„WIR SIND WIE KINDER, DIE MUSIK MACHEN” – BLUEBUNNY & TWINFLAMEGIRL IM MICA-INTERVIEW

BLUEBUNNY & twinflamegirl produzieren gute Laune. Manche nennen das Hyperpop, andere einen Seelenspaziergang oder eine Autotune-Kur. Wer sich deshalb bereits die Schläfen massiert: Nicht wegklicken! Zuhören. Was ELIŠKA JAHELKOVÁ und DANIEL STOLZLEDERER, zwei Kunststudierende in Wien, zu erzählen haben, führt uns nicht nur näher an den Crack unserer Online-Engel, sondern auch zu uns selbst. Dafür muss man nur hoffen, dass es diese beiden liebevollen Menschen wirklich … gibt.

Was für eine Überraschung: Ihr seid keine Simulation!

twinflamegirl: Nein, nein. Wir existieren!

BLUEBUNNY: Wenn Leute uns zum ersten Mal treffen, sagen sie aber oft: Wow, wir können nicht glauben, dass ihr echt seid!

Habt ihr eine Idee, warum das so sein könnte?

BLUEBUNNY: Weil die meisten Leute uns nur von unserer Online-Präsenz kennen. Wenn sie uns als Person kennenlernen, merken sie, dass diese Charaktere auch im echten Leben existieren.

Ihr seid noch nie live aufgetreten, richtig?

twinflamegirl: Wir sind noch nie vor einem echten Publikum aufgetreten, aber wir haben schon Auftritte vor Greenscreen gemacht.

Ihr habt bereits drei Alben veröffentlicht, dabei gibt es euer Projekt noch nicht lange.

BLUEBUNNY: Wir haben letztes Jahr im Sommer angefangen. Seitdem gab es keinen Tag, an dem wir nicht an unserem Projekt gearbeitet haben. Wir machen die ganze Zeit Bilder, erstellen visuelle Inhalte, produzieren neue Musik und …

Ihr produziert eure eigene Kleidung, richtig? Die Kappen, die ihr aufhabt

BLUEBUNNY: Danke, Eliška macht sie.

twinflamegirl: Das ist eines meiner anderen Online-Projekte, ich entwerfe Kleidung. Außerdem male ich auch, viele Leute können sich aber keine Gemälde kaufen. Kleider sind zugänglicher.

BLUEBUNNY: Es ist uns wirklich wichtig, eine ganze Welt um das Projekt herum zu schaffen. Wenn man nur Musik macht, fehlt etwas. Deshalb kreieren wir Bilder, entwerfen Kleidung und …

Beschwören einen Vibe?

BLUEBUNNY: Genau, es geht um den Vibe. Wenn man etwas wirklich machen will, sollte alles im Leben zu dieser einen Sache werden – das ist es, was BLUEBUNNY & twinflamegirl ausmacht.

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Man kann sagen: Eure Kunst bleibt hängen. Soll sie eingängig sein?

BLUEBUNNY: Songs zu machen, die man nicht vergisst, ist unser Ziel!

twinflamegirl: Abgesehen von der happy Stimmung, natürlich. Schließlich wollen wir Energie teilen.

BLUEBUNNY: Deshalb sollten unsere Songs einer Pop-Struktur folgen, die sich einer Art von Hyperpop zuordnen lässt. Heutzutage kommt viel Hyperpop raus, der zu viele Genres nimmt und sie in einen Song quetscht. Dieser Ansatz vergisst aber die ursprüngliche Prämisse, eine Hyper-Version von Pop zu machen.

Könnt ihr das ein wenig näher erläutern?

BLUEBUNNY: Für uns gibt es eine namenlose Qualität eines Popsongs. Es ist der Moment, in dem man ihn hört und sofort weiß: Das ist ein Popsong! Das ist ein Vibe! Weil der Song einer bestimmten Struktur folgt, die eine:n mitreißt. Das ist wie ein magischer Zauber, der auf einem Ritual beruht und sich dadurch entfaltet.

twinflamegirl: Als wir anfingen, Popsongs zu schreiben, bemerkten wir, dass es sehr schwer ist, sie seamless zu gestalten. Wichtig ist: Nichts sollte dich ablenken, es müssen reine Pop-Vibes sein. Oft bedeutet das, dass die Songs auch fröhlich sein sollten. Natürlich sind nicht alle Popsongs fröhlich, aber wir schreiben sie gerne so.

Seid ihr glückliche Menschen?

twinflamegirl: Wir versuchen es zu sein.

BLUEBUNNY: Negatives kommt immer wieder auf. Das ist nichts Schlechtes, weil das Gefühl nicht ewig anhält. In der Vergangenheit habe ich allerdings viel traurige Musik gemacht. Das hat meine traurigen Gefühle nur noch stärker gemacht.

Es ist …

BLUEBUNNY: Manifestation! Wenn du glückliche Musik machst oder hörst, wirst du sofort glücklicher.

twinflamegirl: Und du verbreitest das Glück auf andere Menschen. Viele Künstler:innen stecken ihre Traurigkeit in ihre Kunst. Die Leute werden davon aufgesogen. Wir wollen aber keine Musik über uns machen. Wir wollen etwas herauslösen, etwas wie …

BLUEBUNNY: Liebe – nicht im hippiesken oder religiösen Sinne, sondern in einem …

twinflamegirl: Mystischen Sinn.

BLUEBUNNY: Ja, wir sehen viele Menschen, die da draußen struggeln. Sie fangen an, immer mehr deprimierende Dinge zu konsumieren, sie doomscrollen auf Instagram, sehen TikToks über Depressionen … Ich glaube nicht, dass das das Problem löst. Deshalb wollen wir Künstler:innen sein, die dagegen ankämpfen. Zumal es in der Kunst ein Hauptthema ist, sich mit der eigenen Depression auseinanderzusetzen und sie dadurch noch mehr zu entlarven.

Ist es schwieriger, ein fröhliches oder ein trauriges Lied zu machen?

twinflamegirl: Es ist einfacher, einen düsteren Song zu schreiben, weil … Wenn man sich nicht um Akkordfolgen kümmern will, ist es einfacher, es einfach wahllos zu machen. Das endet oft in einer Molltonleiter. Wenn man etwas Schönes und Fröhliches machen will, muss man mehr Energie reinstecken – auch weil man mehr Energie in sein Glück investieren muss.

Bild BLUEBUNNY & twinflamegirl
BLUEBUNNY & twinflamegirl (c) Daria Savytska, Edit: Eliška Jehova

Ihr schaut beide glücklich aus. Wie habt ihr euch kennengelernt?

twinflamegirl: Wir haben uns an der Kunstuni kennengelernt, wo wir eine Klassenband gegründet haben. Wir trafen uns und improvisierten jeden Tag in einer Galerie …

BLUEBUNNY: Einen ganzen Monat lang. Wir haben 30 Konzerte hintereinander gespielt.

twinflamegirl: Nach dieser Erfahrung haben Daniel und ich angefangen, an unserem eigenen Ding zu arbeiten.

BLUEBUNNY: Es war eine verbindende Erfahrung. Wenn man einen Monat lang mit anderen Leuten in einem Raum festsitzt, muss man herausfinden, wie man miteinander auskommt.

twinflamegirl: Daraufhin haben wir gescherzt, dass wir im Sommer ein Album produzieren werden.

BLUEBUNNY: Aus dem Scherz wurde Realität. Nach dem zweiten Album dachten wir: Wir können richtige Songs machen! So ist „Ascender” entstanden.

Habt ihr vor diesem Projekt schon Musik produziert?

BLUEBUNNY: Ich habe Game Design studiert, mich davor also mit Videospielen beschäftigt. Einmal hatten wir ein Projekt, bei dem niemand das Sounddesign machen konnte. Also habe ich es übernommen. In diesem Prozess habe ich gelernt, was es braucht, um einen Soundtrack für ein Videospiel zu schreiben. Ich habe allerdings keine klassische Musikausbildung.

Du hast dir Tutorials angesehen und ge

BLUEBUNNY: Ich habe mir überhaupt keine Tutorials angeschaut. Bevor ich Eliška traf, wusste ich nicht einmal, dass es Musiktheorie gibt.

Dein Ernst?

BLUEBUNNY: Ja, ich habe mir eine Gitarre gekauft, weil ich lernen wollte, wie man sie spielt. Nach zwei Wochen dachte ich: Scheiß drauf, das ist zu nervig. Dann habe ich experimentellen Noise produziert. Eliška hat schließlich Struktur reingebracht.

twinflamegirl: Ich fing mit 14 Jahren an, Klavier zu spielen. Dadurch lernte ich auch Musiktheorie. Ich habe aber erst angefangen, Musik zu produzieren, als ich mich an Kunsthochschulen beworben habe. Für meine Videos produzierte ich eigene Soundtracks. So begann es. Struktur hatte ich deswegen aber auch keine. Die bekomme ich nur, wenn ich mit jemandem zusammenarbeite.

BLUEBUNNY: Eliška ist das melodische Genie, sie kümmert sich um die Harmonie. Ich habe ein Blatt vor mir, auf das ich die Struktur notiere: Refrain, Strophe, Bridge … Eliška kommt dann mit den Akkorden und den Übergängen und allem. In gewisser Weise sind wir wie Kinder, die Musik machen.

Was kann schon schiefgehen?

BLUEBUNNY: Ehrlich gesagt: eine ganze Menge!

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Ihr habt bereits erwähnt, dass ihr alles selbst macht. Die Bilder zum Projekt sind wichtig. Was steckt dahinter?

twinflamegirl: Ich mache die Cover im Stil meiner Gemälde – helle, farbenfrohe Internetästhetik, die von all den Dingen, die ich sehe, sogar von religiösen, beeinflusst ist. Außerdem sieht man oft ein unbekanntes Wesen auf dem Cover.

Es erinnert mich an Zuckerwatte. Es ist bauschig und verspielt. Es riecht sogar ein bisschen danach.

BLUEBUNNY: Es schmeckt wie Monster oder Red Bull, total süß.

twinflamegirl: Wir haben unser ganzes Tonstudio mit Red Bull-Dosen gefüllt.

BLUEBUNNY: Manche Leute trinken Bier, wir trinken Red Bull.

Wie viele Dosen Energie steckt in eurem Album?

BLUEBUNNY: 77.

77 Dosen, die euch Flügel verleihen.

BLUEBUNNY: Ascension, im Sinne von „out-of-body-ascension”, ist für uns ein wichtiges Thema. Deshalb kommt das Fliegen in unserer Musik oft vor, gepaart mit einer spirituellen Komponente. Einige unserer Songs haben zudem esoterische Texte, bei denen man zwischen den Zeilen hören und herausfinden kann, was wir zu vermitteln versuchen.

Das Thema von „Ascender” ist eine Astralprojektion, wie ihr in einer E-Mail an mich schreibt.

twinflamegirl: Ich beschäftige mich schon seit längerer Zeit mit Magie, oder eigentlich: Magick.

Magick?

twinflamegirl: Es ist Magie, aber nicht im Sinne von dem, was einem in den Sinn kommt, wenn man daran denkt, sondern eher im mystischen und spirituellen Sinne. Bei der Astralprojektion geht es vor allem um den magischen Aspekt. Darin finden wir eine Menge neuer Informationen wie astrospheres.

BLUEBUNNY: Einer unserer Ansätze ist es, das Interesse der Leute an diesen Themen zu wecken. Der Song „After the End” ist eine Art Anleitung zur Astralprojektion. Die Informationen sind versteckt, aber es gibt eine zweite Ebene in der Musik, die man aufschlüsseln kann.

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Eure Stimmen sind mit Autotune unterlegt. Wie wichtig ist es, die Bedeutung zu verstehen?

twinflamegirl: Die Sache mit der Verbindung zwischen Magick und Sprache ist: Die Worte haben Macht, auch wenn man sie nicht versteht oder ihnen keine Aufmerksamkeit schenkt. Es ist ähnlich wie bei Mantras. Wenn man sie wiederholt, vergisst man die Bedeutung hinter den Worten. Das ist der Moment, in dem die Botschaft in höhere Sphären transportiert wird.

BLUEBUNNY: Und der Moment, in dem sie bei einem hängen bleibt. Das ist es auch, was einen guten Zauberspruch ausmacht. Du wiederholst ihn, bis du ihn vergisst.

Gibt es einen Spruch, der das Album auf den Punkt bringt?

twinflamegirl: Es gibt einen in jedem Song. Deshalb entfaltet sich eine Erzählung, wenn man das ganze Album hört. Trotzdem hat jeder Song seine eigene Rolle in der Ascension.

Die Zahl 44 taucht in vielen eurer Zeichnungen und Texte auf. Warum?

twinflamegirl: Wir haben diese Zahl gesehen, als wir anfingen, zusammen Musik zu machen. Es ist so etwas wie unsere Engelszahl. Ich kenne die genaue Bedeutung nicht, aber es ist wohl etwas, das wir uns wünschen. Ich verwende auch viel Online-Sprache, bei der man Wörter verkürzt. 44 ist also unsere Vorstellung von Unendlichkeit im Internet.

BLUEBUNNY: Und es ist überall! Die Leute schicken mir oft 44er, das ist wirklich lustig.

Könnte es ein Emoji für die 44 geben?

BLUEBUNNY: Wir mögen das Ninja-Emoji.

twinflamegirl: Oder die Schwerter.

Sehr mächtig! Glaubt ihr an Engel?

Bild BLUEBUNNY & twinflamegirl
BLUEBUNNY & twinflamegirl (c) Daria Savytska, Edit: Eliška Jehova

twinflamegirl: Engel sind definitiv real. Es ist nicht so schwer, mit ihnen zu kommunizieren. Bevor ich Dani traf, begegnete ich ihnen in Form von Energien. Ich bekam Botschaften, die sich in Sprache ausdrückten. Jetzt kann ich sie manchmal sogar sehen.

BLUEBUNNY: Am Anfang dachten wir: Das kann nicht real sein! Wir haben dann ein Ritual gemacht, bei dem wir nicht gesprochen, sondern gezeichnet haben, was wir fühlten. Wir haben beide genau das Gleiche gemalt.

twinflamegirl: Ja, aber jeder hat Engel um sich. Man muss eine bestimmte Frequenz erreichen, um mit ihnen kommunizieren zu können. Dinge wie Meditation können dabei helfen.

Und eine Menge Red Bull.

BLUEBUNNY: Natürlich!

Gibt es sonst noch etwas, das man benutzen kann, um mit Engeln in Kontakt zu treten?

twinflamegirl: Es gibt verschiedene Arten von Magick: Die zeremonielle gibt dir eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, um mit deinem Engel zu kommunizieren. Das lässt sich zum Beispiel im Buch „Golden Dawn” nachlesen. Im Grunde geht es aber darum, dein wahres Selbst zu finden, das du unter deinem Ego freilegen kannst.

BLUEBUNNY: Wenn du deiner Intuition folgst, hörst du auf die Engel.

twinflamegirl: Es steckt kein christliches Konzept dahinter, ja.

Habt ihr einen bestimmten Engel?

twinflamegirl: Wir haben erkannt, dass wir die gleiche Energiequelle teilen.

BLUEBUNNY: Aber wir haben individuelle Schutzengel.

Auf eurem Hut steht geschrieben: „Angel Emoji Crack”. Was bedeutet das?

twinflamegirl: Dahinter steht die Idee der Netzwerkspiritualität, was bedeutet, dass es auch online Engel gibt. Der Algorithmus ist also wie Gott. Man kann viele Insider-Memes dazu finden.

BLUEBUNNY: Ja, posten ist dann wie Crack, das ewige Scrollen auch. Was man im Internet sieht, wird von Gott, dem Algorithmus, bestimmt. Deshalb beten viele Leute zu Gott, dass ihr Crack gesehen wird.

Auf dass euer Crack gehört wird, danke für das Gespräch!

Christoph Benkeser

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Links:
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BLUEBUNNY & twinflamegirl (YouTube)
Eliška Jahelková (Homepage)