„WIR HABEN EIN GENERELLES SEXISMUS-PROBLEM, NICHT NUR IM RAP“ – ESRAP IM MICA-INTERVIEW

Esra und Enes Özmen sind ein österreichisches Geschwisterpaar mit türkischen Wurzeln, das mit ihrer Musik unter dem Namen ESRAP der Außenwelt Zugang zu ihren Konflikten und Gefühlen verschafft. Im neuen Album „Mamafih“, das am 1. Juli bei SPRINGSTOFF erscheint, setzen die zwei an ihrem Debütalbum an und gehen den emotionalen Auswirkungen ihrer Identitätsfindung auf den Grund. Inspiriert vom türkisch-orientalischen Arabeske-Genre, liefert ESRAP eine moderne Form des HipHop mit Einflüssen von House und Trap und lässt in diesem Album auch türkischsprachige Passagen nicht zu kurz kommen. Mit Katharina Reiffenstuhl haben die beiden über Politisierung, Rassismus und Sexismus in der Gesellschaft sowie „Tschusch-Sein“ als Identität gesprochen.

Ihr seid in Ottakring aufgewachsen, habt sogar einen Song darüber veröffentlicht. Der Bezirk ist ja doch mit einigen Vorurteilen behaftet. Welche könnt ihr bestätigen, welche nicht?

Esra Özmen: Ottakring hat dieses Image damals Anfang der 2000er bekommen, durch Mevlut Khan mit dem Text “Ottakringer Straße – klick, klack, Kopfschuss”. Dadurch hat sich dieses Gangster-Bezirk Image aufgebaut. Ja, es leben halt sehr viele Migrant*innen in diesem Bezirk.

Enes Özmen: Die Vorurteile, was den “Jugo-Bezirk” und den “Türken-Bezirk” angeht, stimmen auf jeden Fall. Es sind viele Menschen aus Ex-Jugoslawien, auch aus der Türkei hier. Es ist es bunt, es ist laut, aber es gibt auch viele Musiker*innen hier.

Euer Release-Konzert am 1. Juli findet ja auch am Yppenplatz statt. Habt ihr euch den bewusst ausgesucht, so fürs Heimatgefühl?

Esra Özmen: Die Idee ist schon mit dem ersten Album entstanden. Damals gab es ganz viele Jugendliche, aber auch ältere türkische Frauen, die meinten, dass sie auch zu Konzerten kommen wollen. Die Orte, wo wir eigentlich spielen könnten, also Chelsea, WUK, Fluc, da kommen die ja alle nicht hin. Deswegen haben wir uns gedacht, es sollte eigentlich für jeden zugänglich sein. Der Yppenplatz liegt ja auch genau in der Mitte, da können dann Migrant*innen aus Ottakring kommen und Leute aus anderen Gegenden. Also das war mit Sicherheit eine bewusste Entscheidung, ja.

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Ihr seid als Migrant*innen viel Rassismus begegnet, habt mit Sicherheit auch in eurer Kindheit und Jugend viel damit zu kämpfen gehabt. Hat die Gesellschaft mittlerweile Fortschritte gemacht in der Hinsicht? Was ist heute anders?

Esra Özmen: Ach ich weiß nicht, ich glaube früher war das alles ausgesprochener und jetzt ist es einfach subtiler. Ich habe erst letztens darüber nachgedacht. Womit ich ein Problem habe, ist, wenn politisch sein zu einem Trend wird, aber man sich nicht wirklich damit beschäftigt. Gerade ist jeder gegen Sexismus, Rassismus und Homophobie. Aber ich habe wirklich bei wenigen das Gefühl, da ist wirklich ein Verständnis da, dass man wirklich etwas dafür tut. Aber klar, Fortschritte sind vorhanden.

Enes Özmen: Der Rassismus beeinflusst unser Leben. Was es wirklich schwierig macht, ist der Rassismus in den Innenräumen, Magistratbehörden, Krankenhäuser, Schulen. Da ist einfach noch zu wenig passiert. Auch gerade bei großen Konzernen, da sind einfach wenige Migrant*innen. Das ist nun mal die Realität. Wenn mich draußen auf der Straße jemand “Tschusch” nennt, dann sag ich “Volltrottel” und gehe weiter, das habe ich nach 30 Sekunden wieder vergessen. Aber bei solchen Institutionen ist das ein Problem.

Esra Özmen: Obwohl Österreich sehr multikulti ist, ist es immer noch sehr weiß, muss man sagen. Alle Machtpositionen, da hat sich kaum etwas geändert. Politik, Fördertöpfe, auch Radios, da sind nur weiße Menschen. Ein paar Quoten hat man immer dabei. Man will jetzt, man tut jetzt was dafür, aber noch sind wir nicht so weit.

Weil du vorhin Sexismus angesprochen hast – Esra, du rappst ja und Enes singt – stößt das ab und zu auf Unverständnis?

Esra Özmen: Es war schon jeder so “Oh, du rappst als Frau? Hä? Wieso?”. Aber sehr interessant ist, dass viele am Anfang dachten, dass das ein Kunstprojekt von uns beiden ist. Ich war 19, Enes war 15. Da wurde dann geschrieben, dieses Geschwisterpaar macht einen Rollentausch. Aber das war ja nicht der Fall. Ich wollte rappen, weil ich Rap mag und Enes wollte singen, weil er das mochte. Ich bin laut, weil ich so bin, Enes ist leise, weil er eben so ist. Das hat nichts mit Rollen zu tun.

Bild EsRAP
EsRAP (c) Tim Cavadini

„WIR WOLLTEN DER FRAGE NACHGEHEN, WAS DIESES ERSTE ALBUM, DIESE FRAGE NACH IDENTITÄT AUF DER PSYCHISCHEN EBENE MIT UNS GEMACHT HAT“

Reden wir über euer neues Album, das jetzt erscheint: Es heißt „Mamafih“, was ins Deutsche übersetzt „jedoch“ bedeutet. Was wollt ihr mit diesem Albumtitel vermitteln?

Esra Özmen: Im ersten Album war voll das Thema, wer wir sind und was wir machen. Auch gerade, weil die Corona-Zeit war, war das Verdrängen schwer. Vor allem bei mir war es so, dass ich gemerkt habe, es kommen Emotionen hoch und ich wusste nicht, woher das kommt. Daher wollten wir der Frage nachgehen, was dieses erste Album, diese Frage nach Identität auf der psychischen Ebene mit uns gemacht hat. Ich glaube, “jedoch” ist genau so ein Wort, das etwas aussagt und wo man trotzdem weiterlebt. Genau dazwischen liegt unsere Identität. Es ist ein arabisch-türkisches Wort, das nicht mehr gebraucht wird und ich fand es einfach schön, so einen poetischen Titel zu haben.

Sehr spannend auf diesem Album sind das Intro und das Interlude, wo ihr kurz über euch und eure Musik sprecht. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, solche Extrasequenzen einzubauen?

Esra Özmen: Es gibt viele türkische Lieder auf dem Album und ich denke mal, wenn man die Sprache nicht versteht, weiß man gar nicht, was für ein Gefühl man da bekommen sollte. Man versteht dann nicht direkt, wer diese Menschen sind und was sie fühlen, wenn man ihre Musik hört. Deshalb haben wir das als eine Art Einleitung in die Gefühlsebene gemacht. Wir wollten ein Gefühl vermitteln, worum es bei uns geht.

Esra, hat sich eigentlich dein Studium an der Akademie der bildenden Künste sehr auf eure Musik ausgewirkt?

Esra Özmen: Ja, definitiv. Eine Zeit lang war es sehr schwer, muss ich sagen. Ich bin von einer ganz einfachen Familie da hineingeworfen worden in diese Politisierung, ich bin dort hingekommen und habe einfach gerappt. Ich hatte auch viele Schreibblockaden, weil ich nicht gewusst habe, was ich schreiben kann, weil ja dort doch einiges kritisiert wurde. Das ist auch ein Privileg, zu wissen, über welche Dinge man reden kann und über welche nicht. Darf ich Rap akademisieren? Darf ich “Tschusch” sagen? Ich wusste es nicht. Aber es hat mir natürlich auch ganz viele Wege geöffnet und Sensibilität gegeben. 

Wie ist das eigentlich, als Geschwister gemeinsam Musik zu machen? Kriegt man sich da oft in die Haare?

Esra Özmen: (lacht) Nein, gar nicht. Gottseidank. Wir haben fast nie gestritten. Das kommt bei uns aber allgemein selten vor. Bis vor vier Jahren haben wir zusammengelebt, wir sind nicht nur Geschwister, sondern auch Freunde. Also wir hängen sehr viel zusammen ab. Mir würde nichts einfallen, dass schwierig mit ihm ist.

Enes Özmen: Aber das sind auch einfach die Werte, die wir von unseren Eltern mitbekommen haben. Auch wenn deine Schwester mal nicht Recht hat, egal, du bist einfach leise, weil sie ist deine Schwester. Das ist auch gut so. Sie ist älter, da habe ich einfach gewissen Respekt.

Esra Özmen: Aber man muss auch wissen, bis wohin man gehen kann, damit man diesen Respekt nicht ausnützt. Wenn ich dann übertreibe, dann verliere ich seinen Respekt. Das ist beidseitig so. Da ist es einfach wichtig, das in Waage zu halten.

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Wie kommt euer Rap eigentlich in eurer Heimat, in der Türkei, an?

Esra Özmen: Sehr selten, glaube ich.

Enes Özmen: Da haben sie genug Musik zu hören. Die haben leider super schöne Lieder, sodass die unsere Musik quasi nicht brauchen. Viel alte, türkische Volksmusik, und auch gute Rapper. 

Esra Özmen: Also Rap finde ich schwach, was die Türkei angeht, ehrlich gesagt.

Enes Özmen: Aber da muss man mal darüber nachdenken. Wieso läuft eigentlich Deutschrap super in Deutschland? Weil meiner Meinung nach Deutschland keine gute Popmusik hat. Aber in der Türkei oder in Albanien zum Beispiel, da geht das, da gibt es perfekte Remixes. Da ist es dann wirklich schwierig, da auch mithalten zu können. 

„DEUTSCHRAP CONNECTED MICH MIT JUGENDLICHEN“

Was für Deutschrap hört ihr gerne?

Esra Özmen: Ich höre einfach alles. Capi, Samra, Apache, Mero. Alles, was kommt, höre ich mir mal an. Dann gibt es natürlich immer Songs, die ich feiere und Songs, die ich nicht feiere. Aber ich weiß Bescheid, was abgeht in der Szene. Das ist für mich wie Zeitunglesen. Man muss Zeitungen lesen, damit man weiß, was in der Welt passiert. Man kann auch nicht wegschauen. Genauso werden diese Songs gefeiert. Deutschrap connected mich mit Jugendlichen, das mag ich auch sehr daran. Ich bin in einem Jugendzentrum, gebe einen Workshop, dann spielen sie irgendeinen Rap-Song ab und ich singe mit. Die sind immer voll begeistert, dass ich das kenne und das verbindet dann auch voll.

Bild EsRAP
EsRAP (c) Tim Cavadini

Danach kann man immer noch darüber reden, ob man hinter dem Text steht oder nicht. Hinter dem Text stehe ich nicht immer. Letztens habe ich einen Workshop gegeben und und habe dort den Jugendlichen gesagt “Wenn ihr schon sexistisch seid, dann zeigt wenigstens Schreibkunst”. Klar, sexistische Texte sind einfach nicht schön, da wird einfach so viel Müll veröffentlicht. Was mich emotional macht, ist, dass ich das Gefühl habe, seit Migrant*innen sexistische Texte haben, ist es auf einmal scheiße geworden. Wenn wir uns weiße Popmusik anschauen, Musik war oft sexistisch. Wir haben ein generelles Sexismus-Problem, nicht nur im Rap. Jetzt sind die Augen nur auf Rap gerichtet, was ich teilweise eh verstehen kann. Ich finde, dieses Thema gehört pädagogisch in den Schulen bearbeitet, und nicht im Rap.

Enes Özmen: Ich finde auch, dass es da eine rote Linie geben sollte. Aber wenn man boxt, dann kriegt man auf die Nase. Wenn man das nicht möchte, sollte man nicht boxen. Genauso ist es mit Rap, im Rap ist einfach dieser Stil da und grundsätzlich ist es ja auch jedem selbst überlassen, wie er seinen Text gestaltet.

Esra Özmen: Aber man braucht es nicht. Sexismus ist wirklich einer der unnötigsten Sachen im Rap. Es ist nicht cool.

Enes Özmen: Geschlecht ist ja auch kein Talent. 

Esra Özmen: Genau. Gott hat dir einfach diese Funktion gegeben und da braucht man nicht in irgendeiner Weise drauf stolz sein. Ich gebe auch nicht damit an, dass ich esse.

„ANDERE HABEN GAR KEINE AHNUNG VON DIESEM GEFÜHL, NICHT GEMOCHT ZU WERDEN“

Viele würden das Wort „Tschusch“ als beleidigend empfinden. Ihr seht das ganz anders, ihr seid da stolz drauf bzw. habt euch sogar dazu entschieden, ein Album danach zu benennen. Warum?

Esra Özmen: Für mich ist das irgendwie eine Identität. Letztens als ich Berlin war, wurde mir gesagt “Ah, du bist Wienerin”. Ich kann schon sagen, dass ich aus Ottakring bin, Wien ist meine Heimat. Aber sobald ich als Wienerin gesehen werde, ist das komisch für mich. Das will ich nicht annehmen. Mir wurde so oft gesagt, dass ich keine echte Wienerin bin. Jetzt kommt es mir so vor, als würde man aus Höflichkeit dem weinenden Kind sagen “Okay, das ist auch dein Zuhause”. Obwohl es das eigentlich nicht ist. Da bin ich dann so “Nein, vergiss es. Tschusch ist jetzt mein Zuhause”.

Enes Özmen: Wenn man eine gewisse Identität besitzt und wo dazu gehört, entsteht meiner Meinung nach auch ein gewisses Ego. Ich denke, das ist eine gute Definition. Wir verstehen auch einfach, wie sich Migranten fühlen. Andere haben gar keine Ahnung von diesem Gefühl, nicht gemocht zu werden. Wenn ich diese Erfahrung gemacht habe, bin ich stolz darauf. 

Esra Özmen: Ich weiß gar nicht, wie viele Leute es kennen, in einem Supermarkt zu sein und das Gefühl zu haben, jetzt Deutsch sprechen zu müssen, weil die anderen zuhören. Sobald man nicht Deutsch redet, wird man verurteilt. Das realisieren viele gar nicht. Wenn man ein Tschusch ist, ist da ein Grundverständnis da, man weiß wie sich das anfühlt. Ich glaube, dass Frauen uns auch dann viel besser verstehen als Männer. Egal ob Sexismus, Rassismus, all diese Sachen, wenn man ein Gefühl kennt, dann ist es auch gar nicht so wichtig, was genau passiert. Wenn du weißt, was Belästigung ist, dann weißt du auch wie sich eine rassistische Belästigung anfühlt. Ich will da jetzt auch nicht emotional werden. Aber ich liebs, Tschusch zu sein. Ich sage immer so, wenn es nicht mein Schicksal wäre, wäre es meine Entscheidung. Dann würde ich irgendwo anders hinziehen, um Tschusch zu sein. 

Das sind tolle Abschlussworte. Danke für eure Zeit!

Katharina Reiffenstuhl

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Termine:

1.7. 2022, Yppenplatz, 1160 Wien, 18:30

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