TOXIC VIOLIN sind ROXANNE SZANKOVICH und SYLVIA DEIXLER, vor allem aber: ein feministisches Ausrufezeichen zwischen Geige und Bass. Das kommt aus Wien und knüpft an Woodstock an. Allerdings nicht mit gestrigen Gitarrengebärden, sondern mit echten Inhalten. Konnte man sich zuletzt beim Wiener Kultursommer geben. Und demnächst in neuer Formation: Die Band sucht nämlich eine Schlagzeugerin. Bewerbungen werden nach vollumfänglicher Kenntnisnahme dieses Interviews entgegengenommen, versichert SZANKOVICH. „Wir nehmen nur Frauen”, ergänzt DEIXLER.
Stimmt es, dass ihr euch auf einem Black-Sabbath-Tribute-Konzert kennengelernt habt?
Roxanne Szankovich: Ja, Sylvia hat da Gitarre gespielt.
Sylvia Deixler: Und Roxi stand die ganze Zeit vor mir und fixierte mich. Nach dem Konzert hat sie mich angesprochen und gefragt, ob ich auch Bass spiele. Ich habe das bejaht, aber dazugesagt, sie solle doch unseren Bassisten fragen, weil der spielt garantiert Bass.
Roxanne Szankovich: Allerdings …
Sylvia Deixler: Hat sie mir schnell klargemacht, dass sie für ihr feministisches Projekt gerne eine Bassistin hätte. Mein Hauptinstrument ist allerdings die Gitarre. Erfahrung am Bass habe ich nur, weil ich an der Musikschule unterrichtet und das Rockensemble geleitet habe.
Und zur Black-Sabbath-Coverband bist du gekommen …
Sylvia Deixler: Weil Black Sabbath neben Pink Floyd und Led Zeppelin einer der Heroes meiner Teenagerzeit waren. Wenn man in diesem Alter etwas lieb gewinnt, bleibt das. Mit der Band konnte ich das nostalgisch ausleben. Außerdem hat es mich interessiert, den Stil von Tony Iommi minutiös zu studieren. Manche behaupten, das sei mir gelungen.
Wie bist du bei Black Sabbath gelandet, Roxanne?
Roxanne Szankovich: Meins sind zwar eher Psychedelic-Sixties-Gruppen wie The Incredible String Band, Fairport Convention oder Strawberry Alarm Clock, aber: Black Sabbath waren immer wichtig für mich. Sonst wäre ich nicht beim Gig gelandet und hätte Sylvia nicht kennengelernt.
Was hat dir an ihr getaugt?
Roxanne Szankovich: Ihre Technik und die Bühnenpräsenz. Sie schaut nicht nur professionell aus sondern auch cool.
Ein paar Leute meinen auch: badass!
Roxanne Szankovich: Das hören wir gerne, insbesondere deswegen, weil wir auch eine umgängliche Seite haben.
Ja?
Roxanne Szankovich: Ja! Ich bin gerne freundlich, nett, verletzlich und weich. Wenn es nötig ist, muss man aber auch kickass können.
Wer bei euren Konzerten hinschaut, merkt: Das könnt ihr.
Roxanne Szankovich: Weil wir unsere Meinung sagen. Und: Es ist gut, sich stark zu fühlen. Gerade als Flinta-Person geht es nämlich darum, sich Raum zu nehmen. Schließlich wird er uns durch soziale Zusammenhänge oft genug verwehrt. Wir holen uns diese Kraft zurück, sind aber achtsam gegenüber anderen. Denn das Privileg, eine Bühne zu haben, ist eine Wildcard. Man kann machen, was man will. Deshalb will ich das Privileg nicht nur für Musik nutzen. Ich bringe auch politische und feministische und antirassistische Inhalte ein – weil darüber nach wie vor zu wenig gesprochen wird.
„MANCHMAL HABE ICH DAS GEFÜHL, DASS ICH MIT EINEM KÄMPFERISCHEN ZEITGEIST AUFGEWACHSEN BIN.”
Ihr holt die Leute also dort ab, wo sie sind: bei der Musik.
Roxanne Szankovich: Ja, wir wollen dabei Inhalte vermitteln. Nicht, indem wir jemanden schimpfen, sondern dass sich unser Publikum eingeladen fühlt, diesen Themen zu folgen.
Wie ist das für dich, Sylvia?
Sylvia Deixler: Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mit einem kämpferischen Zeitgeist aufgewachsen bin.
Roxanne Szankovich: Früher?
Sylvia Deixler: Ja, ich unterrichte ja noch immer an der Musikschule. Bei vielen Youngsters bemerke ich einen Konservatismus.
Woran machst du das fest?
Sylvia Deixler: Wenn ich es platt formuliere: Dadurch, dass die Jungs durchgehend kurze Haare haben. Meine E-Gitarren-Abteilung mag ein Sonderfall sein, aber die war schon immer ein Refugium für alle, die aus der Art geschlagen sind. Jedenfalls merke ich, dass es früher Utopien gab, die heute naiv wirken. Man hat auch lange geglaubt, dass alles immer besser wird. Das ist heute nicht mehr so. Viele junge Leute haben eine fatalistische Haltung. Damals war es dagegen in, aufmüpfig zu sein.
Denkt ihr euch deshalb in diese Epoche, weil ihr dadurch diesem Gedanken nahekommt?
Roxanne Szankovich: Ja, seit meiner Teenagerzeit ist das so. In den 60er Jahren gab es eine positive Utopie: das Versprechen von einem erfüllten Leben. Eines, das allen Menschen Platz gibt, ökologisch ausgewogen ist und ein kollektives Zusammenleben ermöglicht. Das hört man in den Liedern dieser Zeit. Aber man sieht es auch an den Flyern und Postern. Diese Verheißung ist verschwunden. Aktuell beziehen sich alle nur noch auf sich selbst, um überleben zu können. Das sage ich als weiße, privilegierte Mitteleuropäerin. Trotzdem fühle ich mich manchmal, als könnte ich nicht mehr. Es ist so offensichtlich, dass dieses gegenwärtige Leben ein Fehler ist. Wir könnten ja auch solidarisch miteinander leben.
Du hast diesen Utopiegedanken erlebt, Sylvia. Wie siehst du das?
Sylvia Deixler: Eine der großen Illusionen der damaligen Zeit war: der Gedanke, dass Energie ad libitum zur Verfügung steht. Mittlerweile sind wir weiter, wir wissen um die Begrenztheit der Ressourcen. Bei all der positiven Utopie, die also vorhanden war, gab es auch Sichtweisen, die kindlich und naiv waren.
Braucht die Utopie das Naive?
Sylvia Deixler: Die damalige, neue Popkultur hat in der Elterngeneration häufig Ablehnung hervorgerufen. Manche haben Beatles und Stones als Krach abgewertet. Ein Aha-Erlebnis löste bei mir ein Ausschnitt aus dem Film „Yellow Submarine” aus. Die Band kommt darin freundlich, ja lieb rüber. Also habe ich früh das negative Elternbild hinterfragt. Und damit auch bald Autoritäten sowie den verordneten Gehorsam.
Heute ist es nicht mehr besonders rebellisch, die Beatles zu hören, oder?
Roxanne Szankovich: Für mich war es das schon. Ich habe niemanden gekannt, der diese Musik gehört hat. Meine Eltern haben zu Hause Klassik gespielt. Ich wurde mit Fokus auf klassische Musik erzogen. Habe klassische Violine gelernt. War am Musikgymnasium. Die Klassik hat mich umgeben. Rockmusik war dagegen Auflehnung.
Woher kommt dieser Drang zur Auflehnung?
Roxanne Szankovich: Ich empfinde mich schon immer als politische Person. Deshalb integriere ich politisches Handeln in meinen Alltag, das heißt: Nicht nur hinzuschauen, sondern auch zu agieren, wenn etwas nicht passt. Für mich ist das in der Rockmusik der Fall. Flinta-Personen sind nach wie vor unterrepräsentiert. Also sage ich das auch.
Toxic Violin ist Musik gegen die Ungerechtigkeit?
Roxanne Szankovich: Na ja, als Kind war Robin Hood mein Vorbild. Seither versuche ich, mich gegen Unrecht zu wehren. Denn Auflehnung ist eine Kraft, die man positiv verarbeiten – und auch vermitteln kann.
Sylvia Deixler: Robin Hood war für mich auch ein Hero. Dazu kamen dann die Beatles. Sie vermittelten eine fröhlich-freche Art, einen Easy-Way-of-Going, ohne unwirsch zu sein. Deswegen haben sie alte weiße Männerautoritäten an sich abprallen lassen können. Für mich war das wichtig: zu sehen, dass es auch etwas anderes gibt neben Zucht und Ordnung.
Roxanne Szankovich: Wir sind Unzucht und Unordnung!
Gibt es die heute noch?
Roxanne Szankovich: Man muss ja nicht absichtlich aufmüpfig sein. Manchmal sagen die Leute nach einem Konzert zu mir: Die Dinge, die du sagst, sind doch total klar! Ich denk mir: Ja, genau, sie sind vollkommen klar! Wenn eine Person diese Gedanken so weit in ihr Leben integriert hat, dass sie selbstverständlich erscheinen, brauche ich nicht mehr aufzulehnen. Allerdings gibt es genügend Themen, die schon tausende Male gesagt wurden und dennoch nicht angekommen sind.
Sylvia Deixler: Außerdem befinden wir uns aktuell in einer Phase des Rückschritts, weil eine junge Generation ihre relativen Freiheiten für selbstverständlich ansehen, allein: Das sind sie nicht. Sie mussten im Einsatz von Existenz und Leben erkämpft werden. Sobald man aber aufhört, für etwas zu kämpfen, kommt es sofort zu einer Gegenbewegung. Vor den Konsequenzen fürchte ich mich.
„Es gibt genügend Themen, die schon tausende Male gesagt wurden und dennoch nicht angekommen sind.”
Schließen wir freudiger ab: Was mögt ihr aneinander?
Roxanne Szankovich: Darf ich die Gschicht mit dem Bier erzählen?
Sylvia Deixler: Nur zu.
Roxanne Szankovich: Wir waren heute im Proberaum, es war kurz nach Mittag. Die Sylvia sagt, najo, es is ja schon nach Zwölf, da kann ma sich schon ein Bier aufmachen, oder?
Sylvia Deixler: Und du hast gesagt: Na, wenn du meinst!
Roxanne Szankovich: Ja, wir können uns gut auf die Schippe nehmen, wobei wir zu jeder Zeit wissen, dass wir uns wohl gesonnen sind.
Und bei dir, Sylvia?
Sylvia Deixler: Ich bewundere Roxi als Violinistin und Komponistin und Sängerin. Außerdem hat sie einen hellen Verstand. Ihr Humor ist großartig. Und ihre solidarische Lebensweise macht sie zu einem ausgesprochen liebenswürdigen Menschen.
Danke für eure Zeit!
Christoph Benkeser
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