„WIR SPIELEN MIT DER MUSIK UND DIE MUSIK SPIELT MIT UNS“ – BLUEBLUT IM MICA-INTERVIEW

Anfang Mai erscheint mit „Lutebulb“ das fünfte Album von BLUEBLUT: im Interview mit Jürgen Plank erzählen MARK HOLUB, PAMELIA STICKNEY und CHRIS JANKA von ihren Anfängen als Improvisations-Band und dem allerersten Konzert im mica. Außerdem wird geklärt, wie der Klang von bulgarischen Frauenchören seinen Weg auf das neue Album gefunden hat und warum die Band nun ein eigenes Label nutzt, um Musik in höchstmöglicher Auflösung online anzubieten. Eines hat sich über all die Jahre bei BLUEBLUT nicht geändert: der spielerische Zugang zur Musik, den das Trio ebenfalls im Gespräch thematisiert.

Der Titel des neuen Albums ist ein Anagramm eures Namens, man könnte ihn aber auch als zwei englische Wörter lesen. Pamelia, was ist denn ein „Lutebulb“?

Pamelia Stickney: Das ist eine klingende „bulb“, bei „bulb“ denke ich an die Glühbirne. Und „lute“ ist die Laute.

Mark Holub: Es hat lange gedauert einen Titel zu finden. Wir hatten einige lustige Namen, aber sie waren nicht für die Öffentlichkeit geeignet, weil sie politisch nicht korrekt waren. Pam ist dann auf „Lutebulb“ gekommen, das ist ein Anagramm. Die meisten Lieder spielen wir schon seit ein paar Jahren und so haben wir dann gemerkt, dass wir genug Material für ein neues Album haben.

Ihr spielt seit rund 10 Jahren miteinander, was ist für euch das Besondere am neuen Album?

Albumcover Lutebulb
Albumcover “Lutebulb”

Chris Janka: Für mich ist das Album die Essenz dessen, was Blueblut ausmacht: es ist eine Mischung aus allen möglichen Einflüssen und ein paar Lieder am Album sind für mich sehr extrem in Bezug auf die Änderungen im Lied. Von einem Song-Teil zum nächsten. Alle Teile gehören zusammen, aber ich könnte mir vorstellen, dass es für Außenstehende sehr ungewöhnlich ist, was wir machen. Uns macht es Spaß, wenn es so starke Sprünge gibt und Sachen miteinander verbunden sind, die man selten verbunden hört. Etwa komische Samples, Rhythmen und Instrumente.

Pamelia Stickney: Das Cover ist ein Kunstwerk von Louise Rath, gedruckt und gestickt.

Chris Janka: Ich wollte immer mal ein Doppel-Album aufnehmen, das haben wir beim letzten Album geschafft. Dieses Mal ist das Vinyl färbig.

Was ist bei den neuen Stücken die Herausforderung in der Live-Umsetzung?

Mark Holub: Die Loops.

Chris Janka: Ja, viele Gitarren-Teile spiele ich mit Loops ein. Da muss man natürlich dazu spielen, das ist mitunter schwierig. Die meisten unserer Stücke können wir auch spielen, nachdem wir ein bisschen Bier getrunken haben, aber bei den Liedern vom neuen Album wird das schön langsam schwierig.

Wie siehst du das, Mark?

Mark Holub: Ja, die Loops sind schwer. Es liegt live sehr am Monitoring, ob sie gut hörbar sind. Mit den Loops zu spielen, ist leichter als mit dem Midi-Orchester. Beim Midi-Orchester hatte ich immer einen Klick im Ohr, der ist sehr fix und somit ist es schwer, dazu zu spielen.

Das Midi-Orchester bestand aus KI-gesteuerten Instrumenten, die ihr in den letzten Jahren eingesetzt habt. Gibt es für dich ein kompliziertes Stück am neuen Album, Pamelia?

Pamelia Stickney: Ein schwieriges Stück ist „Kaktusgetränk“, denn da spielt Mark in einem anderen Tempo als Chris und ich. Chris hat einen Loop für uns und Mark spielt einen anderen Rhythmus.

Der Titel „Kaktusgetränk“ verweist wohl auf Tequila.

Chris Janka: Genau, das ist unsere Version des berühmten Liedes „Tequila“, nur im 5/4-Takt und ein bisschen komisch. Das ist die klassische Zugabe.

„ES IST RELATIV EGAL, WAS ICH MIT DER GITARRE SPIELEN, MARK UND PAM FOLGEN MIR IMMER“

Zitat: „top of the accumulated powers“. Die Presseinformation formuliert, dass ihr am Zenit eures gemeinsamen künstlerischen Schaffens angelangt seid. Wie seht ihr das?

Mark Holub: Ich glaube das nicht.

Chris Janka: Hoffentlich ist das „top of the accumulated powers“ in zehn Jahren noch höher. Aber es fällt uns relativ leicht, miteinander zu spielen. Es ist relativ egal, was ich mit der Gitarre spielen, Mark und Pam folgen mir immer. Das ist sehr angenehm.

Pamelia Stickney: Und wir haben im Studio immer Spaß und lachen viel über politisch nicht korrekte Dinge, zum Beispiel. Wir reden immer über musikalische Ideen und Album-Titel, die nicht erlaubt sind.

Bild Blueblut
Blueblut (c) Louise Rath

Aber was ist denn heute nicht erlaubt? Ist nicht gerade in der Kunst ohnehin alles erlaubt?

Pamelia Stickney: Nein, es gibt manche Dinge, die man nicht sagen soll, sonst gibt es einen shit-storm und man wird gecancelled, wegen eines kleinen Witzes.

Wir haben schon über Tequila gesprochen, dazu passend habt ihr einen Gast aus Lateinamerika bei den Studio-Sessions dabeigehabt: Eldis la Rosa aus Kuba, der in Wien lebt.

Mark Holub: Er spielt Congas und Bongos, also Perkussion. Wir hatten das Stück schon aufgenommen und ich habe gedacht, dass es cool wäre Eldis mit seinen Congas dabei zu haben. Er hat ein Studio im 8. Bezirk, wir haben beim Transport der Instrumente geholfen und sein Beitrag war sehr cool. Wir haben ihn noch nicht gefragt, aber er kann hoffentlich auch bei der Album-Präsentation in Wien mitspielen.

Ein weiterer Gast ist der Sänger Willi Landl.

Chris Janka: Ja, er hat ja schon öfters mitgespielt, auf der ersten und der zweiten Platte ist er dabei. Ich habe das Stück „Aumba“ komponiert und wir haben es dann miteinander arrangiert, und plötzlich gab es einen Pop-Schnipsel am Ende, zu dem ich mir schon Gesang ausgedacht habe. Wer soll das singen? Willi kann das am besten.

Und ich habe bei „Aumba“ im Ansatz auch bulgarische Frauenchöre herausgehört, wie kam es dazu?

Mark Holub: Genau, es war etwas kompliziert, die Rechte dafür abzuklären. Es ging zwar um ein Volkslied, aber der Arrangeur lebt nicht mehr. Das Label hat uns die Verwendung erlaubt, wir sollten aber auch noch mit der Familie des Arrangeurs sprechen. Wir haben aber niemanden aus der Familie erreicht und haben deshalb entschieden, dass wir das selbst einsingen. Das hat gut funktioniert.

Chris Janka: Wir haben die Rechte dazu nicht abklären können, also hat Pam diese Chöre nachgesungen.

Warum wolltet ihr diese – wenn auch selbst gesungene – Chor-Sequenz dabei haben?

Chris Janka: Gute Frage. Manchmal springt einem so etwas in den Kopf, wenn man mit der Gitarre sitzt und komponiert. Dann gibt man „bulgarische Frauenchöre“ auf YouTube ein und schon hat man Beispiele dafür gefunden. Dann probiert man es bei der Probe aus und merkt, dass es passt. Das ist in diesem Fall ziemlich schnell gegangen.

Im Stück „Arrobark“ habe ich Tierstimmen vernommen.

Pamelia Stickney: Ja, bei „Arrobark“ gibt es Hunde zu hören und wir verwenden auch Samples von Robben. Die Tiere sieht man auch am Album-Cover.

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Eure musikalische Mischung reicht von jazzigen bis hin zu experimentellen und zu Pop-Klängen. Ist da auch Platz für Improvisation?

Mark Holub: Ja, sicher. Das Stück „Tuna“ ist eine Improvisation. Manchmal spielen wir bei Konzerten für zehn Minuten eine Improvisation und danach ein Stück. Es gibt immer wieder genug Platz dafür.

Pamelia Stickney: Wir haben mit der Improvisation begonnen und es gab die Entwicklung hin zu komponierten Stücken. Es war cool mit dem Midi-Orchester, sozusagen mit den Robotern, zu spielen, aber es war auch ein schönes Gefühl, wirklich Lieder zu spielen. Bei unseren Liedern gibt es aber einen Freiraum für den Ausdruck. Dadurch klingt es live immer ein wenig anders, das ist eine Freiheit.

„MANCHE LIEDER HABEN SICH AUS EINER IMPROVISATION HERAUS ENTWICKELT“

Ist diese Freiheit beim Spiel des Theremins eher günstig, weil das ohnehin ein frei schwebendes Instrument ist?

Pamelia Stickney: Auf diesem Album spiele ich mit dem Theremin meistens Bass. Ich liebe es Bass damit zu spielen, das ist für mich eine Freiheit. Wenn ich repetitiv spiele, ist das wie eine Meditation. Ich finde es schön, wenn man nicht so viel spielen muss, sondern sich mit dem Theremin beim Schlagzeug einfügt. Es gefällt mir mit dem Theremin fast wie mit einem Perkussions-Instrument zu agieren, das ergibt eine eigene Form von Disziplin.

Mark Holub: Wir haben mit freien Improvisationen angefangen und unser allererstes Konzert war im mica. Damals haben wir nur improvisiert und in den darauffolgenden Jahren haben wir gelernt, was wir mit echten Liedern machen können.

Pamelia Stickney: Manche Lieder haben sich aus einer Improvisation heraus entwickelt. Beim ersten Album haben wir gejammt und wenn etwas cool geklungen hat, haben wir etwas daraus gemacht. So hat jedes Album einen anderen Zugang. Das zweite Album ist ziemlich rockig.

Chris Janka: Die Hälfte des Albums „Andenborstengürteltier“haben wir auf einer Tour durch Japan aufgenommen, viele Stücke darauf haben wir improvisiert. Und die Hälfte des Albums „Garden of Robotic Unkraut“ wurde mit den KI-gesteuerten Robotern improvisiert. Auch wenn etwas komponiert ist, steht zwar die Struktur, aber es bleibt immer auch ein Freiraum. Man will die Stücke nicht immer gleich spielen, weil man sich sonst selbst langweilt.

Nicht nur ihr, auch Bill Frisell veröffentlicht dieser Tage ein neues Album, eingespielt mit zwei Orchestern. Wäre es für euch auch denkbar, eure Stücke mit einem klassischen Orchester umzusetzen?

Pamelia Stickney: Das wäre cool, dafür würde ich unsere Stücke gerne arrangieren. Vielleicht ein Greatest Hits-Album mit einem Orchester.

Chris Janka: Orchester wäre natürlich super. Wir sind ja nur zu dritt, auch durch die Loops klingt es oft als wären wir mehr Personen. Ich stelle es mir spannend vor, unsere Stücke zu orchestrieren und in Sektionen zu teilen. Ein Problem dabei: wir sind eigentlich sehr laut.

In einer Rezension über euch ist zu lesen, eure Stücke würden wie Cover-Versionen von Liedern klingen, die es aber nicht gibt.

Mark Holub: Ich weiß nicht, was genau gemeint ist, aber es ist vielleicht komisch mit unserer Band Lieder zu haben. Wir sind keine Jazz-Band, aber wir haben ein jazziges Gefühl. Wir spielen alle Stücke jedes Mal neu. Ich glaube, dass es für manche Leute schwer zu verstehen ist, was wir genau tun. Für jemanden, der Jazz-Musik spielt, klingt Blueblut nicht wie Jazz, sondern vielleicht eher wie Pop-Musik mit komischen Geräuschen. Für Leute, die Pop-Musik machen, sind wir sicher nicht Pop. Wir sind schwer zu beschreiben und irgendwo zwischen Jazz und Pop.

Pamelia Stickney: Unsere Stücke sind auch keine Mitsing-Lieder. Es sind Lieder, auch wenn meistens niemand singt.

Ich denke, die Kritik war so gemeint: man meint bei euch Song-Ideen oder einzelne Takte aus bereits bestehenden Liedern zu hören, die es aber nur so ähnlich gibt.

Chris Janka: Ja, das kann sein. Ich weiß nicht mehr, bei welcher Platte das gesagt wurde. Aber wir haben mal ein Stück gemacht, das hat „Tween Town“ geheißen und war ein Spin-Off von „Teen Town“ von Weather Report. Wenn man beide Stücke hintereinander anhört, erkennt man das schon, auch wenn sie sehr weit voneinander entfernt sind.

„ES MUSS ZIEMLICH WILD WERDEN, DAMIT ES FÜR UNS SPANNEND BLEIBT“

Ist das vielleicht die Essenz von euch als Band: diese spielerischen Ansätze? Erkennbar auch am Anagramm als Albumtitel.

Chris Janka: Ja, sicher. Man merkt schon: wir spielen mit der Musik und die Musik spielt mit uns. Es muss für uns spannend bleiben. Wahrscheinlich sind wir so eingestellt: es muss ziemlich wild werden, damit es für uns spannend bleibt.

Ihr veröffentlicht nun auf dem eigenen Label Janka Industries, warum das?

Chris Janka: Wir hatten andere Labels, aber irgendwann haben wir gedacht, es ist einfacher, das selbst zu machen. Finanziell ist es natürlich schwierig. Das neue Album gibt es auch auf einer Online-Plattform, bei einem Label für hoch aufgelöste Musik. Das hat für mich schon Zukunft, denn die von der Allgemeinheit akzeptierte Auflösung ist meiner Meinung nach nicht ausreichend. Wenn die höher wird, kann es nur besser werden. Die beste Aufnahme, in Bezug auf die Tonqualität, meiner Plattensammlung stammt aus dem Jahr 1954. Und es kann doch nicht sein, dass es seit rund 70 Jahren mit der Tonqualität bergab geht. Es wird Zeit, dass es damit wieder bergauf geht.

Herzlichen Dank für das Interview.

Jürgen Plank

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Live:
08. Mai 2024, Vortex Jazz Club, London (mit Seb Rochford und Pamelia Stickney)
09. Mai 2024, Free Range, Canterbury
10. Mai 2024, Worm, Rotterdam
11. Mai 2024, In Situ Art Society, Bonn
12. Mai 2024, Galiläakirche, Berlin (mit Puna)
13. Mai 2024, Salonschiff Fräulein Florentine, Linz
14. Mai 2024, Kurdirektion, Bad Ischl
17. Mai 2024, Spitzer, Wien

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Links:
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