„WIR KÖNNTEN UNS DIE NÄCHSTEN 100 JAHRE MIT DIESEM GROOVE BESCHÄFTIGEN“ – ELEKTRO GUZZI IM MICA-INTERVIEW

ELEKTRO GUZZI veröffentlichen innerhalb eines Jahres das zweite Album. Weil vor dem „Trip“ immer nach dem „Trip“ ist, heißt „Triangle“ Ekstase für die Langstrecke – und den Kieferorthopäden. Schließlich tarieren BERNHARD BREUER, BERNHARD HAMMER UND JAKOB SCHNEIDEWIND in der Wiederholung die Wiederholung aus. Am Ende pfeift der Bass im Lendenbereich. Es klingt alles anders. Und das Auge hört mit. Warum ihnen bisher der Pop-Appeal fehlt, wie Chilly Gonzales dabei helfen könnte und wieso die alte Platte ein neuer Start ist, haben die drei Guzzis in ihrem Proberaum mit Christoph Benkeser besprochen.

Gerade ist eure neunte Platte erschienen. Die Erkenntnis: Techno ist euch noch nicht fad geworden.

Jakob Schneidewind: Na, es gibt schon viel faden Techno.

Bernhard Breuer: Und faden Polka!

Bernhard Hammer: Dabei hast du mir vorhin Rrose vorgespielt, they macht richtig interessanten Sound, das geht weg vom Techno. Einer der Ersten, der in diese Richtung experimentiert hat, war außerdem Efdemin – sein Sound ging in eine elektroakustische Richtung, die er in den Club verlagert hat. Dieser Anspruch, das Abstrakte zurück auf die Tanzfläche zu bringen, nehme ich wahr.

Jakob Schneidewind: Gleichzeitig erscheinen einfach viele Platten, weil die meisten Artists in der letzten Zeit nicht touren konnten. Wir haben das in der Promo zu „Triangle“ gemerkt: Aufmerksamkeit zu bekommen, ist schwierig. Die Presswerke sind am Limit. Es herrscht an allen Ecken eine Übersättigung. Wir wollen trotzdem weitertun, weil wir ständig neue Ideen haben – deshalb entsteht bei uns eine neue Platte.

Bernhard Breuer: Es ist nicht so, dass wir eine hätten machen müssen.

Jakob Schneidewind: Die Leute schreien ja nicht nach einer neuen Platte von uns. Wir wollen aber weitermachen. Außerdem sind wir mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem wir – zumindest in der Theorie – zwei Alben pro Jahr machen könnten.

Bernhard Hammer: Unsere letzte, „Trip“, erschien im vergangenen Juni. Danach konnten wir Gigs spielen, das war davor pandemiebedingt überhaupt nicht der Fall. Deshalb ist „Trip“ aus einer Art Trockentraining entstanden, während „Triangle“ viel mehr aus unserer Praxis kommt.

Was vor Corona nicht anders war, oder?

Bernhard Hammer: Die Platten entstanden aus dem Live-Spielen, ja.

Vor einem Jahr habt ihr erzählt, dass ihr eure Proben nicht mehr mitschneidet. Ein turning point sei das gewesen, weil ihr dadurch …

Bernhard Hammer: Mehr im Moment sein konnten.

Jakob Schneidewind: Dabei haben wir sowohl auf „Trip“ als auch auf „Triangle“ wenig reproduziert, sondern fast ausschließlich improvisiert und im Nachhinein die besten Stücke ausgewählt.

Bernhard Hammer: Allerdings hatten wir bei „Trip“ Ausgangsstücke, die uns als Startpunkt dienten und uns nach 20 Minuten zu etwas führten, das auf der Platte landen konnte. Bei „Triangle“ haben wir mehr ins Blaue gespielt.

Jakob Schneidewind: Das entspricht unserem Live-Charakter. Wir gehen blank auf die Bühne, improvisieren – zu dieser Spielart haben wir im Laufe der vergangenen Jahre gefunden. Das Zusammenspiel in der Improvisation steht damit im Vordergrund.

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Bedingt durch blindes Vertrauen ins Gegenüber. Ihr macht das auch schon lange genug in dieser Konstellation.

Bernhard Hammer: Wir hatten unseren ersten Gig 2005 im Fluc – im kleinen Container!

Bernhard Breuer: Da gab es noch nicht einmal die Mensa. Vor uns hat Karl Kilian als DJ Kosmoprolet gespielt.

Wahnsinn, das ist lang her.

Jakob Schneidewind: Zuletzt haben wir immer wieder in Kollaborationen gearbeitet, eine Platte mit Posaunen aufgenommen und auf einer anderen mit einem Streichorchester experimentiert. Außerdem hatten wir ein Projekt mit Ingrid Schmoliner. Sowohl bei „Trip“ als auch bei „Triangle“ ging es uns wiederum darum, als Trio aufzutreten. Das ist die Essenz unserer Zusammenarbeit.

Bernhard Hammer: Mittlerweile haben wir durch unser eigenes Label eine Struktur aufgebaut, können selbst aufnehmen und mischen – da ist es verlockend, schnell eine neue Platte zu machen. Wir kuratieren uns selbst, können von innen heraus agieren und sind unabhängig. Gleichzeitig müssen wir lernen, den Außenblick in unser Tun einzubauen. Sonst wird es zu viel.

Jakob Schneidewind: Dass wir eine Platte machen und raushauen können, find ich trotzdem gut. Den Kassenschlager zu fabrizieren, ist sowieso nicht unser Anspruch. Das ist im Underground vorbei. Wir wollen unsere Musik nach außen tragen und unsere Fanbase bedienen – egal, wie groß sie ist.

Mittlerweile veröffentlicht ihr seit mehreren Jahren auf eurem eigenen Label Palazzo. Davor habt ihr beim deutschen Label Macro veröffentlicht, dazwischen auch auf Denovali.

Bernhard Hammer: Mit Macro hatten wir fast nur gute Erfahrungen, sie haben Wert auf eine Kuration gelegt, was gerade in Artwork-Fragen zu längeren Diskussionen führen konnte. Denovali war schließlich der Grund, ein eigenes Label zu starten. Sie haben die damalige Platte in den Sand gesetzt, danach wollten wir nichts mehr mit ihnen zu tun haben.

Der Schritt in die Unabhängigkeit geht mit einer Abkehr vom Mainstream einher. War der jemals ein Ziel?

Bernhard Hammer: Es ist nie passiert. Wir haben eine Zeit lang bei riesigen Festivals gespielt, aber …

Jakob Schneidewind: Der Mainstream ging sich mit unserer Musik nie aus. Sie ist zu abstrakt, der Pop-Appeal fehlt.

Dem hätte man sich öffnen können. Das passierte nie.

Bernhard Hammer: Daran hatten wir kein Interesse. Ich war vor einem Jahr bei einem Konzert von Apparat – ich hab es mir irgendwann von draußen angehört, weil eine Pop-Schnulze nach der anderen kam.

Bernhard Breuer: Wir haben aber keine grundsätzliche Abneigung Pop gegenüber. Wir haben es nur noch nicht geschafft, ihn zu produzieren. Es müsste auf eine Art passieren, die uns gefällt. Das ist schwierig, weil wir eine Sprache entwickelt haben, innerhalb derer wir uns verstehen. Wir müssten eine neue entwickeln, das haben wir uns noch nicht getraut.

Weil Elektro Guzzi sich nicht auf drei Minuten kondensieren lässt, sondern die Dauer des Sets braucht, um einen Spannungsbogen zu ziehen?

Bernhard Breuer: Schon, ja. Trotzdem möchte ich den Pop-Weg nicht ausschließen.

Bernhard Hammer: Gleichzeitig müssten wir ihn uns erarbeiten.

Bernhard Breuer: Auch weil ich großen Respekt vor Leuten habe, die gute Popsongs schreiben – selbst im Techno-Bereich. GusGus produzieren absoluten Pop-Kitsch, aber auf eine Art, die funktioniert.

Jakob Schneidwind: Dafür müsstest du schon deine Gesangsstunden in Angriff nehmen – zumindest für die Kopfstimme.

Bernhard Hammer: Wir müssten uns einfach die Masterclass-Videos von Chilly Gonzales reinziehen. Der erklärt am Klavier genau, wie es funktioniert.

Bernhard Breuer: Bei uns war es eher so: Wir entdecken etwas, formulieren es aus und stehen irgendwann an.

Bernhard Hammer: Über den Punkt, an dem wir den Pop gestreift haben, sind wir bisher nicht gekommen.

Bild Elektro Guzzi
Elektro Guzzi (c) Pressefoto

Weil der Loop das Sicherheitsnetz für euch ist?

Bernhard Breuer: Na ja, unsere Sprache bedient eine andere Funktion als ein Pop-Song. Bei uns geht es stärker darum, wie Rhythmus und Sound ineinandergreifen. Das funktioniert mit einem experimentellen Zugang besser als über klassische Schemen. Außerdem gibt es darin noch genug zu entdecken. Wir könnten uns die nächsten 100 Jahre mit diesem einen scheiß Groove beschäftigen, den wir seit 15 Jahren spielen, ohne dass uns fad wird.

Die Wiederholung in der Wiederholung – trotzdem ändert sich was.

Bernhard Breuer: Es ist immer noch rituelle Musik, die jeden berührt. Deshalb ist Techno in den letzten Jahren wieder so groß geworden.

Und schneller!

Bernhard Breuer: Unbedingt. Ich treib mich zwar nicht mehr auf Raves herum, aber wenn ich mir anhöre, was veröffentlicht wird … Das zaht schon an.

„WENN WIR ALT UND SCHIRCH WERDEN, WIRD UNSERE MUSIK SCHLECHTER.“

Dahingehend bleibt ihr der Vergangenheit treu.

Jakob Schneidewind: Weil es der Sound ist, den wir als Band machen wollen. Es hat eine andere Qualität, als wenn wir einfach einen USB-Stick einstecken würden.

Bernhard Breuer: Deshalb kamen auf Gigs oft Leute auf uns zu, die meinten: „Ich mag normal keinen Techno, aber euch kann ich mir anhören!“

Bernhard Hammer: Gerade auf Festivals, wo es keinen unmittelbaren Electronic-Kontext gibt.

Bernhard Breuer: Die Leute sehen unsere Performance und verbinden ihre Vorstellung mit unseren Instrumenten. Dadurch wird Techno greifbarer.

Bernhard Hammer: Das Auge hört mit. Sobald dir etwas optisch nicht gefällt, klingt es nicht mehr gut.

Bernhard Breuer: Das heißt: Wenn wir alt und schirch werden, wird unsere Musik schlechter.

Am Ende stehen nur noch die Roboter auf der Bühne.

Bernhard Hammer: Das war immer unsere Vision. Einmal haben wir sogar hinter einer Leinwand gespielt, man sollte uns nicht sehen.

Jakob Schneidewind: Das ist die Idee des ursprünglichen Detroit-Techno. Deshalb haben sich anfangs viele hinter Masken versteckt oder ihre Identität auf andere Weise verschleiert – eine Idee, der wir viel abgewinnen können.

Mittlerweile machen es die Leute aus einer anderen Intention.

Jakob Schneidewind: Ja, es ist zu einem Gag geworden. Im Ursprung, zum Beispiel bei Underground Resistance, schwingt aber eine politische Message mit.

Womit wir bei der Frage sind, ob Techno noch politisch sein kann.

Jakob Schneidewind: Die Energie, die in der elektronischen Musik mitschwingt, ist nach wie vor da. Allerdings hat sich Techno ausdifferenziert. Auf der einen Seite hat man die kommerziellen IDM, auf der anderen gibt es Labels wie Nyege Nyege aus Uganda, die den Anfangsspirit in einer radikalen Soundästhetik transportieren.

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Wohin führt „Triangle“ in dieser Hinsicht?

Bernhard Hammer: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Zuerst fällt sicher das schöne Cover von Inga Hehn auf – sie arbeitet minimalistisch und mit Tusche. Außerdem steht der Albumtitel „Triangle“ im Fokus.

Die Benennung der Stücke sei wichtiger geworden als früher, hast du bei unserem letzten Interview gesagt.

Bernhard Hammer: Das war der Plan. Wir wollen durch die Namen im Vorhinein abstecken, in welche Richtung wir uns im Sound bewegen.

Jakob Schneidewind: Der Zwischenschritt zurück zum Trio bestand aber aus drei EPs, die wir unabhängig voneinander produziert haben. Sie hatten Winkelbezeichnungen, das war …

Bernhard Hammer: Extrem durchdacht!

Klingt deep, ja!

Bernhard Hammer: Dafür haben wir vergessen, dem aktuellen Album die Download-Codes für die Solo-EPs beizulegen.

Vergessen wie: eure Homepage zu aktualisieren.

Bernhard Breuer: Bitte, was?

Na, die Palazzo-Seite ist 2018 das letzte Mal aktualisiert worden.

Bernhard Breuer: Ich hab ganz vergessen, dass es die noch gibt.

Bernhard Hammer: Bei der müssen wir eine Umleitung machen, ja.

Bernhard Breuer: Immerhin funktioniert die Elektro Guzzi-Page.

Einigen wir uns darauf, dass die Technik funktioniert. Wie sieht’s mit der Zukunft aus?

Bernhard Hammer: Wir haben uns für „Triangle“ vor allem mit dem Schlagzeug-Sound gespielt. Es sollte eine Akustik-Ebene bekommen, weniger elektronisch klingen. Das ist ein Weg, den wir bewusst einschlagen.

Jakob Schneidewind: Bei „Trip“ war es eher noch eine wall of sound – inzwischen wollen wir die Details wieder stärker herausarbeiten.

Bernhard Breuer: Ich hab mich mit der Mikrofonierung auseinandergesetzt, den Raum mit Bändchen-Mikrofonen aufgenommen, die ich eineinhalb Meter von der Bass-Drum positioniert habe. Dadurch bekommt der Sound mehr Luft, er wird transparenter und fasst ein Stereo-Bild ein. Inzwischen habe ich deshalb das Gefühl, dass „Triangle“ der Start von etwas ist.

Jeder Anfang ist ein neues Ende. Danke für eure Zeit und bis zur nächsten Platte!

Christoph Benkeser

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