„WIR SIND WACKLIGE KANDIDATEN FÜR DAS LEBEN AUF HOHER SEE” – PAUL PLUT UND JULIA HAGER (MARTA) IM MICA-INTERVIEW

Neun Jahre, sechs Monate und zwei Tage. So lange waren MARTA, das Grazer Urtrumm von JULIA HAGER, PAUL PLUT und GÜNTHER PAULITSCH, weg. Das weiß man genau, es steht ja auf Facebook. Und dort steht auch: Es kommt ein neues Album („shipwrecks” am 18. Oktober 2024). Dazu gibt es Konzerte in Wien und Graz und Linz oder Saalfelden. Sowie bereits: schöne Fotos mit Taucherbrille in der Badewanne.

Wisst ihr, dass man vor dem Tauchen in die Brille spuckt?

Paul Plut: Wirklich?

Julia Hager: Damit die Brille nicht anläuft, oder? Wir haben aber ausnahmsweise nicht in die Brille gespuckt, sondern nur unsere Füße in die Badewanne gesteckt. 

Gesicherte Gewässer statt Durchblick?

Julia Hager: Na, das Album heißt ja nicht umsonst „shipwrecks” – das große, weite Meer haben wir am Ende trotzdem nicht darin gesehen. Deshalb tut es auch die Hausbadewanne.

Paul Plut: Wir haben so eine ähnliche daheim, so eine kleine, für die Kinder … Wie nennt man das?

Julia Hager: Klappbad! Wir verwenden es jedenfalls zum Hundewaschen.

Paul Plut: Früher hat da die ganze Familie drinnen gebadet. Meine Oma hat immer gesagt: Durch das Badewannenwasser, da müssen mehrere durch. Sie hat sich übrigens am Schluss reingesetzt.

Bild Marta
Marta (c) Apollonia Theresa Bitzan

„shipwrecks” ist euer drittes Album. Es kommt nach „warships” und „spaceships” – beide Namen stehen für Eroberung von neuen Räumen. shipwrecks sind eher … stille Vergangenheiten?

Julia Hager: „warships” war ein guter Titel für ein erstes Album. Wir haben uns damit ja wirklich Raum genommen

Der erste Song auf „warships” war: „Seasick”.

Julia Hager: Genau, wir sind wacklige Kandidaten für das Leben auf hoher See. 

Paul Plut: Die Sehnsucht ist aber schon da. Im nächsten Leben vielleicht.

Julia Hager: Oder im künstlerischen? Jedenfalls kann ich mit der stillen Vergangenheit etwas anfangen. Manche Songs, die jetzt rauskommen, schlummerten seit zehn Jahren in meinen Unterlagen. Ich habe sie Jahr für Jahr gewendet wie eine Marille.

Führst du einen Zettelkasten wie Paul?

Julia Hager: Zumindest keinen analogen. Und schon gar nicht so geordnet. Aber …

Paul Plut: In der Zwischenzeit hat sich ja auch viel verändert. Wir haben eine Familie gegründet und ein Haus bezogen. Wir wollten deshalb auch auf dem Album verhandeln, wie wir das machen: unsere Leben, die Beziehung und Familie in Verbindung mit der kreativen Arbeit. 

Julia Hager: Da kommen Fragen wie: Wer macht wann Lohnarbeit?

Paul Plut: Und wie ist es, wenn kreative Arbeit gleichzeitig Lohnarbeit ist? Wir haben heute ein anderes Zeitmanagement als vor zehn Jahren.

Julia Hager: Außerdem gibt es auch Lohnarbeit, die nicht schöpferisch ist. Dazu kommt viel Care-Arbeit. Nebenbei will man sich ein paar Stunden kreativ betätigen. All das erfordert von uns ein ständiges Verhandeln. Deshalb sind diese Themen in den Texten. Das Haus kommt zum Beispiel viel vor. Allerdings nicht primär als heimeliger Rückzugsort. Uns interessiert das Haus eher als Kampfzone – als Verhandlungsort und damit als Ort, in dem das Politische seine unsichtbarste, aber stärkste Kraft entfaltet.

Paul Plut: Gleichzeitig verschmelzen darin Bilder aus Vergangenheit und Zukunft in einer Gegenwart – man erkennt auf einmal, wie man geformt wurde.

„DAS PROJEKT IST KEINE HARTE PARTIE, ES IST EHER WIE URLAUBFAHREN.”

Julia Hager: Manche Texte sind wie ein Dialog zwischen der 25-jährigen und 35-jährigen Julia. An einzelnen Themen von damals knabbere ich auch heute, allerdings habe ich eine neue Perspektive eingenommen. 

Paul Plut: Vieles entstand bei dir aber auch in der Schlussphase des Albums …

Julia Hager: Das war aber eher ein bulimischer Schöpfungsakt. Ich zog los mit drei Büchern, den Kopfhörern auf den Ohren und landete nach zwei Ausstellungen im Museumskaffee, um dann zu produzieren. Dabei brüte ich lieber länger an Themen, bis ich sie wie reife Marillen pflücken kann. 

Paul Plut: Ja, wir handeln vieles gemeinsam aus. Und ich genieße es,  als Paar an etwas Kreativem zu arbeiten. 

Julia Hager: Auch weil es uns neue Methoden an die Hand gibt, über Themen nachzudenken, die uns tagtäglich beschäftigen. Wir fädeln quasi einen revolutionären Faden in unser gemeinsames Leben und schaffen dadurch Handlungskompetenz für die Politik unseres Privatlebens. 

Paul Plut: Das Projekt ist aber keine harte Partie, es ist eher wie Urlaubfahren – es gibt keinen Druck, vieles ist spontan. Das merke ich auch an der Arbeit mit Günther [Paulitsch, Anm.]. Wenn ich mal einen Akkord nicht spiele, ist es egal, weil er eh alles kann und sein Ding macht. 

Bild Marta
Marta (c) Apollonia Theresa Bitzan

Julia Hager: Unser Publikum passt dazu. Ich kann mich an ein Konzert in der Postgarage erinnern. Wir hätten Vorband von Kreisky sein sollen, die haben aber abgesagt. Irgendjemand hat uns dann in einen privaten Keller eingeladen – wir haben das Konzert kurzerhand dorthin verlegt. 

Paul Plut: Das war super. 

Manche schwärmen heute noch von diesem Konzert in der Mesnergasse.

Paul Plut: Warst du damals dort?

Nein, aber Leute schreiben das. Im Internet.

Julia Hager: Siehst du. Als wir das Projekt zurückgeholt haben, kamen auch gleich viele Lebenszeichen von Fans, die uns nicht vergessen haben. Das ist schon schön.

Ihr seid wieder … sichtbar.

Julia Hager: Das Unsichtbare sichtbar zu machen, das war ein Auftrag an dieses Album. Das heißt: auch meine unsichtbare Textarbeit zu zeigen, indem man mein Gesicht sieht, das keinem Instrument zugeordnet werden kann. Das irritiert manche ungewöhnlich stark. Dabei ist es in anderen künstlerischen Arbeiten gang und gäbe.

Du meinst …

Julia Hager: Die künstlerische Anerkennung muss nicht immer mit Sichtbarkeit gekoppelt sein. Dasselbe gilt für Care-Arbeit. Sie ist häufig unsichtbar. Und generiert immer erst dann Anerkennung, wenn sie sichtbar wird. 

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Wie lernen wir, das Unsichtbare zu schätzen?

Julia Hager: Es gibt ein Buch von Jenny Odell, „Nichtstun”, in dem sie sich mit unsichtbarer Arbeit im Künstlerischen beschäftigt. Eine Arbeit, die sie vorstellt, heißt: „Manifesto for Maintenance Art”. Die Künstlerin Mierle Laderman Ukeles hat in den späten 1960ern nicht ihre Bilder ausgestellt, sondern die Instandhaltung des Museums sichtbar gemacht hat. Das heißt: Sie hat performativ die WCs gereinigt, die Treppen gewischt, Schaufenster poliert. 

Die Idee des Sichtbarmachens hat es also schon gegeben, aber sie wirkt so … neu?

Julia Hager: Es gibt fast kein schöneres Gefühl, wenn man eine Wahrheit für sich gefunden hat und dann auf etwas stößt – ein Kunstobjekt, ein Zitat, vielleicht nur ein Wort –, das diese Wahrheit beschreibt. Mit dem Album ging es uns ähnlich. Wir haben uns abgekapselt mit dem Thema befasst. Aber erst, wenn man fertig ist, macht man ein, zwei Schritte zurück – plötzlich erkennt man den Kontext. 

Paul Plut: Ja, ich bekomme deine Texte und merke, wo du warst. Manche spielen sich in einem kleinen Kreis ab, das war deine Karenzzeit. Als ich dann in Karenz gegangen bin, hat sich dein Kreis erweitert.

Julia Hager: Im Rein- und Rauszoomen erfährt man viel über beide Welten. 

Es setzt aber Raum für …

Paul Plut: Reflexion voraus. Wenn man so viel arbeitet, dass man seine Kinder nicht mehr sieht, dazu acht Stunden ins Smartphone starrt und die Konsumsucht ausbaut, funktioniert das nicht. 

„DIESER RAUM FEHLT MIR.”

Julia Hager: Virginia Woolf hat in ihrem Buch „A Room of One’s Own” genau darüber geschrieben. Sie befasst sich mit dem Raum, den Frauen brauchen, um künstlerisch zu schaffen. Darin spricht sie zum Beispiel über die finanziellen Möglichkeiten, einen eigenen Raum überhaupt besitzen zu können. Über diesen tatsächlichen Raum sind wir auch gestolpert. In unserem Haus werden alle Zimmer gleichberechtigt von allen genutzt. Paul hat aber einen Raum, der für seine Kunst zur Verfügung steht. Ich habe oft gemerkt: Dieser Raum fehlt mir.

Paul Plut: Ja, darüber sollten wir reden.

Julia Hager: Und das tun wir auch laufend. Anders geht es nicht. Man muss immer in einem Dialog stehen, um ein gemeinsames Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Ich hab noch eine Frage, die ich manchmal stelle, ich finde, sie passt gerade: Was liebt ihr an euch?

Paul Plut: Ist das jetzt so … Herzblatt?

Julia Hager: Ich glaube, du weißt schon, in welche Richtung du das beantworten kannst, oder?

Paul Plut: Ja, hm …

Julia Hager: Ich lieb an dir, dass du in jedem Lebensbereich immer so unerschrocken an Dinge herangehst. Du hast einen schönen Umgang mit Fehlern, auch weil du das Gegenteil eines Perfektionisten bist. Das macht das Mit-dir-Sein und das Mit-dir-Arbeiten zu einem unglaublich angenehmen Prozess. Weil ich alles ausprobieren kann.

Paul Plut: Danke! 

Und du Paul?

Julia Hager: Was ich an Julia liebe, ist … dass ich von dir gelernt habe, Konzepte und Ideen nicht als gegeben hinzunehmen. Du hinterfragst Dinge auf eine Art, die ich so davor nicht gekannt habe. Sie ist befruchtend für mich und die ganze Familie. Das mag ich sehr gerne.

Danke für eure Zeit!

Christoph Benkeser

++++

Links: 
Marta (Bandcamp)
Marta (Homepage)
Marta (Facebook)
Marta (Laessig)