„WIR MÖCHTEN DIE KLASSISCHE MUSIK AUS DEM VERSTAUBTEN, KONSERVATIVEN KONZERTBETRIEB RAUSHOLEN UND IN EINE NEUE UMGEBUNG SETZEN.“ – MIRA POSSERT UND STEFAN ALTENRIEDERER VOM KULTURVEREIN KUNSTL:CHT IM MICA-INTERVIEW

Wenn zwei Welten aufeinandertreffen, entsteht eine völlig neue Dimension. Den Beweis dafür liefert die Veranstaltungsreihe sch:cht, welche am 18. Mai 2022 in den Stadtbahnbögen im Wiener Techno-Club WERK eröffnet. MIRA POSSERT und STEFAN ALTENRIEDERER nutzten mit Sophia Umfahrer einen der ersten lauen Abende des Jahres aus, um sich unter Parkbäumen über das neue Projekt zu unterhalten. Junge Erwachsene und alle begeisterten Clubbesucher sowie Klassikliebhaber – herzlich willkommen!

Was ist die Intention von eurem Konzept bzw. dem neuen Veranstaltungsformat sch:cht?

Mira Possert: Wir sind ein kleiner, sehr neuer Kulturverein. Unsere KollegInnen, die hier bei diesem Projekt auch dabei sind, und wir kommen alle mehr oder weniger aus dem klassischen Konzertbetrieb bzw. sind dort beruflich tätig. Was uns als jungen Leuten auffällt, wenn wir in ein klassisches Konzert gehen, ist, dass wir uns dort nicht ganz so wohl fühlen. Warum? Weil, so wie sich die Institution Konzertbetrieb oder Konzertsaal über die letzten Jahrhunderte entwickelt hat und sich da mittlerweile einfach bestimmte Verhaltensregeln festgefahren haben, ist sie – glauben wir zumindest – für junge Leute oft nicht attraktiv und wirkt eher abschreckend. Was per se nicht unbedingt mit der klassischen Musik zu tun hat, sondern eben eher mit den Konventionen um den Betrieb herum. Also erstens muss man sie kennen und sich dementsprechend auch verhalten, um Teil von diesem Betrieb zu sein und um, auch beim typischen älteren Stammpublikum, nicht unangenehm aufzufallen. Wir möchten daher mit unserem Projekt sch:cht, also unserer Veranstaltungsreihe, die klassische Musik aus dem verstaubten, konservativen Konzertbetrieb rausholen und in eine neue Umgebung setzen. Eine Umgebung anbieten, die grad für junge Leute bekannt ist, nämlich den Club.

Unabhängig davon, dass sich klassische Musik bis heute ohnehin gewandelt und ebenso ihre Fühler in eher gegensätzliche Genres ausgestreckt hat, wird auch sonst immer mehr mit unterschiedlichen Elementen experimentiert, sodass durchaus Violinenklänge in einer Clubnummer nicht abwegig sind. Allerdings fällt das nicht in eure Absicht, so jungen Menschen Klassik näher zu bringen, richtig?

Mira Possert: Mittlerweile gibt es ja voll viele Versuche, die Klassik aufzubrechen und dann kombiniert man eben mal Drum & Bass mit Orchester oder Mozart mit Techno Beats. Das ist das, was wir nicht machen wollen. Ich finde, das wirkt sehr kommerziell und irgendwie ein bisschen aufgesetzt.

Stefan Altenriederer: Wir sprechen der Klassik nicht so diese Daseinsberechtigung ab, sondern wollen sie rausholen und so zeigen, wie sie ist. Nur halt nicht in diesem Kontext, sondern in einem Neuen, sodass die Leut‘ sehen, okay, das ist eh geil! Also sie soll da aus ihrem Korsett rauskommen.

„…die Rezeption von der Musik soll einfach freier sein.“

Kann man sich das Gesamtbild so vorstellen, dass ihr euch ein wenig an jener Konzertsituation orientiert, die vorherrschte, bevor alles so – sagen wir geordnet – wurde wie heute?

Stefan Altenriederer: Genau. Wir wollen der Musik jetzt nichts nehmen, aber es ist eben wichtig, dass die Person, die da rein geht, nicht das Gefühl hat sich so verhalten zu müssen, wie in einem anderen Kontext. Man soll da mit dabei sein und es soll die Leute auch näher zusammenbringen. Weil wenn dann verschiedene Publikumsschichten da sind, sieht man ja auch, wie die reagieren. Sie können auch viel näher in Interaktion mit der Musikerin oder dem Musiker treten, weil die sind auch viel nahbarer als eben dort oben auf einer riesen Bühne. Und es soll Unterhaltung sein. Man soll Spaß dran haben und auch zumindest was trinken können und halt interagieren und das alles auf sich wirken lassen. Wir wollen, dass wirklich ein guter Abend entsteht, wo man trotzdem dieses verschiedene Programm erlebt.

Mira Possert: Man soll sich frei fühlen. Wenn man sich ein Bier holen will, soll man sich ein Bier holen, wenn man eine Tschickpause machen will, soll man kurz raus gehen und sich bewegen können; ja, die Rezeption von der Musik soll einfach freier sein.

Wird dann auch die durch die Bühne entstehende Distanz zwischen Künstler*innen und Publikum so reduziert, wie bspw. in familiäreren Konzerten, wenn sich die Musiker in die Menge mischen und dort ihr Programm fortsetzen oder wie auch in jenem bestimmten Format „Im Klang“ des Wiener Konzerthauses, wo das Publikum mitten im Orchester verteilt sitzt?

Mira Possert: Wir hatten das überlegt, ob wir das machen und es ist nicht ausgeschlossen, das in Zukunft in einem anderen Rahmen mal auszuprobieren. Aber jetzt im WERK wird es schon so sein, dass es eine Bühne gibt und das Publikum steht. Man soll ja auch was sehen können und außerdem ist das mit dem ganzen Equipment noch ein wenig schwierig. Es ist jetzt ja erst die erste Veranstaltung von insgesamt drei dieses Formats und die Bühne ist natürlich auch nicht so groß wie im Konzertsaal. Aber, dass die Bühnensituation aufgebrochen wird, ist jedenfalls nicht ausgeschlossen.

Wie sieht denn das Programm für die erste Runde aus, wie ist so ein Abend aufgebaut und wie passiert die Annäherung von Klassik und Elektronik?

Stefan Altenriederer: Man kommt rein und kann sich was zu trinken holen. Es gibt zur Einstimmung auch eine Playlist, die von uns kuratiert ist. Dann wird diesmal zuerst Lukas Lauermann (Cello) der erste Akt des Abends sein. Er spielt dann eine gewisse Zeit und danach soll es schon einen Übergang geben. Also die KünsterInnen sollen sich da auch zusammensprechen, damit alles schön ineinander geht. Aber es wird jetzt nichts vermischt. Der zweite Akt ist dann die Rojin Sharafi (Klangkünstlerin, Performerin und Komponistin akustischer und elektronischer Musik), die auch ihre Zeit bekommt. Das ist so der erste Teil und im Anschluss daran kommt DJane YUZU. Da geht es dann schon mehr so zum Tanzen über. Na gut, man kann immer tanzen, aber da geht’s eher um dieses Auflösen und einen schönen, guten Abend zu haben.

Mira Possert: Es ist also schon so, dass der erste Part eher von den klassischen Acts bestritten wird. Wobei man jetzt dazu sagen muss, dass der Lukas Lauermann nicht klassik-klassik ist. Er hat zwar ein klassisches Instrument und tritt Solo auf, beschreibt seine Musik aber selbst als „barrierefreie moderne klassische Musik“. Ich finde, das trifft genau den Kern, was wir mit sch:cht auch machen wollen. Das Cello ist zwar ein klassisches Instrument und es ist sehr tonale Musik, aber er arbeitet auch viel mit Improvisation und mit seinem elektronischen Equipment. Rojin macht halt schon sehr experimentelle Klangkunst, ohne, dass sie live ein Instrument spielt und YUZU ist eben tatsächlich eine DJane, aber auch Komponistin. Die Idee ist schon, mit der Klassik zu starten und dann mehr und mehr in so einen Partyabend reinzugehen.

„Uns ist die Diversität wichtig und die verschiedenen Facetten der Genres zu zeigen.“

Die MusikerInnen sucht ihr quasi bereits so aus, dass diese in gewisser Weise in ihrer eigenen Musik schon eine Offenheit oder Lockerheit mitbringen und nicht starr in eine Stilrichtung unterwegs sind, was ihr dann gegenüberstellen würdet?

Mira Possert: Ich denke, das Ziel ist es, KünstlerInnen zu präsentieren, die jung sind und somit schon mal in die Community passen, die wir ansprechen wollen. Und die natürlich offen sind. Das heißt auch, dass wir versuchen sowohl die Vielfalt der klassischen sowie genauso der elektronischen Musik zu zeigen. Das, was Lukas mit dem Cello macht, ist jetzt ein Mini-Teil von klassischer Musik und wir haben vor, in den nächsten zwei Veranstaltungen z.B. mal ein Ensemble mit Barockmusik zu präsentieren oder ein Streichquartett, das mehr in die Richtung Romantik geht. Jetzt ist es vielleicht eher ein wenig experimenteller, hat viel mit Klangkunst zu tun und beim nächsten Mal geht’s beispielsweise vielleicht mehr in Richtung Techno.

Stefan Altenriederer: Genau, uns ist die Diversität wichtig und die verschiedenen Facetten der Genres zu zeigen.

Mira Possert: Auch die der in Wien ansässigen Künstler, die wir präsentieren wollen. Rojin hat eben bspw. ihren iranischen Background und YUZU ist eine DJane. Soll weiter heißen, dass uns auch super wichtig ist, dass der Frauenanteil hoch ist. All das sind Aspekte, die wir gerne berücksichtigen. Weil Rojin fällt im klassischen Konzertbetrieb als Frau mit dem, was sie tut, einfach auch oft unter den Tisch.

Ihr habt eine „zukunftsorientierte Mitgestaltung“ vor. Wie darf man diese verstehen? Ihr bereitet, wie gesagt, eine Playlist zum Einhören vor, aber soll sich das Publikum in die nächsten Programme auch aktiv miteinbringen können?

Stefan Altenriederer: Im Idealfall schon, aber es soll dann auch nicht so ein Mitmachkonzert werden.

Mira Possert: Der Wunsch ist da, dass sich das Publikum einbringen kann. Vor allem, wenn wir das über Social Media machen, dass wir natürlich auf Feedback reagieren. Und wir würden in weiterer Folge dann auch gerne Talks abhalten, entweder vor oder nach dem Konzert, wo das Publikum mit den auftretenden Künstlern in Interaktion treten kann und wo ein Austausch zwischen Künstlern und Publikum und den beiden Publikumsschichten der beiden Genres stattfinden kann. Aber nein, es wird kein Mitmachprojekt.

Momentan sind drei Veranstaltungen von sch:cht geplant. Alles steht noch am Anfang und ist auch für euch relativ neu. Dennoch würde ich gerne wissen, wie euer Ausblick in die Zukunft aussieht!

Stefan Altenriederer: Ja, es gibt drei Termine. Der erste jetzt im WERK, der zweite wird irgendwann im September sein…

Mira Possert: … und der dritte im Dezember. Dadurch, dass wir so frisch sind, schauen wir mal, wie es läuft. Wenn es gut ankommt, ist der Wunsch da, dass daraus mal eine fixe Veranstaltungsreihe wird. Wenn sich das irgendwie verankert, wäre es schon sehr cool! Normal ist das ja so, dass man entweder das eine Genre macht oder das andere. Also wir in unseren Berufen zumindest veranstalten beide immer entweder Klassik oder Pop, etc. Dass wir das wirklich zusammenführen und es mal ausprobieren, wie es sich ergänzt, ist halt eben neu für uns. Und yes, wir freuen uns!

Vielen herzlichen Dank für das Gespräch!

Sophia Umfahrer

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