„[…] wir wollen anders klingen.“ – NEON NEET im mica-Interview

Eine aufregende Annäherung an das Thema Electro-Pop. NEON FEET zeigen auf ihrem Debütalbum „post-human“ (Assim Records) als ein Duo mit ganz eigenen musikalischen Vorstellungen. Was DORIAN WINDEGGER und PHILIPP KOELL, die beiden Köpfe hinter NEON NEET, zu Gehör bringen sind tanzbare Nummern, die ins sofort Ohr gehen, und dennoch sehr experimentellen Charakters sind. Im Interview mit Michael Ternai erzählen die beiden Tiroler über ihre intensive Soundarbeit, ihren Hang zum Perfektionismus und die gemeinsamen musikalischen Vorstellungen.

Hört man sich durch euer Album, gewinnt man schnell den Eindruck, dass ihr das Thema Electro-Pop doch etwas anders angegangen seid. Und das im positiven Sinn.

Dorian Windegger: Das freut mich zu hören, dass du das positiv bewertest. Ich glaube nämlich, dass manche mit unserer Andersheit weniger anfangen können, aber wir wollen anders klingen. Wobei es schon so ist, dass wir unsere Songs zumindest tanzbar gestalten wollen.

Philipp Koell: Unser Sound hat schon sehr viel damit zu tun, was wir in den letzten Jahren gehört haben. Auf der einen Seite mögen wir experimentelle und elektronische Sachen wie James Blake, Aphex Twin und auch irgendwelches Post-Dub-Step-Zeug sehr gerne, auf der anderen finden wir aber auch klassische Pop-Acts wie zum Beispiel Rosalía klasse. All diese Sachen fließen letztlich in irgendeiner Form in unsere Musik ein. Und ich glaube, das hört man auch. Aber ja, wir setzen uns schon viel mit Sounds auseinander.

Das fällt auch auf.

Dorian Windegger: Für den Sound ist vor allem Phil verantwortlich. Er ist ein echter Soundtüftler.

Philipp Koell: Ich liebe Sounddesign einfach. Und das in unterschiedlichen Ansätzen. Manchmal kann ich nicht schlafen und setze mich dann in meinem Bett mit meinem Laptop hin und experimentiere die ganze Nacht durch. Aber wir begeben uns auch gemeinsam auf Suche und stecken unsere Synths mit zehntausend Effektgeräten zusammen und schauen, was passiert. Ich glaube, wir sind auch Meister des Nicht-Zufrieden-Seins und Wegwerfens. Von jedem unserer Songs liegen mindestens drei Versionen irgendwo herum, die dann am Schluss dann irgendwie wieder in einer Form, die für uns am besten passt, zusammenkommen. Zumindest in diesem einen Moment, denn wenn wir wollten, könnten wir ewig an den Sachen herumschrauben.

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Ihr seid also ordentlich perfektionistisch veranlagt.

Dorian Windegger: Das kann man schon so sagen. Deswegen hat es mit dem ersten Album auch so lange gedauert. Manche Nummern fertig zu bekommen, war schon ein langer Prozess. „Down“ zum Beispiel, die Single, die wir gerade veröffentlicht haben, war bis vor einem halben Jahr noch ein komplett anderer Song. Das Grundgerüst ist eigentlich schon gestanden, nur haben wir dann irgendwann noch einmal eine Produktions-Session gehabt, in der wir richtig gnadenlos über den Song drübergegangen sind. Am Ende waren der Chorus und die Akkorde ganz andere und Phil hat dann mit einem Reggaeton-Beat auch noch die Karibik reingebracht, wodurch sich der ursprüngliche Charakter des Songs vollkommen verändert hat.

Ihr kennt euch schon seit eurer Schulzeit und habt auch schon früh begonnen, miteinander Musik zu machen. Wie habt ihr eigentlich musikalisch zueinandergefunden.

Philipp Koell: Man kann sagen, auf dem Weg zur Schule. Wir stiegen beide an derselben Haltestelle in den Bus und auf den Fahrten unterhielten wir uns viel über Musik. Es wurde uns sehr schnell klar, dass wir musikalisch ungefähr den gleichen Geschmack teilen. Und so hat sich dann auch unsere Freundschaft entwickelt.

Dorian Windegger: Irgendwann gab es von unserem Schulausschuss dann eine Initiative für einen Proberaum an unserer Schule, der dann auch eingerichtet wurde. In dem haben wir dann einige Mal gejammt, bis wir schließlich eingeladen wurden, beim Schulfest zu spielen. Wir haben ein paar Freunde gefragt, ob sie nicht mit uns in einer Band spielen wollen und so ist es zu unserem ersten Livekonzert gekommen.
Mit der Zeit haben wir aber gemerkt, dass wir zwei uns vom Bandsound wegentwickelt haben. Die anderen wollten in Richtung Indierock gehen, wir dagegen in eine mehr elektronische. Wir hatten einfach andere Soundvorstellungen. Lustig ist, dass wir live jetzt eigentlich wieder zurück bei einer Band sind und versuchen, dem Elektronischen etwas Analoges wiederzugeben.

Philipp Koell: Eine Band bringt auch eine andere Dynamik mit sich. Es ist etwas anderes, wenn wir beide gemeinsam am Tisch sitzen und an Songs tüfteln, als wenn wir mit dem anderen im Proberaum sind und alle sich mit ihren eigenen Ideen, wie sie etwas auf ihren Instrumenten spielen wollen, einbringen können.

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Wann war für euch konkret klar, in welche Richtung ihr vom Sound her gehen wollt?

Dorian Windegger: Der ist eigentlich relativ organisch entstanden.

Philipp Koell: Ich weiß noch, dass ich damals wegen meines Studiums von Tirol nach Salzburg gezogen bin, wo ich intensiv begonnen habe, an einem Sound zu arbeiten.Bei einem Besuch zu Weihnachten zu Hause hat mich Dorian gefragt, an was ich denn im Moment arbeite und ich spielte ihm einige Demos vor. Als er sie gehört hat, meinte er, ich sollte ihm gleich morgen ein paar Sachen schicken, er müsste sofort etwas darübersingen. Dieses Demo ist zwar nie veröffentlicht worden, aber wir begannen uns regelmäßig Sachen hin und her zu schicken.

Dorian Windegger: Als ich zum ersten Mal gehört habe, was Phil da gemacht hat, dachte ich mir, wow, so etwas habe ich davor so in der Art noch nie so gehört. Ein paar Monate später im Sommer, als Phil wieder in Tirol war, haben wir dann zum ersten Mal begonnen, ein bißchen zu den Songs zu jammen und Sachen aufzunehmen.

Philipp Koell: Im Grunde haben wir in dieser Zeit im Keller meiner Eltern unsere erste EP geschrieben.

Dorian Windegger: Die ist dann aber noch eine Zeit lang in der Schublade gelegen, weil wir auch nicht wussten, was wir mit ihr jetzt anfangen sollen. Wir waren da noch nicht so gut vernetzt. Dazu kam, dass ich dann nach Wien gegangen bin und Phil zurück nach Salzburg. Dass die ganze Geschichte dann in die Gänge gekommen ist, haben wir Mario Fartacek [u.a. MYNTH; Musikproduzent] zu verdanken. Ende 2018 waren wir bei ihm im Studio und haben unsere Sachen finalisiert. Zur gleichen Zeit startete auch Assim Records, die uns als ersten Act des Labels signen wollten. Ab dann ist es eigentlich dahingegangen.

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„Wir wissen eigentlich relativ schnell, ob ein Song, an dem wir arbeiten, für uns passt.“

Was „post-human“ auch zeigt, ist, dass ihr keinerlei Scheu vor großer Abwechslung habt. Ihr wagt Experimente und auch Stilbrüche. Ist diese musikalische Abwechslung so etwas wie ein Motto von euch?

Dorian Windegger: Cool, dass du das fragst. Der letzte, der uns auf diese große Abwechslung bzw. diese manchmal doch abrupten Wechsel angesprochen hat, war unser Mastering-Engineer Alexandr Vatagin. Da habe ich mir zum ersten Mal gedacht, ja stimmt, so krass wie wir machen das nur wenige. Aber da steckt absolut kein Plan dahinter. Die Songs und die manchmal abstrusen Songformen kommen einfach so aus uns heraus.

Philipp Koell: Wir wissen eigentlich relativ schnell, ob ein Song, an dem wir arbeiten, für uns passt. Und da ist es auch egal, ob dieser sich von den anderen stark unterscheidet oder konträr zu diesen steht. Irgendwie haben wir dafür ein Gefühl entwickelt. Und wir empfinden es gar nicht einmal so, als wären da viele Brüche. Das kann für jemand von außen aber vermutlich so sein.
Wie ich vorher schon einmal erwähnt habe, spielen die Sachen, die wir hören, natürlich auch eine Rolle. Je mehr verschiedene Musik ich höre, desto kreativer fühle ich mich. Ich bekomme mit, was Aufregendes in den unterschiedlichsten Richtungen passiert. Und da nimmt man schon auch mal das eine oder andere Element für die eigene Musik her.

Spannend bei euch ist ja auch der Gegensatz zwischen eurem doch positiver gestimmten Sound und den zum Teil sehr nachdenklichen Texten. Inwieweit spiegelt sich in den Texten eure eigene Persönlichkeit wider?

Philipp Koell: Lustig.Eine Freundin hat mir erst vor Kurzem zu unserem neuen Song „Down“ etwas Schönes geschrieben. Sie hat geschrieben, dass sie den Song heute beim Putzen laufen gehabt hat und ganz begeistert war, dass er so catchy und goodfeeling ist. Dann hat sie sich den Text näher angehört und war überrascht, wie traurig der eigentlich ist.

Bild Neon Neet
Neon Neet (c) Cristina Ferri

Dorian Windegger: Natürlich spiegelt sich meine Persönlichkeit in all meinen Texte irgendwie wider. Nur verstecke ich mich gerne hinter hypothetischen Personen, um die es in den Songs geht. Ich habe auch das Gefühl, dass sich die Leute jetzt nicht so brennend dafür interessieren, was ich so fühle. Ich muss das über eine einen größeren Kreis stellvertretende Figur machen, damit es ein wenig allgemeingültiger wird. Ich bin kein Mensch, der so einfach das tiefste Innere hinausschreiben kann. Wenn es dann etwas melancholischer oder trauriger wirkt, dann ist das eigentlich dem geschuldet, dass ich über die Sachen, über die ich schreibe, nüchtern hinwegblicke, weil es nicht direkt um mich geht. Es gibt, glaube ich, einen Song, der wirklich Straight from the bottom“ kommt. Hinzu kommt, dass ich da auch schon einige Erfahrungen gemacht habe. Ich hatte früher immer Probleme damit, mit der ganzen Emotionalität als Frontmann auf der Bühne zu stehen. Ich war nach den Konzerten teilweise fix und fertig, weil ich mich so angreifbar gefühlt habe.

Ich habe damals bei unserer ersten Band einfach viel zu viel von mir in die Texte hineingeschrieben, was mich sehr verwundbar und damit zu einem nicht so guten Frontmann gemacht hat, weil ich jede Reaktion vom Publikum sehr persönlich genommen habe. Irgendwie konnte ich da nicht drüberstehen. Daher schreibe ich meine Texte jetzt eher nüchterner.

Es ist bei euch auf jeden Fall recht schnell gegangen, was ja dafür spricht, dass eure Musik sehr gut ankommt. Ihr wart nach dem Erscheinen der EP relativ rasch in aller Munde. Ihr seid zum Reeperbahnfestival nach Hamburg eingeladen worden und auch im Radio laufen eure Songs regelmäßig. Seid ihr selber überrascht, dass es so schnell gegangen ist?

Dorian Windegger: Schnell ist relativ. Nach der Veröffentlichung der EP folgte ja bald darauf Corona. Und in dieser Zeit ist doch einiges gestanden. Aber ja, seitdem Corona und die mit damit verbundenen Regeln langsam ihr Ende finden, haben sich die Dinge schön in Bewegung gesetzt. Wir haben auch schon länger gewusst, wann das Album erscheinen wird, und haben schon viele Dinge im Vorfeld aufgebaut und organisiert. Jetzt hoffen wir, dass es richtig losgeht.

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Philipp Koell: Für mich hat vom Gefühl her unsere erste Single „Extension“ da etwas ausgelöst. Es ist schon schnell gegangen, aber mit dem Erscheinen der Single, ist für mich die ganze Geschichte echt geworden. Wir sind einen Sommer lang im Proberaum im Keller gehockt, haben auch über den Winter Songs geschrieben, die ganze Zeit hin und her konzipiert, dann aufgenommen und die Sachen mastern lassen und uns um das Cover und Videos gekümmert. Schließlich haben wir das Ding dann rausgebracht. Ich kann mich noch erinnern, dass ich am Freitag nach der Veröffentlichung für unseren ersten Auftritt nach Wien gefahren bin und während der Heimfahrt vom Konzert erfahren habe, dass die Single in die FM4-Charts eingestiegen ist. Da habe ich mir einfach nur gedacht, wow.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Michael Ternai

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Assim Records