„Wir haben jetzt die Möglichkeit, wirklich etwas zu bewegen!“ – EVA-MARIA BAUER im mica-Interview zum Verlauf des Fair-Pay-Prozesses seit 2020

Fair Pay-Initiativen setzen sich seit einigen Jahren intensiv für eine gerechte Entlohnung im Kunst- und Kulturbereich ein. Erste Erfolge konnten im vom BMKÖS initiierten Prozess seit 2020 verzeichnet werden, doch der Weg zu einer wirklich fairen Bezahlung ist noch lang und steinig. Die Musikwissenschaftlerin und Musikmanagerin Eva-Maria Bauer war als Vize-Präsidentin des Österreichischen Musikrats (ÖMR) von Anfang an als treibende und koordinierende Kraft mitten im Geschehen. Markus Deisenberger sprach mit ihr über den Stand der Dinge und die große Vision des Projekts.

Lassen Sie uns eingangs einmal über die Ausgangssituation des Fair Pay-Prozess sprechen. Es gibt die vielzitierte Gallup-Erhebung über den Fair-Pay-Gap im Kunst- und Kulturbereich und die beiden Studien zur sozialen Lage der Künstler:innen und Kulturvermittler:innen mit erschütternden Ergebnissen. Könnte man das als die Ausgangssituation für die ins Leben gerufene Fair Pay-Initiative bezeichnen?

Bild Eva-Maria Bauer
Eva-Maria Bauer (c) Eva-Maria Bauer

Eva Maria Bauer: Der Fair Pay-Prozess[i] kam zustande, weil die Umsetzung im Regierungsübereinkommen formuliert ist. Dafür haben die Interessensgemeinschaften zwanzig Jahre lang intensiv lobbyiert – mit Erfolg! Vertreter:innen aus Kunst und Kultur arbeiten seit nunmehr drei Jahren eng mit der öffentlichen Hand zusammen, um dem Prekariat in Kunst und Kultur den Kampf anzusagen. Den rechtlichen Rahmen dafür bildet u.a. die Fair Pay Strategie der Gebietskörperschaften (2022)[ii] Koordiniert wird der Prozess vom Bundesministerium für Kunst und Kunst, öffentlicher Dienst und Sport, das sich sehr für das Thema engagiert.

Der erste Schritt im Prozess war eine Erhebung des Fair-Pay-Gaps bei den Fördernehmer:innen des Bundes, um zu klären, von welchem finanziellen Mehrbedarf wir im Kunst- und Kulturbereich eigentlich reden. Allein auf Bundesebene liegt der prognostizierte Finanzbedarf bei € 25 Mio., und das ist aus meiner Sicht noch deutlich zu niedrig angesetzt…

Salzburg ist das große Vorbild in Sachen Fair Pay.

Und in den Bundesländern?

Eva Maria Bauer: Kultur ist in Österreich primär Ländersache. Die Bundesländer sind in der Umsetzung unterschiedlich weit und haben unterschiedliche Herangehensweisen. Die Stadt Wien hat zum Beispiel ihre Budgets in der Kompositions- und Projektförderung stark erhöht, Arbeitsstipendien für freischaffende Künstler:innen geschaffen und die Ankerzentren zur Verbesserung der Infrastruktur ausgebaut. Das große Vorbild in Sachen Fair Pay ist und bleibt aber Salzburg. Salzburg ist das erste Bundesland, in dem alle drei Gebietskörperschaften – Bund, Land und die Stadt – ihre Verantwortung übernommen und Fair Pay strategisch umgesetzt haben. Mit einem Stufenplan soll der Fair-Pay-Gap für angestellte Kulturarbeiter:innen dort bis 2024 Schritt für Schritt geschlossen werden. Jetzt arbeiten wir gemeinsam an einem Konzept, um dasselbe für die freie Szene zu erreichen. Und das ist eine ungleich größere Herausforderung!

Warum?

Eva Maria Bauer: Das Feld ist sehr heterogen, die Akteur:innen großteils nicht organisiert. Es gibt schließlich keine Liste, wer in Österreich als Künstler:in freischaffend tätig ist … Wie erreichen wir also diese Klientel? In der Sparte Musik werden wir uns im ersten Schritt auf freischaffende Ensembles konzentrieren. Dort gibt es denke ich bei Fair Pay einen besonders hohen Nachholbedarf.

Wofür steht der Begriff „Fair Pay“ eigentlich konkret? Faire Honorare, Faire Gehälter oder ist es mehr?

Eva Maria Bauer: Ganz klar geht es um faire Bezahlung, um die zentrale Frage: „Was ist meine Musik, meine Leistung wert?” Die Interessensgemeinschaften haben Mindesthonorarempfehlungen[iii] für alle Kunstsparten herausgegeben und diese im „Fair Pay Reader”[iv] veröffentlicht. Das ist wichtig, um den Begriff mit Leben zu füllen, damit Fair Pay nicht nur eine Floskel bleibt.

Es geht aber auch um faire Arbeitsbedingungen: zum Beispiel um eine faire Abgeltung bei Absage von Veranstaltungen, oder um faire Arbeitszeit- und Vergütungsregelungen im (Musik-)Theaterbetrieb. Fair Pay ist undenkbar ohne eine soziale Absicherung für Kunst- und Kulturschaffende. Es liegen eine Menge Vorschläge auf dem Tisch, wie das Steuer- und Sozialversicherungsrecht für freischaffende Künstler:innen fairer gestaltet werden kann.[v]
Der 2022 entwickelte „Fairness Codex“[vi] legt den Begriff noch deutlich weiter aus und fordert Grundwerte wie Respekt, Wertschätzung, Nachhaltigkeit, Vielfalt und Transparenz ein. Das sind Prinzipien, die in der Förderpraxis und kulturpolitischen Arbeit sehr wichtig sind, aber auch in der Szene. Gerade wenn es um Diversität, Mitbestimmung und Fair Pay geht, können Einzelpersonen und Kulturorganisationen auch selbst Maßnahmen setzen.

Es geht um die zentrale Frage: „Was ist meine Musik, meine Leistung wert?”

Wie erreicht man Fair Pay?

Eva Maria Bauer: Unser zentrales Anliegen im Prozess: Wir wollen Fair Pay in allen Fördersystemen verankern. Viele Institutionen des Kulturbetriebs sind öffentlich gefördert, daher macht es Sinn über die öffentliche Hand Druck auszuüben und Regularien einzufordern.

Denken Sie zum Beispiel daran, wie der Live-Musik Bereich funktioniert … Die Veranstalter:innen sagen: „Wir haben einfach nicht genug Geld. Wie sollen wir faire Gagen zahlen?” Die Künstler:innen sagen: „Dann spielen wir eben um weniger Geld. Besser das als gar nichts.”

Sie wollen sagen, dass Musiker:innen oft wenig Verhandlungsspielraum bei Gagen haben?

Eva Maria Bauer: Genau. Daher nutzen wir die Förderrichtlinien als Hebel, um langfristig ein Bewusstsein für faire Bezahlung in der Szene zu etablieren. Wir haben aber nicht nur geförderte Institutionen im Blick, sondern auch große Kulturtanker wie Theaterhäuser und Bühnen, die im Eigentum der öffentlichen Hand stehen. Dass Musiker:innen bei einer Landesveranstaltung wie der 100-Jahres-Feier im Burgenland nur € 30 an Honorar erhalten, darf sich nicht wiederholen!

Heißt das nicht auch, dass die Förderbudgets erhöht werden müssten, damit Veranstalter:innen und Kulturinstitutionen fair(er) bezahlen können?

Eva Maria Bauer: Ja, Geld spielt natürlich eine große Rolle. Der Bund hat im ersten Jahr € 6,5 Mio. für die Schließung des Fair-Pay-Gaps bereitgestellt, für 2023 sind es € 9 Mio., die in der Bundesprojektförderung und Jahresförderung ausgeschüttet werden. Wir vom Österreichischen Musikrat haben zum Beispiel auch davon profitiert: Wir haben zum ersten Mal, seit wir existieren, eine faire Basis-Finanzierung!

Andererseits müssen wir auch in der Musikszene selbst einen Kulturwandel herbeiführen – weg von Lohndumping hin zu einem solidarischen Miteinander. Ist es langfristig nicht besser, die eine oder andere Veranstaltung weniger anzubieten, und dafür insgesamt fairer zu bezahlen …?

2023 schüttet der Bund € 9 Mio. an Fair-Pay-Geldern aus.

Wie hat sich die Inflation ausgewirkt? Wenn Löhne oder Gagen um ein paar Prozentpunkte angepasst werden, klingt das erst mal super. Wenn sich dann hinterher herausstellt, dass die Inflation einen Großteil dieser Lohnerhöhung wegfrisst, ist das nicht mehr so super.

Eva Maria Bauer: Teilweise wurden zusätzliche Mittel zur Inflationsabgeltung bereitgestellt. Langfristig wird es ohne eine Valorisierung der Kulturbudgets aber nicht gehen. Sonst frisst die Inflation die ausgeschütteten Fair-Pay-Gelder auf. Es gibt Institutionen, die seit zehn Jahren denselben Förderbetrag erhalten. Wie sollen die fair bezahlen?

Mit unserem Ruf nach einer automatischen Valorisierung – also der Koppelung der Förderbeiträge und Kulturbudgets an den Verbraucherpreisindex oder einen anderen Index – beißen wir allerdings bislang bei der Politik auf Granit.

Ist es nicht auch so, dass über Geld nach wie vor nicht offen gesprochen wird? Genau deshalb scheinen viele Musiker:innen gar nicht zu wissen, was ein fairer Lohn überhaupt ist. Wie schafft man ein Bewusstsein dafür?

Eva Maria Bauer: Dafür brauchen wir eine andere Art der musikalischen Ausbildung. Wenn ich im Gespräch mit Musiker:innen das Wort “Markt” in den Mund nehme, zucken noch immer viele zusammen. Dabei finden sich zahlreiche Musiker:innen, die eigentlich eine Anstellung angestrebt haben, nach der Ausbildung als Selbstständige in einem stark umkämpften Musikmarkt wieder und müssen wie Start-Up Unternehmer:innen agieren, um sich zu behaupten.

In der Ausbildung werden Musikstudierende in künstlerisch-technischen und pädagogischen Fähigkeiten gedrillt. Musikwirtschaftliches und rechtliches Know-how kommt hingegen nach wie vor zu kurz. An zwei von vier der öffentlichen Musikuniversitäten in Österreich ist dafür nicht einmal ein Pflichtfach vorgesehen …

Über Geld zu reden, ist nicht “schick”. Dabei müssen viele Musiker:Innen nach der Ausbildung wie Start-Up Unternehmer:Innen agieren, um sich am Musikmarkt zu behaupten…

Wie geht es jetzt mit Fair Pay konkret weiter? Was sind die nächsten Schritte?

Eva Maria Bauer: Wir entwickeln gemeinsam mit dem Land Salzburg ein Modell, wie Fair Pay auch in der freien Szene ankommt. Zweitens müssen wir politisch sicherstellen, dass der Fair Pay-Prozess nachhaltig ist – also auch in den kommenden Jahren finanzielle Mittel dafür bereitstehen. Im nicht geförderten Bereich – Kirchenmusik etwa, im Musiktourismus und bei nicht öffentlich subventionierten Festivals und Veranstaltern – müssen wir uns mit den Protagonist:innen gesondert an einen Tisch setzen und verhandeln.

Und langfristig? Wie realistisch ist Fair Pay im Musikbetrieb wirklich?

Eva Maria Bauer: Meine Zukunftsvision für die flächendeckende Umsetzung von Fair Pay wäre die Gründung einer Kammer für freischaffende Künstler:innen. Im Oktober 2022 hat die Europäische Kommission erstmals Leitlinien veröffentlicht, wie Kollektivverträge auf die freie Szene angewandt werden können.[vii] Das war ein völlig neuer Gedanke für uns! Stellen Sie sich vor, es gäbe verbindliche Honoraruntergrenzen für freischaffende Musiker:innen und Komponist:innen und klare Regelungen für Spesenersatz.

Wir müssen realistisch sein – das geht nicht von heute auf morgen. Ich sehe darin aber auch eine Riesenchance: wir haben jetzt die Möglichkeit, wirklich etwas zu bewegen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Markus Deisenberger


Eva-Maria Bauer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Angewandte Musikforschung der Universität für Weiterbildung Krems, Musikmanagerin bei Musikfabrik NÖ und Vize-Präsidentin des Österreichischen Musikrats.


[i] Österreichischer Musikrat: Fair Pay Prozess im Überblick und Dokumente zu Fair Pay
https://oemr.at/category/fair-pay/

[ii]Fair-Pay-Strategie der Gebietskörperschaften für den Kulturbereich (2022)
 https://www.bmkoes.gv.at/Kunst-und-Kultur/Fairness-Fair-Pay/Fairness-Prozess/Fair-Pay-Strategie-der-Gebietsk%C3%B6rperschaften.html

[iii] mica – Praxiswissen: „FAIR PAY – VON DER MUSIK LEBEN“ – Mindesthonorarempfehlungen für den Musikbereich“
https://www.musicaustria.at/fair-pay-von-der-musik-leben-mindesthonorarempfehlungen-fuer-den-musikbereich/

[iv] Kulturrat Österreich: „Fair Pay Reader” (Hrsg. 2021)
https://kulturrat.at/fair-pay-reader

[v] „Sozialversicherung für Künstler_innen in Österreich“ – Positionspapier vom 24.5.2023 von Kulturrat Österreich, Dachverband der Österreichischen Filmschaffenden, IG Autorinnen Autoren, IG Freie Musikschaffende, IG Freie Theaterarbeit, Initiative Tanz und Bewegungskunst Österreich, WORKING CONDITIONS – Working Group of Wiener Perspektive sowie von der gewerkschaftlichen Initiative vidaflex 
https://kulturrat.at/sozialversicherung-fuer-kuenstler_innen-in-oesterreich

[vi] Fairness Codex. Kunst und Kultur in Österreich (2022)
https://www.bmkoes.gv.at/Kunst-und-Kultur/Fairness-Fair-Pay/Codex.html

[vii] Leitlinien zur Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbstständigen im Oktober 2022 verabschiedet.
https://kulturrat.at/kollektivvertraege-fuer-selbststaendige