„Musik hat immer mit der Beschreibung eines Zustands zu tun“, sagt MIA ZABELKA in ihre Laptop-Kamera. Die Wiener Cyborg-Violinistin und Klangkünstlerin sitzt in ihrem Haus in der Südsteiermark und spricht in kurzen Sätzen – über das Klangzeit Festival, das sie zuletzt kuratierte. Und über ihr das Album, das sie mit dem kanadischen Improvisationsmusiker GLEN HALL aufgenommen hat, ohne je im selben Raum gespielt zu haben. „The Quantum Violin“ sei angewandte Grundlagenforschung am Gegenstand der Auflösung zwischen Mensch und Maschine. Das Instrument wird zum Forschungsgegenstand, das Ohr zum Labor, in das die Wissenschaft einzieht. Im Zentrum dieser „Klanggalaxie“, wie ZABELKA und HALL schreiben, steht trotzdem der Dialog. Zwischen wem er geführt wird, warum sie sich einen Chip einpflanzen würde und wieso sich die Menschheit in einem Hybridzeitalter befindet, hat MIA ZABELKA im Gespräch mit Christoph Benkeser erklärt.
Lass uns über das Konzept der „Quantum Violin“ sprechen. Kannst du es in einfacher Sprache erklären?
Mia Zabelka: Glen Hall verwendet verschiedene Programme des IRCAM, mit denen er mein Spiel an der Violine manipuliert, beeinflusst und die Möglichkeit eröffnet, dass er auf mich reagiert und ich auf ihn. Zusätzlich benutzt er einen Quanten-Oszillator als Synthesizer – es handelt sich dabei um ein Plug-In, das mithilfe eines Quantencomputers entwickelt wurde. Man spricht dabei nicht mehr von Bits wie bei herkömmlichen Rechnern, sondern von Qubits.
Was die Aufhebung der Dichotomie zwischen Null und Eins ermöglicht.
Der Quantencomputer macht keinen Unterschied zwischen Null und Eins, weil er die Zwischenbereiche kennt. Das ist ein Vorteil, weil die Rechenvorgänge schneller und übergangslos ablaufen. Glen Hall hat den Oszillator auf dieser technischen Basis verwendet, um einen Drone-Sound zu erzeugen, der – über die Dauer der CD – immer wieder auftaucht und als Kontrapunkt einen Dialogpartner zu meinem Spiel darstellt.
Ein Dialogpartner, der ständig eingreift.
Mia Zabelka: Mithilfe der IRCAM-Programme, ja. Sie haben unterschiedliche Namen wie CataRT, SuperVP, Catoracle, SPAT oder OMax – Programme, die ich bereits aus der sogenannten Contemporary Music kenne. Dort haben sie mich allerdings nie überzeugt.
Wieso?
Mia Zabelka: Weil sie dort mit anderen Vorzeichen eingesetzt werden. Sie manipulieren zwar den Klang. Im Unterschied zu unserer Herangehensweise verwendet man sie in der Contemporary Music aber nicht im Zuge der Improvisation. Der Computer reagiert auf das Spiel des Musikers. Der Musiker reagiert aber kaum auf den Computer, weil er eine fertige Partitur interpretiert. Deshalb wirkt die Manipulation starr, es gibt keine Interaktion.
Zwischen Glen Hall und dir ist das anders.
Mia Zabelka: Ja, Glen Hall ist Improvisationsmusiker, wir können improvisatorisch aufeinander reagieren. Seine Manipulationen entstehen in den Programmen, mit denen er sich seit Jahren auseinandersetzt. Ich kenne niemanden, der damit so umzugehen weiß wie er. Deshalb funktioniert der Dialog: Er reagiert auf mein Spiel. Ich kann antworten. Und zwar in Echtzeit. Das ist ein Ansatz, den man auf der CD hört. Auch weil es ein Ansatz ist, den man aus der klassischen Musik nicht kennt.
Das Programm ist das zwischengeschaltete Element, das ein Gespräch von Hall und dir ermöglicht.
Mia Zabelka: Absolut, es ist die Umsetzung eines Mensch-Maschine-Interfaces. Ich reagiere also auch auf das Programm, das wiederum auf mich reagiert. Daraus entstehen teilweise Prozesse, die sich nicht vorhersehen lassen. Darauf muss man sich einlassen. Gelingt es, passieren spannende Dinge.
Dinge, die aus dem Feedback-Prozess zwischen Mensch und Maschine hervorgehen.
Mia Zabelka: Genau. Allerdings ist es nicht nur das Programm, das reagiert. Glen Hall greift in Echtzeit ein, um den Eingriff des Programms zu kontrollieren.
Was die Frage aufwirft, wie viel Raum man den Programmen zugesteht.
Mia Zabelka: Ja, es braucht den Eingriff und dadurch die Beschränkung. Ansonsten würden sich die Programme verselbstständigen.
Und man liefe Gefahr, sich darin aufzulösen.
Mia Zabelka: Ja, aber das ist der Zugang der Improvisation.
Einer, der dir das Unvorhersehbare eröffnet.
Mia Zabelka: Wir erforschen die Möglichkeiten der Programme, ja. Die improvisatorische Auseinandersetzung geht tiefer als die reine Manipulation des Klangs.
„ICH HÄTTE KEIN PROBLEM DAMIT, WENN MAN MIR EINEN CHIP EINPFLANZEN WÜRDE.“
Dabei handelt es sich auch um einen wissenschaftlichen Zugang, oder?
Mia Zabelka: Wir interagieren wie in einem Labor und lassen uns den Prozess des Forschens ein. Das ist ein wesentliches Faktum von Musik. Schließlich hat Musik für mich weniger mit Gefühlszuständen, Geschmack oder Unterhaltung zu tun, sondern mit der Beschreibung eines Zustands.
Es ist die Interpretation des maschinellen Lernens in musikalischen Formen.
Mia Zabelka: Ja.
Startet man diese Interpretation immer wieder neu oder gibt es Lernkurven, wie man die Anwendung steuert?
Mia Zabelka: Ich lerne die Programme über die Zeit kennen. Dadurch weiß ich, in welche Richtung ich gehen kann. Und vor allem welche Schritte wir gehen müssen, um unerforschtes Terrain zu betreten.
Wohin führt das?
Mia Zabelka: Wir haben zuletzt eine Jill Linz, eine Wissenschaftlerin, kontaktiert, die die Musik der Atome hörbar macht.
Atome?
Mia Zabelka: Sie sind auch Schwingungen, die sich in Klang übersetzen lassen, wenn man sie transponiert. Insofern kann ich diese Klänge in mein Spiel einbeziehen, um auf sie zu reagieren.
Das ist eine Möglichkeit, die wissenschaftliche Musik zu begründen, oder?
Mia Zabelka: Indem wir erforschen, wie Atome, Photonen oder Moleküle klingen, gelangen wir ein Universum, das nicht mehr auf biologischen Prozessen beruht. Auf dem Weg vom Biologischen zum Artifiziellen sind wir alle ohnehin, das ist so.
Da schwingt wenig Kulturpessimismus mit.
Mia Zabelka: Ich lehne Kulturpessimismus ab, weil wir die Entwicklung der Realität nicht leugnen können. Außerdem haben artifizielle Welten durchaus Vorteile gegenüber biologischen. Ich hätte auch kein Problem damit, wenn man mir einen Chip einpflanzen würde.
Einen Chip?
Mia Zabelka: Es kommt darauf an, was der Chip mit mir macht. Wenn ich ihn nutzen könnte, wäre das sicher spannend.
Du würdest dich also als Cyborg zur Verfügung stellen.
Mia Zabelka: Absolut! Dabei habe ich ohnehin den Eindruck, dass ich spiele, als hätte ich einen Chip eingebaut.
Das ist aber nicht einfach passiert. Du bist in deinem musikalischen Schaffen nie stehengeblieben.
Mia Zabelka: Ja, ich bin nie konventionelle Wege gegangen, war immer interessiert an ungewöhnlichen Klängen. So arbeite ich auch unabhängig von dem Projekt mit Glen Hall und mit meinen Electronic Devices. Das setzt eine Offenheit und Neugierde voraus, um etwas hörbar zu machen.
Bei dir handelt es sich um das Hörbarmachen der Violine.
Mia Zabelka: Das kann man so sagen. Allerdings ist die Violine ein wunderbarer Noise-Generator. Ich kenne kein anderes Instrument, mit dem ich solche Klänge umsetzen könnte. Weil ich mit ihr Frequenzen erzeugen kann, die sich auf einem Cello oder Klavier nicht umsetzen ließen.
Picasso soll ein ganzes Leben gebraucht haben, um wieder so zu malen wie in der Regenbogengruppe. Dein Ansatz ist ähnlich: du dekonstruierst das Normschöne.
Mia Zabelka: Dafür braucht man eine gewisse Erfahrung und Technik, um alle Möglichkeiten des Instruments zu erforschen. Diese Basis ermöglicht es erst, die Schritte zurückzugehen.
„AUS ZWEI MIAS WERDEN EINE MIA“
Welche Schritte sind das auf den 14 Stücken von „Quantum Violin“? Man findet darauf schließlich noisige Passagen genauso wie harmonische Flächen.
Mia Zabelka: Ursprünglich dachten wir gar nicht an eine CD-Veröffentlichung. Es waren Studien, die mit dem Quanten-Synthesizer entstanden sind – vergleichbar mit Conlon Nancarrow und seinen Player Pianos. Im Prozess der Stücke – wir waren nie im gleichen Raum, kommunizierten nur im Internet – haben wir gesehen, dass sich daraus eine Dramaturgie entwickeln lässt. Außerdem konnte ich im Zuge dieses Projekts erstmals beide Wege kombinieren?
Welche Wege?
Mia Zabelka: Meine Arbeit an der akustischen Violine und jene an der elektronischen mit meinen Devices. Das hätte ich mir davor nie vorstellen können. Mit Glen Hall funktioniert es. Aus zwei Mias werden eine Mia!
Wieso hast du dir das davor nicht vorstellen können?
Mia Zabelka: Das akustische Spiel geht in den Bereich von Free-Jazz und Impro, während das elektronische im Ambient und Noise beheimatet ist. Auf der Platte fügt sich beides zusammen.
Deine Geige wird zum Zentrum einer Quantenklanggalaxie, habt ihr geschrieben.
Mia Zabelka: Wir müssten die Stücke live spielen, um das zu erfahren – und zwar im selben Raum. Dann würde ich mich wohl tatsächlich auflösen in dieser Klanggalaxie.
Geht das auch in Richtung des automatischen Spielens, das du propagierst?
Mia Zabelka: Das hängt alles zusammen, ja.
Damit erreichst du die nächste Stufe auf dem Weg zur eigenen Auflösung.
Mia Zabelka: Es ist notwendig! Wir sind schließlich alle auf dem Weg dorthin.
Wann gehst du davon aus, dass du dich aufgelöst haben wirst?
Mia Zabelka: Hoffentlich nicht zu bald, weil es gibt noch einiges zu erforschen! Was wir hier machen, ist die Musik der Zukunft! Und wir sind erst am Beginn der Arbeit an
der wissenschaftlichen Musik.
Was bestärkt dich in der Annahme?
Mia Zabelka: Was auf Rhythmik, Melodik und Harmonik basiert, ist menschliche Musik. Wir befinden uns aber auf dem Weg, Hybridwesen zu werden. Abgesehen davon, dass wir es teilweise schon sind.
Maschinen werden also andere Musik machen als Menschen.
Mia Zabelka: Und andere Musik hören – wenn sie hören können …
Da könnte man es mit der Angst zu tun bekommen, oder?
Mia Zabelka: Ich habe keine Angst vor der Transformation. Im Gegenteil, ich finde es spannend, mich in meiner Arbeit mit der „Mensch-Maschine-Thematik“ – also mit dem Begriff ‚Wissenschaftliche Musik‘ – auseinanderzusetzen. Wissenschatftliche Musik ist der Code der Zukunft, weil er es uns ermöglicht, uns höher entwickelten Lebensformen vorzustellen.
Vielen Dank für die Zeit!
Christoph Benkeser
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