In Klöstern, an Höfen und in Salons komponierten Frauen bereits in früheren Jahrhunderten. In den Konzertsälen ist allerdings kaum etwas davon zu hören. Und auch die Gegenwart bietet reichhaltiges Repertoire von Komponistinnen. Vielfältige Einblicke in das musikalische Schaffen von Frauen geben IRENE SUCHY und CLARISSE MAYLUNAS geben in der Ausstellung MUSICAFEMINA, die von 4. Juli bis 2. September 2018 in der Orangerie in Schönbrunn gezeigt wird.
Was hat den Ausschlag gegeben, sich mit Komponistinnen im Rahmen einer Ausstellung auseinanderzusetzen?
Irene Suchy: Dass wir diese Ausstellung im Jahr 2018 veranstalten, freut uns in mehrfacher Hinsicht sehr: Es bedeutet nicht nur das 100-jährige Jubiläum des Endes des 1. Weltkrieges, sondern auch der Einführung von Frauenwahlrecht, Arbeiterkammer, Frauenreferat, Frauenradio. Die Idee zur Ausstellung ist allerdings nicht neu, sie kommt vom ehemaligen Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny, da während seiner Amtszeit das Kontrollamt der Stadt Wien festgestellt hat, …
Clarisse Maylunas: … dass im Haus der Musik keine Frauen vorkommen. Der Ursprung dieser Ausstellung war eine Intervention im Haus der Musik, wo wir Frauen repräsentieren wollten, was dann allerdings aus verschiedenen Gründen nicht funktioniert hat. Nachdem wir bereits in die Thematik eingearbeitet waren, haben wir beschlossen, eine eigenständige Ausstellung daraus zu machen. Das hat dann noch ein Weilchen gedauert – jetzt sind wir da.
„Das ist eine Erfolgsgeschichte …“
Wie sind Sie an die Konzeption der Ausstellung herangegangen und wie ist sie aufgebaut?
Clarisse Maylunas: Am Anfang unserer Ausstellung steht ein Baum, eine junge Kastanie, an der anstatt von Blättern Hände von Dirigentinnen wachsen. Wir haben schon einige Paare, darunter Susanna Mälkki, Simone Young, Agnes Grossmann, Oksana Lyniv und Sylvia Caduff. Den Baum möchten wir auch weiter bestücken.
Irene Suchy: Unser Anliegen ist es, nicht zu kuratieren und nicht zu vermitteln. Wir machen eine künstlerisch-wissenschaftliche Ausstellung. Wir suchen uns Gefäße, künstlerische Gefäße, die diesem Thema auf aktuellstem wissenschaftlichem Stand entsprechen. Es beginnt mit einer Ahnengalerie von 100 Notenkopfporträts aller Kontinente und fast alle Länder, die sich über die gesamte Länge der Ausstellung erstreckt. Davon ausgehend inszenieren wir historische Bereiche, die alle eine andere Haltung von den Besuchenden erwarten – einmal kniend, einmal liegend, einmal sich auf der Bühne findend, dann von einer Skulptur umhüllt.
Clarisse Maylunas: Es geht um die im Laufe der Geschichte entstandenen Bereiche, in denen es für Frauen möglich war zu komponieren. Während des Mittelalters und der Renaissance war das hauptsächlich der klerikale Raum, wo Frauen im dem Schutz des Klosters zu Wissen gelangen konnten. Also gibt es zuerst den klerikalen Raum, in dem man knien muss. Im Anschluss daran der höfische Raum. Bei Hofe konnte komponiert werden – sowohl von Aristokratinnen, die über gesellschaftlichen Tabus standen, als auch von Frauen, die am Hof zu Bildung und Aufführungsmöglichkeiten gelangen konnten.
Irene Suchy: Insofern passt die Ausstellung auch sehr gut nach Schönbrunn, weil Maria-Theresia eine enorme Mäzenin war. Sämtliche Frauen, die zu ihrer Zeit komponiert haben und die Maria Anna oder Maria Theresia hießen, waren ihre Patenkinder – sie hat sie alle unter ihre Fittiche genommen und geschaut, dass sie in der High Society Fuß fassten, dass ihre Kompositionen gespielt und gehört werden. Auch ihre Tochter hat ja komponiert, aber deren Werke sind leider nicht überliefert.
Clarisse Maylunas: Der nächste Bereich ist der des 19. Jahrhunderts, in dem Frauen immer noch fast ausschließlich in Salons Musik machen konnten. Dadurch gibt es viel Kammermusik oder Musik für Stimme und Klavier. Einzelne Vertreterinnen sind daraus ausgebrochen, haben sich z. B. Männerkleidung angezogen, haben es geschafft, dass ihre sinfonischen Kompositionen oder Opern öffentlich aufgeführt. Erst mit dem Wahlrecht 1918 gibt es einen großen Einschnitt – aber eben wieder mit gewissen Hürden. Im zeitgenössischen Bereich nach 1945 gewinnen Frauen Freiheit.
Irene Suchy: Das 20. und 21. Jahrhundert nimmt wahrscheinlich die Hälfte ein, weil wir uns auch der Filmmusik und dem Komponieren während des 2. Weltkrieges widmen. Das Jahr 1938 stellt selbstverständlich einen Rieseneinbruch für Komponistinnen dar, aber, der Politik konsequenterweise folgend, auch für die als jüdisch, katholisch oder lesbisch Benannten. Ganz wichtig ist mir aber auch zu betonen, dass das auch für die Hiergebliebenen gilt. Ich bin dankbar, dass die Forschung klar macht, dass Frauen in der NS Reichsmusikkammer nur in den untersten Kategorien geduldet wurden.
Frauen sind sehr oft in den Institutionen und in den Gebieten, in denen sie arbeiten, Pionierinnen, auch im Bereich des Films und der Filmmusik. Kaum werden diese Bereiche institutionalisiert, verschwinden sie. In unserem kleinen Kinosaal bieten wir zum bewegten Bild Rachel Portman und Martin Eisenreich, Tricky Women, Tanja Brüggemann, Iva Zabkar, Gabriele Proy und noch ein par andere.
Im Bereich der Zeitgenossinnen haben wir dann Computerstelen, bei denen alle, die möchten, einen Beitrag liefern können. Das ist eine Erfolgsgeschichte – und so ist die Ausstellung eine Leistungsschau des Komponierens.
Was wir nicht wussten, ist, dass es zum 70. Jahrestag der Deklaration der Menschenrechte ein weltweites Komponistinnenauftragsprojekt gibt. Wir dürfen uns als Kooperationspartner des High Commissioners for Human Rights nennen, das ist ein Weckruf.
Clarisse Maylunas: Für einen weiteren Bereich habe ich Skulpturen gebaut, die jeweils einen bestimmten Typus Frau darstellen. Es sind käfigartige, weiblich anmutende Gerüstkonstruktionen aus Metall, in denen sich eine Sounddusche befindet und über die man Musik oder Gesprochenes hören kann.
Was stellen diese Figuren dar?
Clarisse Maylunas: Weibliche Formen. Eine heißt „Femme fatale“, weitere nennen wir „Femme fragile“, „Die Gläubige“ oder „Die Gelehrte“. Weitere Figuren stellen den Pazifismus oder eine Rebellin dar – es sind verschiedene Typen Frau.
„Es ist super, wenn jemand sagt, dass eine Komponistin fehlt …“
Sie haben gesagt, dass Sie nicht kuratieren, sondern das aufgrund wissenschaftlicher Forschung bearbeiten. Dennoch muss man ja immer auch eine Auswahl treffen und eine Form der Darstellung finden.
Irene Suchy: Kunst ist immer Auswahl. Es ist super, wenn jemand sagt, dass eine Komponistin fehlt – wir wollen in der Ahnengalerie auch leere Notenköpfe bereitstellen. Die Kunst ist das Auslassen. Das ist vielleicht auch der Auslöser für weitere Gestaltungen, das Thema in einem anderen Rahmen oder Zusammenhang zu machen.
Clarisse Maylunas: Derzeit ist es eine globale Überblicksausstellung. Jedes Thema könnte man nach Belieben vertiefen.
Irene Suchy: Wir haben auch vor, die Ausstellung in anderen Ländern zu zeigen und dort unterschiedliche Schwerpunkte zu setzen. So könnten wir zeigen, dass es in Europa einige Frauenkunst-Festivals und Frauenmusikzentren gibt – Österreich darf da noch aufholen.
Gibt es bereits Kooperationen mit anderen Ländern?
Irene Suchy: Ljubljana, Berlin, Budapest – wir arbeiten an einem Antrag für ein EU-Projekt. Was uns stärkt und ermuntert, ist immer ein gewisser politischer Wille – der kommt von der Kunst- und von der Kultursektion des BKA und vom Außenministerium.
Wie ist es dazu gekommen, dass die Ausstellung in der Orangerie in Schönbrunn stattfindet?
Clarisse Maylunas: Zuerst war das Künstlerhaus geplant, das dann allerdings verkauft wurde. Also mussten wir wieder anfangen zu suchen. Es gibt in Wien keine Häuser, die Themenausstellungen zeigen. Im Endeffekt war es der inzwischen pensionierte Schönbrunn-Chef Franz Sattlecker, der unser Projekt für gut befunden hat und uns nun diesen Raum zur Verfügung stellt. Dieses Angebot nahmen wir sehr dankbar an.
„Im Konzertbetrieb ist heute sehr wenig weibliche Musik zu hören.“
Wir leben im 21. Jahrhundert, theoretisch besitzen Frauen seit 100 Jahren das Wahlrecht, die Gleichstellung ist in den Menschenrechten verankert – welche Problemfelder sehen Sie trotzdem?
Irene Suchy: Die Ausstellung ist keine Ausstellung der Problemfelder oder der Ungleichheit, sondern wir zeigen, was es alles gibt und unter welchen Bedingungen das passiert.
Clarisse Maylunas: Im Konzertbetrieb ist heute sehr wenig weibliche Musik zu hören. Unser Ziel ist es, die qualitativ tolle Musik zu präsentieren, sodass sie sich im weiteren Konzertbetrieb verankert. Viele, denen man von dem Projekt erzählt, sagen: „Werke von Frauen gibt’s ja gar nicht“. Wenn man sich aber die Geschichte anschaut, erkennt man, dass es bereits im 17. Jahrhundert eine ganze Menge Hofkomponistinnen gab, die damals große Vertreterinnen der Komposition und in ihren Zeiten auch sehr anerkannt waren. Es ist uns ein Anliegen, das aufzuzeigen.
Irene Suchy: Wir können uns dabei auf Forschung, auf großartige Publikationen, auf Ensembles und Interpretierende stützen. Woran es hingegen fehlt, ist die Präsenz von Frauen im großen Konzertleben. Aber wir sind Anstifterinnen dazu!
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MusicaFemina