„Wir spielen einfach zusammen, weil wir gerne zusammenspielen.“ – MIRA LU KOVACS und CLEMENS WENGER im mica-Interview

MIRA LU KOVACS (5K HD, My Ugly Clementine) und CLEMENS WENGER (5/8erl in Ehr´n, JazzWerkstatt Wien) verbindet eine langjährige Freundschaft, die mittlerweile weit über das musikalische Spektrum hinausgeht. Obwohl sie da und dort auch schon gemeinsam auf der Bühne standen, war von einem Album lange Zeit nicht die Rede. Bis jetzt. MitSad Songs To Cry To” (Ink Music; VÖ: 2.12.) veröffentlichen die beiden nun ihr erstes gemeinsames Album, auf dem sie Neuinterpretationen von Popsongs und Jazz-Standards in einem wunderbar reduzierten, bewegend melancholischen und sehr intimen Klanggewand zu Gehör bringen. Im Interview mit Michael Ternai erzählten die beiden, wo die Idee zu diesem Album ihren Anfang nahm, wie sehr sie ihre Zusammenarbeit genießen und warum für sie Weihnachten mit Melancholie verbunden ist.

Im Pressetext zu eurem Album steht, dass es eine „musikalische Bewältigung der verlässlich einsetzenden Melancholie rund um die Weihnachtsfeiertage“ ist. Was macht euch an Weihnachten so melancholisch?

Mira Lu Kovacs: Diese Zeit bringt unglaublich hohe Erwartungen mit sich. An diesen Tagen soll alles möglichst schön sein, man soll sich so nahe wie möglich sein, es soll alles friedlich sein. Es ist gar nicht so leicht, diese Erwartungen zu erfüllen. Und es bedarf nicht viel, dass diese Zeit schnell in etwas sehr Anstrengendes kippt. Man versucht, die Ordnung irgendwie aufrechtzuerhalten, bzw. man wird in Strukturen zurückgeworfen, bei denen man merkt, dass sie eigentlich wackeln. Die Dinge werden nie einfacher, sie werden eigentlich immer komplexer.

Ich verbinde die Weihnachtszeit – und das vollkommen unreligiös – mit einer Zeit, in der es ruhiger wird. Zumindest ab dem 24. Dezember, davor ist es ein Wahnsinn. Komischerweise kann man es nie verhindern, dass die Tage vor Weihnachten stressig werden. Ab da ist es bei mir aber tatsächlich oft ruhiger. Und das zwingt einen ein bissl zum Reflektieren und Runterkommen.
Wir finden, dass zu dieser Zeit ein Album passt, das einen auf eine liebevolle Art und Weise zwingt, ruhiger zu werden bzw. sich etwas zuzuwenden, das ruhig ist.

Ihr kennt euch ja schon länger. Und ihr habt in der Vergangenheit auch schon des Öfteren zusammengespielt. Wie ist es dennoch zur Entscheidung gekommen, auch einmal ein gemeinsames Album zu machen?

Clemens Wenger: Wir kennen uns seit etwa zehn Jahren, als Mira zum ersten Mal mit Schmieds Puls beim Jazzwerkstatt Wien Festival gespielt hat. Wobei, wenn ich jetzt etwas länger darüber nachdenke, es eigentlich viel früher gewesen sein musste.

Mira Lu Kovacs: Aus der Ferne bewundernd kenne ich Clemens schon viel länger. Ich bin ab 15 regelmäßig ins Porgy & Bess zu Konzerten gegangen und habe mir dort alles Mögliche angeschaut. Und da saß auf der Bühne mit dem Rücken zum Publikum oft eben Clemens am Klavier.

Clemens Wenger: So richtig freundschaftlich ist es dann übers Diskutieren und die gemeinsame Auseinandersetzung mit Musik geworden. Mira hat mir immer wieder neue Lieder vorgespielt, über die wir dann ausführlich geredet haben. Das erste Mal wirklich etwas gemeinsam gemacht haben wir dann 2019 im Rahmen des Festivals Glatt&Verkehrt.

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„Man kann eigentlich überhaupt sagen, dass viele Sachen unter dem Einfluss von Joni Mitchell entstanden sind.“

Mira Lu Kovacs: Was lustigerweise eigentlich aus einer Entwicklung stammt, als wir über dieses wunderschöne Orchesteralbum von Joni Mitchell, „Both Sides Now“, geredet haben. Das war 2013, als ich mit Schmieds Puls „Play Dead“ rausgebracht habe. Wir sind über sie und ihre Arrangements wirklich ins Schwärmen geraten und haben uns gesagt, dass wir so etwas mit den Schmieds Puls Sachen irgendwann auch machen wollen. Aus dem riesen Orchester, von dem wir damals geträumt haben, ist letztlich ein kleineres, aber wunderschönes Ensemble geworden, mit dem es aber ebenso wunderbar funktioniert hat. Man kann eigentlich überhaupt sagen, dass viele Sachen unter dem Einfluss von Joni Mitchell entstanden sind.

Clemens Wenger: Ja, auf jeden Fall. Sie flüstert uns immer in irgendeiner Form zu. Als wir Miras Lieder dann bearbeitet haben, entdeckten wir auch, dass die Art, wie wir Klavier und Stimme zusammenführen, sehr gut klingt.

Mira Lu Kovacs: Wobei man schon auch dazusagen muss, dass Clemens einen sehr speziellen Sound aus dem Klavier herausholt. Ich mag es ja nicht so gerne, wenn sich jemand mit einem innerlichen Frack hinter einen riesigen Flügel setzt, zu spielen beginnt und dabei einen glasklaren spitzen Sound produziert. Das kann natürlich auch super klingen, aber wenn ich selber etwas mache, schwebt mir im Klang immer ein wenig etwas Dumpferes, Sanfteres und Wärmeres vor. Und genau so etwas liefert Clemens. Er hat ja für das Album sein Pianino auch mit Filzen präpariert. Daher klingt alles auch so wunderschön warm.

Wenn ich euch so zuhöre, erscheint mir das gemeinsame Album als eine logische Konsequenz.

Clemens Wenger: In gewisser Weise wahrscheinlich schon. Wobei man aber auch betonen muss, dass hinter dieser Zusammenarbeit kein Businessplan steckt. Dieses gemeinsame Projekt ist jetzt keines, wovon wir leben müssen. Es ist einfach aus unserer Freundschaft gewachsen. Unser einziger Plan ist, dass wir uns am Ende eines Jahres zumindest für ein paar Konzerte treffen, gemeinsam Musizieren und so die Melancholie bewältigen.

Mira Lu Kovacs: Ich freue mich auch schon auf unsere gemeinsamen Zugfahrten. Ich sehe es schon vor mir, dass ich mit einem mürben Kipferl und einem Cappuccino dasitze und mit dir Scrabble spiele. Das stelle ich mir sehr entspannt vor.

Bild Mira Lu Kovacs & Clemens Wenger
Mira Lu Kovacs & Clemens Wenger (c) Mani Froh

Clemens Wenger: Dass das Album jetzt herauskommt, hat sich so ergeben. Wir haben uns da keinen Druck gemacht und gesagt, dass das jetzt unbedingt passieren muss. Dieses Weihnachtsfoto zum Beispiel, das wir jetzt auf unsere Social-Media-Kanäle gestellt haben, ist vor zwei Jahren entstanden. Und wir sagten uns damals, dass wir es irgendwann schon verwenden werden können. Jetzt ist es halt soweit.

Mira Lu Kovacs: Das Foto ist ja auch auf so eine schöne Art und Weise entstanden. Wir hatten Zeit, ich hatte eine tolle Fotografin dabei und wir wussten, dass ein guter Freund von uns einen wunderschönen Weihnachtsbaum in einem wunderschönen Wohnzimmer stehen hatte. Wir beschlossen, zu ihm zu fahren, und dort wurde das Foto gemacht. Und dann bekamen wir auch noch sehr guten Weißwein und Weihnachtsplätzchen. Ein wirklich sehr toller Ausflug.

Clemens Wenger: Ja, so entstehen bei uns die Dinge.

Ich finde ja auch die Songauswahl interessant. Da gibt es ein Lied von Joni Mitchell, was ja relativ naheliegend ist. Auf der anderen Seite erklingt eine Nummer von STS, was ich jetzt nicht unbedingt mit euch verbinde.

Mira Lu Kovacs: Es war jetzt nicht so, dass wir uns tagelang hingesetzt und Brainstorming betrieben haben. Es war für uns sogar schwieriger, uns auf nur zehn Lieder zu beschränken, weil es viele, viele Lieder gibt, die wir sehr toll finden. Aber es war, glaube ich, auch richtig, dass wir uns in der Auswahl einschränkten, weil es sonst schnell etwas beliebig hätte werden können. So ist es jetzt eine sehr konzentrierte Auswahl von Liedern, unter denen auch eine Neuinterpretation eines Liedes von mir und ein Lied von Clemens sind. Die Auswahl an und für sich war relativ bald klar, wobei es dann doch das eine oder andere Lied gab, bei dem wir nicht sofort sicher waren.

„A Case Of You“ etwa war Clemens Vorschlag. Zuerst habe ich mich an dieses Lied auch nicht so richtig rangetraut, weil ich finde, dass es einfach ein so göttliches ist. Und es ist auch kein einfaches. Darum hatte ich auch etwas Angst, es anzugreifen. Aber letztlich haben wir es doch gemacht. Das Lied ist so toll. Ich liebe es. Wir haben es heute ja auch schon kurz gejammt. Und wir haben es mittlerweile auch schon so oft gespielt, dass wir mit den recht komplexen Rhythmen in der Melodie schon freier umgehen können.

Clemens Wenger: Die Klammer bildeten diese stillen Nummern, die zum einen textlich und musikalisch in die Melancholie und Traurigkeit hineinreichen, aber eben auch Hoffnung transportieren und mit einem etwas machen, wenn man sie anhört. Das war eigentlich das Kriterium für die Auswahl. Ein anderes war einfach unsere Neugier und der Wunsch, nicht immer dasselbe zu machen. Wir hätten ja auch zehn ganz traurige Jazzstandards nehmen können. Aber das hat uns nicht wirklich interessiert. Wir haben ja einen breiten Musikgeschmack und der sollte auch zum Ausdruck kommen.
Dann hatte Mira auch Lust, etwas Deutsches zu singen. Wobei ich beim Song „Kalt und Kälter“ von STS am Anfang noch vorsichtig war. Ich war mir nicht ganz sicher, ob der wirklich funktioniert.

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Mira Lu Kovacs: Ich glaube mich erinnern zu können, dass Clemens diesen Vorschlag zunächst für einen Witz gehalten hat. Er hat erst einmal etwas ungläubig gelacht, als er sich die Akkorde anschaute.

Clemens: Wenger: Aber Mira hat schon gewusst, welchen Text sie das auswählt.

Wo lag die Herausforderung, diese Lieder auf diese minimalistische Form herunterzubrechen, ohne dabei etwas von deren Essenz verloren gehen zu lassen.

Mira Lu Kovacs: In gewisser Weise hat es das Setup schon vorgegeben. Es war klar, dass wir uns nicht extra in ein großes Studio einmieten und dort in getrennten Räumen aufnehmen werden. Clemens hat zum Glück einen sehr, sehr schönen und gemütlichen Raum, wo sein Klavier steht. Es ist dann doch etwas anderes, wenn man an seinem eigenen Instrument spielen und dieses präparieren kann. Ich selber singe am besten bzw. fühle mich am wohlsten, wenn es ein zu Hause Feeling gibt. Ich bin bei Clemens in einem gepolsterten Sessel gesessen, der sehr gemütlich war, meistens mit einer Tasse Tee in der Hand, und habe da fast schon herumgelümmelt. Grad, dass ich die Lieder nicht im Liegen eingesungen habe. Es war eine sehr intime Atmosphäre. Und zusammen mit dem Vertrauen, das wir zueinander haben, ergibt das ein Setup, das schon sehr viel vorgibt.

Clemens: Wenger: Der Wagemut war sozusagen das Vertrauen, dass wir in dieses ganz reduzierte Setting hatten. Und es ist schon so, dass wenn man nur zwei einzelne Komponenten hat, auch alles hört. Die Qualität des Albums liegt für mich darin, dass man diese Intimität hört, und in gewisser Weise auch nachvollziehen kann, was man da hört. Gleichzeitig muss man in so einem Setting auch wahnsinnig gut entspannen können, weil sonst singt und spielt man mit Angst. Da spielt kein Schlagzeug, kein Bass und sonst auch nichts darüber. Jede Kleinigkeit ist wahrnehmbar. Und wenn man da kein Vertrauen in das Setting hat, und damit meine ich nicht nur das technische, sondern auch das persönliche, dann funktioniert es auch nicht.

„Aber ich finde es cool, dass es etwas ist, dass viele von mir noch nicht kennen.“

Mira, ich kenne dich eigentlich als englischsprachige Sängerin. Wie war es für dich auf Deutsch zu singen? Und hat es dich Überwindung gekostet?

Bild Mira Lu Kovacs & Clemens Wenger
Mira Lu Kovacs & Clemens Wenger (c) Mani Froh

Mira Lu Kovacs: Nein, Überwindung hat es mich nicht gekostet. Ich habe ja schon ein paar Features gehabt, wo ich deutsch gesungen habe. Aber ich finde es cool, dass es etwas ist, dass viele von mir noch nicht kennen. Und ich liebe es, die Leute zu überraschen, manchmal vielleicht auch zu entrüsten. Ich finde das lustig, weil die Leute so verschieden reagieren. Entweder es gefällt ihnen oder sie fragen verdutzt: „Was?“. Die Reaktion verstehe ich auch, aber ich lasse mich gerne auf Dinge ein, die im ersten Gefühl nicht zu mir passen. So wie das Lied von STS. Dieses hätte davor wohl niemand mit mir assoziiert. In dem Fall aber eher wegen dem Dialekt und dem musikalischen Style und nicht, weil ich auf Deutsch singe.
Es war auch so, dass kein deutscher Text – bis auf den für Clemens Komposition „Fort von mir”, den ich geschrieben habe – von mir war. Einen Text von Rio Reiser zu singen, mache ich immer sehr gerne. Und „Wenn ich mir was wünschen dürfte“ von Friedrich Hollaender ist überhaupt einer der tollsten deutsche Texte.

Es trifft mich schon immer wieder ein wenig anders, wenn ich deutsch singe. Und ich merke vor allem live, dass es auch die Leute anders trifft, weil sie die Texte besser verstehen. Aber nein, ich kann nicht so tun, als würde es nicht ein bissl was anderes sein. Was aber auch daran liegt, dass ich zehn Jahre länger deutsch spreche als englisch.

Inwieweit seht ihr euer gemeinsames Projekt als etwas Längerfristiges, das neben euren Hauptbands auch in Zukunft Bestand hat.

Clemens: Wenger: Ich würde darauf wetten, dass wir noch mit 70 gemeinsam Konzerte spielen.

Mira Lu Kovacs: Das glaube ich auch. Ich glaube, dass wir sogar sehr viel spielen, wenn wir älter sind.

Clemens Wenger: Ich glaube, es ist auch ein Glück für dieses Projektes, dass wir nicht finanziell voneinander abhängig sind. Niemand muss den anderen darum bitten, für gemeinsame Konzerte alles andere links liegen zu lassen. Wir haben beide unsere Bands und Projekte, die unser Leben sind und für die wir brennen. Das Schöne an diesem Duo ist, dass es im wirtschaftlichen Sinn nicht viel können muss. Wir spielen einfach zusammen, weil wir gerne zusammenspielen. Das wird sich immer erhalten. Und vielleicht geht es sich in dem einem oder anderen Jahr einmal nicht aus, aber das ist auch kein Problem.

Wenn ich euch jetzt so zuhöre, spüre ich schon eine tiefe Freundschaft, die sich da entwickelt hat. Inwieweit ist diese Zusammenarbeit ein wenig willkommene Auszeit von euren hauptberuflichen Standbeinen?

Mira Lu Kovacs: Clemens hat es vorher schon gesagt. Bei uns ist kein wirtschaftlicher Plan oder Zwang dahinter. Wir müssen nicht auf Biegen und Brechen ein Album herausbringen oder vier oder fünfzehn Konzerte spielen. Wir müssen keine Singles rausbringen. Wir müssen das alles nicht. Und das führt schon zu einer anderen Haltung auf allen Ebenen. Das tut auf jeden Fall gut, weil wir, glaube ich, als freischaffende Künstler:innen schon genug Druck verspüren.

Clemens Wenger: Genauso empfinde ich das auch.

Herzlichen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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Mira Lu Kovacs & Clemens Wenger live
20.12. Arge, Salzburg
21.12. Treibhaus, Innsbruck
22.12. Orpheum, Graz
28.12. Porgy & Bess, Wien

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