„Spanish Disco“ heißt das gefeierte Debütalbum des Elektropop-Duos LEYYA. Quasi aus dem Nichts auf der Bildfläche der heimischen Szene erschienen, hat sich die aus Oberösterreich stammende und in Wien ansässige Formation mittlerweile auch im angrenzenden Ausland einen gewissen Namen machen können. SOPHIE LINDINGER und MARCO KLEEBAUER sprachen mit Markus Deisenberger über Gewitterstimmung, irreführende Ironie und Pop in komplexem Gewand.
Wie viele anderen auch habe ich von Ihrem viel umjubelten Konzert beim heurigen Popfest in Wien gehört. War es überhaupt so viel umjubelt oder ist das, wie man so schön sagt, eine Urban Legend?
Sophie Lindinger: Es war vielleicht deshalb ungewöhnlich, weil es kurz vor einem heftigen Sturm stattfand. Der Wind ging und wir wussten nicht, ob wir überhaupt spielen können. Fünf Minuten vorher hieß es noch, dass wir nicht spielen könnten. Dann auf einmal wurden wir doch rausgeschickt. Der Regen käme erst in einer halben Stunde, hieß es, wir sollten noch schnell spielen. Kurz vor dem Gewitter also, alle waren schon in Aufbruchsstimmung. Der Wind ging heftig, meine Haare waren überall. Von der Stimmung war das schon ganz etwas Besonderes. Wie gut unsere spielerische Leistung war, müssen andere beurteilen. Wir geben immer unser Bestes.
Ist es nicht irritierend, wenn man da oben steht und nicht weiß, wie lange es überhaupt gut gehen kann, bis einen der Sturm wegfegt?
Marco Kleebauer: Wir hatten alles festgeklebt. Von dem her waren wir gelassen. Wir dachten uns einfach: „Lass uns so lange spielen, bis es zum Schütten anfängt.“
Abgesehen von den Wetterkapriolen: Wie geht man in so einen wichtigen Gig vor so vielen Leuten? Denkt man sich da bewusst: „Das ist das Popfest, eine einmalige Chance, die müssen wir nutzen“, oder war es ein Konzert wie jedes andere auch?
Marco Kleebauer: Im Nachhinein war das schon sehr, sehr wichtig für uns, weil viele Leute aus der Branche da waren. Von der Bühne aber sah ich nicht einmal, wie viele es insgesamt waren, weil die Scheinwerfer so blendeten.
Sophie Lindinger: Man hat von da oben nur gehört, dass es recht viele waren. Aber im Vorhinein haben wir uns nichts dabei gedacht. Wir haben uns einfach darauf gefreut, aber nicht gedacht, dass wir uns jetzt besonders zusammenreißen müssten, oder etwas in der Art. Wir sind mit derselben Grundemotion hingegangen, mit der wir zu jedem Gig gehen.
Was ist seit dem Release von „Spanish Disco“ außer diesem viel umjubelten Gig noch passiert?
Marco Kleebauer: Jede Menge Konzerte.
Sophie Lindinger: Wir haben gute Kritiken bekommen und sehr viele Konzerte gespielt. Auf dem Frequency-Festival zum Beispiel. Auch in Deutschland und unlängst in Paris. Ende Oktober werden wir eine Woche lang als Support von Metric in Deutschland und Amsterdam unterwegs sein. Danach spielen wir noch ein paar Headliner-Shows.
Das ist natürlich gut für die Publicity, aber zahlt es sich auch finanziell aus?
Sophie Lindinger: Sagen wir mal so: Wir sind froh, wenn wir auf null kommen. Aber es ist nicht so, dass wir besonders viel damit verdienen würden.
Marco Kleebauer: Davon zu leben, ist für uns immer noch eine Utopie.
“Wir konzentrieren uns voll auf die Musik.”
Aber Sie betreiben die Musik professionell, also ohne einen bürgerlichen Job als Absicherung?
Sophie Lindinger: Stimmt schon. Wir konzentrieren uns voll auf die Musik. Ich selbst arbeite aber ein, zwei Tage die Woche in einem Restaurant, damit es sich ausgeht.
Marco Kleebauer: Ich studiere, nehme nebenbei andere Bands auf und produziere sie. So wurschtle ich mich durch.
Plan A ist aber eindeutig, mit der Musik so erfolgreich zu sein, dass es trägt?
Sophie Lindinger: Genau, das ist der Plan [lacht]. Wir haben keinen Plan B! Genau deshalb arbeite ich auch nur als Kellnerin. Ich hätte nicht den Kopf und auch nicht die Energie, mich neben der Musik auf einen vollen Job zu konzentrieren. Wir arbeiten auch hart dafür und schauen, dass etwas weitergeht. Ob es dann wirklich aufgeht, ist natürlich eine andere Frage.
„Spanish Disco“, der Titel Ihres Albums, ist leicht irreführend, wenn man die Art der Musik, die Sie machen, bedenkt. War das Absicht?
Sophie Lindinger: Die Irreführung war Absicht, ja. Aber das kann Marco viel besser erklären als ich.
Marco Kleebauer: [lacht] Ich bin eigentlich Spanier und feiere gerne. Was ist dagegen einzuwenden? Im Ernst: In ein paar Sätzen ist das schwer zu erklären. Ich war immer schon Fan von Titeln, die ironisch sind, einen doppelten Boden haben. Der Titel passt auf den ersten Blick nicht zu unserer Musik. Mit der eher melancholisch-seriösen Musik, die wir machen, bekommt das einen witzigen Twist. So weit der Grundgedanke. Und dann hatten wir ein Konzept. Ich will das aber jetzt gar nicht vertiefen …
Na ja, wenn Sie schon damit anfangen …
Marco Kleebauer: Das Problem ist: Wenn man sich einmal auf Begriffe festlegt, klingt es schnell mal kitschig. Unser Konzept war einfach, sich über bestimmte Thematiken Gedanken zu machen und Songs darüber zu schreiben. Der Überbegriff war „Generation Y“. Wir wollten das Gefühl der Leere und Taubheit, mit dem sich viele Jugendliche konfrontiert sehen, metaphorisch in Musik umwandeln. Wenn man das Album durchhört, wird das gemeinsam mit Titel, Texten und Artwork stimmig – auch weil wir viel Interpretationsspielraum ließen. Schon allein der große Interpretationsspielraum ist ja an sich eine Metapher. Alles und nichts zu thematisieren, sich dabei aber nicht festzulegen, ist ein Phänomen unserer Zeit. Aber es ist verdammt schwer, das, worüber man sich wochenlang in einem intensiven Prozess den Kopf zerbrochen hat, in einem Interview auf fünf Sätze runterzubrechen. Aber ich glaube, man hat schon ein Bild davon, wie es gemeint ist.
Es geht also um das diffuse Gefühl von Leere?
Marco Kleebauer: Ja, und ich meine das gar nicht so auf die Jugend gemünzt. Das Schlimmste wäre, wenn man jetzt herginge und sagen würde, „Spanish Disco“ sei ein Album über die Generation Y. Ist es überhaupt nicht. Es ist eher wie eine Schablone, die sich auch auf Liebesbeziehungen, die politische Situation oder was auch immer umlegen lässt.
Ich hatte beim Hören auch den Eindruck, dass es sich um ein „Album-Album“ handelt, das heißt, um ein Album, das über eine gewisse Grundkonsistenz, einen roten Faden verfügt, und nicht bloß eine Ansammlung von einzelnen Nummern ist, die mehr oder weniger zufällig auf ein Album gepresst wurden.
Marco Kleebauer: Stimmt. Es ist kein Album, das einfach nur zeigt, was wir die letzten zwei Jahre gemacht haben. Das ist als Zugang zwar auch okay, uns aber zu wenig.
Wie funktioniert das Songwriting bei Ihnen? Ich stelle mir das als ungemein komplizierten Vorgang vor, bis ein atmosphärisch so dichtes Endprodukt vorliegt.
Sophie Lindinger: Meistens hat einer von uns eine Idee, die wir dann gemeinsam ausarbeiten. Ab und zu treffen wir uns aber auch ohne eine Idee und beginnen, gemeinsam an etwas zu arbeiten.
“Wichtig ist, dass man unsere Songs auch auf der Gitarre spielen kann.”
Kommt der Text zuerst oder der Sound?
Sophie Lindinger: In den seltensten Fällen der Text, weil ich es nicht mag, einen fertigen Text verbiegen zu müssen, damit es sich irgendwie ausgeht.
Marco Kleebauer: Aber es gibt auch Songs, die Sophie auf der Gitarre schreibt und die wir dann gemeinsam umarrangieren. Wichtig war uns von Anfang an, dass es von der Struktur her simple Popsongs sind, denen wir eine komplexe Verpackung, ein anderes Gewand, das man so vielleicht nicht kennt, verpassen. Wichtig ist also, dass man unsere Songs auch auf der Gitarre spielen kann, auch wenn wir´s vielleicht selten machen.
Sophie Lindinger: Der Song an sich muss stimmig sein, nicht nur die Soundästhetik.
Marco Kleebauer: Bei vielen Chartsongs fällt mir auf, dass die Soundästhetik viel wichtiger zu sein scheint als die Qualität des Songs an sich. Das ist doch schade.
Wiewohl die Soundästhetik auch wichtig sein muss, wenn man sich die komplexen Arrangements auf Ihrem Album vor Augen führt.
Marco Kleebauer: Natürlich ist das auch wichtig. Aber wichtiger ist noch, dass der Song für sich funktioniert. Schon beim Songwriting hat man das im Kopf. Der Prozess, bis ein ansprechender Song, der für uns genau die Parameter hat, die uns wichtig sind, fertig ist, ist deshalb ein sehr langer.
Die Verpackung oder „das Gewand, das man so nicht kennt“ impliziert, dass Sie Ihre Sounds aus unterschiedlichen Quellen beziehen und nicht unbedingt die herkömmlichen 08/15-Plug-ins verwenden, die für jeden anderen auch zugänglich sind, oder?
Marco Kleebauer: Ein Riesenthema sind Audio-Samples, die man kaufen kann. Man kann sich ja jeglichen Sound kaufen. Wenn man das Radio einschaltet, hört man dann, dass die meisten der verwendeten Samples aus den beliebtesten Audio-Bibliotheken kommen. Das so zu handhaben, wäre für uns nicht denkbar, weil das, was du machst, extrem austauschbar wird. Kaufen und 1 : 1 verwenden, dann klingt man wie jeder andere auch. Wenn du Gitarre spielst, kommt der Sound hingegen aus deinen Fingern und ist als solcher unverwechselbar. Ich habe ein Mikro und nehme alles auf. Das macht uns aus. Und man merkt hoffentlich auch, dass viel Arbeit dahinter steckt.
Sophie Lindinger: Wir haben nur ein einziges Sample auf dem Album verwendet. Eine klassische Drum-Machine. Die war aber ganz bewusst gewählt.
Marco Kleebauer: Genau. Denn wenn man bewusst etwas verwendet, was seit den 1980er-Jahren unzählige Bands schon verwendet haben, kann das auch ein wertvolles Stilelement werden. Abgedroschen und witzig. Ein Statement.
Welche Rolle spielt das Experiment im Entstehungsprozess Ihrer Songs? Gibt es einen klaren Plan, der 1 : 1 umgesetzt wird, oder trägt einen das Herumprobieren mitunter ganz woandershin als ursprünglich beabsichtigt?
Marco Kleebauer: Das ist ein extrem aufreibender und langwieriger Prozess. Und insofern sind die unbeschränkten Möglichkeiten des Computers auch ein großer Nachteil.
Weil man sich leicht verlieren kann?
Marco Kleebauer: Genau, man verliert sich, weil man von einem Titel verschiedene Versionen anfertigt. Die Möglichkeit, jeden Parameter verändern, im Nachhinein beinahe unbegrenzt eingreifen zu können, führt zu Überforderung und Stillstand. Denn meistens war am Ende dann eh die erste Version die beste. Irgendwann liegt der Fokus nicht mehr auf dem Song, sondern auf dem Drumherum. Wir sind sehr gefährdet, uns im Experiment zu verlieren.
“Auf dem Album landet auch nur, was uns wirklich 100%ig gefällt.”
Wie lange haben Sie an „Spanish Disco“ gearbeitet?
Marco Kleebauer: Ein Jahr effektiv.
Aber das nächste Album ist wahrscheinlich schon in Arbeit, oder?
Sophie Lindinger: Wir haben gerade angefangen, es wird aber wohl noch eine gute Weile dauern.
Marco Kleebauer: Auf dem Album landet auch nur, was uns wirklich 100%ig gefällt.
Die Musik entsteht bei Ihnen im Duo, live erweitern Sie sich aber auf eine Band. Wieso?
Marco Kleebauer: Nur weil wir live als Band spielen, heißt das nicht, dass auch der Song in der Liveversion von der Albumversion extrem weit entfernt ist. Das hat schon noch mit der ursprünglichen Version zu tun. Die Essenz bleibt erhalten.
Sophie Lindinger: Bei uns entstand das intuitiv. Wir wollten auf der Bühne keinen Computer haben, weil uns das zu sehr einschränken würde. Eingespielt werden daher nur vereinzelt Soundschnipsel, aber keine Flächen. Wir wollen auch auf der Bühne intuitiv sein, einen Track, wenn uns danach ist, verlängern, verkürzen oder unterbrechen und so mit der Dynamik spielen. Es reißt dich selbst auch viel mehr mit, wenn du mehr Einfluss nehmen kannst. Ausnahmen wie der Gig in Paris, wo wir aus Kostengründen nur als Duo anreisen können, gibt es natürlich. Da kommt dann mehr vom Computer. Aber mit der Band macht es schon mehr Spaß.
Marco Kleebauer: Wir kommen ja auch beide aus Rockbands und sind es gewohnt, uns eine Gitarre umzuhängen.
Haben Sie sich in einem anderen Bandprojekt kennengelernt?
Sophie Lindinger: Nicht direkt. Eferding [in Oberösterreich; Anm.] ist nicht sehr groß. Da läuft man sich früher oder später über den Weg. Wenn man einen ähnlichen Musikgeschmack hat, lernt man sich früher oder später automatisch kennen. Später hatten wir dann mal eine gemeinsame Rockband. Die erste gemeinsame Musik haben wir also in einer Rockband gemacht.
Wie war das als Rockband in Eferding?
Sophie Lindinger: Schwierig. Du kannst einmal im Jahr auf dem Stadtplatz auf einer Minibühne spielen.
Marco Kleebauer: Aber auch in Linz habe ich nur wenige kennengelernt, die das Gleiche machen wie ich. Eigentlich hat das, was ich mache, auch dort niemanden interessiert, was mein Selbstbewusstsein jedes Mal runtergestampft hat.
Wien befruchtet Sie besser?
Sophie Lindinger: Ja, schon. Man trifft schneller Leute, die ähnliche Interessen haben. Es gibt viele Bands, die ähnliche Musik machen, Catastrophy and Cure oder Mynth etwa. Das ist schön.
Vielen Dank für das Gespräch.
Markus Deisenberger