Die GESANGSKAPELLE HERMANN: Das ist mehrstimmiger Männergesang mit Dialekt-Texten, dargeboten von sechs Vokalisten (SIMON GRAMBERGER, SIMON GRAMBERGER, SIMON SCHARINGER, STEPHAN WOLMUTH, ROBERT POCKFUSS, BERNHARD HÖCHTEL, JOACHIM RIEGLER) aus Wien. Mit ihrem Oeuvre beweisen sie, dass Pop nicht zwangsläufig mit Hochsprache und Elektronik in Verbindung steht, Musik in jeden Kontext passen kann und dritte und erste Generation einander im Kulturbereich 2018 doch noch treffen können. Im Gespräch mit Julia Philomena erzählten BERNHARD HÖCHTEL und SIMON SCHARINGER vom Chor, mit dem einst alles begann, vom Alltag, der als musikalische Muse fungiert, und vom Theater als einem möglichen Umfeld, in dem sich die GESANGSKAPELLE zu Hause fühlt.
Bevor die Gesangskapelle Hermann 2012 entstand, hatte es den Linzer Jugendchor gegeben. Wurden Sie von den Eltern zum Singen verleitet? Oder war die Motivation schon damals, später eine eigene A-cappella-Boygroup gründen zu wollen?
Bernhard Höchtel: Beim Linzer Jugendchor – genauer beim oberösterreichischen Jugendchor, genannt Academy Singers – mitzumachen, hatte nichts mit unseren Eltern zu tun. Bekannte machten mich darauf aufmerksam, die wiederum von Bekannten aufmerksam gemacht worden sind, und so weiter. Wie das eben so ist. Gesungen habe ich immer gern. Mein musikalischer Fokus lag damals aber eindeutig auf dem Klavier beziehungsweise Synthesizer, auf dem Jazz und auf Ausflügen in die Popmusik. Die Entscheidung zur Gründung einer A-cappella-Boygroup war noch weniger die meiner Eltern. Das war nicht mal meine beziehungsweise unsere Entscheidung. Ich habe mich mal an ein paar Stücken für Männerchor probiert, ein paar Bekannte und Freunde gefragt, ob sie die mal ausprobieren wollen, und irgendwie sind wir dabei hängen geblieben. Dass wir mittlerweile ein bisschen mit dem Boygroup-Ding kokettieren, hat sich nach und nach ergeben. Den Stempel haben uns seinerzeit die OÖ Nachrichten aufgedrückt. Da steckt also kein Masterplan dahinter.
Was hat Sie kollektiv und künstlerisch an Volkstümlichkeit und Mundart angesprochen, zumal Sie mittlerweile alle vom Land nach Wien gezogen sind?
Bernhard Höchtel: Mittlerweile lebe ich in der Stadt. Aufgewachsen bin ich aber am Land – zugegebenermaßen eher im Speckgürtel. Da bekommt man sehr viel von beiden Welten mit und entwickelt eine gewisse Sensibilität für die Absurditäten, die jede dieser Welten mit sich bringt. So geht es den meisten von uns, weswegen wir uns eigentlich in beiden Welten sehr wohlfühlen. Manchmal schlägt eben das Pendel mehr in Richtung Landei und manchmal mehr in Richtung urbanen Hipster aus. Gesprochen habe ich immer im Dialekt, so denke ich auch und so kann ich mich definitiv am besten ausdrücken. Künstlerisch und vor allem musikalisch hat für mich der Dialekt eindeutig den besseren Sound.
Wie schaffen Sie es, zwischen Landei- und Hipster-Dasein als Chorist trotzdem stets zeitgemäß zu sein? Sind trendige Musikvideos, Social Media etc. ausschlaggebend für die Wahrnehmung?
Bernhard Höchtel: Die Frage hat sich für uns so nie gestellt. Für manche werden wir sowieso nie zeitgemäß sein, für andere wären wir es ohne trendy Videos bzw. Instagram-Auftritt auch. Da gibt es keine allgemein gültige Antwort, glaube ich. Wir wollen uns auch selbst keine Grenzen auferlegen und können sehr gut damit leben, dass einiges an uns im ersten Moment irritierend wirkt.
Die Nummer „Drawig“ (feat. Wiener Blond) ist sowohl visuell als auch akustisch sehr poppig, modern, hip. 11.597 Klicks auf YouTube. Das Wort „Drawig“ wird gleich am Beginn erklärt: „Drawig“ bedeutet im Oberösterreichischen so viel wie „es eilig haben“. Ein spielerischer Umgang? Oder eine ernst gemeinte Sorge um den Verlust der Muttersprache?
Bernhard Höchtel: Also Sorgen um unsere Muttersprache machen wir uns sicherlich nicht. Wir sehen uns auf keinen Fall als missionarische Mundart-Prediger. Dafür wären wir auch, glaube ich, viel zu inkonsequent. Wir mischen ja immer wieder diverse Dialekte, manchmal kommt auch Hochsprache dazu und hin und wieder ist sogar etwas Englisch dabei. Die Erklärung des Wortes „drawig“ hat sich allein deshalb ergeben, weil wir draufgekommen sind, dass das außerhalb von Oberösterreich niemand versteht.
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Auf Ihrem zweiten Album „Mei Goddnzweag & i“ wurden Texte des oberösterreichischen Schriftstellers Hans Kumpfmüller vertont. Auf dem aktuellen Album „Elegant“ dann wieder eigene Lyrics. Welches Kriterium müssen Ihre Texte erfüllen?
Bernhard Höchtel: Kriterien haben wir da eigentlich keine, glaube ich. Hans Kumpfmüller haben wir bei einem gemeinsamen Konzert in Ried im Innkreis kennen- und schätzen gelernt. Anlässlich dieses Auftritts gab es vom Veranstalter die Bitte, doch etwas gemeinsam zu machen. Hans hat uns also einen Text geschickt und ich habe ihn vertont. Das Ergebnis hat uns beiden sehr getaugt, weswegen wir einfach weitergemacht haben und irgendwann so viele Stücke beisammenhatten, dass wir beschlossen haben, ein ganzes Album zu machen. Während dieser Phase habe ich aber weiterhin selbst Texte geschrieben und so hatten wir relativ rasch wieder genügend Stücke für ein neues Album beisammen, auf dem mit „Mate-Tee“ endlich auch ein Stück von einem anderen „Hermann“ drauf ist.
„[…] wir versuchen, meist einen eher leichtfüßigen Ton anzuschlagen, um dem Inhalt etwas die Schwere zu nehmen und nicht allzu moralisch daherzukommen.“
Ist es notwendig, sich in Zeiten wie diesen – vielleicht gerade, wenn man sich einer gewissen Tradition verschreibt – politisch zu positionieren? Beziehungsweise wie viel Politik ist zu viel Politik? Würden Sie zum Beispiel Wahlveranstaltungen besingen?
Bernhard Höchtel: Also notwendig ist es meiner Meinung nach nicht, ich würde es von niemandem verlangen. Auf der anderen Seite fällt es mir beim Schreiben von Texten eher schwer, nicht politisch zu sein. Wir besingen ja nicht die Natur bzw. Luft und Liebe, sondern wir beziehen uns sehr stark auf das alltägliche Zusammenleben. Und das noch dazu in unterschiedlichen Milieus. Dabei nehmen wir von uns Beobachtetes bzw. sehr stark strapazierte Klischees und Rollenbilder aufs Korn. Auch unsere eigenen Lebenswelten werden immer wieder zum Thema gemacht. Und wir versuchen, meist einen eher leichtfüßigen Ton anzuschlagen, um dem Inhalt etwas die Schwere zu nehmen und nicht allzu moralisch daherzukommen. Parteipolitisch wollen wir uns aber nicht positionieren, geschweige denn auf Wahlveranstaltungen auftreten. Wenn wer will, kann er sich ja persönlich in einer Partei engagieren, warum man das als Band machen sollte, wüsste ich nicht. Im Falle unseres Auftritts für den Van-der-Bellen-Wahlkampf … das war eine Ausnahme. Hier wollten wir Stellung beziehen und haben auch die Form der Unterstützung, nämlich das gemeinsame Singen, als einen für uns sehr passenden und positiven aktivistischen Akt empfunden.
Die Gesangskapelle Hermann tritt im Wirtshaus, in der Kirche, im Theater, auf Festivals und neulich sogar im Wiener Musikverein auf. Reagieren Sie performativ oder inhaltlich auf Ihr Umfeld? Gibt es überhaupt einen Unterschied?
Bernhard Höchtel: Ich glaube nicht, dass es hier generell große Unterschiede bezüglich unserer Planung der Performance gibt. Unser Set-up ist immer dasselbe. Wir stehen im Halbkreis mit Mikros auf der Bühne und singen. Das Publikum unterscheidet sich je nach Auftrittsort sehr wohl, was sich wiederum auf die Stimmung im Saal und damit letztlich wieder auf unsere Performance auswirkt, da wir meist versuchen, eine sehr direkte Verbindung zum Publikum herzustellen. Es ist alles etwas komplexer, als man im ersten Moment denkt.
Wie würden Sie beispielsweise den Auftritt im Musikverein mit dem Auftritt im Café Weidinger vergleichen?
Bernhard Höchtel: Der Auftritt im Café Weidinger war für uns eine sehr willkommene und angenehme Abwechslung. Wir waren ja eigentlich nur bei einigen Nummern als Backgroundchor von Musser & Schwamberger dabei. Da mussten wir eigentlich nur ein bisserl mitsingen und hatten deshalb viel weniger Verantwortung als bei unseren normalen Konzerten. Das wäre eigentlich schon der wichtigste Unterschied. Der Musikverein war wirklich super. Tolles Publikum, super Sound. Gerne wieder.
Momentan ist die Gesangskapelle auch in Wolfgang Bauers Stück „Der Rüssel“ am Wiener Burgtheater zu erleben. Laut Pressetext ein „Volksstück“ auf Koks, eine völlig überdrehte Kreuzung aus Ganghofer mit Buñuel. Wie kann man sich den Probenprozess und die Annäherung an das Stück vorstellen? Welche Regieanweisungen waren wichtig für Sie?
Simon Scharinger: Ja, das Burgtheater. Das war beziehungsweise ist immer noch eine wirklich spannende Sache für uns. Angefangen hat die ganze Annäherung – um ein wenig vorzugreifen – im Raucherkammerl des Café Heumarkt. Dort haben wir uns nämlich im Mai 2016 für ein Konzert am Abend eingesungen und zufälligerweise saß der Regisseur Christian Stückl als einzig anderer im Raum, hat seinen Kaffee getrunken und uns ein wenig belauscht. Nach einem kurzen Gespräch steckte er uns seine Visitenkarte zu und meinte, dass er gerne mal etwas mit uns machen würde. Wir haben dann fast zwei Jahre lang nichts von ihm gehört, bis uns recht knapp vor Probenbeginn ein Anruf erreichte, dass es jetzt so weit ist und ob wir mit von der Partie sein wollen.
Relativ schnell war klar, dass wir das nicht unversucht lassen, und so hat der Spaß begonnen. Wir haben uns vorab immer wieder mit dem musikalischen Leiter Tom Wörndl getroffen, haben Liedgut diskutiert, ausgewählt, geprobt, verworfen, neu ausgewählt, neu geprobt – und waren dann überraschend bald und äußerst intensiv in die Proben mit Christian und den Schauspielerinnen und Schauspielern involviert. Uns wurden in dem gesamten Prozess viele Freiheiten zuteil, auf unsere Ideen und Angebote wurde aufmerksam eingegangen, man konnte frei von der Leber mitdiskutieren, was uns – angetan vom herrlich absurden Text des Wolfgang Bauer – nicht sonderlich schwerfiel. Was die Regieanweisungen an die Gesangskapelle betrifft, nur so viel: Als Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele ist Stückl den Umgang mit Gruppen von Theater-Laien gewohnt, uns Hermännern die passenden Instruktionen zu geben war ihm also ein Leichtes.
Unter welcher Prämisse wurden die einzelnen Lieder ausgewählt?
Simon Scharinger: Nun ja, der Idee des Stücks folgend – das Fremde, im konkreten Fall Afrika, bricht in die heile Welt eines österreichischen Bauerndorfes ein – ging es bei der Liedsuche zum großen Teil darum, stereotype musikalische Stellvertreter für beide Welten zu finden und diese gegeneinander auszuspielen, aber vielleicht auch eine Verknüpfung beider zuzulassen. Wir haben uns so mit den unterschiedlichen Volksmusiken beschäftigt – vielleicht eher mit Ideen von Volksmusiken – und dann einen Weg gesucht, damit umzugehen, und uns diese dann einverleibt. Aber nicht nur Volksmusik, auch romantisches Liedgut und Schlagermusik haben ihren Weg in diese Produktion gefunden.
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„Der Gedanke, etwas mit Theater am Hut zu haben, hat es uns tatsächlich sehr angetan.“
Fühlen Sie sich in dem Stück und generell am Theater gut aufgehoben?
Simon Scharinger: Ich spreche für die ganze Gruppe, denke ich, wenn ich diese Frage mit einem klaren Ja beantworte. Beim „Rüssel“ war nicht nur die Probenarbeit mit der Person Christian Stückl anregend und schön, gerade auch das riesige Ensemble – und das kommt vor allem jetzt bei den Aufführungen zum Tragen – hat uns so unbeschreiblich herzlich auf- und angenommen, dass es eine einzige Freude war. Jedes Mal, wenn unsere Inspizientin, die Gabi, das erste Zeichen durch die Sprechanlage gibt oder unsere Gesangskapellen-Auftritte durchsagt, führen wir in unserer Garderobe kleine Freudentänze auf. Insgeheim hoffen wir natürlich, dass durch dieses Projekt weitere in dieser Richtung angestoßen werden. Der Gedanke, etwas mit Theater am Hut zu haben, hat es uns tatsächlich sehr angetan.
Wie wird es jetzt weitergehen?
Simon Scharinger: Dieses Jahr war irre aufregend für uns, das bleibt auch den Rest des Jahres so. Wir haben, wie gesagt, im Musikverein singen dürfen, uns mit Bobby McFerrin die Bühne geteilt, das Akademietheater bespielt, das ist alles schon recht verrückt. Im Frühjahr, aber vor allem wieder im Herbst gibt es noch einige Konzerte zu bestreiten und dann zielen unsere Gedanken bereits wieder in Richtung eines neuen Albums. Man darf also gespannt sein, wir sind es jedenfalls.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Julia Philomena
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