Kirche gut aufgehoben gewesen. Ich mag es aber, wenn an einem Abend unterschiedliche Positionen zusammenfinden. Das macht ein Festival ja so spannend.
Es entsteht ein Kontrast zwischen Rauschen und Stampfen. Das passt zum Motto des Festivals: „Touch“.
Shilla Strelka: Ich sehe das nicht so sehr als Kontrast, denn als gegenüberliegende Sprachen innerhalb des Spektrums der elektronischen Musik. Ambient und Techno sind in meinen Augen verwandt. Sie leben beide vom Loop, lassen dich in Trance kippen, haben etwas hypnotisierendes, immersives. Der Loop ist überhaupt ein interessantes ästhetisches Element. Hier lassen sich viele Verbindungslinien ziehen. Natürlich haben die Sub-Bässe von Techno die Kraft, den Körper richtig zum Vibrieren zu bringen, aber Ambient spinnt den Körper ebenso ein und verfügt oft über taktile Qualitäten, weil es da auch stark um Sounddesign geht.
Sounddesign, das sich im Line-up der vier Abende ablesen lässt. Das Unsafe+Sounds lädt internationale Künstler*innen, wirkt aber wieder als Brennglas für die Wiener Szene. Auf was freust du dich?
Shilla Strelka: Wien hat eine großartige, diverse Elektronikszene. Dass ich Ursula Winterauer, Labelhead von Ventil Records, überzeugen konnte, als Gischt aufzutreten, freut mich wirklich – schließlich setzt sie das Festival mit mir um. Ohne sie würde das Ganze nicht funktionieren. Mit Bobby Would und Conny Frischauf sind das erste Mal auch Acts dabei, die tatsächlich Songs spielen. Das weicht etwas von der regulären Kuratierung ab, wobei Bobby Would einen konzeptuellen Ausgangspunkt hat, wenn er stur Fragmente aus den 50er- und 60er-Jahre-Songs loopt und das als Basis seiner Nummern nimmt. Conny wiederum dockt an Krautrock und das Leftfield-Sound-Spektrum an. Ihre Songs sind so exzentrisch und sprachspielerisch, dass sie sowieso aus dem Rahmen dessen fallen, was man gemeinhin als Pop bezeichnet. Einige der Acts spielen Synths, wie Simone Borghi, Isabella Forciniti oder Dino Spiluttini. PLF, die Formation rund um Lukas König, Peter Kutin und Freya Edmondes wird einiges an Konfrontationspotential bieten, ebenso wie Philipp Quehenberger, IDKLANG oder DJ Gusch, die sehr kompromisslos unterwegs sind. Es wird auch viele DJs geben, die ebenso wichtiger Teil der Wiener Szene sind.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Christoph Benkeser
Das vollständige Line-up im Überblick: Unsafe+Sounds Festival (Homepage)
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