„WIR HABEN ANGST VOR DER ZUKUNFT“ – NOAYAMA IM MICA-INTERVIEW

NOAYAMA ist NOAH BERGER, ein 21-jähriger Producer-Künstler aus dem Süden von Deutschland. Fürs Studium lebt er in Linz. Auf AFFINE RECORDS veröffentlicht er sein Debüt. „Consume Land Flea Market“ treibt Kastldenker:innen den Sweat auf die Stirn. Einordnen lassen sich die Produktionen von NOAYAMA nur mit Namedropping. Weil das selten weiterhilft, sprechen wir lieber – über Weltuntergangs-Angst und Skrillex-Sound, dem Fischgestank im alten Studio seines Vaters und vom Glück, das man manchmal auch brauche, zumindest wenn Björk eine Platte in die Hand bekommen soll.

Ich hab deine Platte gehört. Sie hat mich an etwas erinnert, das ich nicht benennen kann.

Noayama: Das hör ich öfter! Die Leute sagen: „Das erinnert mich an das und jenes“. Dabei kenn ich den Stuff gar nicht!

Deshalb mein ich: Ich kann nicht sagen, woran es mich erinnert hat.

Noayama: Tatsächlich war das derApproach. Ich spiel mit bekannten Elementen, die ich neu interpretiere. Natürlich sind da 808-Sounds, aber ich scheiß mir nichts! Das hat bestimmt mit meinem Dad zu tun. Er hat mir nicht nur gezeigt, dass man sich an keine musikalischen Konventionen halten muss. Durch ihn hatte ich auch immer Instrumente und Hardware available.

Funkstörung, das Projekt deines Vaters, hat sich musikalisch krass ausgetobt. Wer deren frühen Techno-Platten hört, weiß Bescheid. Gleichzeitig waren sie in der frühen Glitch-Sound-Zeit dabei. Das ist es bei dir aber nicht …

Noayama: Die Möglichkeiten sind heute ganz anders, klar. Früher war es technisch und finanziell aufwendig, so zu klingen wie Aphex Twin oder Autechre. Deshalb hat dieser Glitch-Sound geflasht. Heute kennt man diese Klänge, sie sind easy zu produzieren. Außerdem wollt ich mich von meinem Dad im positiven Sinne abgrenzen.

Viel ärger als dein Vater hätte man ohnehin nicht klingen können.

Noayama: Alles andere wäre weit weg von Musik, ja. Das Ding ist: Ich hab den experimentellen Stuff von klein auf mitbekommen. Für mich war dieser Sound …

Normal?

Noayama: Genau. Wenn ich Autechre gehört hab, sind meine Freunde ausgestiegen. Im Gegensatz dazu war Pop etwas, das ich kaum kannte oder langweilig fand.

Weil du mit der weirden Musik aufgezogen wurdest?

Noayama: Ja, damit in einer kleinen Stadt wie Rosenheim aufzuwachsen, war ein Struggle. Dort gibt’s keine Subkultur – außer Funkstörung und einer Punk-Band, die der Bruder vom Bassisten von Franz Ferdinand gemacht hat. Vielleicht war es aber auch ganz nice, allein auf meiner kleinen Musik-Insel unterwegs zu sein.

Wie meinst du das?

Noayama: Du konntest in Rosenheim nicht fortgehen, das war pure Folter! Als ich 15, 16 war, lief überall dieser Skrillex-Sound, wie hieß das noch … Dubstep!

Skrillex steht mit Four Tet und Fred Again wieder auf den großen Bühnen, der Typ hat eine zweite Heyday.

Noayama: Das ist fast schon wieder Retro-Faktor, oder? Man muss sich nur anhören, was die 16-Jährigen hören. Da läuft Abba oder Queen. Es herrscht fast eine Angst vor dem Neuen!

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Kannst du das ausführen?

Noayama: Viele verstehen gerade, dass TikTok und Insta nicht megageil für das eigene Hirn ist. Plötzlich ziehen sich die Leute wieder einen Walkman oder besorgen sich ein Tastenhandy. Da schwingt eine Hassliebe zur Technik mit.

Woher kommt diese Hassliebe?

Noayama: Wir haben so viele Möglichkeiten, das kann schnell überfordernd wirken. Gleichzeitig lastet ein Druck auf uns, permanent zu liefern. Das führt dazu, dass manche Angst haben, etwas Krasses zu machen. Wahrscheinlich gab es noch nie eine Generation vor uns, die sich dermaßen nach rückwärts orientieren.

Im Outfit, dem Sound, oder …?

Noayama: Wenn ich alte Karren gut finde, für die sich mein Vater geschämt hat.

Hast du eine Vermutung, woher diese Orientierung zur Ästhetik des Vergangenen kommt?

Noayama: Wir haben Angst vor der Zukunft. Weißt du, wie viele Freunde ich habe, die sagen, dass sie keine Kinder in diese Welt setzen wollen? Egal ob Klimawandel oder Virus, es gibt eine Weltuntergangs-Angst in der jungen Generation.

Hast du die auch?

Noayama: Nein. Würde mich jemand fragen, wann ich gerne leben würde, meine Antwort wäre: jetzt!

Das sagen eher wenige in deinem Alter, oder?

Noayama: Viele sagen, sie wären am liebsten in den 70ern oder 80ern geboren worden. Sie vergessen den Kalten Krieg, Tschernobyl, Sexismus … Für Letzteres reicht aber auch schon eine Sendung wie Wetten, dass?! Überleg mal, welchen sexistischen Mist Thomas Gottschalk von sich gegeben hat, während halb Deutschland das gesehen, gehört und trotzdem nichts gesagt hat … Trotzdem ist er heute noch immer eine Legende.

Weil sich die Leute lieber an eine beschissene sichere Vergangenheit klammern als an eine unsichere Zukunft, die eventuell besser sein könnte?

Noayama: Es hat schon seine Gründe, warum uralte Film-Franchises plötzlich wieder gehen oder so eine Sendung erneut im Fernsehen läuft.

Lass uns zu deiner Musik zurückkommen: Du verwendest zum Beispiel alte Synthesizer. Eigentlich könntest du alles auf dem Laptop produzieren.

Noayama: Mir geht es weniger um den Klang, sondern mehr ums Knöpfedrehen. Dadurch komm ich auf verrückte Ideen, die ich am Laptop nicht habe.

Dieses Video auf YouTube ansehen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.

Nur nach verrückten Ideen klingen Tracks wie „Majesty“ oder „There Were Times“ aber nicht. Die gehen als Produktionen von Earl Sweatshirt durch.

Noayama: In seine Sachen war ich als Kind voll into. Das war so krass depri, zum Glück hab ich das mit zwölf nicht verstanden. Aber ja … „There Were Times“ ist einer der ersten Songs, die ich jemals gemacht hab. Anothr, mein Nachbar und Freund, hat drübergesungen. Das ist ein genialer Musiker, er kann alles. Trotzdem würde ich nicht mit ihm tauschen wollen.

Wieso das?

Noayama: Er findet die Electronic von Funkstörung genauso geil wie Blur oder Damon Albarn von den Gorillaz. Gleichzeitig kann er das als studierter Musiker auch alles produzieren. Ich profitier hingegen von meinen limitierten Möglichkeiten, weil ich mich eingrenze.

„ICH HAB EIN GROSSES EGO, ABER DAS HAT JEDER KREATIVE, ODER?“

Wann hast du begonnen zu produzieren?

Noayama: Mit meinem ersten Laptop, da war ich 15. Am Anfang war einer von 20 Tracks useable, inzwischen ist die Hälfte ganz gut!

Du warst oft mit deinem Papa im Studio, oder?

Noayama: Früher hatte er sein Studio im Zentrum von Rosenheim – direkt über einem Fischgeschäft. Deshalb riechen meine alten Funkstörung-Shirts immer noch nach Fisch. Als ich in die dritte Klasse kam, übersiedelte er mit allem in unseren Keller. Ich hab also immer schon Synthesizer in der Hand gehabt und auf den Knöpfen rumgedrückt. Teilweise hatte ich auch Treffer, die mein Dad nutzen konnte. Mit drei hab ich zum Beispiel aus Versehen einen Part von einem BMW-Spot vertont.

Dir blieb nichts anderes übrig, als Künstler zu werden.

Noayama: Ich weiß nicht, ob es dafür eine Veranlagung gibt. Meine Großeltern haben lange nicht gecheckt, was mein Dad macht – bis mein Opa ein Funkstörung-Interview in der Süddeutschen Zeitung gelesen hat. Plötzlich hat er es respektiert. Das Interview hängt heute noch ausgeschnitten in der Küche.

Hast du manchmal das Gefühl, dass du manche Fehler nicht machen kannst, weil dir dein Vater sagt, wie du sie vermeidest?

Noayama: Er hat sich immer rausgehalten, das rechne ich ihm hoch an. Trotzdem ist er da, wenn ich mal eine Frage habe. Wahrscheinlich grenze ich mich deshalb nicht von meinen Eltern ab, wie manch andere meiner Freunde – wir reden über alles und sagen uns auch, wenn wir was nicht gut finden.

Kannst du Kritik gut annehmen?

Noayama: In der ersten Minute gar nicht. Danach freu ich mich drüber.

Ja?

Noayama: Ich hab ein großes Ego, aber das hat jeder Kreative, oder?

Vermutlich braucht es das Ego, um sich nach außen zu kehren.

Noayama: Ich hab mich mit ner Freundin über Fred Again unterhalten. Sie findet den gut, hat sich das vor mir aber nicht zu sagen getraut, weil ich mich über ihn aufgeregt habe. Dabei find ich ihn sogar sympathisch. Ich glaub aber nicht, dass er so unique ist, wie alle meinen.

Sagst du das, weil du es besser könntest?

Noayama: Gar nicht, er hat einen viel größeren kommerziellen Anspruch als ich. Dadurch macht er nicht nur, was er kreativ machen möchte – zumindest klingt die Musik für mich nicht komplett authentisch.

„ICH WILL, DASS MEHR LEUTE GUTE MUSIK HÖREN. GLEICHZEITIG WILL ICH NIEMANDEM DIE EIGENE VORSTELLUNG ÜBERSTÜLPEN.”

Deshalb hast du dich aufgeregt?

Noayama: Vielleicht steckt auch ein bisschen Unverständnis dahinter, dass Fred Again x-fach mehr Aufmerksamkeit bekommt als zum Beispiel Wandl, der für mich mehr Talent hat.

Talent hat selten mit kommerziellem Erfolg zu tun, nicht?

Noayama: Oder mit Glück! Mein Dad hat die frühen Produktionen von Funkstörung an ein Label geschickt, sie haben das gepresst – und Björk hat durch Zufall eine gekauft, der Rest ist Geschichte. Who knows, was er gemacht hätte, wäre das nicht passiert.

Sellout würd ich ihm deshalb trotzdem keinen attestieren.

Noayama: Genau, mein Dad wollte immer unique sein. Er hätte es sogar scheiße gefunden, hätten auf einmal alle Funkstörung gehört. Das seh ich bei mir auch. Ich will einerseits, dass mehr Leute gute Musik hören. Gleichzeitig will ich niemandem die eigene Vorstellung überstülpen – dafür wäre ich ohnehin viel zu harmoniebedürftig.

Wo findest du den Kompromiss zwischen deiner Meinung und anderen Perspektiven?

Noayama: In der Zusammenarbeit! Schließlich produzier ich meine Instrumentals meistens allein. Der Moment, in dem ich fremde Vocals für meine Instrumentals bekomm, ist deshalb umso aufregender. Durch die Außenperspektive, die jemand auf mein Stück projiziert, entwickelt sich der Track in eine neue, ganz andere Richtung. Das merkt man anhand der Stimmungen.

Wie meinst du das?

Noayama: Meistens mach ich Musik, wenn etwas Doofes passiert ist. Vielleicht ist es deshalb ganz gut, dass ich in letzter Zeit kaum produziert habe.

Christoph Benkeser

++++

Links:
Noayama (Instagram)
Noayama (Soundcloud)
Affine Records (Homepage)