Die 2015 gegründete Band ANOTHER VISION liefert mit „Inbetween“ (soda. mit himbeer; VÖ: 8.4.) ein Debütalbum ab, auf dem vieles auf sehr spannende Weise zusammenkommt: Elektronische Synth-Sounds treffen auf analoges Instrumentarium, Anleihen aus dem Pop der 1980 auf Elemente moderner Spielarten, anspruchsvolle Rhythmusarbeit auf Tanzbarkeit, ein verträumt-melancholischer Grundton auf Melodien, die sofort ins Ohren gehen. Es ist definitiv eine ganz eigene Version von Popmusik, mit der die beiden Köpfe MORITZ KRISTMANN und MICHAEL SCHMÜCKING hier aufwarten. Im Interview mit Michael Ternai erzählt das Zweiergespann über die Findung des eigenen Sounds, darüber, dass weniger oft mehr ist, und warum Popmusik nicht böse ist.
Vergleicht man „Inbetween“ mit euren bisherigen Veröffentlichungen, den EPs „Stranger“ und „Off the Leash“, kann man wirklich hören, wie sehr ihr euch weiterentwickelt habt. Während ihr zu Beginn noch stark den elektronischen 1980er Jahre Synthiepop-Vibe hattet, ist von diesem in euren neuen Songs nur noch wenig zu hören. Euch ist es wirklich gelungen, euren eigenen Sound zu entwickeln.
Moritz Kristmann: Das Witzige ist, dass das Projekt 2015 ursprünglich aus unserer gemeinsamen Idee entsprungen ist, uns zusammenzutun, um in Richtung DJ-Set für Clubs zu arbeiten. Vermutlich stammt auch genau daher dieser starke elektronische Einschlag, der in unseren ersten Songs durchklingt. Wir stellten aber mit der Zeit immer mehr fest, dass das dann doch nicht so wirklich unser Ding ist, auch deswegen, weil wir davor beide in Bands gespielt haben und eine Bandkonstellation im Grunde auch sehr schätzen. Und in diese Richtung hat es sich dann immer weiterentwickelt. Irgendwann ist dann auch noch ein Live-Schlagzeug hinzugekommen, wodurch sich unser Sound nochmals etwas verändert hat. Wir haben mit Patrick Huter einen Schlagzeuger dabei, der einen sehr markanten Sound mitbringt und diesen auch wirklich versteht, einzubringen. Mit der Zeit hat sich schließlich auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass bei aller Spielerei es letztlich dann doch gute Songs sein sollten, die man – wenn man will – auch auf eine Akustikgitarre runterbrechen könnte. Wenn die Melodien stark genug sind, finde ich, dann kann die Produktion in alle Richtungen gehen.
Michael Schmücking: Am Anfang ist es uns vor allem darum gegangen, uns Equipement anzuschaffen und es gemeinsam zum Funktionieren zu bringen. Mit der Zeit ist es dann immer mehr und mehr Equipement geworden, bis wir zu unseren Konzerten zu zweit mit sieben Synthesizer angereist sind. Wir hatten zum Teil sogar mehr Koffer mit dabei als all die großen Bands. Die Tontechniker haben uns oft schon den Vogel gezeigt und uns gefragt: „Was denn mit uns los ist?“ Und genauso umfangreich wie unser Equipement damals war, waren auch unsere Songs massiv überladen. In jedem Song hast du es irgendwo klingen oder elektronisch zirpen gehört. Das hat sich erst geändert, als wir angefangen haben, mit Mario [Fartacek; Anm.] und Alex [Lausch; Anm.] zu produzieren. Sie haben uns die Erkenntnis gebracht, dass es eigentlich notwendig wäre auszusortieren und Sachen für sich stehen zu lassen. Was dieses ganze Aussortieren zudem gebracht hat, ist, dass jetzt einfach viel mehr Raum für kleine Soundspielerein da ist.
Moritz Kristmann: Bei dem Album war es ja das erste Mal, dass wir mit Produzenten zusammengearbeitet haben. Und die Zusammenarbeit hat uns nochmals eine ganz neue musikalische Welt eröffnet.
„Moritz ist da zum Teil schon ganz blass gewesen, als er gesehen hat, was mit den Songs passiert.“
Wie sah die Zusammenarbeit mit den beiden Produzenten aus? Welche Rolle haben sie gespielt?
Moritz Kristmann: Der Workflow sieht im Grunde so aus, dass wir die Nummern eigentlich schon recht weit haben, wenn wir ins Studio gehen. Dort geht es mehr darum, die besten Parts und Sounds, die für den Song nötig sind, herauszufiltern und die Sachen, die nicht wirklich tragende Elemente sind, wegzulassen. Und das haben wir bei diesem Album zum ersten Mal wirklich so gemacht.
Michael Schmücking: Es ist, glaube ich, wichtig, dass das ein Außenstehender macht, der emotional nicht an irgendwelchen Parts hängt, sondern einfach nur sagt, dass das und das jetzt einfach weggehört. Moritz ist da zum Teil schon ganz blass gewesen, als er gesehen hat, was mit den Songs passiert.Gerade bei der Nummer „Heartbeat“, die ursprünglich ganz anders geklungen hat, ist er fast schon grantig alleine hinten im Eck im Studio gesessen. [lacht]
Moritz Kristmann: Das war ja der erste Song, den wir gemacht haben. Und ich erinnere mich, dass ich, nachdem ich damals am Abend vom Studio nach Hause gekommen bin, eine kleine Träne verdrückt und mir gedacht habe: „Da wird grad mein Song auseinandergerissen.“ Rückblickend war das aber die absolut richtige Entscheidung.
Wie sieht bei euch die Aufteilung aus? Wer schreibt die Songs, wer ist für die Sounds verantwortlich?
Michael Schmücking: Moritz ist der Hauptsongschreiber. Wenn das Grundkonzept eines Songs steht, arbeiten wir ihn dann gemeinsam aus. Wir schauen, wo vielleicht noch etwas fehlt und was man da und dort vielleicht ändern könnte. Wobei ich das jetzt eine Vorproduktionsphase nennen würde. Dann geht es zu Mario und Alex ins Studio, wo wir gemeinsam die Songs fertig machen.
Moritz Kristmann: Genau.Der eigentliche Recording-Prozess passiert – bis auf das Schlagzeug – bei mir im Schlafzimmer. Die ganzen Synths und Gitarren nehmen wir eigentlich dort auf. Und es entsteht dort immer wieder ein ganz eigener Vibe, der sich aber nur in dieser einen Situation und Umgebung bilden kann. Diesen dann im Studio zu wiederholen, ist manchmal echt schwierig.
Michael Schmücking: Das beste Beispiel dafür ist die Nummer „Rieger“. Dieser Song ist eigentlich zu Weihnachten mitten in der Nacht in einer Gartenhütte entstanden. Sprich in einer ganz besonderen Atmosphäre. Und so sehr wir es auch versucht haben, ein bestimmtes Sample, welches eben an diesem Abend entstanden ist, nachzubauen, es ist uns nicht gelungen. Letztlich haben wir dann auf dieses dreckige Sample zurückgegriffen, das eben an dem Tag in der Gartenhütte entstanden ist.
Das hört sich an, als wäret ihr besonders perfektionistisch veranlagt.
Moritz Kristmann: Ja, definitiv.
Wo kommt ihr musikalisch eigentlich her?
Moritz Kristmann: Eigentlich aus dem Rock ‘n’ Roll. Wir haben beide davor in Bands gespielt.
Michael Schmücking: Moritz hatte zunächst eine Punkband. Später spielte er in einer Psychedelic-Rock-Band. Ich hatte erst eine Art Bluesband, bin aber später immer mehr in House abrutscht und habe zum Auflegen begonnen. Wie wir gemeinsam begonnen haben, kam gerade das erste Darkside-Album raus, das uns sehr geprägt hat. Wie wir es gehört haben, haben wir uns gedacht, das wollen wir auch machen. Ein Künstler, der viel Einfluss auf uns ausgeübt hat, war sicher Todd Terje. Von dem wollten wir megaviel übernehmen. Ich glaube, wir hätten uns nie einen Synthesizer zugelegt bzw. überhaupt der elektronischen Musik zugewendet, wenn wir Todd Terje nicht entdeckt hätten.
Moritz Kristmann: Ich denke, diese Bands haben wir gebraucht, um herauszufinden, was wir wirklich machen wollen. Wenn du aus demRock ‘n’ Roll-Eck kommst, ist Pop immer sehr schnell sehr böse, weil es Mainstream ist. Sich aber dennoch einzugestehen, man kann und will Pop machen, das hat vielleicht ein wenig gedauert.
Dennoch will ich eure Platte nicht als Beispiel für eine klassische Pop-Platte hernehmen. Ihr habt schon einen sehr eigenen Sound gefunden. Und dieser dürfte ankommen, wie man sieht. Eure Singles werden ja regelmäßig im Radio gespielt.
Michael Schmücking: Wir sind natürlich megahappy, dass das so ist. Und wir wären mittlerweile enttäuscht, wenn es auf FM4 nicht ankommen würde. [lacht]
Moritz Kristmann: Als mit „Head in the Clouds“ unsere erste Single im Radio gelaufen ist, empfand ich das als wirklich schönen Moment. Ohne Radio-Airplay hat man es als noch relativ unbekannte Band nicht unbedingt leicht, Aufmerksamkeit zu generieren. Und das hilft dabei natürlich. Zudem ist es schön, die Anerkennung zu bekommen. Gerade in Zeiten, in denen Liveauftritt nicht in dem Maße möglich sind, wie noch vor der Pandemie, und man sich die Anerkennung vom Publikum holen kann.
„Ich brauche zum Songschreiben eine melancholische Grundstimmung.“
Stichwort Pandemie. Wie habt ihr diese, als eine Band, die gerade dabei ist, durchzustarten, empfunden?
Michael Schmücking: Ich glaube, die Pandemie war für uns der richtige Moment mit dieser Albumproduktion zu starten, weil wir wirklich Zeit gehabt haben. Mit vielen Liveauftritten hätten wir definitiv nicht mit dieser Intensität an der Platte arbeiten können. Von da her haben wir diese Zeit gut für uns genutzt. Wobei der Spielhunger mittlerweile sehr groß ist und wir den kommenden Konzerten wirklich entgegenfiebern.
Moritz Kristmann: Ich brauche zum Songschreiben eine melancholische Grundstimmung. Zumindest habe ich das Gefühl, dass es dann besser funktioniert. Grad im ersten Lockdown sind die Ideen nur so aus mir herausgesprudelt. In diesen Monaten sind viele Songs entstanden. Zudem ist Michael in dieser Zeit auch nach Innsbruck zurückgezogen. Wenn der beste Freund nicht mehr in derselben Stadt wohnt, beschäftigt dich das natürlich. Aber genau solche Dinge lassen dich emotionaler schreiben. So gesehen hat sich der der Titel des Albums auch gut angeboten. „Inbetween“ kann vieles bedeuten. Die Distanz zwischen den Städten, die Lebensphase zwischen gerade mit der Uni fertig werden und den nächsten Lebensabschnitt beginnen. Es ist ein sehr offenes Thema. Jeder kann da schön etwas reininterpretieren.
Was euch auch wirklich gut gelingt, ist eure Musik in Videos zu übertragen? Wie sehr seid ihr an der Produktion beteiligt?
Michael Schmücking: Wir arbeiten bei den Videos sehr viel mit Gabriel Hyden zusammen. Er ist ja eine echte Koryphäe auf seinem Gebiet. Vor allem kann er aus sehr wenig sehr viel machen. Wir setzen uns einfach mit ihm zusammen und reden darüber, was wir haben wollen. Ich habe mit Gabriel ja eine Zeit lang zusammengewohnt, daher hat er eigentlich schon sehr klare Vorstellungen darüber, wohin es gehen soll.
Nach dem Release geht es ja eigentlich gleich auf Tour. Ihr spielt in Österreich, Deutschland, Tschechien und in der Slowakei. Wie kann man sich die Liveumsetzung eurer Musik vorstellen?
Moritz Kristmann: Da haben wir auf etwas länger gebraucht, um wirklich unseren Weg zu finden. Wir haben auf jeden Fall den Anspruch, dass wir unsere Songs live schon um einen Tick rockiger spielen wollen. Bei uns spielt ja jeder quasi alles. Wir tauschen, was die Instrumente betrifft, sehr durch, weil das die Songs einfach erfordern. Wenn man zu zweit bzw. mit einem Schlagzeuger zu dritt ist, muss man in einem Song mal Synth spielen, im nächsten dann Bass oder Gitarre.
Michael Schmücking: Wir hatten ja letzte Woche unsere letzte Probe. Und in der ist für mich das Bahnbrechendste überhaupt passiert. Unser Schlagzeuger Patrick kommt ja eigentlich aus der Worldmusic-Ecke und hat mit unserem Sound recht wenig am Hut. Wir haben ihn auch einmal gebeten, dass er sich ein Drumpad zulegen soll, über das wir unsere Drumsamples abfeuern können. Das ist uns aber irgendwie abhandengekommen und ist seitdem nicht mehr auffindbar. Bei der letzten Probe hat er sich dann zwei Bongos hingestellt und so richtig losgelegt. Ich weiß bis heute nicht, wie jemand seine Beine und Arme rhythmisch so unabhängig voneinander einsetzen kann. Dieses Element kommt jetzt dazu. Und auf das freue ich mich sehr. Patrick hat Rhythmen in unsere Musik reingebracht, auf die wären wir selber nie gekommen.
Nachdem ihr mit dem Release eures neuen Albums euer aktuelles Projekt abschließt und auf Tour geht, macht ihr dann erst einmal Pause oder legt ihr gleich wieder los? Was plant ihr?
Michael Schmücking: Wir waren eigentlich schon im Studio, um die nächsten Nummern aufzunehmen. Unter anderem veröffentlichen wir im Mai einen gemeinsamen Song mit Pippa. Eine schöne Nummer, die spannenderweise halb deutsch, halb englisch sein wird. Da sind wir gespannt drauf.
Moritz Kristmann: Darüber hinaus arbeiten wir gerade an vier Songs, die vielleicht dann als EP erscheinen werden. Und wir haben auch schon wieder Ideen dafür, ein Gesamtkonzept zu machen, was extrem wichtig ist. Es muss heutzutage einfach alles zusammenpassen, von der Musik bis zum Liveoutfit.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Michael Ternai
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