„Wir haben erstmals ein Gespür dafür entwickelt, wie etwas klingt." Andreas Spechtl von Ja, Panik im Interview

Nach einer etwas längeren Pause veröffentlicht die in Berlin ansässige österreichische Band Ja, Panik Ende Jänner ihr mit Spannung erwartetes neues Album „Libertatia“. Im Vorfeld ist sie zum Trio geschrumpft. Sänger und Gitarrist Andreas Spechtl, Bassist Stefan Pabst und Schlagzeuger Sebastian Janata haben die veränderte Situation zum Anlass genommen, Ja, Panik neu zu erfinden. Wo bislang Rock im Zentrum stand, werden in den neuen Songs der Popaspekt und Tanzbarkeit groß geschrieben. Und wo frühere Alben live im Studio eingespielt wurden, entdeckten die Musiker diesmal die Lust am Arrangieren und Produzieren. Sebastian Fasthuber hat mit Andreas Spechtl gesprochen, der sagt: „Wir haben erstmals ein Gespür dafür entwickelt, wie etwas klingt.“

Ich würde gern beim letzten Album „DMD KIU LIDT“ einsteigen. War mit dem für euch ein Punkt erreicht, von wo aus es in der musikalischen Form nicht mehr weiter gegangen wäre?

Andreas Spechtl:
Das war natürlich ein Punkt. Wenn man sich das ganze letzte Stück auf unserer letzten Platte anhört , dann war das in gewisser Weise auch ein Abgesang aufs Musikmachen. Und auf die Band. Es stellte sich für uns ganz arg die Frage: Wie machen wir jetzt weiter? Wie können wir selber mit diesem Abgesang umgehen? Durch die personellen Veränderungen kamen auch noch andere Fragen dazu: Machen wir weiter? Sollen wir uns umbenennen? Ist das überhaupt noch Ja, Panik? Wo wollen wir hin? Ganz schnell wurde klar, dass wir auf jeden Fall zu dritt weiter Musik machen wollen. Wir haben uns gesagt: Okay, wir sind Ja, Panik – und das nächste Album wird halt ein Neuanfang. Ich sehe „Libertatia“ als eine zweite Debütplatte.

Statt zu fünft seid ihr nunmehr zu dritt ans Werk gegangen. Hat sich der neue Sound durch die personelle Situation ergeben – oder war ohnehin der Wunsch da, etwas Neues auszuprobieren?

Andreas Spechtl: Ich glaube, es war eine Mischung. Zum einen war es schon geplant und gewollt von uns, dass es woanders hingehen und das Album ganz anders klingen muss. Andererseits hat es sich auch dadurch, dass zwei Leute weg waren, in diese Richtung entwickelt. Wir haben unsere Platten bisher ja quasi immer live im Studio aufgenommen, waren immer zu fünft im Raum. Das ging jetzt natürlich nicht mehr. Und so wie Thomas Gitarre gespielt hat, war halt sehr speziell. Zu einem großen Teil war das auch der Anarcho-Moment bei Ja, Panik. Dass es den nicht mehr gibt, hört man. Uns war von Anfang an klar, dass niemand von uns Thomas’ Gitarre oder Christians Klavierspiel imitieren wird. Es ist in gewisser Weise einfach die Platte, die wir drei gemeinsam machen konnten.

Wie habt ihr nun zu dritt gearbeitet?


Andreas Spechtl:
Wir haben immer schon relativ viel am Computer aufgenommen, aber bisher eben nur im Sinne von Demos. Diesmal hat es sich so verändert, dass wir gar nicht mehr wirklich im Proberaum gestanden sind, sondern die Songs von Anfang an arrangiert und produziert haben. Oft bin ich mit einem Song gekommen, den ich am Computer aufgenommen habe, mit Gitarre und Klavier. Wir haben uns dann gemeinsam Gedanken darüber gemacht, was der Bass und das Schlagzeug spielen und was die zweite Gitarre und das Keyboard sein könnten. Die Platte tut ja schon noch so, als gäbe es fünf Leute. Auch live wird es zwei Musiker – bzw. eine Musikerin und einen Musiker – geben, die das umsetzen werden. Es war schwierig, diese zwei Instrumente stattfinden zu lassen, ohne dass die Leute selbst da sind. Das war schon ein langer Prozess der Findung.

Ihr habt relativ lang gebraucht für die Platte.

Andreas Spechtl:
Eben weil wir die Band noch einmal neu definieren mussten. Aber irgendwann hat sich das auch als Chance erwiesen, einmal länger an einer Platte arbeiten zu können. Für uns war das eine tolle Erfahrung. Ich weiß nicht, wie es in zwei Jahren aussehen wird, aber momentan könnte ich mir das gar nicht mehr vorstellen, eine Platte live als Band aufzunehmen. Gerade das Produzieren und die wahnsinnig genaue Arbeit an der Musik war spannend und hat uns gut getan. Wir haben auch viel gelernt dadurch. Die Basic Tracks haben wir in Tobias Levins Studio in Hamburg aufgenommen. Aber nachdem unser Proberaum mittlerweile auch ein kleines Studio ist, haben wir viel auch selbst aufgenommen: Chöre, zweite Gitarren und so. Das freut mich, weil es der immer nach Autonomie suchenden Haltung der Band entspricht, dass man sich jetzt auch bei technischen Dingen ein bisschen auskennt. Man kann sagen: Wir haben erstmals ein Gespür dafür entwickelt, wie etwas klingt. Das haben wir früher immer dem Produzenten überlassen, oder eben unserer Kraft als Band. Das wäre so jetzt gar nicht mehr gegangen.

Gab es Vorbilder oder bestimmte Referenzen, die wichtig für „Libertatia“ waren?


Andreas Spechtl:
Ganz grundsätzlich haben uns Grooves und Bassläufe interessiert. Für unsere Verhältnisse sind die Songs auch relativ tanzbar. Wir haben uns gefragt, wie man durch repetitive Formen, was ja auch Disco ausmacht, Intensität erzeugen kann. Bis jetzt war das alles relativ stressig bei uns. Intensität entstand durch Verzerrer und durch Schreien. Diesmal haben wir das Intensive in Wiederholungen gesucht, wie es das eher in Funk- oder Soulstücken gibt. Das hat uns wahnsinnig fasziniert. Wenn wir bis jetzt von The Clash „London Calling“ gehört haben, dann hat uns jetzt eher die experimentelle Seite von der „Sandinista!“ interessiert. Oder wo wir bisher Fans von The Jam waren, haben wir diesmal mehr Style Council gehört. Marvin Gaye könnte man noch anführen. Ich habe auch viel High Life gehört, so langsamere Afrobeat-Sachen. Musik, wo es um Rhythmus, aber auch um Soul geht.

Es klingt alles aber recht zurückgenommen. Es gibt keine flashy Keyboards oder einen gesucht fetten Sound. Man hört eine Band.

Andreas Spechtl: Wir wollten uns unbedingt auch weiter als Band begreifen und keine durchprogrammierten Lieder machen, die zu steril klingen. Ich finde das am zeitgenössischen R’n’B oft ein bisschen schade. Das hantelt sich alles an Click Tracks entlang, Intensität kommt da gar nicht mehr vor. Wir haben uns zum Beispiel viel Pharrell angehört und uns überlegt, was uns daran nicht gefällt. Uns war auch wichtig, dass wir die neuen Songs in gewisser Form live aufführen können. Es ist auch nicht gesagt, dass wir ewig zu dritt bleiben. Vielleicht sind wir bald wieder zu fünft oder zu viert. Aber wir wollten jetzt nicht schnell kopflos einfach die Leute, die nicht mehr in der Band sind, durch neue ersetzen.

Bedingt der neue Sound eine andere Methode beim Songwriting und beim Texten?

Andreas Spechtl:
Schon. Ich habe mir diesmal mit dem Texten anfangs etwas schwer getan. Die Musik und der Text haben bei uns bisher relativ nebeneinander funktioniert. Oft hatte ich einen Text und habe den – koste es, was es wolle – über die Musik drüber gesungen. Das waren oft sehr freie Formen. Jetzt geht es mir mehr darum, im Text eine Musikalität und einen Flow zu finden und auch eine strenge Strophenform zuzulassen. Der Text sollte nicht mehr so drüber stehen wie früher, aber auch nicht zugunsten einer Verflachung des Inhalts. Das war für mich die Schwierigkeit.

„Libertatia“ bezeichnet einen utopischen Ort – eine Insel, die es vielleicht gar nicht gibt. Wie bist du darauf gestoßen?

Andreas Spechtl: Zufällig, durch eine Freundin. Es gibt da eine Enzyklopädie der Piratengeschichte von Daniel Defoe, wobei nicht ganz klar ist, ob er die selbst geschrieben hat. Darin findet sich eine relativ kurze Episode über Libertatia. Ich fand das interessant: ein Ort mit einer Idee dahinter, der viel verspricht, bei dem aber nicht mal klar ist, ob es ihn wirklich gibt. Das wäre fast zu schade gewesen, um es nicht zu verwenden. Uns geht es weniger um den historischen Ort als um die damit verbundene Idee, die noch angenehm unberührt ist, weil die wenigsten Leute das kannten.

Ihr habt euch dafür mit dem Thema Utopien beschäftigt.

Andreas Spechtl: Uns hat daran die Sehnsucht nach einem Ort interessiert, der jenseits von allem hier und jetzt Möglichen liegt – nach einem momentan nicht verwirklichbaren Ort, wenn man so will. Ich finde es schön, dass es diese Sehnsucht gibt, etwas anzustreben, das fehlt und scheinbar nicht möglich ist. Ich sehe es aber auch zwiespältig. Gerade in dieser klassischen Utopie-Tradition malt sich meist irgendein Typ die beste aller Welten aus. Das denkt sich einer aus, der Ort muss dann aber für alle passen. Das muss fast gezwungenermaßen in etwas Totalitärem enden.

Letztlich sind Utopien eben Utopien und in der Form nicht wirklich realisierbar.

Andreas Spechtl:
Genau, es geht um den Weg dahin. Um Gemeinschaften, die man sich schaffen kann. Aber so ein Enklaven-Ding ist auch kritisch zu sehen, weil es immer jemand ausgrenzt. Die ganze Platte handelt in gewisser Weise vom Denken des Widerspruchs, jenseits von einer Schwarz-Weiß-Malerei.

Mein Lieblingslied ist momentan „Au Revoir“. Das könnte man als Aussteigerlied verstehen. Das ist es aber nicht, oder?

Andreas Spechtl: Nein. Es ist mehr ein klassisches Lied vom Unterwegssein und eine Ode ans Aufbrechen. Es wird auch nicht benannt, wohin es wirklich geht. Ich bin sehr gerne unterwegs und leidenschaftlicher Beifahrer. Ich finde es immer fast schade, wenn man wo angekommen ist.

Du wirst nächstes Jahr 30.

Andreas Spechtl:
Ja, sehr bald schon.

Das Album handelt auch vom Sprung von den 20ern zu den 30ern. Was verbindest du mit dem 3er vorn?

Andreas Spechtl: Ich sehe mich da eher als Beobachter meiner Umgebung. Natürlich werde auch ich 30, aber es werden auch viele Leute um mich älter. Ich finde es interessant, dass es so eine Tendenz in Biografien gibt, sich mit 30 auf etwas festzulegen und langsam anzukommen. Das sage ich wertfrei, ich will ja nicht mit erhobenem Zeigefinger sprechen. In gewisser Weise ist das auch ganz normal. Wenn ich das mit mir vergleiche, dann hat Popmusik oder Musikmachen aber doch immer etwas Proto-Jugendliches. Und das wird in gewisser Weise auch so bleiben, da ich weiß, dass ich immer Musik machen werde. Andererseits sind wir jetzt einfach nicht mehr diese ganz junge Band. Die Erinnerungen daran sind noch recht nah, aber inzwischen sind wir in einer Phase, in der es viele jüngere Bands gibt, die vielleicht schon mit unseren ersten Platten aufgewachsen sind. Ich finde es gerade sehr spannend, wie die Zeit vergeht. Darum ist das auch ein Thema auf dieser Platte.

Kann man denn als Musiker überhaupt ankommen?

Andreas Spechtl:
Man kommt immer wieder mal gern wo an. Die Frage ist halt, wie gemütlich man es sich da dann einrichtet. Das ist vielleicht eine Urangst, die wir als Band haben – dass es zu gemütlich wird. Ich hoffe, dass uns die Veränderung immer treiben wird. Wenn man als Band ankommt, ist bald wahrscheinlich niemand mehr neugierig auf die nächste Platte. Ich habe das auch in ganz vielen Aspekten meines Lebens, dass ich immer noch mal einen Haken schlagen muss. Ich hoffe, das bleibt auch so.

Fotos Ja, Panik: Powerline Agency