„[…] wir sind einfach immer neugierig und probieren wahnsinnig gerne Dinge aus.“ – RADIO.STRING.QUARTET im mica Interview

Musik der Vergangenheit in ein neues Gewand kleiden. Genau das tut das RADIO.STRING.QUARTET auf seinem neuen Album “B:A:C:H – like waters” (Seeyulette; VÖ: 7.10.). Im zweiten Teil ihres “ELEMENTE”-Zyklus ist es die g-moll Violinsonate von JOHANN SEBASTIAN BACH, der sich BERNIE MALLINGER, IGMAR JENNER, SOPHIE ABRAHAM und CYNTHIA LIAO annehmen und die sie in ihrer eigenen musikalischen Sprache einer aufregenden und kunstvollen Neubearbeitung unterziehen. Warum die Wahl gerade auf diese Sonate gefallen ist, wo die Herausforderung an der Bearbeitung alten Materials liegt und wieso musikalische Kategorien für sie keine Rolle mehr spielen, verraten BERNIE MALLINGER, IGMAR JENNER und SOPHIE ABRAHAM im Interview. Die Fragen stellte Michael Ternai.

Der erste Teil eures Elemente-Zyklus stand unter dem Motto „Reinventing the music of Roland Neuwirth“. Dieses Mal sind es J.S. Bach und seine g-moll Violinsonate, die ihr neu erfindet. Warum gerade Bach und warum gerade diese Sonate?

Bernie Mallinger: Die „Sei Solo” von J. S. Bach gehören zum Kernrepertoire jedes Geigers, der sich irgendwann mit klassischer bzw. barocker Musik beschäftigt. Ich habe an der g-moll Sonate BWV 1001 erstmals in meinem Studium gearbeitet, aber auch später verlieren diese Stücke nie ihren Reiz. Sie bleiben einem ein ganzes Musikerleben erhalten. Soll heißen: von Zeit zu Zeit setze ich mich wieder dazu, schaue es mir von Neuem an, finde interessante Dinge, die mir bis jetzt nicht aufgefallen sind.
Durch die Probleme bei der Umsetzung – es sind instrumententechnisch extrem schwierige Aufgaben zu lösen – hat man es bei diesen Sonaten nicht immer leicht, zum Kern, zur Musik vorzudringen. Im Lockdown habe ich dann endlich einmal die Zeit gehabt, mich hinzusetzen und mich zu fragen: was macht diese Sonate mit mir, wohin führt sie mich, wenn ich nicht die ganze Zeit mit der Technik am Instrument zu kämpfen habe?  Ich wollte mir selbst ermöglichen, die Sonate einmal ganz als Musik zu erfassen und mir nicht am Schluss immer die Frage stellen zu müssen: habe ich eigentlich auch musiziert während ich versucht habe, technisch sauber zu spielen?
Die Sprache des radio.string.quartet erschien mir dann als die geeignetste für diesen Versuch. Ganz gegen unsere sonstige Gewohnheit, dass alle Mitglieder am Material für ein neues Album arbeiten, war es also erstmals – lockdownbedingt – ein Alleingang von mir. Es ist auch nicht wirklich “leichter” zu spielen geworden, die Schwierigkeiten haben sich eher verlagert.
Aber ich bilde mir jedenfalls ein, Bach jetzt näher zu sein, als ich es vorher war.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Worin besteht die Herausforderung an der Bearbeitung alten Materials? Wie weit lässt sich eine solche treiben, dass sie immer noch Sinn macht?

Bernie Mallinger: Ob und wann Bearbeitungen sinnvoll sind oder nicht, muss jeder für sich beurteilen. Für uns ist unsere Umsetzung schlüssig, für jemand anderes wird sie wahrscheinlich sinnlos sein und wieder jemand anderes wird vielleicht denken: Ah, interessant, wo das hingehen kann. Die Herausforderung und die Faszination bei jeder Bearbeitung ist für mich: wie kann ich die Musik so umsetzten, dass die grundsätzliche Idee des Komponisten nicht an Größe verliert, sondern einfach aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden kann.

Was denkt ihr, habt ihr Neues aus Bachs Sonate herausgeholt?

Bernie Mallinger: Kein einziger Ton von Bachs Komposition ist verändert, die Pfeiler seiner Musik sind sozusagen unangetastet. Es werden seine Ideen einfach anders ausgearbeitet, gestreckt, verkürzt, angereichert, ausgedünnt. So führen sie anders zum Nächsten, als es im Original passiert.
Was ich versucht habe ist, diese 300 Jahre alte Musik in ein neues Gewand zu kleiden, eines, das den Spagat vom damals zum heute schafft, ohne etwas von der Grundsubstanz zu verlieren. Wir leben in unserer Zeit, wir sind davon geprägt und lassen Bachs Musik durch unsere Kanäle laufen. Da gibt es jede Menge Inspiration vom Original und wir malen mit unseren Pinseln ein neues, eigenes Gemälde.

Sophie Abraham: Die g-moll Violinsonate und unsere radio.string.quartet-Perspektive darauf begleiten auch mich als Cellistin nun schon eine Weile. Ist schon ein bisschen Familie geworden, so wie die 6 Bach Cellosuiten. Wir haben im Frühjahr 2021 mit den Proben zu „B:A:C:H • like waters“ begonnen. Damals viel bei mir zuhause in Pressbaum, da meine jüngste Tochter erst ein paar Monate alt war. Ich kann mich noch sehr gut an das Gefühl erinnern, als wir das erste Mal das Presto zu viert gespielt hatten. Es war stark. Erschöpfung und Erleuchtung gleichzeitig. Alle brauchten einen Moment, um tief Luft zu holen, mit der Gewissheit es gleich nochmal spielen zu wollen. Ich glaube, wenn man so etwas in der Musik spürt, wenn Musik so etwas zuwege bringt, dann hat man etwas richtig gemacht. Dann macht alles auf einmal Sinn.

„Wir haben es uns sogar abgewöhnt, beim Schreiben unserer Musik in der Besetzung Streichquartett zu denken.“

Eure Wurzeln liegen in der klassischen Musik. Mittlerweile steht eure musikalische Sprache aber für einen sehr offenen Umgang mit Musikstilen. Euer Spektrum ist sehr weit gefasst. Wie sehr denkt ihr eigentlich noch in klassischen musikalischen Kategorien?

Igmar Jenner: Über musikalische Kategorien machen wir uns eigentlich gar keine Gedanken mehr. Auch in den Köpfen des Publikums, zu dem wir ja auch gehören, verschwimmen solche Grenzen immer mehr. Gehört wird, was gut und inspirierend ist. Wir haben es uns sogar abgewöhnt, beim Schreiben unserer Musik in der Besetzung Streichquartett zu denken. Wenn unsere Musik orchestral klingen soll, dann schreiben wir das so. Ohne Kompromisse zu machen, die der Tatsache geschuldet sind, dass wir nur zu viert sind. Da wir inzwischen recht versiert in der Nutzung technischer Möglichkeiten sind, lässt sich fast jeder Klang erzeugen, der im Laufe des Komponierens entsteht.

Bild radio.string.quartet
radio.string.quartet (c) Jana Madzigon

Mit wie viel Scheitern ist eine gelungene Neubearbeitung verbunden? Wie viele Anläufe braucht ihr um zu einem Ergebnis zu kommen, mit dem ihr zufrieden seid? 

Bernie Mallinger: Es ist von vornherein klar, dass es nicht ohne Scheitern gehen wird. Sich hinsetzen und etwas schreiben, am Ende aufzustehen und zu sagen: fein, das ist wunderbar und fertig, das konnten so Leute wie Bach und Mozart – und es gibt diese Leute bis heute. Ich gehöre da nicht dazu. Bei mir ist es, egal ob Komposition oder Bearbeitung, immer eine Suche nach dem Moment an dem ich merke: Ah, das ist jetzt was! Das kann schnell passieren oder auch recht lange dauern. Beides ist schön, auf unterschiedliche Weise. Und so bewege ich mich weiter und weiter. Wenn man dann tagelang an einer Idee arbeitet und es will und will nicht anfangen zu klingen, dann ist es meistens auch nicht das Richtige und die Suche geht weiter. Es ist also quasi ein ständiges Scheitern, dass von kleinen Triumphen unterbrochen wird – bis man dann irgendwann denkt: ja, so könnte das gehen.

Etwas, dass euch auch von klassischen Streichquartetten unterscheidet, ist auch der Einsatz eurer Singstimmen. Welche Rolle erfüllen sie in eurer Musik?

Igmar Jenner: Genauso wie wir elektronische Elemente einsetzen, verwenden wir auch unsere Stimmen: Als Erweiterung unseres Klangkörpers. Und als das Urinstrument schlechthin bringt die Stimme immer irgendwie etwas Archaisches in die Musik. Wenn wir mithilfe von Effekten Klänge verfremden oder in veränderter Form wiederkehren lassen, erscheint die Stimme oftmals als eine Art natürlicher Gegenpol.

Euch gibt es mittlerweile fast 14 Jahre. Wie sehr hält man über so lange Zeit die Motivation aufrecht, weiterhin nach dem Neuen zu suchen? 

Bernie Mallinger: Da gibt’s gar kein Geheimnis, wir sind einfach immer neugierig und probieren wahnsinnig gerne Dinge aus. Dinge, die auf den ersten Blick auch recht unsinnig erscheinen. Unser Tontechniker Peter Moritz sagt dann immer: „Ah, Jugend forscht wieder!“ Und oft kommt dabei wirklich gar nichts raus, aber dann wissen wir das halt auch. Und immer wieder sind dann so inspirierende Sachen dabei, dass wir uns sagen: da machen wir jetzt was draus. Solange uns dieser kindliche Spieltrieb erhalten bleibt mache ich mir keine Sorgen um unsere Motivation.

Ihr absolviert im Spätherbst eine Österreich-Tour mit Start im Radiokulturhaus in Wien. Wie sieht es mit internationalen Terminen? Und was steht bei euch sonst noch auf dem Programm?

Igmar Jenner: Beim Release dieses Albums haben wir uns erst mal auf Österreich konzentriert. Internationale Termine folgen dann ab der 2. Hälfte 2023. Wir versuchen gerade, „B:A:C:H • like waters“ als Immersive Audio Produktion – also quasi in 3D statt Stereo – international auf die Bühne zu bringen. Das erfordert recht viel Planung, wird aber für unser Publikum, wenn alles so funktioniert, wie wir es uns vorstellen, ein unglaubliches Erlebnis! Ansonsten gibt es einige wunderbare Kooperationen, an vorderster Stelle das Projekt „Alpen & Glühen“ gemeinsam mit Thomas Gansch, Herbert Pixner, Manu Delago und Lukas Kranzelbinder. Im Mai 2023 spielen wir die nächste Tour, davor wird möglicherweise das zweite gemeinsame Album aufgenommen. Wir sind glücklich, mit diesen großartigen Kollegen die Bühne teilen zu dürfen und freuen uns schon sehr auf inspirierende Abende!
Daneben werden wir schön langsam mit dem Mischen unseres 2019 mit den Münchner Symphonikern aufgeführten Orchesterprojekts beginnen. Das wird dann – aller Voraussicht nach – der nächste Release unserer Elemente-Serie werden. Uns wird definitiv nicht langweilig werden in den nächsten Monaten…

Michael Ternai

++++

radio.string.quartet live
10. Oktober @ Radiokulturhaus, Wien
15. Oktober @ Konzerthaus, Wien (mit Roland Neuwirth)
27. Oktober @ Wirtschaft, Dornbirn
29. Oktober @ Seekirchen Am Wallersee
5. November @ Treibhaus, Innsbruck
17. November @ Dom in Berg, Graz
18. November @ Kulturforum, Feldkirchen in Kärnten

++++

Links:
radio.string.quartet
radio.string.quartet (Facebook)