„Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren“ (Abgesang) lautet der Titel des neuen Albums von VIECH. VIECH sind PAUL PLUT, MARTINA STRANGER und CHRISTOPH LEDERHILGER, die neben Liebe und Tod als roten Leitfaden das Älterwerden thematisieren. Im Interview mit Julia Philomena sprach die Band von persönlichen Momentaufnahmen, Gelassenheit und Eigensinn.
„Niemand wird sich erinnern, dass wir hier waren“ – Was wollt ihr mit dem Titel ankündigen? Habt ihr jugendliche Euphorie abgelegt?
Paul Plut: Der Titel mag abgebrüht sein, ironisch ist er nicht zu verstehen. Das Album blickt auf die Jugend als intensive Zeit zurück. Auf die schönsten Momente, in denen du dir selbst gesagt hast: „Das vergess’ ich nie.“ Und irgendwann erinnerst du dich dann doch nicht mehr daran.
Gab es inhaltlich einen klaren Leitfaden oder steht jede Nummer für sich und erzählt eine eigene Geschichte?
Martina Stranger: Musikalisch gibt es natürlich eine klare Linie. Wir haben die Songs schon bei einer Tour durch Deutschland live gespielt, bevor wir mit ihnen ins Studio gegangen sind. Ab einem gewissen Zeitpunkt verselbstständigen sich die Songs. Jetzt laufen alle frei herum wie glückliche Hühner. Am Abend kommen dann aber alle wieder ins Haus.
Christoph Lederhilger: Das Album an sich ist ein sehr schönes Format, um über mehrere Songs hinweg eine Stimmung – um nicht zu sagen eine ganze Welt aufzubauen. Wir arbeiten dabei zunächst sehr konzeptionell und stecken die Richtung ab. Und dann geht es ans Schreiben.
„Bei mir haben diese Zeilen ähnliche Erinnerungen hervorgerufen.“
Wer erzählt die Geschichten? Werden kollektiv gewisse Themen verarbeitet?
Christoph Lederhilger: Das Spannende an diesem Album war, dass Paul von Beginn an sehr persönliche Momentaufnahmen in die Songskizzen mit einfließen hat lassen. Bei mir haben diese Zeilen ähnliche Erinnerungen hervorgerufen. Aber eben doch ganz andere. Genau hier wird es dann interessant, denn da beginnt der gemeinsame Kampf um jedes einzelne Wort.
Hattet ihr auf dem neuen Album eine klare Inspirationsquelle, oder sind Einfluss und Musen im Laufe der Zeit unverändert geblieben?
Martina Stranger: Ich bin gerade ziemlich auf Vulfpeck abgestürzt.
Paul Plut: Bei mir waren’s Alben vom Dachboden: Fleetwood Mac, The Cure, PJ Harvey …
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Was bei der Single „Sag ja“ gleich auffällt: Geschlechterrollen werden, zumindest im Musikvideo, thematisiert. Aber ebenso das Älterwerden? Geht es um allgemeine Diskurse, die sich im Laufe des Lebens ergeben haben? Oder doch viel konkreter?
Paul Plut: In Sachen Songwriting gehen wir Back-to-the-Roots, zu den richtigen, blutigen Anfängen, in denen ich mit 16 Jahren im Kinderzimmer saß und die ersten traurigen Songs schrieb. Dazu musste ich mich in die Gefühlslage meines jüngeren Ichs versetzen. An die Zeit, in der man im Schulbus saß und sich alles an einem verkehrt anfühlte. Man keine Ahnung hatte, wer man war oder wo in diesem Riesen-Chaos sein Platz war. Als man „Everybody Hurts“ von R.E.M. hörte und plötzlich wusste: Da gibt’s jemanden, der versteht, wie’s mir geht. Das war ein riesengroßer Trost.
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„Was zählt, ist gegenseitiger Respekt.“
Martina, du bist die einzige Frau in der Band. Inwiefern ist das Thema für euch?
Martina Stranger: Gender-Fragen sollten theoretisch gar keine Rolle mehr spielen, so wie vieles andere auch nicht. Was zählt, ist gegenseitiger Respekt. In der Band spielt’s insofern eine Rolle, weil eine weibliche Stimme ein zusätzliches Klangbild hergibt.
„Die Party ist vorbei” – dann doch eine klare Referenz auf das Ü30-Dasein? Inwiefern verändert diese Tatsache die Arbeitsweise? Oder in erster Linie künstlerisch interessant?
Christoph Lederhilger: Du wirst natürlich kritischer mit der Zeit. Gleichzeitig musst du nicht mehr bei jedem Blödsinn dabei sein, nicht mehr jedes Wochenende dein Bewusstsein erweitern usw. Das ist ganz angenehm. Das Älterwerden an sich ist als Thema natürlich auch künstlerisch sehr spannend, weil alle eigenen Erfahrungen hier mitspielen.
Martina Stranger: Genau, das zeigt sich dann auch in den unterschiedlichen Interpretationen unserer Songs. Ich finde es immer spannend, zu hören, welche Bilder und Geschichten die Lieder bei den Leuten hervorholen. Dinge, an die ich nie gedacht hätte.
Christoph Lederhilger: Auch eine Form von Bewusstseinserweiterung.
„[…] wenn man sich auf so oberflächliche Ziele fokussiert, bleibt das Wesentliche auf der Strecke.“
Inwiefern habt ihr euch im Laufe der Zeit weiterentwickelt, als Band verändert? „Ohne Coolness und die kugelsichere Weste aus Sarkasmus und Ironie“ lautet die Prämisse – nach Paul Plut. Fühlt ihr euch damit in Österreich gut aufgehoben?
Christoph Lederhilger: Im Pop kommt es mir manchmal so vor, als gäbe es ein Wettrennen um die „catchiest line”. So wie es im elektronischen Bereich einmal das Battle um den härtesten Drop gab, oder es ihn noch immer gibt. Aber wenn man sich auf so oberflächliche Ziele fokussiert, bleibt das Wesentliche auf der Strecke.
Paul Plut: Genau das war der Anspruch für unser neues Album. In Österreich sagt man zwar tendenziell weniger, was man sich denkt, als vielmehr das, was der andere hören will. Aber wir haben uns immer schon damit wohl gefühlt, die Dinge anders zu machen.
Inwiefern hat auf dem neuen Album inhaltlich das Umfeld eine Rolle gespielt? Tangieren euch gesellschaftspolitische Entwicklungen? Sind euch „Messages“ ein Anliegen?
Martina Stranger: In jeder Zeile steckt unsere Sicht auf die Welt.
Christoph Lederhilger: Politisch gesehen ist es ja kein Geheimnis, wo wir stehen. Wir verabscheuen jede Form von menschenverachtender Politik und Sprache.
Paul Plut: Es geht doch nicht um irgendwelche „Messages”, sondern um Überzeugungen. Die haben wir als Künstler*innen ebenso wie als Privatleute. Nur weil wir auf diesem Album – anders als auf dem Vorgänger „Heute Nacht nach Budapest” – vorwiegend persönliche Empfindungen thematisieren, ist es kein unpolitisches Album.
Abschließend: Der Winter kommt, das Album erscheint. Was wünscht ihr euch?
Martina Stranger: Mehr Kohle, damit ich nicht so viel Ski-Lehrern muss.
Christoph Lederhilger: Eine schöne Tour durch Kasachstan im November. In Indien ist auch was geplant für 2020. Und ja, auf unsere Release-Show im Konzerthaus in Wien freuen wir uns auch im Dezember. Das wird super.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Julia Philomena
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Viech life
31.10. Nur-Sultan (KAZ), Österreichische Botschaft
01.11. Nur-Sultan (KAZ), The Bus
29.11. Öblarn (AT), [ku:L]
10.12. Wien (AT), Konzerthaus (Album-Release)
27.01. Berlin (DE), Monarch
28.01. München (DE), Milla
29.01. Stuttgart (DE), ClubCann
30.01. Bern (CH)
31.01. Hard (AT), Kammgarn
01.02. Brixen (IT), Dekadenz
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