„Wir müssen die Wunden eingestehen, um sie heilen zu können” – REN ALDRIDGE (PETROL GIRLS) im mica-Interview

Die PETROL GIRLS sind wütend, aber diese Wut ist nicht chaotisch, sondern spitz auf die Probleme der Gesellschaft gerichtet. Mit ihrer harten Musik und ihren kritischen Lyrics spricht die Band rund um Sängerin REN ALDRIDGE Themen wie Feminismus und Antikapitalismus an. Noch heuer wird ihr neues Album veröffentlicht. Anne-Marie Darok sprach mit der Sängerin über sichere Räume, in denen sich Menschen austoben können, ihre musikalischen Vorbilder und ihren Wunsch, den Kapitalismus zu beenden.

Wie sind Sie als Petrol Girls zusammengekommen – zumal die Bandmitglieder aus ganz Europa stammen?

Ren Aldridge: Joe [Joe York; Anm.] und ich sind zusammen aufgewachsen. Dann haben wir Liepa [Liepa Kuraitė, Anm.] an der Universität getroffen. Zock lernten wir durch Freunde in der Londoner Punkszene kennen. Wir begannen in London, haben die Stadt aber verlassen, weil es zu teuer war, dort zu wohnen, und außerdem ist die Lebensqualität schrecklich.

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Und wo ist Ihre Basis als Band – in Österreich oder England?

Ren Aldridge: Unsere Basis ist jetzt in Österreich, und zwar in Wien und Graz.

Was ist der größte Unterschied zwischen dem österreichischen und dem internationalen Musik-Business?

Ren Aldridge: Ich denke, Österreich fühlt sich einfach viel kleiner und freundlicher an!

„Ich habe einfach beschlossen, mir selbst zu erlauben auszudrücken, wie verletzt ich von Frauen wurde, die ich als meine Schwestern betrachtete.“

Petrol Girls (c) Martyna Wisniewska

Im Song „Sister” singen und sprechen Sie darüber, wie enttäuscht Frauen von anderen Frauen sind, weil diese falsch sind. In unserer westlichen Gesellschaft gibt es zwei „Trends“: Auf der einen Seite gibt es diese starke Schwesternschaft und auf der anderen Seite gibt es Frauen, die einander vor weiblichen Kollegen warnen, weil diese ihnen in den Rücken fallen würden. Wie kommt es, dass Frauen einander nicht trauen – vor allem am Arbeitsplatz? Wie kann man das bekämpfen?

Ren Aldridge: Was ich in „Sister” ausdrücken wollte, ist, dass sich Schwesternschaft nicht immer so entwickelt, wie wir das wollen. Es hat nichts damit zu tun, jemanden der Falschheit zu beschuldigen. Ich habe einfach beschlossen, mir selbst zu erlauben auszudrücken, wie verletzt ich von Frauen wurde, die ich als meine Schwestern betrachtete: „I have been kicked in the gut by women who took a leg up, then refused to lend a hand, who ignored and spat down on their sisters.“ In der Musik hören wir viel von romantischer Liebe und es ist okay, Songs über gebrochene Herzen zu schreiben, aber ich wurde niemals so sehr verletzt wie von Freundinnen, die mich verraten haben.

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Wir sind eine feministische Band und damit einher geht manchmal der Druck, sich so zu verhalten, als ob die Schwesternschaft vollkommen makellos und perfekt wäre – aber das ist nicht wahr und ist es schädlich, das nach außen zu vermitteln. Wir verletzen einander. Wir machen Fehler. Wir werden wütend. Wir müssen die Wunden eingestehen, um sie heilen zu können. Wir müssen uns mit der Realität auseinandersetzen, wie schwer es sein kann, solidarische Freundschaften zwischen Frauen unter einem Patriachat, das uns ständig gegeneinander ausspielt, zu pflegen. Eines der größten Dinge, die mich der Feminismus gelehrt hat, ist, wie wichtig es ist, unsere Fehler anzuerkennen – das ist die Geschichte des Feminismus. Die aktuelle Welle des Feminismus arbeitet an der Intersektionalität, also daran, sicherzustellen, das Feminismus farbige Menschen, Transsexuelle, Menschen mit Behinderungen und Gruppen, die auf verschiedene Weise unterdrückt werden, einschließt.

Es ist interessant, dass Sie den Arbeitsplatz zur Sprache brachten, da es der Kapitalismus ist, der die Bedingungen dafür schafft, dass alle, insbesondere die Minderheiten, gegeneinander kämpfen müssen. Meine ideale Antwort ist, dass wir den Kapitalismus beenden müssen! Aber auf einer mehr alltäglichen Basis denke ich einfach, dass wir versuchen müssen, einander in jeder erdenklichen Weise zu unterstützen. Und falls wir von jemanden verletzt werden, müssen wir das ansprechen. Und falls wir jemanden verletzen, müssen wir versuchen zu verstehen, warum das so ist und wie wir das richten können.

In Österreich gibt es bereits einige Bands, die sich am Girls Rock Camp formiert haben. Ich habe mit einigen von ihnen gesprochen und sie haben mir fast immer gesagt, dass vor dem Camp niemals versucht hätten, traditionell männliche Instrumente zu spielen. Erst am Girls Rock Camp hätten sie sich für mehr als nur für die Rolle der Sängerin geöffnet. Wie kann man Männer und Jungs in dieses Gespräch inkludieren? Oder soll es rein weibliche Räume geben?

Ren Aldridge: Das Girls Rock Camp ist fantastisch! Ich denke, es ist sehr wichtig, dass es Räume für Frauen, Mädchen, nicht binäre und transsexuelle Menschen gibt, damit sie ins Musikmachen hineinschnuppern können, ohne dass Männer im Räum sind. Wie werden auf verschiedene Weise erzogen und diejenigen von uns, die keine Männer sind, werden eher nicht auf dieselbe Weise ermutigt, sich auf Instrumente wie Gitarre und Schlagzeug zu verlegen.

Darüber hinaus haben Frauen, Mädchen, nicht binäre und transsexuelle Menschen statistisch gesehen Belästigung oder sexuelle Gewalt von Männern erlebt, also ist es auch schön, Räume weg von dieser Dynamik zu schaffen.

Petrol Girls (c) Isha Shah Photography

„Es ist einfach sehr enttäuschend, wenn jemand mehr daran interessiert ist, wie man aussieht, als daran, wie man spielt oder was man zu sagen hat.“

Weibliche Musiker haben mir auch von den „Komplimenten” erzählt, die sie nach einem Konzert bekommen. Männer erzählen ihnen, wie hübsch sie auf der Bühne aussehen würden. Haben Sie das auch erlebt? Was ist die beste Reaktion darauf?

Ren Aldridge: Wir sind eine ziemlich aggressive Band, also geht man an uns tendenziell nicht auf dieselbe Weise heran wie an viele Bands, die weibliche Mitglieder haben. Männer neigen zu einer gewissen Distanz, nachdem sie gehört haben: „Touch me again and I’ll fucking kill you.“ Ich habe es aber trotzdem erlebt und ich weiß wirklich nicht, wie man am besten damit umgeht. Es ist einfach sehr enttäuschend, wenn jemand mehr daran interessiert ist, wie man aussieht, als daran, wie man spielt oder was man zu sagen hat.

Petrol Girls ist eine gemischte Band – werden die weiblichen und die männlichen Bandmitglieder unterschiedlich betrachtet? Oder behandeln die Leute sie auf die gleiche Weise?

Ren Aldridge: In der Community, in der wir touren, werden wir meist wie Gleichberechtige behandelt. Sicher erleben Liepa und ich manchmal Sexismus, sogar innerhalb einer Szene, die sich selbst als sehr feministisch begreift. Es gab zum Beispiel schreckliche Soundtechniker, die Liepa und mich gönnerhaft behandelt haben.

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Sie vermischen Politik und Musik. Was ist wichtiger für Sie: die Musik selbst oder die Texte?

Ren Aldridge: Da unterscheide ich mich vom Rest der Band, da ich die Sängerin bin. Die Texte sind enorm wichtig für mich, denn auf diese Weise drücke ich mich aus! Ich weiß, dass für die anderen die Musik zuerst kommt, obwohl für alle natürlich beide Aspekte wichtig sind.

Ich habe gelesen, dass Sie aus der DIY-Musikszene kommen. Wie beeinflusst das die Art, wie Sie Songs schreiben?

Ren Aldridge: Ich denke, es beeinflusst möglicherweise die Politik in unserer Musik mehr als den Songwriting-Prozess selbst. Wir haben Songs auf viele verschiedene Arten geschrieben und ich denke, wir müssen noch viele verschiedene mehr lernen oder ausprobieren. DIY steht für „Do it Yourself”, was wirklich befähigend und stärkend ist und uns, wie ich glaube, ermutigt, ständig neue Dinge zu probieren, anstatt zu glauben, dass wir Expertinnen und Experten sein müssen. Das ist eines der großartigen Dinge an der Punk-Musik im Allgemeinen!

Wenn man Ihre Songs auf YouTube hört und die automatische Wiedergabe anlässt, dann kommen nach einiger Zeit Songs von Hole. Die musikalische Ähnlichkeit ist offensichtlich. Ist Hole einer ihren Helden oder gibt es andere Bands und Artists, die Ihre Musik mehr beeinflussen?

Ren Aldridge: Ich habe Hole nie wirklich viel gehört, aber ich höre die Band jetzt, während ich auf die Fragen antworte, und ich liebe sie. Jede und jeder in der Band hat einen anderen Musikgeschmack. Liepa und Joe hören viel Math-Rock und elektronische Musik, wogegen Zock und ich mehr Punk hören. Einige der Bands bzw. Künstlerinnen und Künstler, die uns beeinflusst haben, sind Refused, Björk, RVIVR, War on Women, At The Drive In, Fugazi, The Bronx, The Slits und Bikini Kill.

Was ist Ihr bester Rat an junge Bands und Musikschaffende, die das Musikmachen als ihren Hauptberuf ausüben wollen?

Ren Aldridge: Bereite dich darauf vor, so vollkommen pleite zu sein, dass es deine kühnsten Träume übertrifft! Ich bin mir nicht sicher, ob ich die beste Person bin, die das gefragt werden soll, weil ich wirklich kämpfe zurechtzukommen und kaum meine Miete zahlen kann. Musik ist harte Arbeit, für die man kein Geld bekommt. Wenn du es machst, dann mache es, weil du es liebst.

Was sind Ihre Pläne für 2019? Eine Tour, ein Album …?

Ren Aldridge: Im Sommer gehen wir gemeinsam mit War On Women auf eine große Tour. Wir werden unser neues Album und Tonnen von Musikvideos veröffentlichen, an denen wir gerade arbeiten. Es zeichnet sich ab, dass es ein extrem arbeitsreiches Jahr wird, und wir sind sehr aufgeregt!

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Anne-Marie Darok

Termine:
05/04/19 Brighton, Ladyfuzz Fest, UK
05/05/19 Leicester, Handmade Festival, UK
05/07/19 London, House of Vans, UK
05/09/19 – 05/11/19 Brighton, The Great Escape, UK
05/22/19 Antwerp AntiFest, Belgium
05/23/19 Amersfoort Fluor, Netherlands
05/27/19 Nottingham, Rough Trade, UK
05/28/19 Bristol, Rough Trade, UK
05/29/19 London,Rough Trade, UK
05/31/19 London, New Cross Inn, UK
06/01/19 Manchester, Hell Hath No Fury FestUnited Kingdom
06/03/19 Glasgow, Autonomous SpaceUnited Kingdom
06/04/19 Stafford, Red RumUnited Kingdom
06/04/19 Exeter, The CavernUnited Kingdom
06/07/19 Brussels, Magasin 4Belgium
06/08/19 Cologne, AZ, Germany
06/10/19 Nuremberg, Kantine, Germany
06/11/19 Prague, Underdogs, Czech Republic
06/12/19 Wiesbaden, Schlachthof, Germany
06/13/19 Wermelskirchen, AJZ Bahndamm, Germany
06/14/19 Stuttgart, Jugendhaus West, Germany
06/15/19 Paris, Gibus, ClubFrance
06/16/19 Lyon, Le Farmer, France
06/18/19 Zurich, Dynamo, Switzerland
06/21/19 Munich, Glockenbach Werkstatt, Germany
06/22/19 Moers, Bollwerk, Germany
07/11/19 Cheltenham, 2000 Trees Festival, United Kingdom
07/13/19 Haarlem, Kliko Fest, Netherlands

Links:
Petrol Girls (Bandcamp)
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