Ein Sound, der aus der facettenreichen Geschichte des Rock mit all seinen verschiedenen Stilrichtungen hervorgeht und dabei nicht nostalgisch, sondern modern klingt – genau diesen praktiziert die Wiener Band PRETTY PLEAS auf ihrem Album „In Circles & Lines“ (Konkord Records). Was man auf der Platte zu hören bekommt, sind Songs, die gleichzeitig tanzbar und unterhaltsam sind, aber auch tiefgründig und mit melancholischer Note schwingen. Im Interview mit Michael Ternai sprechen Daniel Smith (Gesang, Gitarre) und George Clavicle (Bass) über den langen und steinigen Weg zum Album, die Verschmelzung verschiedener musikalischer Backrounds in der Musik der Band und die besondere Bedeutung des Cover-Artworks.
Könntest du zu Beginn vielleicht etwas über die Entstehung der Band Pretty Pleas erzählen?
Daniel Smith: Ich war schon früher viele Jahre musikalisch tätig – als Songwriter in verschiedenen Projekten und Konstellationen. Auf dem Label Buntspecht habe ich auch einiges veröffentlicht. Dann sind jedoch einige Dinge passiert, die mich etwas von der Musik weggeführt haben. Unter anderem bin ich Vater geworden, was natürlich die Zeit für Musik einschränkt und den persönlichen Fokus auf die Familie verlagert. Als meine Töchter dann aber alt genug waren, erwachte das Gefühl, musikalisch wieder etwas tun zu wollen, wieder. Ich sagte mir, so, jetzt ist es wieder an der Zeit, Musik zu machen. Allerdings wollte ich dieses Mal kein Singer-Songwriter-Ding machen, sondern wirklich eine Band auf die Beine stellen.
Dafür brauchte ich natürlich die passenden Leute, doch die Suche gestaltete sich eher schwierig. Zuerst war ich auf der Suche nach einem Bassisten und bekam von Happy Betty, der Sängerin der Band Portobello Express, den Tipp, George anzurufen. Sie meinte, er sehe gut aus und sei ein richtig guter Bassist. Also lud ich George zum gemeinsamen Proben ein, und es hat sofort zwischen uns gefunkt.
Kurz danach trafen wir auch noch den Multiinstrumentalisten Paolo Tornitore, und damit war die Band eigentlich komplett, und wir waren bereit, richtig loszulegen. Doch drei Wochen später stand plötzlich alles still – in Österreich und auf der ganzen Welt. Die Corona-Pandemie begann. So bestanden die ersten eineinhalb Jahre des Bandbestehens lediglich daraus, dass wir Songs schrieben und hofften, irgendwann einmal gemeinsam proben zu können. In dieser Zeit war es alles andere als leicht, zusammenzukommen und zu proben. Im Grunde möchte ich auch gar nicht allzu viel über die Corona-Zeit sprechen, da ich sie als sehr bedrückend empfand, aber sie spielt dennoch eine nicht unerhebliche Rolle darin, was aus der Band geworden ist und wie wir nun dastehen.
Wie habt ihr es in dieser Zeit geschafft, Songs zu schreiben?
Daniel Smith: Das Glück war, dass ich zu dieser Zeit schon einen wirklich großen Bestand an Songs zusammen hatte. Während meine Kinder noch kleiner waren, nutzte ich jede freie Zeit am Abend zum Songschreiben. So kamen wirklich hunderte Songs zusammen, die im Grunde schon fertig fahren. Wir haben in der Band auch versucht, über Zoom Songs zu schreiben, aber das relativ bald aufgegeben, weil es einfach nicht befriedigend war.
George Clavicle: Im Grunde gab es ja schon viele gute Songs. Das Einzige, was diese noch benötigten, war einfach ein wenig Feinschliff. Das Songschreiben war also nicht das Problem.
Daniel Smith: Wir haben eine Geheimformel – wobei, wenn ich sie dir jetzt erzähle, wird sie nicht mehr so geheim sein. Wenn man Pretty Pleas auf das Wesentliche herunterbricht und fragt, was die Band eigentlich ausmacht, ist es eigentlich ziemlich simpel. Ich bin mit den frühen Alben von David Bowie und Bob Dylan aufgewachsen, und dieser eher singer-songwriterische Ansatz prägt auch meine Songs. Was wir bei Pretty Pleas machen, ist, dass George, unser Schlagzeuger B.B. Kong und ich diese Songs hernehmen, sie durch unseren gemeinsamen Filter laufen lassen und sie letztlich in Rockstücke umarrangieren.
George Clavicle: Ich spule die Songs dann quasi durch meinen Punk-New-Wave-Filter und so kommt dann ein Rocksong heraus.
Hört man sich durch eure Songs, so ist es wirklich als würde man sich auf eine Reise in die Vergangenheit machen. Die Musik beinhaltet Einflüsse von Roxy Music, ich höre auch solche Bands wie The Smiths und ähnliches heraus…
George Clavicle: Als ich Daniels Songs zum ersten Mal gehört habe, dachte ich mir schon, dass da noch mehr Pep rein muss. Nach meinem ersten Eindruck waren sie kein „Fire-Stuff“. Ich dachte, man müsste sie kürzen, schneller machen und von allem Unnötigen befreien. Mein Ziel war es, die Songs unter drei Minuten zu halten – was zwar nicht immer gelang, aber im Großen und Ganzen schon in diese Richtung ging. Es ging mir darum, die Songs auf das Wesentliche zu reduzieren. Es sollte keine endlosen Wiederholungen geben. Wenn einem der Song gefällt, kann man ihn sich ja nochmal anhören. Ich bin kein Freund von überlangen Songs, und Daniel war so geduldig, dass wir in seinen Songs herumbasteln durften, was ich sehr schätze.
Das, was dabei herausgekommen ist, ist ziemlich ungewöhnlich, denn die Musik, die wir jetzt machen, höre ich privat eigentlich gar nicht so oft. Ich bin mit Punk, Britpop, New Wave und den 60er-Jahre-Sachen aufgewachsen und daran bis heute hängen geblieben. Und durch diesen Filter laufen die Songs von Pretty Pleas eben. Und ich bin mit dem Ergebnis schon zufrieden. Ich mache ja auch schon lange Musik und spiele seitdem ich 16 bin in irgendwelchen Bands. Und ich habe mir die eigenen Sachen eigentlich nie wirklich angehört, weil sie mir letztlich doch nicht so gut gefallen haben. Das ist bei diesem Album jetzt anders. Ich höre mir das Album zu Hause gerne an. Manchmal tue ich mir auch schwer, zu glauben, dass das tatsächlich wir sind.
Daniel Smith: Die Songs entstehen aus unseren musikalischen Vorlieben heraus. Diese sind breit gefächert und ermöglichen es uns, je nach Stimmung eine bestimmte Richtung einzuschlagen. Das geschieht auf ganz natürliche Weise. Auf dem Album haben wir zum Beispiel den Song „Silver Tongues Lashing“. Ich wollte einen von den 1960er Jahren inspirierten Song schreiben – etwas upbeat und kurz. So beginnt er auch. Doch dann wird er ein bisschen schneller, und andere Einflüsse kommen hinzu: ein wenig The Cure, ein bisschen The Smiths. Man kann aber auch David Bowie und sogar einen Hauch von Dexys Midnight Runners heraushören. Auch ein wenig Postpunk schimmert durch.
Was uns jedoch allen sehr wichtig war: Wir wollten auf keinen Fall eine Retroband sein. Zwar lassen wir Einflüsse aus den 1960er, 1970er, 1980er und 1990er Jahren in unsere Musik einfließen, dennoch wollen wir modern klingen. Und ich denke, das tun wir auch.
George Clavicle: Das netteste Kompliment, dass ich bislang über unsere Musik gehört habe, war, dass sie ganz anders klingt, als vieles, das man im Moment sonst so zu hören bekommt. Dem kann ich eigentlich nur zustimmen.
Das Album wirkt wirklich sehr auf den Punkt gebracht und sehr pur. Es hat auch eine sehr punkige Kante …
Daniel Smith: Absolut. Punk gehört auch zu meinen Wurzeln. Ich habe ja nicht als Singer-Songwriter angefangen, sondern als Bassist in Punkbands. Meine Vorbilder waren Bands wie X und The Clash. Irgendwann tauchte ich dann tiefer in den Post-Punk ein, das war lange mein Ding. Später entdeckte ich dann Nick Drake und andere Singer-Songwriter und begann, Songs zu schreiben, die größer und länger waren, mit vielen Wechseln im Arrangement.
Das, was wir mit Pretty Pleas machen, erinnert mich an eine Geschichte von Michelangelo, die ich meinen Schülern im Kunstunterricht manchmal erzähle. Michelangelo ist zwar vor allem als Maler bekannt, doch noch begabter war er in der Bildhauerei. Es gibt die Geschichte, dass er seinen Studenten zu Beginn ein Stück Salzstein gab und sie aufforderte, daraus einen Engel zu meißeln. Die Studenten waren natürlich überfordert und fragten, wie das denn gehen soll. Daraufhin antwortete Michelangelo: „Ihr müsst nur alles wegschleifen, was kein Engel ist, dann habt ihr euren Engel.“
Ähnlich gehen wir bei unserer Musik vor. Wir nehmen meine weitgefächerten Ideen und entfernen alles, was unnötig ist. Zwar gibt es auf dem Album einige Songs, die vier oder fünf Minuten lang sind, aber im Großen und Ganzen gilt Georges Regel, die Songs so kurz wie möglich zu halten.
Auch euer Schlagzeuger B.B. Kong trägt viel zum Gesamtsound bei. Wie ist er zu euch gestoßen?
Daniel Smith: Es war tatsächlich so, dass wir sehr, sehr lange nach dem richtigen Schlagzeuger für uns gesucht haben. Wir haben unzählige Auditions veranstaltet, um jemanden zu finden, aber es sollte einfach nicht sein. Irgendwann wurde die Situation so frustrierend, dass Paolo sich entschied, die Band zu verlassen. Mit ihm ging auch die Sängerin, die wir damals hatten. Wir hatten eigentlich die Vorstellung, dass sie und ich die Gesangsparts übernehmen würden. So im Stile von Fleetwood Mac. Sie nahm sich aber ein Sabbatical, verließ das Land in Richtung Thailand und ist bis heute nicht zurückgekehrt.
Es war eine schwierige Situation, aber eines Tages meinte George, dass er den perfekten Schlagzeuger für uns kenne – nur gab es ein Problem: Er lebte und arbeitete zu der Zeit in Afrika.
George Clavicle: Ich schickte ihm Musik von uns. Und die gefiel ihm auch, nur war er sich nicht sicher, ob er dafür wieder nach Österreich zurückkehren sollte.
Wie ist er eigentlich nach Afrika gekommen? Was hat er dort gemacht?
Daniel Smith: Bernd war in Mosambik als Session-Musiker und Produzent in einem Studio tätig, das übrigens von Österreichern betrieben wird. Vor zwei Jahren wurde das Studio jedoch durch einen Brand fast vollständig zerstört. Zum Glück erhielten sie Unterstützung von der Regierung, um es wieder aufzubauen, und jetzt läuft es zum Glück wieder. Bernd spielte aber schon länger mit dem Gedanken, nach Österreich zurückzukehren, um hier wieder zu arbeiten. Schließlich entschloss er sich dazu und kam recht bald mit uns in Kontakt. Ich muss sagen, dass es zwischen uns allen sofort gefunkt hat.
Er trägt mit seinem besonderen Spielstil maßgeblich zu unserem Sound bei. Ich bringe meinen singer-songwriterischen Hintergrund mit, geprägt von Einflüssen wie David Bowie und Bryan Ferry, dann hast du George mit seinen Einflüssen aus dem britischen Rock, und Bernd, der im Grunde alles spielen kann – von afrikanischen Polyrhythmen bis hin zu Roxy Music. Seine Bandbreite ist wirklich außergewöhnlich. Es sind genau diese drei unterschiedlichen Backrounds, die unsere Musik ausmachen. Wenn auch nur einer von uns anders wäre, würde die Musik vermutlich ganz anders klingen.
Eure Musik besticht jedoch nicht nur durch ihren einzigartigen Sound, sondern auch dadurch, dass sie eine ganz eigene Stimmung erzeugt …
Daniel Smith: In unserer Musik kommt tatsächlich vieles zusammen, und wir wissen, wie man das auf sehr unterschiedliche Weise in Songs übersetzt – sei es in Upbeat-Songs, Balladen und so weiter. Doch das, was alles zusammenhält, ist die Emotion, die sie ausdrückt. Die Menschen verbinden sich durch die Emotion mit der Musik. Bei mir ist es so, und ich denke, bei George ist es ähnlich: Wenn mich Musik emotional nicht anspricht, berührt sie mich auch nicht wirklich. Dieser emotionale Aspekt hat viel mit den Texten zu tun. Wir spielen zwar auf der einen Seite eine Art Powerpop mit einigen Upbeat-Elementen, doch auf der anderen Seite sind unsere Texte sehr emotional und oft melancholisch. Wir sind keine politische Band und machen Politik auch nicht zum Thema unserer Songs. Stattdessen behandeln wir die Interaktionen zwischen Menschen auf verschiedenen Ebenen – wie sie in Beziehungen agieren, in der Liebe, Freundschaft oder Gesellschaft. Das ist unser Fokus.
Heute bringen sehr viele Bands nur noch singles heraus bzw. eine EP. War es für euch klar, dass es bei euch ein Album wird?
George Clavicle: Für mich ist es einfach so, dass eine LP die Königsklasse unter den Tonträgern ist. Solange eine Band keine große Platte veröffentlicht hat, ist sie für mich nicht wirklich etwas Besonderes. Ich habe schon ein paar Mal erlebt, dass ich alte Bands entdeckt habe und dachte, wie großartig sie doch sind – aber dann haben sie nur zwei Singles herausgebracht. Warum haben die nie eine Platte gemacht?
Ich finde, eine LP ist wichtig, weil man damit zeigen kann, dass man als Band wirklich präsent ist und genug Material hat. Deshalb haben wir auch gezielt darauf hingearbeitet. Singles sind natürlich auch okay, aber eine Platte ist groß, du kannst dich beim Artwork verwirklichen, das schaut nach etwas aus, man hat etwas in der Hand. Man legt sie auf und es ist nicht gleich vorbei. Uns war halt Vinyl sehr wichtig.
Daniel Smith: Mehrere Dinge haben zur Entstehung der Platte geführt. Ganz am Anfang war die Idee, eine EP aufzunehmen. Aber dann hatten wir so viele Songs zusammen, dass wir dachten, es wäre an der Zeit, sie alle zu veröffentlichen. Hätten wir noch länger gewartet, wäre der Zauber der Songs vielleicht verloren gegangen, und sie würden an Aktualität verlieren. Natürlich hätten wir auch mehrere EPs nacheinander veröffentlichen können, was marketingtechnisch vielleicht klüger gewesen wäre. Aber wir sind keine Musiker in den Zwanzigern mehr, die die Welt erobern wollen. Wir sind erfahrene und ältere Musiker, was ein Vorteil ist, denn dadurch gewinnt die Musik an Tiefe und Gewicht.
Vor allem folgt ihr keinem Trend …
Daniel Smith: Ich sage immer, wir sind eine Art Vermächtnis-Band ohne Vermächtnis. Es ist viel Gewicht auf dem, was wir machen, wie haben viel Lebenserfahrung, und die fließt natürlich in unsere Musik.
Die Sache ist auch, dass wir im einer Zeit leben, in der Musik entwertet ist. Natürlich nutzen meine Kinder und ich auch Spotify, George und ich schicken uns via Spotify auch Musik zu. Was wir beide aber tun ist, wenn wir etwas entdecken, das uns gefällt, gehen wir in den Plattenladen und kaufen uns das Album.
George Clavicle: Wenn mich etwas wirklich begeistert und berührt, will ich es auch haben. Und ich bin auch bereit, dafür zu zahlen.
Eine witzige Geschichte steckt ja auch hinter der Entstehung Cover-Artworks.
Daniel Smith: Ja, das war tatsächlich ein längerer Prozess. Nach den Aufnahmen stand gleich die Frage im Raum, wie das Artwork aussehen sollte. Wolfgang Reitter, der Chef unseres Labels Konkord Records, stellte den Kontakt zu einem Künstler her, der digitale und analoge Kunst kombiniert. Ich dachte, das klingt spannend. Ich gab ihm einige meiner Bilder, und eines davon, auf dem ein Riesenrad abgebildet war, fiel ihm besonders ins Auge. Er fand es passend, das Riesenrad aufgrund des Albumtitels „In Circles and Lines“ als Motiv für das Cover zu verwenden. Ich war von der Idee sehr angetan, also sprach ich mit meinen Bandkollegen – die allerdings überhaupt nicht begeistert waren. George meinte nur: „Du machst jetzt Witze, oder?“
George Clavicle: Ich fand die Idee mit dem Riesenrad auf dem Cover alles andere als berauschend. Wir sind eine Band aus Wien – ich will kein Riesenrad auf dem Albumcover. Das sieht dann aus wie ein Souvenir.
Daniel Smith: Irgendwie war ich trotzdem noch eine Zeit lang von der Idee begeistert, bis ich zu Alex ins Recordbag ging und ihm den Entwurf zeigte. Auch er war wenig angetan und meinte: „Ihr seid doch keine Austropop-Band.“ Dann tat er etwas, das mich letztlich überzeugte, die Idee mit dem Riesenrad fallen zu lassen. Er bat mich, auf die Wand im Plattenladen zu schauen, wo diverse Albumcover-Plakate hingen, und fragte mich, welche Cover meine Aufmerksamkeit erregten. Das hat meine Augen geöffnet.
George Clavicle: Eine Platte muss mir sofort ins Auge stechen. Wenn ich ein Album sehe, auf dem eine bunte 1960er-Jahre-Spirale abgebildet ist, kaufe ich es oft auf Verdacht, weil es aussieht, als wäre die Musik darauf genau mein Ding. Das wollte ich auch für unser Album. Ich wollte, dass sich unsere Platte vom Rest abhebt – und ich denke, das tut sie jetzt. Das Cover mit dem Riesenrad in dieser dunkel blau-schwarzen Farbkombination hätte sich definitiv nicht abgehoben.
Herzlichen Dank für das Interview.
Michael Ternai
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