„WIR MÜSSEN NICHT JEDEN ZWEITEN TAG DAS GLEICHE PRODUZIEREN“ – ENSEMBLE NAMES IM MICA-INTERVIEW

Diese Band könnte viele Kacheln füllen – drei davon ploppen auf – Laptopkameragesichtszüge, dann, die übliche Vergewisserung: Ja, wir können uns alle hören. Und, Moment, jetzt auch sehen. Das ist gut, denn ANNA LINDENBAUM und MARCO DÖTTLINGER und MARCO SALA haben etwas zu erzählen. Sie sind Teil des zeitgenössischen Ensembles NAMES aus Salzburg und Preisträger:innen des Ernst-von-Siemens-Musikpreises. Eigentlich, sagen sie, seien sie auch eine Band. Also, natürlich: zuerst Ensemble, aber doch mit Band-Charakter, klar. Was hinter dieser Ensemble-Bande steckt, mag man erhören. Gelegenheit dafür bietet die neunte Ausgabe des impuls Festivals Graz im Februar 2025.

Hinter NAMES stehen seit über zehn Jahren neun freie Musiker:innen. Klärt mich auf: Wie funktioniert so ein Ensemble?

Marco Döttlinger: Wir haben alle am Mozarteum in Salzburg studiert und uns dort kennengelernt. Ich war zwar nicht von Anfang an bei NAMES dabei, kam aber ab dem zweiten Konzert dazu – als Elektroniker, der sich um alles Technische, die Mischungen und den Klang kümmert. Wichtig ist, NAMES hat keine künstlerische Leitung, das heißt: Alle bringen ihre Ideen ein. 

Wie soll man dazu sagen, basisdemokratisch klingt … falsch, oder?

Anna Lindenbaum: Nein, das ist die Idee. Natürlich funktioniert es nicht immer, Praxis ist anders als Theorie. Aber die Idee von NAMES ist, dass alle gleichwertig mitreden sollen.

Das setzt auch voraus, dass man sich aushält – NAMES existiert seit über zehn Jahren, ihr spielt immer noch zusammen. 

Anna Lindenbaum: Ja, NAMES soll also nicht nur ein Name sein, unter dem immer andere Leute spielen. NAMES verfolgt eine Band-Idee. Wir versuchen also, für uns Programme zu gestalten, Stücke zu finden und Aufträge zu vergeben. Um eben das gemeinsame Zusammenspiel zu pflegen.

Marco Sala: Das ist nicht immer leicht umzusetzen. Man muss eine Dynamik aushalten und halten können. Vor allem bei großen Entscheidungen zählen alle Meinungen. Der Konsens zählt. Das unterscheidet uns in der Herangehensweise von anderen Ensembles.

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Anna Lindenbaum: In fast elf Jahren hat sich deshalb auch ein gemeinsamer Geschmack entwickelt. Am Anfang war der angesprochene Konsens nämlich oft schwieriger zu finden. Inzwischen decken sich unsere Entscheidungen intuitiv immer stärker. 

Marco Döttlinger: Dazu kommt, dass wir uns alle verstehen – wir können gut über Dinge sprechen. Das ist natürlich auch: eine quantitative Frage. Je mehr Leute bei einem Projekt dabei sind, desto unmöglicher wird die demokratische Entscheidungsfindung. Unsere Größe – zehn Personen – ist ein guter Rahmen, der diese Findung zulässt. So können unterschiedliche Positionen existieren, die wir gegenseitig zulassen, und die jeweils diese Plattform NAMES stärken.

Anna Lindenbaum: Genau. Dadurch, dass niemand von oben herab entscheidet, entsteht ein gemeinschaftliches Verantwortungsgefühl. Eines, das sich abseits der Bühne auswirkt, aber gerade auch auf der Bühne eine große Energie freisetzt. 

Marco Döttlinger: Wir arbeiten mit Freunden. Das mag exklusiv und ausschließend erscheinen, hält gleichzeitig aber eine große Qualität in sich. Außerdem führt diese Qualität dazu, dass es bei NAMES nicht um Quantität gehen muss. Wir nützen uns nicht ab, weil alle neben NAMES in mindestens zwei anderen Projekten involviert sind.

„WIR HABEN KRITERIEN, INZWISCHEN TRAUEN WIR UNS AUCH STÄRKER ALS FRÜHER, SIE OFFEN ZU KOMMUNIZIEREN.“

Marco Sala: Das ist wichtig, denn: Die meisten Projekte, die wir machen, funktionieren nur in jener Größe, die wir haben. Wir limitieren uns also, setzen uns bewusst eigene Grenzen.

Anna Lindenbaum: Ich könnte auch nicht jede Woche ein NAMES-Projekt spielen. Ich muss allerdings auch nicht. 

Marco Sala: Genau, es gibt kein Gefühl des Müssens. Das passiert inzwischen automatisch. Niemand muss sagen, dass es zu viel ist, weil wir genau wissen, wie viel richtig ist.

Anna Lindenbaum: Was auch damit zusammenhängt, dass wir nicht allen Projekten zusagen müssen, die wir bekommen. Wir haben Kriterien. Inzwischen trauen wir uns auch stärker als früher, sie offen zu kommunizieren.

Ensemble NAMES
Ensemble NAMES (c) Bernhard Mueller

Marco Döttlinger: Bevor das falsch rüberkommt – wir sind uns über die Zwänge des freiberuflichen Kunstmachens im Kapitalismus natürlich bewusst –, will ich es viel lieber positiv formulieren. Mittels dieser Kriterien können wir auch riskieren. Und müssen nicht jeden zweiten Tag das immer Gleiche produzieren.

Ihr habt 2023 den Ensemble-Preis der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung bekommen. Inwiefern helfen 75.000 Euro Preisgeld bei solchen Entscheidungen?

Marco Döttlinger: Der Preis kam zu einem idealen Zeitpunkt für NAMES. Allerdings können wir uns von diesem Preis keine Gartenhäuser kaufen. Es ist eine Strukturförderung, das heißt: Wir dürfen mit dem Geld nur bestimmte Dinge wie unsere Infrastruktur bezahlen. Also Unterstützung in der Kommunikation, ein Raum, in dem wir arbeiten, das Instrumentarium … 

Anna Lindenbaum: Eine neue Homepage. 

Marco Döttlinger: Ja, in dieser Hinsicht hilft der Preis enorm. Man darf aber nicht vergessen, wie schnell so ein Betrag aufgebraucht ist.

Marco Sala: Wenn man ein Vibrafon kaufen will, wäre ein Teil dieses Geldes wieder weg.

Marco Döttlinger: Wir legen noch ein paar Mikrofone dazu und eine Bassdrum, dann bliebe nichts mehr übrig.

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Anna Lindenbaum: Gleichzeitig darf man mit dem Preis keine Kompositionsaufträge vergeben oder Konzerte planen – es soll also sichergestellt werden, dass der Preis nachhaltig fördert. 

Wäre ein nachhaltiger Ensemblebetrieb ohne diese Förderung für NAMES möglich?

Marco Döttlinger: Schon. Bis zum Zeitpunkt des Preises war es ja auch so – mit gewissen Kompromissen, natürlich. Und dem Vorteil, dass ich am Mozarteum arbeite und leichter an Equipment komme als viele andere. 

Anna Lindenbaum: Trotzdem hängt unsere Autarkie mit dem Preis zusammen.

Marco Döttlinger: Natürlich, außerdem will man irgendwann aus der Academia heraus, oder zu anderen Konditionen arbeiten. Da hilft dieser Preis ungemein.

Ist der Sprung aus der Academia gelungen?

Marco Sala: Ich sehe das nicht nur schwarz-weiß. Die Unterstützung des Mozarteums war auch eine Kooperation: Wir haben Konzerte im Rahmen der Abschlussprüfungen von Komponist:innen gespielt. Das war eine Zeitlang wichtig. Mit dem Preis konnten wir uns aber weiterentwickeln. Das Mozarteum verbindet uns weiterhin – nur anders als zur Zeit unseres Studiums.

Marco Döttlinger: Ich habe das gar nicht schwarz-weiß gemeint, Marco. Mir ging es eher darum zu sagen, dass wir einen Sprung gemacht haben, als Ensemble, das nicht mehr als Mozarteum-Ensemble angesehen wird, sondern: als freies Ensemble, das Projekte mit Institutionen umsetzt.

Im Rahmen des kommenden impuls Festivals Graz spielt ihr mehrere Stücke …

Marco Sala: Von [Clara] Iannotta, [Rojin] Sharafi, [Thomas] Grill und [Marco] Döttlinger

Ja, also auch Stücke von, ich sage mal, fachfremderen Richtungen der zeitgenössischen Komposition. 

Anna Lindenbaum: Auf jeden Fall. Wir kooperieren gerne mit anderen Kunstrichtungen. Gerade haben wir mit Peter Kutin, sicher kein klassischer zeitgenössischer Komponist, ein Projekt umgesetzt. Dabei ging es um die Beziehung von Musik und Licht. Besonders spannend ist auch die Arbeit an Musik mit Menschen, die keinen ausschließlichen Musikhintergrund haben.  

„ES STÄRKT DEN BAND-CHARAKTER.“

Marco Döttlinger: Bei jedem der Projekte ist aber der Klang, also Sound, eine wichtige Komponente. Die angesprochenen Kolleg:innen sind dahingehend allesamt Expert:innen. Man muss sich nur von diesem Fetisch der Notation befreien – es ist kein Qualitätskriterium, wie gut Noten notiert sind, sofern der Klang interessant ist. Diese Verbindung interessiert uns.

Marco Sala: Deshalb arbeiten wir mit Klangkünstler:innen, die keine notierte Partitur schreiben.

Marco Döttlinger: Es ist eine Bereicherung, diese Erweiterung dieser kleinen Nische, die zeitgenössische Musik ist. Für alle Beteiligten, in alle Richtungen. 

Anna Lindenbaum: Und auch für uns als Gruppe. Wenn wir eine grafische Partitur bekommen oder Klänge suchen, setzt das interpretatorische Verantwortung voraus. Es stärkt damit den Band-Charakter. Und das ist NAMES ja auch, eine Band.

Links:
Ensemble NAMES (Homepage)
NAMES (Facebook)
NAMES (Instagram)
NAMES (YouTube)
impuls Festival Graz