„Wir machen Swing mit Radau“ – MARINA & THE KATS im mica-Interview

Mit „Friendly Fire“ erscheint dieser Tage das fünfte Album von MARINA & THE KATS. Und schon die erste Hörprobe verrät, dass MARINA ZETTL, THOMAS MAUERHOFER und ihre Band ihren auf ihrem letzten Album „Different“ (2021) eingeschlagenen Weg, der sie mehr und mehr vom Sound des klassischen Swing wegführt, konsequent fortführen. Die neuen Nummern sind von einer noch größeren musikalischen Vielfalt als davor. Es erklingen auch schon mal rockigere Riffs und poppigere Melodien.Gleichzeitig hält auf dem Album aber auch eine gewisse Nachdenklichkeit und Tiefgründigkeit Einzug, die man von MARINA & THE KATS in dieser Form bislang noch nicht gekannt hat. Warum es in den Songs nicht mehr nur um freudige Themen geht, warum viel Persönliches eine Rolle spielt und wie sie sich vom selbst auferlegten Druck, für immer eine Swingband zu sein, lösen konnten, erzählen MARINA ZETTL und THOMAS MAUERHOFER im Interview mit Michael Ternai.

Euer letztes Album „Different“ stand im Grunde ganz unter dem Motto „Wir wollen einmal etwas anders machen“. Hört man sich nun euer neues Werk „Friendly Fire“ an, bekommt man schnell den Eindruck, dass ihr auch dieses Mal nicht von dem Motto abgegangen seid und ihr noch mehr ausprobiert habt. Der Anteil des Swing, den ihr früher fast in Reinform praktiziert habt, ist nochmals deutlich hinuntergeschraubt. Dafür ist der Anteil an Einflüssen aus dem Pop und Rock gestiegen. Und ihr zeigt auch zum Teil auch recht dunkel und nachdenklich im Sound.

Marina Zettl: Du fasst es gut zusammen, denn dies ist auch die Idee, die hinter diesem Album steckt. Es freut mich, dass rüberkommt, dass wir den auf „Different“ eingeschlagenen Weg auf „Friendly Fire“ weitergegangen sind. „Friendly Fire“ ist unser fünftes Studioalbum, und wir fragten uns beim Schreiben der neuen Songs schon, was wir überhaupt noch zu erzählen haben. Wie können wir das, was uns persönlich ausmacht, was wir mögen und zu Hause hören, sowie unsere privaten Themen, auf die Bühne bringen? Darüber haben wir sehr viel gesprochen. Wie weit wollen wir tatsächlich Einblicke gewähren?

Auf dem Album gibt es Themen, die uns in unserem Leben beschäftigen und Privates behandeln, wie etwa das Thema Älterwerden in der Musikbranche. In diesem Sinne ist auch der Albumtitel zu verstehen. „Friendly Fire“ bedeutet ja, sich selbst zu beschießen, sich selbst wehzutun. Es geht uns darum, auch einmal dorthin zu schauen, wo es unangenehm ist. Das zu tun, habe ich mir früher nicht wirklich zugetraut, weil ich mich gewissen Dingen nicht stellen wollte und mir dachte, dass meine persönliche Geschichte auf der Bühne eigentlich keinen Platz finden sollte.

Mittlerweile ist mir aber bewusst geworden, dass das nur Hand in Hand funktionieren kann. Ich kann Marina als Privatperson und Marina & The Kats auch gar nicht mehr so trennen. Ich finde das spannend, weil wenn ich mich auf der Bühne hinstelle und etwas singe und danach mit den Leuten kurz quatsche, dann ist es ja eh schon ein Mischmasch aus beidem.

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Wir haben uns mehr zugetraut – sowohl inhaltlich, was die dunkleren Themen betrifft, als auch musikalisch. Wir haben uns gefragt, wie weit wir uns als Band stilistisch hinauslehnen können, und diese Frage machte uns zunächst Angst. Wir sagten uns lange, wir sind doch eine Swingband, also sollten wir auch nach einer Swingband klingen. Dann haben uns jedoch zwei Musikerkollegen, die mit uns am Album gearbeitet haben, gefragt, warum wir so verkopft an die Sache herangehen. Sie meinten, wir würden doch immer nach Marina & The Kats klingen, weil wir Marina & The Kats sind.

Ich habe es erst später verinnerlicht, was sie mir damit sagen wollten. Da bin ich mir und wir als Band oft selber im Weg gestanden. Ich denke, es ist uns jetzt gelungen, da mehr loszulassen. Wir haben uns gesagt, wir gehen ins Studio und schauen, was uns taugt. Und wenn uns etwas Rockiges oder Poppigeres gefällt, warum soll es dann auch nicht so klingen? Das Wichtigste ist, dass es uns selbst gefällt.

Das neue Album klingt nach wie vor unverkennbar nach Marina & the Kats, diesbezüglich ist jede Sorge unbegründet. Es ist auf jeden Fall sehr vielfältig und es wirkt so, als wärt ihr viel mehr in die Details gegangen.

Marina Zettl: Wir haben uns für dieses Album einfach viel mehr Zeit gelassen, als für die anderen davor. Und wir hatten zunächst auch vor, nur eine EP zu machen. Aber irgendwie sind manche Sachen nicht so wirklich in die Gänge gekommen. Wir waren mit manchen Songs nicht wirklich glücklich und dachten uns, ja eh, ganz schön, aber da geht noch mehr. Irgendwann ist uns der Gedanke gekommen, dass es vielleicht besser klappt, wenn wir mit anderen Leuten zusammenarbeiten, die uns mit ihren Ideen inspirieren. Und es war tatsächlich so. Es ist dann plötzlich besser gegangen. Sie haben uns zu verstehen gegeben, dass wir einfach machen sollten. Der Swing wird schon kommen, wenn er kommt. Man muss ihn jetzt nicht zwanghaft in die Songs packen. Wir müssen ihn aber auch nicht zwanghaft verbannen.

Thomas Mauerhofer: Ich denke, dadurch, dass wir die Schlagzeug-Parts aufteilen – Harry [Harald Baumgartner; Anm.] spielt Teile vom Schlagzeug, Marina spielt Teile vom Schlagzeug, Peter [Schönbauer; Anm.] spielt die Bassdrum -, entwickelt sich der Sound ganz natürlich weg von jenem des klassischen Swing.

Marina Zettl: Wir machen Swing mit Radau. Und ich denke, das ist ein guter Header. Wir haben ja nicht umsonst mit drei Schlagzeugern an diesem Album gearbeitet [Andreas Lettner, Alex Sohn und Bernhard Wittgruber; Anm.]. Es war wirklich cool, mit dreien, die ihr Instrument wirklich studiert haben und es beherrschen, zusammenzuarbeiten. Von ihnen ganz unabhängig voneinander zu hören, dass sie die Art, wie wir die Schlagzeuge in unserer Band einsetzen, richtig lässig finden und sie das eigentlich nicht so einfach spielen könnten, hat uns schon einen Push und Selbstvertrauen gegeben.

Bild Marina & The Kats
Marina & The Kats (c) Nils Westermann

Thomas Mauerhofer: Ich glaube, dass ist für einen gelernten Schlagzeuger auch spannend. Der kommt in einen Raum, in dem drei sitzen und in den verschiedenen Ecken an ihren Instrumenten herumklopfen. Eine Schlagzeugerin oder ein Schlagzeuger hat, denke ich, schon eine sehr genaue Vorstellung davon, wo man für einen Groove draufhauen muss. Die Hi-Hat, die Snare usw. haben ihre genaue Position. Wenn die Teile aber aus verschiedenen Ecken kommen, ist das für sie schon irgendwie lustig.

Wie schwer war es für euch geduldig an den Dingen zu arbeiten und euch Zeit zu nehmen?

Marina Zettl: Meinem Gefühl nach war es für mich schon schwer. Vor allem, weil der Plan zunächst ja eine EP vorsah. Im Zug der Produktion sind uns dann irgendwie Zweifel gekommen, ob wir da jetzt nicht vielleicht doch zu wenig Swing machen. Hat das Ganze vielleicht einen Drive bekommen, der nicht förderlich war? Wir waren auf jeden Fall mit dem Ergebnis nicht wirklich zufrieden. Was aber in erster Linie an uns selber gelegen ist, weil wir uns irgendwie selber im Weg gestanden sind. Erst als wir uns gesagt haben: „He, eigentlich wartet gerade niemand wirklich auf unsere Musik, es kommt im Moment sowieso jeden Freitag so wahnsinnig viel raus, warum machen wir uns eigentlich so einen Stress“, erst dann waren wir bereit, uns die Zeit zu geben. Daher, die eher längere Zeitspanne zwischen den letzten und dem neuen Album.

Es ist aber noch eine zweite Sache dazugekommen. Und zwar die Frage, und die war für mich persönlich ganz zentral, will ich überhaupt noch weitermachen.

Warum hast du dir diese Frage gestellt?

Marina Zettl: Ich begann mir Gedanken darüber zu machen, wie das Ganze weitergehen soll und wo ich mich überhaupt in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren sehe. Ich habe dann ein bissl damit begonnen, über diese Dinge auch auf der Bühne zu sprechen und mehr von meiner Persönlichkeit zu zeigen. Ich habe angefangen, Sachen anzusprechen, die auch nicht so schön sind. Die Leute sind dann oft zu uns gekommen und haben gemeint, dass wir das eh super machen und wir dranbleiben sollten. Das war zwar sehr nett und wir freuten uns auch darüber, aber im Endeffekt muss man das für sich selber auch beantworten. Daher ist „Friendly Fire“ auch nicht zu fällig gewählt. Der Titel bedeutet für uns recht viel. Nicht nur aus musikalischer Sicht, indem wir uns ins eigene Swing-Knie zu schießen, sondern auch, weil wir es als wichtig empfinden, auch mal Verletzlichkeiten zu zeigen.

Thomas Mauerhofer: Die ganze Produktion hatte tatsächlich etwas von einer Berg- und Talfahrt. Der Prozess begann sehr zäh, dann aber ist plötzlich ein Song nachdem anderen gekommen.

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Ihr seid ja mittlerweile seit vielen Jahren ein Songwriter-Team. Inwieweit hat sich daran mit der Zeit etwas geändert. Wie sehr sind eure beiden Bandmitglieder am Songwritingprozess beteiligt.

Thomas Mauerhofer: Generell ist es so, dass Marina und ich die Songs schreiben und sie auch schon zu zweit vorproduziert haben, bevor wir sie den anderen präsentieren. Natürlich feilen wir dann noch gemeinsam herum. 

Marina Zettl: Dass Thomas und ich gemeinsam Songs schreiben können, haben wir ja schon oft unter Beweis gestellt. Aber wir haben jetzt überhaupt kein Problem damit, uns da Unterstützung zu holen. Wir haben auf dem Album drei Nummern, die waren eigentlich von der Musik und der Stimme fix und fertig, nur passten die Texte einfach nicht. Die war eine riesen Baustelle. Und genau deswegen sind die Songs auch nicht fertig geworden. Deswegen haben wir dann jemanden um Hilfe gebeten. Wir haben bei einem Song zum Beispiel Dave McKendry, der selbst ein toller Singer/Songwriter ist, gefragt, ob er uns nicht helfen könnte. Mit dem habe ich ganz genau besprochen, was ich eigentlich mit dem Text sagen will und wie ich das in Englisch ausdrücken kann. Und es hat super funktioniert. Hier hat es einfach Sinn gemacht, weil Englisch seine Muttersprache ist. Warum nicht Leute fragen, die die Dinge einen Schritt weiterbringen können. Man muss nicht immer alles selber machen.

Thomas Mauerhofer: Das war eine wichtige Erkenntnis. Man muss nicht alles selbst machen und man kann wahrscheinlich auch nicht alle selbst machen.

Marina Zettl: Du hast letztens einmal so schön gesagt, mehr Musik und weniger Ego.

Thomas Mauerhofer: Ja, stimmt. Es wird ja oft ganz großgeschrieben, dass die Leute ihre Songs selber schreiben und sie selbst machen. Ich finde, dass damit oft einhergeht, dass viele meinen, dass nur die Musik, die aus einem selber herauskommt, die wahre echte Kunst ist. Das kann jemanden schon unter riesen großen Druck setzen. Man muss, auch wenn man irgendwo nicht weiterkommt, alleine weiterwurschteln, sodass am Ende erst recht nicht die wahre echte Kunst entsteht. Ich finde, es nicht falsch, sich Inspiration von außen zu holen. Dadurch wird ja alles mehr und nicht weniger.

Bild Marina & The Kats
Marina & The Kats (c) Nils Westermann

Kann man bei dem Entstehungsprozess des Albums und bei der inhaltlichen Tiefe vielleicht von eurem reifsten und erwachsensten Album sprechen?

Marina Zettl: Ich glaube, das sagt man immer über sein letztes Album.

Thomas Mauerhofer: Ich denke schon. Wenn man es ehrlich meint, dann auf jeden Fall.

Marina Zettl: Ich meine, ich stellte mir ja nicht bloß die Frage, ob ich mit Marina & The Kats aufhören will, sondern generell mit der Musik überhaupt. Das ist schon ein riesen Elefant, der da plötzlich im Glashaus steht. Deswegen glaube ich, hat das Album viel mit Erwachsenen-Themen zu tun.

Thomas Mauerhofer: Vielleicht weiß man es vorher auch nicht immer genau. Man macht in einem frühen Alter viel unbedarfter Musik. Man denkt nicht wirklich darüber nach, einmal so alt zu werden und dann ist man es aber plötzlich. Und klar hat sich mit der Zeit auch das Bewusstsein geändert.

Marina Zettl: Oder, dass Musik nicht nur zu einem Beruf geworden ist, sondern zu einem Business. Du weißt, dass du nicht nur für die verantwortlich bist, sondern auch Verantwortung gegenüber deinen Kolleginnen und Kollegen hast. Wenn du zu einem Festival nach Spanien eingeladen wirst und zusagst, musst du das auch einhalten.

Thomas Mauerhofer: Du bietest mit Konzerten, die du spielst, deinen Mitmusikerinnen und Mitmusikern ja auch ein Einkommen an. Da ist es dann nicht so einfach, zu sagen, dass man im kommenden Jahr weniger Konzerte spielt. Es ist also nicht nur für einen selber ein Thema, sondern auch für andere.

Marina Zettl: Meine Mitmusiker haben durchaus schon gewusst, dass ich mir über diese Dinge Gedanken mache. Aber es wäre nicht fair gewesen, da einfach einen Schlussstrich zu ziehen. Dafür kennen wir uns zu gut. Es muss einfach das Vertrauen da sein, dass man sich aufeinander verlassen kann. Und das haben wir in unserer Band auf jeden Fall. Wenn jemand einen Hänger hat, kann er sich sicher sein, dass die anderen sie oder ihn auffangen.

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Und sind die Zweifel mittlerweile gewichen? Ab wann hast Du, Marina, die Dinge wieder begonnen, wieder optimistischer zu sehen?

Marina Zettl: Auf jeden Fall passierte das nicht plötzlich. Und hin und wieder flackern die Zweifel immer noch auf. Und das ist auch okay. Sie stressen mich inzwischen auch nicht mehr so sehr. Sie werden, denke ich, aber auch nicht mehr wirklich weggehen. Das ist aber ganz normal. Das gehört wohl zum Erwachsensein. [lacht]

Auf der Bühne zu stehen, macht mir nach wie vor Spaß. Der Austausch mit dem Publikum gibt uns allen viel zurück und natürlich freue wir uns alle schon sehr auf unsere anstehende Tour und was die Menschen von „Friendly Fire“ halten werden.

Vielen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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Marina & The Kats live
01.06. IGEL, Folkclub Clublokal, Waidhofen an der Thaya, Austria
08.06. Kulturraum TRENK.S, Marchtrenk, Austria
09.06. Saarbrücker Schloss, Saarbrücken, Germany
12.06. Porgy & Bess, Vienna, Austria
14.06. Jazz Dock, Prague, Czechia
15.06. Musik-Kulturclub Lembach, Volkersdorf, Austria
16.06. Dom im Berg, Graz, Austria
22.06. Forum für Kunst und Kultur Kammgarn, Hard, Austria
28.06. Jedenspeigen Castle, Jedenspeigen, Austria
29.06. Old train yard Herford, Herford, Germany
05.07. Internationales Donaufest Ulm 2024, Ulm, Germany
18.07. Support von Calexico, Tulln, Austria
09.08. Schleswig-Holstein Musik Festival, Warder, Germany
10.08. Schleswig-Holstein Musik Festival, Oldenburg In Holstein, Germany
11.08. Schleswig-Holstein Musik Festival, Wöhrden, Germany
24.08. International Jazz Festival Saalfelden, Saalfelden, Austria
25.08. International Jazz Festival Saalfelden, Saalfelden, Austria

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