Daniel Lercher war schon lange nicht mehr im Weidinger. Vor ein paar Jahren, erzählt der Musiker, sei er einmal im Keller gewesen, zum Kegeln. Aber seither – „hat sich hier nicht viel getan, oder?“ Wir trinken den ersten Kaffee mit Zucker, draußen rauscht der Gürtel vorbei. Lercher, der 2025 das Kompositionsstipendium der Stadt Wien erhält und demnächst beim impuls Festival in Graz auftritt, spricht leise. Dann wenig. Er beugt sich über den Tisch, sagt: „Na ja.“
Das Weidinger ist ein guter Ort für stille Gespräche. Man unterhält sich oder man schaut zu, wie andere sich unterhalten und wie alles vorbeizieht. Die Zeit, Gedanken, ein Leben. Sitzt man Lercher gegenüber und schweigt ein paar Sekunden mit ihm, ahnt man – er ist einer, der das gerne tut und oft: zuschauen, zuhören. Um dann alles zusammenzusetzen. Im Computer oder mit den Kopfhörern, jedenfalls so, dass man etwas hört, das irgendwo mal war.
Spannende Welt
Daniel Lercher mag Geräusche, meistens nimmt er sie auf. Manche sagen „Klangkunst“ dazu, weil das sehr toll klingt. Andere tauschen Doktortitel gegen internationalen Anspruch und meinen „Field Recordings“ zu erlauschen. Die wirkliche Tatsache ist: Da läuft jemand mit einem sündhaft teuren Mikrofon in der Welt herum, dieser Jemand heißt Lercher und jetzt, in diesem Moment, sagt er: „Wenn etwas akustisch Spannendes passiert, nehme ich das auf.“
Dieser Schaffungsprozess, „die Komposition“, wie Lercher sagt, lässt sich in unterschiedlichen Abstufungen des intellektuellen Wagemuts erörtern. Man darf joviale Worte verwenden und immer wieder „Elektroakustik, elektroakustisch“ sagen, bis alle gegangen sind. Oder man orientiert sich an den ehrlichen und passendsten Tunwortbeschreibungen aus der Regenbogengruppe: Es quietscht, es knarrt, es zwitschert und so weiter.
Manch Mieselsüchtiger mag meinen, dass man dafür ja nur das Handy aus dem Fenster hängen müsse – schon nimmt die ganze Welt sich auf, ganz von allein. Und das, nun Kunst, dieser Krach? „Na ja“, sagt Lercher wieder. Ein bisserl würde das schon stimmen, doch. Aber eben, weil alle immer alles aufnehmen können, ja sogar bildende Künstler plötzlich ihr iPhone als Soundquelle verstanden wissen wollen, ja dann, so Lercher, entstehe auch viel … „Uninteressantes“.
Er hingegen habe sich in den langen Jahren, in denen er aufnimmt und arbeitet, viel teures Equipment geleistet. Ein Studio eingerichtet. Wissen angeeignet. Das alles, das könne man hören – das Know-how, die Ausrüstung, man höre ihn wirklich, den Unterschied. Allerdings, die Ernüchterung: „Wir haben das Hören verlernt“, sagt Lercher. Die Menschen würden sich abschotten, vor den akustischen Reizen, die überall und immer drangsalieren. Deshalb, so die Klangkunst, müssten wir es uns zur Aufgabe machen, das Hören wieder zu erlernen.
Stille Stunden
Lercher sagt „Hören-lernen“. Er sagt das als ein Wort, ohne Unterbrechung. Manchmal fällt auch die „bitte gar nicht“ spirituell gemeinte „klangliche Meditation“. Er erzählt dann von einer Reise nach Indien, dem Himalayagebirge, stundenlangen Aufnahmen im „Nichts“. Diese stillen Erfahrungen, damals, Ende der 2000er Jahre – sie seien wie ein Werkzeug gewesen für das Hören. Über die Jahre habe er sich diesem Zustand immer weiter angenähert. Heute sagt Lercher: „Oft definiere ich Stille durch das, was ich nicht mache.“
Seine Stücke seien zwar häufig Aufnahmen, aber eben doch: Kompositionen. „Wenn ich ein Mikrofon bewusst so positioniere, dass ich gewisse Dinge in den Vordergrund stelle oder ausblende, ist das wie die Abnahme eines experimentellen Orchesters. Und obwohl ich das, was passiert, nicht beeinflussen kann, weiß ich, wo die Aufnahme zur Musik wird. Etwas beginnt und etwas bricht ab. Diese Abgeschlossenheit aufzunehmen, ist wie die Komposition eines Stücks.”
Zuletzt und auch für das Stück, das er beim impuls Festival aufführt, beschäftigt sich Lercher mit Lissajous-Figuren. Das klingt kompliziert und nicht mehr nach Aus-aller-Welt-Aufnahmen, sondern: wie die vollgekritzelte Tafel nach einem Matheseminar. Das muss man nicht verstehen, solange man weiß: Klang ist Form. Und Form ist schön. Man kann also sehen, wie ein Kreis klingt, oder Kurven, das Dreieck. Und dann entscheiden, ob man die Augen schließt und zuhört und später im Weidinger sitzt und über die Stille nachdenkt.
Text: Christoph Benkeser
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Termine:
Mittwoch, 22. Jänner 2025, 20:00 Uhr
live w/ katharina klement
Wien, Radiokulturhaus
Donnerstag, 23. Jänner 2025, 20:00 Uhr
live w/ kaiju meets rheuma3000 & herbert pirker
Wien, Breitenseer Lichtspiele
Mittwoch, 19. Februar 2025, 11:00 Uhr
Daniel Lercher: live solo
Graz, impuls Festival
Links:
lercher.klingt.org
Daniel Lercher (Youtube)
Daniel Lercher (Spotify)
Daniel Lercher (Bandcamp)
Daniel Lercher (music austria Musikdatenbank)