„WIR MÜSSEN IM GESPRÄCH BLEIBEN“ – Bericht über das Netzwerktreffen zu genderbezogenen Problemlagen

Am 19. Oktober 2023 lud mica – music austria zu einem Netzwerktreffen zu genderbezogenen Themen in der Musikszene ein. In vier Stunden wurden dabei siebzehn Initiativen mit (queer-)feministischen Anliegen vorgestellt, sowie über weitere Maßnahmen gegen strukturelle Diskriminierungen von FLINTA*-Personen in der Musikbranche diskutiert. Der Handlungsbedarf ist groß, doch das Empowerment stärker. Ania Gleich liefert einen Überblick über den Vormittag im Depot. 

Donnerstagmorgen, neun Uhr Früh im Wiener Depot: Kaffee fließt in rauen Mengen, während sich die Ankommenden einen Platz suchen und dort und da ein erfreutes „Schön, dich wiederzusehen!“ zu hören ist. Die Stimmung verläuft sich schnell in einem Gefühl von alter Bekanntschaft, auch wenn sich viele der Anwesenden hier zum ersten Mal begegnen. Siebzehn Initiativen mit (queer-)feministischen Anliegen haben sich heute zum von mica – music austria organisierten Netzwerktreffen zu genderbezogenen Themen in der Musikszene versammelt. Und während es immer noch großen Handlungsbedarf gibt, den FLINTA*-Anteil in einschlägigen Statistiken zu vergrößern, ist man doch überrascht, wie viel Angebot es im österreichischen Initiativen-Pool schon gibt, das sich für die Überwindung und Durchbrechung der patriarchalen Grundgerüste in der Musikbranche einsetzt. In den Pausen wird dabei ersichtlich, was FLINTA*-Vernetzung bedeuten kann: Niemand kennt das „bessere“ Argument, keiner fällt dem anderen ins Wort und alle wissen, dass strukturelle Diskriminierung nur durchkreuzt werden kann, wenn wir zusammen an einem Strang ziehen. In unter zwei Stunden stellen sich die siebzehn Alternativen vor, danach gibt es Zeit für Diskussion und Vernetzung, denn wie Moderatorin Constanze Wimmer richtig sagt: „Wir müssen im Gespräch bleiben.“ 

„KEEP IT SIMPLE“

Den Start macht Dilan Sengül mit dem Kunstsparten übergreifenden Projekt D/Arts, das Initiativen setzt, um einer paternalistischen Betrachtungsweise auf marginalisierte Gruppen entgegenzuwirken. Mit dem 2021 divers aufgestellten Projektbüro veranstalten sie Diskussionen, Konferenzen, Workshops, Fortbildungen oder Kunstproduktionen für eine vielfältige Gesellschaft. Music Women Austria auf der anderen Seite haben sich zu einer sehr direkten Mission verschrieben: „Keep it Simple“, sagt Sarah Fürlinger und erzählt, wie sie 2016 aus Mangel an Netzwerktreffen unter Musikerinnen die Organisation ins Leben gerufen hat und so als Stütze gegen Selbstausbeutung fungieren will. Christina Kerschner erzählt wiederum, dass Click Collective aus der Not der Covid19-Pandemie heraus entwickelt wurde: Aufgrund der Kontaktreduzierung bot die Plattform eine Möglichkeit, dass Musiker:innen, egal welcher Reichweite, sich online austauschen konnten. Der Fokus liegt dabei auf Songwriting und Producing, wozu auch bis heute Online-Masterclasses angeboten werden. Die Konzertreihe Fem*Friday von Kulturen in Bewegung stellt Maria Herold vor. Das intersektionale queerfeministische Projekt wurde ursprünglich als Konzertreihe zum Austausch mit lokalen Artists konzipiert. Später folgten Workshops, Performances und Netzwerktreffen.

DIE MINDERHEIT

Karoline Droschl-Pieringer vom Kulturverein Grrrls in Graz wollte sich 2010 zunächst dafür einsetzen, mehr Frauen als Männer auf die Bühnen des Undergrounds zu stellen. Doch was vor dreizehn Jahren noch ausschließlich ein Kampf für Frauen war, wurde jetzt auf FLINTA*-Personen ausgeweitet. Seit zwei Jahren veranstalten sie dazu das zwei- bis dreitägige Sterrrn-Festival, die nächste Ausgabe ist von 21.–23. Juni 2024 geplant. Der Verein kuratiert bei Radio Helsinki zwei Radiosendungen, bei denen es vorrangig darum geht, vier bis fünf Stunden unmoderiertes Musikprogramm von FLINTA*-Personen zu spielen, darüber hinaus veranstaltet er die Grrrls Jams, betreibt den Grrrls Chor, veröffentlicht Aufnahmen und die Grrrls DJ Crew gibt Workshops für Rookies. Die Musikfrauentreffen werden von Christina Sanoll koordiniert. Dieses ganz analoge Format ist im Grunde ein informelles Netzwerk von Musikagentinnen und Veranstalterinnen, das sich dreimal im Jahr zum gegenseitigen Austausch trifft. Der Hintergrund davon ist, dass Agentinnen oft One-Woman-Agenturen sind, für die es speziell schwierig ist, Verbündetein ihrem Business zu finden. Ähnlich ist es bei den Sisters of Music: Karin Tonsern und Romana Spitzbart-Kleewein verstehen sich als Dienstleisterinnen, ihre Expertise ist die Veranstaltungstechnik. Mit ihrer Plattform wollen sie Frauen in technischen Berufen unterstützen und diese „Minderheit der Minderheit“ aufs Podest heben. Für Berufseinsteigerinnen organisieren sie dafür etwa regelmäßige Netzwerktreffen und bieten einen Pool an Technikerinnen auf ihrer Website an. 2023 veranstalteten sie erstmals das Sisters-Festival. Zuletzt kam kurz vor der ersten Pause des Vormittags noch Waltraud Grausgruber vom Animationsfilmfestival Tricky Women / Tricky Realities zu Wort. Seit 2001 sorgt sie mit dem Festival für die Sichtbarmachung von Animationsfilmen von Frauen und genderqueeren Künstler:innen, sowie Filmmusiker:innen. Im Rahmen einer Festivalausgabe werden dabei 160 bis 180 Kurzfilme gezeigt sowie zahlreiche Workshops veranstaltet. Die nächste Ausgabe ist vom 4. bis 10. März 2024 angesetzt.

„WIR SIND NUR DANN VORHANDEN, WENN WIR UNS STARK MACHEN!“

Nachdem die Kaffeetassen aufgefüllt wurden, geht es mit Mia Zabelka und dem Festival phonofemme weiter, das ursprünglich aus dem Wunsch heraus entstanden ist, die Sichtbarkeit von Frauen in der Klangkunst und experimentellen Musik-Szene zu stärken, denn: „Wir sind nur dann vorhanden, wenn wir uns starkmachen.“ Nachdem das Festival in Wien im Jahr 2009 begründet wurde, ist die Präsenz von Frauen in diesen Sparten viel stärker geworden. Einen ähnlichen, wenn auch Genre-spezifisch ganz unterschiedlichen Beweggrund hatten die Frauen hinter Beatzarilla, einem Label von FLINTA*-Personen für FLINTA*-Personen. Das selbst geleitete Label, das 2018 unter anderen von Nina Braith gegründet wurde, fokussiert sich dabei auf Musik in den Bereichen elektronische Musik, Rap und Hip-Hop. Die Plattform Frau*feld widmet sich der Sichtbarmachung und Vernetzung unter Instrumentalistinnen in den Feldern progressiver Improvisation und Komposition. Die 2017 von Sara Zlanabitnig und Verena Zeiner gegründete Initiative, die ihr musikalisches Spektrum von Jazz und freier Improvisation bis hin zu elektronischer Musik spannt, legte in den ersten 5 Jahren ihr Hauptaugenmerk auf die Produktion von CDs.. Zurzeit organisiert sie die diskursive Veranstaltungsreihe „Nachhall im Frau*feld“ im echoraum, die in Anlehnung an die barocke Akademie konzipiert wurde. Der vierte und letzte Termin 2023 findet am 12. Dezember statt. Am „Virtual Kitchen Table“, der von Elisabeth Harnik und Pia Palme versammelt wird, können sich Komponistinnen virtuell treffen und bilden ein informelles Netzwerk zur gegenseitigen Stärkung. Im Fokus liegen dabei zeitgenössische Musik und Composer/Performer, denn: „Frauen sprengen herkömmliche Genrebilder, weil ihnen eh nichts anderes übrigbleibt.“

„WIR BRAUCHEN KEINE MÄNNER HINTERM DJ-PULT, DIE UNS MANSPLAINEN“

Den  Start in die letzte Runde an Vorstellungen machten Sylvia Haase aka Penny Fox und Maria aka Mareia von Donna Decks, einem DJ-Netzwerk für FLINTAS*. Sie fanden sich Anfang 2022 aus der Notlage heraus zusammen, dass es immer noch einen Mangel an FLINTA*-DJs gibt. Um dem Faktum entgegenzuwirken, dass Frauen, die auflegen wollen, meist mit Mansplaining konfrontiert sind, konzipierten sie eine Workshop-Reihe, die in extrem kurzer Zeit eine riesige Nachfrage erlangte. Inzwischen machen sie schon die vierte Auflage davon und erfreuen sich immer weiterwachsender Beliebtheit. Und weil der Fokus gerade so gut auf elektronischer Musik lag, reiht sich auch Christina Nemec’ Präsentation von Female:Pressure in den Kreis ein. Dieses wurde von Electric Indigo (aka Susanne Kirchmayr) ins Leben gerufen und präsentiert sich als eine riesige Datenbank und Netzwerk von DJs und Produzentinnen. Das seit 1998 wachsende Verzeichnis enthält inzwischen mehrere tausend nationale und internationale Einträge. Eva und Claudia sind mit ihrem queer-feministischen Festival Queerzilla noch ganz jung unterwegs. 2021 gegründet, schaffen sie damit ein Festival (mit vielen unterschiedlichen Workshops und Konzerten) von und für FLINTA*-Personen und setzen auf Diversität und faire Entlohnung. Zum Schluss kamen noch zwei Organisationen zu Wort, die einen breiteren Zugang zur Situation von Künstler:innen allgemein haben. Zunächst stellte dafür Sabine Reiter die vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS) geförderte Vertrauensstelle vera* vor, die sich spezifisch mit Fragen der sexuellen Belästigung und Gewalt sowie des strukturellen Missbrauchs im Kunst-, Kultur- und Sportbereich befasst. Anschließend präsentierten Barbara Stilke, Annemarie Reisinger-Treiber und Bettina Ruprechter ihren im August 2023 gegründeten Verein MuFA (Musik für Alle), der sich in einer übergeordneten Struktur dafür einsetzt, Frauen und andere unterrepräsentierte Gruppen sichtbar zu machen, zu unterstützen, ihre Karrieren voranzutreiben und eine gleichberechtigte Teilhabe am musikalischen Schaffen zu ermöglichen.

„WENN IHR SO WEITER MACHT, WIRD SICH POLITISCH NICHTS ÄNDERN“

Bevor im zweiten Teil der Veranstaltung darüber diskutiert wurde, was die nächsten Schritte in einem Folgetreffen ausmachen könnten, stellte Sabine Reiter (i.V. von Amina Handke) den Verein FC Gloria vor. Das Frauen*-Film-Netzwerk fungiert als Vorbild dafür, wie man erfolgreich politisch arbeitet. Die 2010 gegründete Initiative hatte als konkretes Ziel, den Anteil von Frauen in der Filmförderung, sowie den Anteil in den Fördersummen zu erhöhen. In einem gezielten Dialog mit Politik und Verwaltung haben sie schlussendlich ihr Ziel erreicht. Daneben gibt es jetzt regelmäßige Genderreports sowie Gender-Incentives als Prämien. Mit diesem Input bestärkt, wurden alle Anwesenden dazu angeregt zu überlegen, was bei einem nächsten Treffen wichtig wäre zu konkretisieren. Es kristallisierte sich dabei schnell heraus, dass politische Lobby-Arbeit notwendig ist, um auch in der Musikbranche, die großen Ziele wie gendergerechtere Förderungen zu erfüllen. Der Wunsch nach einer Art Dachverband (wie FC Gloria) wurde laut, der diese verschiedenen Interessen politisch und amtlich vertritt. Denn auch wenn informell schon viel Vernetzung stattfindet, durchbricht das nicht die strukturellen Schieflagen. Constanze Wimmer berichtet dazu auch aus ihrem Feld, der Kulturvermittlung, das zwar lange schon bundesländerübergreifend gut vernetzt war, aber das alleine politisch nichts verbesserte: „Wenn ihr so weiter macht, wird sich politisch nichts verändern!“ Dass Einzelkämpfer:innen sich die Hand reichen, helfe auf Dauer nicht.

Es gilt, patriarchale Machtgefälle aufzubrechen, Machtmissbrauch aufzudecken, Arbeitsstrategien für eine Neuverteilung von Fördertöpfen zu erlangen und politische Lobbyarbeit zu betreiben. Das sind keine kleinen Aufgaben, und sie können nur im Kollektiv erreicht werden. Sabine Reiter spricht also einen Call to Action aus und hält die Anwesenden dazu an, gemeinsam zu überlegen, was man gemeinsam möchte. Man darf also gespannt bleiben, was sich bis zu einem nächsten Netzwerktreffen an Strategien entwickelt und an neuen Verknüpfungen ergibt, denn: „Es gibt viele Schnittstellen zwischen uns allen.“

Links:

Beatzarilla (label@beatzarilla.com)
Beatzarilla (Instagram)

Click Collective (Instagram)

D/Arts (office@d-arts.at)

Donna Decks (penny@worldtrash.org)
Donna Decks (Instagram)

FC Gloria

Female:Pressure (info@femalepressure.net)
Female:Pressure Network
Female:Pressure (Facebook)
Female:Pressure (Instagram)
Female:Pressure (SoundCloud)

Frau*feld (office@fraufeld.at)

Grrrls Kulturverein (grrrls@grrrls.at)
Grrrls Kulturverein (Facebook)
Grrrls Kulturverein (Instagram)
Grrrls Kulturverein (YouTube)
Grrrls Newlsetter

Kulturen in Bewegung (kultureninbewegung@vidc.org)
Kulturen in Bewegung / Fem*Friday (Instagram)

MuFA /Musik für Alle (kontakt@mufa.jetzt)
MuFA /Musik für Alle (Facebook)
MuFA /Musik für Alle (Instsagram)

Music Women Austria (musicwomenaustria@gmail.com)
Music Women Austria (Facebook)
Music Women Austria (Instagram)

Musikfrauentreffen
Christina Sanoll (info@divertedmusic.at)

phonofemme (mia.zabelka@aon.at)
phonofemme (Facebook)
Mia Zabelka (Instagram)

Queerzilla (programm@queerzilla.org)
Queerzilla (Instagram)

Sisters of Music (karin@sistersofmusic.com)
Sisters of Music (Facebook)
Sisters of Music (Instagram)

Tricky Women/Tricky Realities (w.grausgruber@trickywomen.at)
Tricky Women/Tricky Realities (Facebook)
Tricky Women/Tricky Realities (Instagram)

vera* Vertrauensstelle

Virtual Kitchen Table
Dr. Pia Palme (office@piapalme.at)

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