Das CROSSNOVA ENSEMBLE spürt seit 2009 der kammermusikalischen Vergangenheit nach, vertont japanische Heurigenlieder, rühmt Friedrich Gulda und steht mit Otto Schenk auf der Bühne. Der künstlerische Anspruch ruht nicht, er verschmilzt zwischen einer Unordnung der Genre-Zuordnung und der individuellen Freiheit zu einem kollektiven Klangkörper. Auf ihrem vierten Album „Unlimited“ greift das Ensemble rund um SABINE und RAINER NOVA sowie LEONARD ERÖD und HUBERT KERSCHBAUMER neben Multi-Kulti-Walzer und serieller Musik auf eigene Kompositionen ebenso zurück wie auf Stücke von Peter Androsch über Viola Falb bis zu Kurt Schwertsik. Ein Gespräch über musikalische Antworten in einer seltsamen Welt, die Bedeutsamkeit des Friedrich Gulda-Nachlasses und warum man in der Frage zur Schnitte zum Puristen wird.
Mit „Unlimited“ ist soeben das vierte Album von CrossNova erschienen. Nach nächtlichen Ausflügen („Nachtmusik“) und Spaziergängen mit der romantischen Dichtkunst bei „Dichterliebe Reloaded“ heißt es diesmal: grenzenlos unbeschränkt. Wie kam es dazu?
Leonard Eröd: „Unlimited“ ist gewissermaßen die Philosophie unseres Ensembles. Wir machen alles, was uns gefällt. Wir haben viele neue Werke, die uns zum 10. Geburtstag geschenkt wurden, mit einigen „Klassikern“ aus unserem Repertoire vermischt, die wir auch unbedingt mal auf einer Platte haben wollten – und so unser Motto zum Programm gemacht.
Sabine Nova: Konzertveranstalter und Publikum tun sich schon immer schwer damit, dass wir so schlecht in eine Schublade passen. Diese CD stellt von vornherein klar, dass wir keine Lust auf „Einkasteln“ haben.
Rainer Nova: Das Programm trug ursprünglich den Titel „Secrets of Chamber“ – das war bevor wir die Stücke, die im Programm enthalten sind, überhaupt kannten, da sie noch nicht komponiert waren. Natürlich hatten wir ein ungefähres Klangbild, wie es werden könnte, da wir die Kompositionsaufträge hinsichtlich einer möglichst großen Stilvielfalt sehr bewusst vergeben hatten. „Unlimited“ ist jedoch mehr als nur ein CD-Titel. Es ist auch eine Haltung, ständig offen für Neues, Unbekanntes und Überraschendes zu sein. So möchte ich das eigentlich auch mit dem Programm handhaben, wenn wir es im Konzert präsentieren.
Die meisten CrossNova-Programme hatten bislang immer einen sehr klaren, roten Faden – manchmal in Verbindung mit Literatur oder Schauspiel, jedenfalls war dieser immer themenbezogen und mehr als eine bloße Aneinanderreihung unterschiedlicher Stücke. „Unlimited“ soll Platz geben, um auf das Momentane, ganz Aktuelle eingehen und reagieren zu können. Seien es nun neue Stücke, die gerade entstanden sind, tagesaktuelle Einflüsse von außen, auf die wir Bezug nehmen möchten, oder auch der jeweilige Ort und das Publikum, die das Programm letztlich mitbestimmen.
Das Linzer Brucknerhaus hatte sich beispielsweise vergangenen Herbst ein neues Stück von Bernhard Lang gewünscht, das dann Eingang in unser Programm gefunden hat. „Game 4-4-4“ – eine Musik, die ansonsten eher nicht zum täglichen Brot unseres Ensembles gehört, die aber unsere gemeinsamen musikalischen Erfahrungen wieder um eine Facette reicher gemacht hat. Aktuell liegt mit „Tiere am Abgrund“ ein 4-sätziges Werk von Mathias Rüegg, das er während des Lockdowns für uns komponiert hatte, noch unberührt in der Schublade.
Hubert Kerschbaumer: Alles machen zu können was Spaß macht, zu experimentieren, „Grenzen“ verschwimmen zu lassen, oder eben aber auch schon gar keine Grenzen zu definieren. Nach zehnjähriger gemeinsamer Tätigkeit haben wir uns wirklich gut kennengelernt. So sind es nicht nur die musikalischen Grenzen die wir im Laufe der Zeit erweitert haben, sondern ich glaube auch, dass wir unsere persönlichen Grenzen oft neu ausgerichtet und überarbeitet haben.
„Beim Hören kann die Zuhörende bzw. der Zuhörende über sich selbst einiges erfahren“
Im Booklet der CD „Unlimited“ finden sich Notizen der jeweiligen Komponistinnen und Komponisten über ihre Kompositionen. Leonard Eröd schreibt, dass er mit dem Stück „Miniatur-Epos mit Fragezeichen“ nach der persönlichen Sprache gesucht habe – im Kontext der Frage, was für eine Rolle Musik in „dieser seltsamen Welt, in der wir leben“ eigentlich spiele. Welche Antworten habt ihr als Ensemble gefunden?
Leonard Eröd: György Ligeti hat angeblich auf die Frage nach der Aussage von Musik sinngemäß geantwortet, dass Musik alleine nichts aussagt. Beim Hören kann allerdings die Zuhörende bzw. der Zuhörende über sich selbst einiges erfahren.
Hubert Kerschbaumer: Kunst liegt immer im Auge des Betrachters.
Sabine Nova: Wir kommunizieren Emotionen. Untereinander, wie auch im Austausch mit dem Publikum. Im besten Fall entstehen dabei Erlebnisse, die einzigartig sind und sich nicht ohne Weiteres wiederholen lassen. Darin liegt für mich der Reiz.
Rainer Nova: Die Rolle von Musik bzw. von Kunst im Allgemeinen in unserer Gesellschaft ist gerade einer spannenden Diskussion ausgesetzt. Wir mussten in den letzten Wochen erleben, als sämtliche Lebensbereiche plötzlich der „Systemrelevanz“ unterworfen wurden, dass Kunst und Kultur – sofern es sich nicht um repräsentative, tourismusfördernde, sprich kommerziell verwertbare Kunst handelt, hier eine äußerst untergeordnete und verschwindende Rolle spielen. Vielen Menschen wird erst im Nachhinein bewusst, wie wesentlich Musik vor allem auch im Kontext gesellschaftlicher Anlässe hinsichtlich des gemeinsamen Erlebens ist.
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„Unlimited” beginnt nachdenklich feierlich mit dem „Woodfella’s Wedding March”. Die Komponistin Julia Lacherstorfer kommentiert ihr Eröffnungsstück so: „In der Nordischen Volksmusik sind Hochzeitsmelodien die Königsdisziplin” – mit Sabine Nova teilt sie die Leidenschaft für das Danish String Quartet. Welche musikalischen Leidenschaften treiben die anderen Ensemble-Mitglieder an?
Leonard Eröd: Ganz generell: die Suche nach Emotionen.
Hubert Kerschbaumer: Das Gefühl, auf der Bühne in einem Moment etwas Unwiederbringliches auf geistiger wie emotionaler Ebene mit dem Publikum zu erleben, oder anders gesagt: einen Moment gemeinsam entstehen zu lassen ist unfassbar genial.
Rainer Nova: Wenn ich in der Freizeit Musik höre, läuft gerade viel Hip-Hop. Insofern ist es wahrscheinlich, dass davon früher oder später Einflüsse bei CrossNova hörbar werden könnten. Mich fasziniert dabei die Sprache, wenn sie kunstvoll – also gleichermaßen poetisch und musikalisch – verwendet wird. Aber auch musikalische Leidenschaften ändern sich häufig bei mir. Es ist eine Mischung aus Vertrautem und Neuem. Smudo von Die Fantastischen Vier behauptete einmal in einem Interview, dass das Publikum eigentlich immer seinem eigenen musikalischen Gedächtnis applaudiere. Ich denke, da ist etwas dran.
Natürlich spielt, wie bei allem anderen, sicher auch die frühe Prägung musikalischer Art eine Rolle. Klänge, die mir vertraut erscheinen, erwecken schneller mein Interesse, als jene die ich erst versuchen muss zu verstehen. Die großen Klassiker, heimische Volksmusik sowie Pop- und Rockmusik der vergangenen 30 Jahre werden immer einen bestimmten Einfluss auf mich haben. Um eine richtige musikalische Leidenschaft zu entwickeln, muss es aber auch diesen neu zu erfahrenden und erspürenden Teil geben.
Ein sehr kurioses Beispiel der Fusion-Kammermusik von CrossNova ist das Stück „Schau, schau!”, das die vokale Volksmusik aus dem Salzkammergut mit Anton Bruckners Romantik und funkig-souligen Melodien von Ann Peebles zusammenführt. Interessant ist der geschichtliche Ursprung der Bezeichnung: In den 1940er Jahren wurden in den USA die Billboard-Charts technisch und konsummäßig in schwarze Rhythm-and-Blues und weiße Country- und Pop-Charts unterschieden. Coverversionen von weißen Interpretinnen und Interpreten von schwarzen Originalen konnten als Crossover erfolgreich diese Genre-Grenze überschreiten. Gab es Grenzüberschreitungen, die für euch bedeutend waren?
Leonard Eröd: Als Kind eines Ungarn-Flüchtlings habe ich mit zwölf Jahren den Fall des Eisernen Vorhangs und die Überschreitung der alten Ordnung des kalten Kriegs als erstes großes prägendes politisches Ereignis erlebt. Auf der musikalischen Ebene erinnere ich mich an die Begeisterung, als die Tango-CD’s von Gidon Kremer erschienen.
Rainer Nova: Auch ich bin zwischen meinem dritten und 14. Lebensjahr im Grenzgebiet Österreich, Deutschland und Tschechien aufgewachsen. Unter Freunden war es damals eine besonders beliebte Mutprobe, beim Skifahren mit den Skiern unter dem Stacheldraht nach Tschechien durch zu schlupfen. Lebhaft in Erinnerung geblieben sind mir auch die Momente, als die Grenze dann geöffnet wurde, und viele Freunde meiner Großeltern zu Besuch kamen, um ihre zerstörten Häuser – sie waren wie meine Großmutter auch aus dem Sudetenland vertrieben worden – aufzusuchen.
Ich habe damals gemeinsam mit meinem Vater böhmische Volksweisen mit der Trompete gespielt. Die emotionale Resonanz der Menschen, ganz egal ob Tschechen, Österreicher oder Vertriebene, werde ich nie vergessen. „Once upon a time, the world was round, and you could go on it around and around“ heißt es doch bei John Cage. Ganz nebenbei macht er aus diesem Satz ein ziemlich cooles Stück Musik. Man könnte auch sagen: “Once upon a time, there was music…”
Hubert Kerschbaumer: Musikalisch komme ich aus dem ländlichen Bereich und bin natürlich grundsätzlich mit der Blasmusik aufgewachsen. Lernen durfte ich die Klarinette in einer sehr guten Musikschule, in der ich hauptsächlich mit klassischer Literatur in Kontakt gekommen bin. Wie Rainer angesprochen hat, passiert einiges an Hörgewohnheiten in der Kindheit. Mein Vater hatte eine sehr breitgefächerte Plattensammlung, in der ich Mozart, Hornkonzerte, die Musik zum Film Easy Rider, die Original Kern Buam oder aber auch Musik von Howard Carpendale in voller Lautstärke hören und spüren lernte.
Springen wir von Kindheitserfahrungen in die Jetztzeit. Florian Willreitner verarbeitet in Impressione#7 „In Memoriam” ein tragisches Ereignis. Gerade in Krisenzeiten kann Musik eine wichtige Rolle spielen. Welche Musikstücke helfen euch bei der Bewältigung von traurigen Erlebnissen?
Leonard Eröd: Immer und immer wieder kehre ich zur h-Moll-Messe und zum deutschen Requiem zurück.
Hubert Kerschbaumer: Bei mir ist immer wieder das Mozart-Requiem oder aber auch Schuberts 9. Symphonie.
Sabine Nova: Gustav Mahler, Auferstehungssymphonie; Leonard Bernstein, Mass. Noch eine Reihe von großen Orchesterwerken mit Chor. Alle selbst gesungen, daher mit großen positiven Emotionen verbunden.
Rainer Nova: Als eine gute Freundin von mir tödlich verunglückt ist, war ich gerade in einer intensiven Lernphase mit der Sonate für Violine und Klavier von Cesar Franck. Der 3.Satz dieses Stücks, also der Kantilenen-Teil nach dem Rezitativ, hat damals viel Trost gespendet.
Andere Stücke sind das Brahms Intermezzo op.118 in A-Dur, Schuberts Impromptu in Ges-Dur, oder „Everything Must Change“ – ein Jazz-Standard von Benard Ighner, der in letzten Jahren für mich auch an Bedeutung gewonnen hat.
Mathias Rüegg, der aus einer Familie von Schweizer Bergbauern stammt, erinnert sich an einen musizierenden Verwandten in „Onkel Hans komponiert am liebsten sonntags”. Wann komponiert und musiziert ihr am liebsten?
Leonard Eröd: Wenn ich weiß, dass es jemand gibt, der zuhört.
Sabine Nova: Wenn alle Kinder zu Hause, gesund und gut betreut sind.
Rainer Nova: Nachts, vorausgesetzt ich weiß, dass ich am nächsten Morgen nicht zeitig aufstehen muss.
„Ich kann keine Note für CrossNova komponieren oder arrangieren, ohne meine Kollegen dabei direkt vor dem inneren Auge und Ohr zu haben.“
Jelena Poprzan kommentiert ihre kurze Komposition mit diesem Musikbastel-Zitat: „Eine Handvoll Teilchen, die man in die Luft Wirft. Je nachdem, wo sich diese Teilchen setzen, entstehen Punkte, die ich imaginativ mit einer Linie verbinde. So entsteht ein Bild, das ich verfolge, und daraus eine musikalische Komposition.” Auf welche Kompositionstechniken greifen CrossNova zurück?
Leonard Eröd: Ich kann keine Note für CrossNova komponieren oder arrangieren, ohne meine Kollegen dabei direkt vor dem inneren Auge und Ohr zu haben.
Rainer Nova: Da geht‘s mir durchaus ähnlich. Ich ahne dabei oft die Reaktionen der Kollegen voraus, wenn sie die Noten in der ersten Probe vor sich haben. Umgekehrt merke ich, dass niemand – ich schreibe auch für manch anderes Ensemble – die Noten so gut verstehen und antizipieren kann wie Sabine, Hubert oder Leonard. Es bedarf hier selten zusätzlicher Erklärungen.
Auf dem Album findet sich ein Stück von Peter Androsch, „Angewandte Grammatik”. Gibt es so etwas wie eine eigene CrossNova-Grammatik?
Leonard Eröd: Es gibt bei uns schon eine besondere Art der Kommunikation, die einerseits geprägt ist von enormer Wertschätzung und Liebe zueinander, andererseits von schonungsloser Ehrlichkeit und Offenheit. Das spannende bei einem Quartett ist ja, dass es bei Meinungsverschiedenheiten entweder zwei zu zwei steht oder sich einer von den drei anderen an die Wand gedrängt fühlt. Um aus diesen beiden Situationen unbeschadet herauszukommen, braucht es manchmal Feingefühl.
Sabine Nova: Für mich ist es nicht die Grammatik, sondern die Klangsprache, der Dialekt. Jeder von uns bringt seinen eigenen Dialekt, seinen eigenen Background mit, aber gemeinsam haben wir uns in etwas Eigenem gefunden. Wenn wir vier zusammenspielen, fühle ich mich zu Hause – als sei ich im Salzkammergut und höre die Leute reden.
Hubert Kerschbaumer: Vielleicht gibt es so etwas wie eine „geheime“ Grammatik. In jeder Situation, ob Probe, Konzert, oder CD-Aufnahme, wir schaffen es immer wieder, unsere Energien so zu bündeln, dass wir ein für alle passendes Optimum erreichen.
Welche unterschiedlichen Zugänge lassen sich vereinen, kann es im musikalischen Kontext überhaupt so etwas wie Grammatikfehler geben?
Leonard Eröd: Ja, parallele Quinten. Ich bin im Ensemble als Tonsatz-Purist verschrien, stehe aber gerne dazu.
Sabine Nova: Vielleicht nicht Grammatikfehler, aber doch Missverständnisse, oder wie es Heinz Holliger zu sagen pflegt: „Mistverständnisse“.
Rainer Nova: Es kommt aber auch vor, dass aus Mistverständnissen neue Ideen entspringen – der „Fehler“ sozusagen als Inspirationsquelle. Es ist keine große Kunst, die Unterschiede einer barocken Arie zu einer Soul-Ballade heraus zu arbeiten, aber um die gemeinsamen und verbindenden Elemente spürbar zu machen, bedarf es schon etwas mehr Sensibilität. Das geht dann, denke ich, schon weit über eine „Grammatik“ im herkömmlichen Sinne hinaus.
Welche Stilrichtungen konntet ihr bis jetzt noch nicht vereinen, liegen euch aber auch am Herzen? Rainer Nova hat seine Berührungsängste zu serieller Musik zum Beispiel im Stück „Dodeka Fun(k)“ verarbeitet.
Leonard Eröd : Meine große Liebe zur Barockmusik und vor allem ihrer historisch informierten Aufführungspraxis kann mit unserem modernen Instrumentarium leider nicht vollends erfüllt werden, obwohl wir tatsächlich schon Werke von Bach und Purcell eingespielt haben – aber eben „auf unsere Art“.
Sabine Nova: Es gibt seit geraumer Zeit die Idee, ein Schlager-Programm zu entwickeln. „Schlagerdiamanten“ hieß die erste Schallplatte, die ich von meiner Omi geschenkt bekam.
Hubert Kerschbaumer: Nachdem ich mich im „Dodeka Fun(k)“ tatsächlich mit Body-Percussion auseinandersetzen durfte, würde mich rappen durchaus reizen.
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Rainer, du hast dich im Musikinstrumentenmuseum Kremsegg um den Friedrich Gulda-Nachlass gekümmert, deine Diplomarbeit über den Komponisten geschrieben, über 130 Interviews mit seinen Wegbegleitern geführt. Vergangenen Mai wäre Gulda 90 Jahre alt geworden. Im Herbst spielt ihr im Rahmen des Allegro Vivo–Festivals ein multimediales Porträt. Was macht das nachhaltige Interesse an der Person Gulda aus?
Rainer Nova: Oberflächlich betrachtet war Friedrich Gulda jemand, der außergewöhnlich gut Klavier gespielt hat. Auch damit könnte man sich schon eine Zeit lang beschäftigen. Er hat sich schon sehr zeitig mit all den Fragen, die sich für jede kreative Künstlerin, jeden kreativen Künstler früher oder später stellen, auseinandergesetzt und daraus konsequent seine Schlüsse gezogen. Kurioserweise ist ihm seine klassische Meisterschaft am Klavier dabei eher im Weg gestanden. Friedrich Gulda hat aber früh erkannt, dass der klassisch bürgerliche Musikbetrieb, wie er ihn kannte und wir immer noch kennen, für viele Teile der Gesellschaft völlig irrelevant ist.
Er hat folglich allen Ansätzen elitärer Zirkel, die versuchten, ihn für sich zu vereinnahmen, eine radikale Absage erteilt. Wenn ich jetzt lese, dass die Jeunesse als Reaktion auf die Auswirkungen der Corona-Krise kommendes Jahr die Education-Programme und die Konzerte in den Bundesländern zur Gänze streicht, nicht oder kaum aber die klassischen Abendkonzertzyklen in Wien, dann wird in trauriger Weise sichtbar, wie aktuell all diese Dinge sind, und wie weit Friedrich Gulda seiner Zeit in vielen dieser Fragen voraus war.
Friedrich Gulda bekam 1969 an der Wiener Musikakademie den Beethoven-Ring verliehen – und gab ihn mit den Worten: „Wenn ich innerlich zu etwas geworden bin, dann nicht wegen, sondern trotz der Akademie” direkt zurück. Welchen Stellenwert hat der akademische Zugang in den Werken von CrossNova?
Rainer Nova: Der akademische Zugang wird glücklicherweise zusehends geringer. Ich habe den Moment, nachdem ich meine letzte Diplomprüfung absolviert hatte, als große Befreiung in Erinnerung. Dabei hatte ich großes Glück mit all meinen Lehrern und habe schon während des Studiums viele Freiheiten genossen. Aber ich habe mich sehr auf den Moment gefreut, als ich vollständig autonom entscheiden konnte, womit ich mich musikalisch beschäftigen möchte. Das Studium kann einem schon vieles vermitteln, allem voran natürlich das instrumentale „Handwerk“. Aber ein künstlerisch wertvoller Unterricht sollte möglichst wenig „richtige“ Antworten liefern. Er soll nur die richtigen Fragen stellen. Und das hört zum Glück nie auf.
Ihr tretet zum Teil auch in eher ungewöhnlichen Settings auf. Welche Orte gilt es noch musikalisch zu erkunden und zu bespielen?
Leonard Eröd: Der Fantasie sind hier zwar wenige Grenzen gesetzt, der akustischen Verwendbarkeit aber leider wohl. Freiluftkonzerte funktionieren bei uns leider nur mit Verstärkung. Wir würden uns also auch über „gewöhnliche Settings“ wie die Carnegie Hall oder das Opernhaus in Sidney freuen.
Sabine Nova: Mein persönliches Highlight war die Dachstein Eishöhle. Das ist schwer zu toppen. Räume, die viel Geschichte atmen, wie Burg Rapottenstein, erfülle ich besonders gern mit Klängen.
Hubert Kerschbaumer: Ich sehe das wie zuvor mit den Grenzen. Es gibt keine. Und sollten sich einige auftun, dann werden wir versuchen, sie zu überwinden.
„Man kann allen Ungerechtigkeiten und Schrecklichkeiten der Welt mit Humor begegnen.“
Im 2010 erschienen Musikvideo „CrossNova Ensemble spielt J.Ph. Reclam” werden Aspekte der Materialität, Operativität, Ikonizität und Performativität von lateinisch-westlicher Notation (lat. nota: Merkmal, Schriftzeichen) humoristisch veranschaulicht. Es stammte aus dem gemeinsamen Kammer-Kabarett-Programm „Unfassbares Österreich” mit Ludwig Müller. Welche Merkmale der aktuellen Situation für Musikschaffende in Österreich erscheinen euch unfassbar, welchen könnt ihr mit Humor begegnen?
Leonard Eröd: Man kann allen Ungerechtigkeiten und Schrecklichkeiten der Welt mit Humor begegnen. Manchmal ist er sogar die wirksamste Waffe.
Sabine Nova: „Humor ist, wenn man trotzdem lacht.“ Was anderes bleibt einem ja nicht übrig.
Rainer Nova: Wir haben das Glück, dass wir alle vier nicht existentiell von der freien Szene abhängig sind, da uns die pädagogische Tätigkeit bzw. das Orchesterengagement bis zu einem gewissen Grad finanziell unabhängig macht. Das ermöglicht uns auch in normalen Zeiten absolute künstlerische Freiheit. Humorlosigkeit ist vermutlich eine der schlimmsten Seuchen, da Humor immer ein Ventil ist und eine gewisse Distanz zum eigenen Tun ermöglicht. Aber ich kann sehr gut nachvollziehen, dass vielen Kolleginnen und Kollegen angesichts der prekären Lage in den vergangenen Wochen und den damit verbundenen Perspektiven ganz und gar nicht nach Lachen zumute ist.
Hubert Kerschbaumer: Wer nicht lachen kann, – und vor allem nicht über sich selbst – verzichtet auf einen großen Erkenntnisreichtum in seinem Leben.
Als Ensemble seid ihr ja immer wieder gemeinsam auf Reisen. Das mit Bibelzitaten ironisch aufgeladene, narrative Stück „Mose (Exodus) Kapitel 16” von Flora Geißelbrecht wirft eine Frage auf: Was ist für euch die perfekte Reisespeise?
Leonard Eröd: Tatsächlich sind die im „Mose“ beschriebenen Manner-Schnitten Standardnahrung bei unseren Proben. Wenn wir unterwegs sind, bemühen wir uns aber auch immer, in lokalen Gasthäusern die regionalen Spezialitäten zu probieren.
Sabine Nova: Bei den perfekten Probenspeisen gilt: Hauptsache süß und genug Koffein dazu!
Rainer Nova: Wenn es um die Schnitte geht, bin ich absoluter Purist. Ich bin sogar stolzer Besitzer eines Manner-Schnitt-O-Mats. Das Kuriose ist, dass wir das Flora Geißelbrecht nie erzählt hatten. Sie scheint überhaupt ein außergewöhnliches Sensorium für ihre Umwelt zu haben. Denn vieles im Stück „Mose (Exodus) Kapitel 16“ ist unseren unterschiedlichen Charakteren geradezu auf den Leib geschrieben.
Hubert Kerschbaumer: Als Löwe geborener Genussmensch gibt es für mich auch hier keine Grenzen. Das einzige was dabei von äußerster Wichtigkeit ist – wie schon im Ensemble – der harmonische Einklang der Einzelteile.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Michael Franz Woels, Christoph Benkeser
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