Auf ihrem aktuellen Album „Hint Of Light“ gibt sich das Salzburger Bandprojekt ROIA so vielfältig wie noch nie. Tatkräftige Unterstützung bekamen sie dabei u.a. von CHRISTIAN EIGNER (OSTBAHNKURTI, DEPECHE MODE), der auch den Sound maßgeblich prägte. Herausgekommen ist dabei eine abwechslungsreiche Reise zwischen Prog-Rock-Updates und Post-TripHop. Didi Neidhart hat sich für mica mit ROIA zum Interview getroffen.
Gleich bei „Red Sun“ fallen diese mächtigen und aggressive Drums und fast düster zu nennende Sounds auf. Woher kommt diese Stimmung? Die ist mir im Zusammenhang mit euch noch nie so massiv aufgefallen.
Dorian Wimmer: Dass dir eine „düstere Stimmung“ im Zusammenhang mit ROIA noch nie aufgefallen ist, verwundert uns. Der hörbare Unterschied zu unseren Vorgänger-Alben manifestiert sich wohl aber vor allem im kompromissloseren Sounddesign der Drums. Dies ist unserem Drummer und Co-Produzenten Christian Eigner zuzuschreiben. Sein Sound hat dieses Album und jeden einzelnen Track darauf maßgeblich geprägt.
Wie wichtig sind dabei die deutlich helleren Vocals, die sich dem quasi entgegenstellen?
Nina Hochrainer: In unserem musikalischen Schaffen spielt Gegensätzlichkeit immer eine zentrale Rolle. Wir betrachten das als ein Merkmal von ROIA. Das liegt bestimmt auch daran, dass wir drei völlig unterschiedliche Menschen mit eigenen Persönlichkeiten und individuellem kreativen Background sind. Unsere Musik lebt von gegensätzlichen Elementen und die Arrangements bauen immer darauf auf. Glatt auf glatt ist für uns selten eine Option. Wir geben uns ungern mit naheliegenden Lösungen zufrieden, sondern suchen nach der Spannung zwischen den Komponenten. Da sind wir uns absolut einig.
Passiert sowas einfach, oder steckt dahinter ein Konzept?
Paul Hochrainer: Streng konzeptioniert oder organisch gewachsen – hier verschwimmen die Grenzen. Es hat sich über die letzten 20 Jahre einfach ein ganz bestimmter „roia-esker“ Stil entwickelt, der sich beim Komponieren, Arrangieren und Produzieren wie eine Art Sprache zur Verständigung über die kreative Arbeit legt. Es ist ein Stilelement von ROIA geworden, mit Gegensätzen zu spielen. Musik zwischen großen Arrangements und Feingliedrigkeit, zwischen Leichtigkeit und Lethargie – das ist es, was uns interessiert.
„NICHTS IST GANZ EINDEUTIG UND HAT DOCH UNEINGESCHRÄNKTE DASEINSBERECHTIGUNG.“
Eine Nummer wie „Blue“ kommt schon auch mit einem gewissen Pathos daher. Wo ist da für euch die Grenze zwischen einem aus der Prog-Rock-Tradition herkommenden Bombast (der ja auch seinen Sinn und Zweck hat) und dem Abdriften ins Kitschige?
Nina Hochrainer: ROIA befindet sich auf einer permanenten Gratwanderung. Leichtigkeit und Tiefe, Verfolgbarkeit und Überraschungsmoment liegen immer knapp nebeneinander. Wir stehen zu diesen Statements und lassen sie auch gerne ungefiltert stehen. Wenn ein sakral anmutendes Moment Teil der musikalischen Geschichte sein soll, dann darf es das auch – und zwar so richtig! Auch, wenn es danach eventuell sofort wieder gebrochen wird. Das ist ein ROIA-Konzept, das wir intern das „Smokey Pink Prinzip“ nennen. Nichts ist ganz eindeutig und hat doch uneingeschränkte Daseinsberechtigung. Wir sind da mittlerweile absolut furchtlos geworden. Ob man das nun pathetisch, hymnisch, cineastisch, heilig, bombastisch oder kitschig nennen mag, das bleibt am Ende ein subjektives Empfinden.
Ihr bezeichnet euch als „post trip hop influenced“. Worum geht es genau? Um gewisse Sounds, um spezielle Stimmungen/Atmosphären, um Haltungen oder Produktionstechniken?
Paul Hochrainer: Das ist eher eine Sache der Attitude. Die Kombination aus elektronischem Sound im Midtempo-Bereich und den melodiösen Gesangslinien legen einen solchen Vergleich nahe. Auch die Formen der Songs lehnen sich da definitiv an und erinnern oft an Musik dieser Ära. In Wahrheit haben wir diesen Vergleich einfach schon oft gehört und finden ihn auch selbst nicht unpassend.
„Die 80er stehen unsere Meinung nach absolut zu Unrecht in einem schlechten Licht.“
Mir sind ein paarmal bei einzelnen Parts Bands wie Genesis oder Yes eingefallen. Jedoch von den Sounds her eher in ihren 1980er-Erscheinungsformen, die ihr aber quasi durch TripHop-Gefilde jagt und neu zusammensetzt. „Thin Line“ erinnert auch sehr an frühe Digi-Synth-Sequenzer-Sachen aus den 80ties (z.B. bei Peter Gabriel), nur aber mit mehr (und effektiveren) Big Beats. Sind diese 1980s-Referenzen bewusst (unter Fans der jeweiligen Bands steht dieses Jahrzehnt ja nicht unbedingt so ganz hoch im Kurs)?
Nina Hochrainer: Es ist ganz simple: wir sind Kinder dieser Zeit und auch so sozialisiert. Die 80er stehen unsere Meinung nach absolut zu Unrecht in einem schlechten Licht. Wie in jedem Jahrzehnt der Musikgeschichte entstand hier fantastische Musik, die in ihrer Genialität kaum zu übertreffen ist.
Dorian Wimmer: Auch in den 90ern. Auf allen ROIA-Alben sind diese Referenzen zu hören – mal deutlicher, mal versteckter. Auch hier verständigen wir uns ganz unkompliziert auf das, was uns gefällt und was uns berührt.
Wie würdet ihr den ROIA-Sound 2022 überhaupt beschreiben?
Dorian Wimmer: Wir haben die ROIA-Geschichte in unserer Tradition weitergeführt. Das Album „Hint of Light“ ist also absolut roia-typisch. Durch die Zusammenarbeit mit Christian hat sich im neuen Album eine gewisse Kompromisslosigkeit entwickelt, die sehr wohltuend ist. Dass ein Statement auch einfach mal unhinterfragt stehen bleiben darf und soll, oder dass in der Schlichtheit und Unaufgeregtheit manchmal die größte Aussage steckt, das macht „Hint of Light“ definitiv spannend. Christians Drums bringen zudem eine Art Rauheit mit sich, nach der wir lange gesucht hatten
Der Aufbau und die Struktur der Songs pendeln bei euch ja immer gerne zwischen Prog-Rock-Elementen – d.h. unterschiedlichen Parts mit unterschiedlichen Grooves, Sounds und Stimmungen – und klassischen Pop-Song-Strukturen. Wie entscheidet sich da eigentlich wo es von Fall zu Fall hingeht? Bei „Cover The Dust“ glaubt man sich ja beim Gitarrenpart plötzlich in einer ganz anderen Nummer (oder bei Robert Fripp/King Crimson)
Paul Hochrainer: Wir benutzen die Sprache der Popmusik, halten uns aber nicht gerne an ihre traditionellen Gesetzmäßigkeiten. Jeder unserer Songs durchläuft mehrere Stadien im Entwicklungsprozess. Diese können sich durchaus völlig unterschiedlich anhören und anfühlen. Ab einem gewissen Punkt in der Produktion spüren wir jedoch ganz klar, welchen Pfad der jeweilige Song gehen muss, um das richtige Ziel zu treffen.
Nina Hochrainer: Hier sind wir wieder beim „Smokey Pink Prinzip“: Wendungen sollen überraschen und nicht so leicht vorhersehbar sein. Für uns liegt darin der Reiz und die Magie jeder Kunstrichtung.
„WENDUNGEN SOLLEN ÜBERRASCHEN UND NICHT SO LEICHT VORHERSEHBAR SEIN.“
Mit Christian Eigner (Kurt Ostbahn, Peter Cornelius, Georg Danzer, Depeche Mode), Matthias Jakisic (Bauchklang, Hallucination Company, I-Wolf), Klaus Kircher (Willi Resetarits, Wolfgang Ambros, Boris Bukowski), Max Ranzinger (Lungau Bigband, Sandra Pieres, Gerd Schuller Trio) habt ihr euch diesmal auch versierte All-Rounder ins Studio geholt. Wie kam es dazu und wieso?
Paul Hochrainer: Für jedes unsere Alben haben wir versierte Gastmusiker ins Studio geholt. Grundsätzlich machen wir ja alles selbst – Komposition, Arrangement, Instrumente, Lyrics, Vocals, Recording, Mix und Mastering. Dennoch, oder gerade deshalb finden wir es wichtig, dass jedes Album eine unverwechselbare musikalische Farbe, beziehungsweise einen zusätzlichen besonderen Vibe bekommt. Dafür suchen wir immer nach interessanten Klängen und Musikern, die durch ihren eigenen charakteristischen Sound, die ROIA-Klangwelt bereichern. Das war bei allen genannten Musikern hundertprozentig der Fall.
Dorian Wimmer: Das gilt allerdings auch für all jene Musiker, die bei vergangenen Alben mitgewirkt haben. Dieser Einfluss befruchtet und gibt jedem Song ein besonderes Finish.
Christian Eigner hat mitproduziert und auch alle Drums gespielt. Wie eingangs schon erwähnt sind die mächtigen Drum-Sounds eines der Erkennungszeichen des Albums. Wie wichtig und wie umfangreich waren seine Beiträge?
Paul Hochrainer: Christian fand die ROIA-Tracks so überzeugend, dass er uns anbot, „Hint of Light“ gemeinsam mit ihm zu produzieren. Er hatte echtes Vergnügen daran, mit den Songs zu experimentieren. Das betrifft beileibe nicht nur seine außergewöhnlichen Qualitäten als Drummer – vielmehr bereicherte er das Arrangement mit seinem gesamten Repertoire: Vintage Synthesizer, Wersi Orgel, Hackbrett usw. Das erweiterte den musikalischen Horizont und war eine echte Freude. Ein Gefühl, als wäre er immer dabei gewesen.
Bei „Cover the Dust“ gibt es plötzlich ein Trompeten-Solo, bei „Broken Vows“ kommt eine Violine hinzu. Wie kommt es zu solchen Entscheidungen, das Klangspektrum zu erweitern bzw. wieso ausgerechnet Trompete und Geige?
Nina Hochrainer: Auch hier kommt wieder unsere Vorliebe für Kontraste und Gegenpole zum Ausdruck. Akustische Instrumente sind im Bereich der elektronischen Musik einfach immer eine spannende Komponente und uns reizt die Verbindung dieser beiden Welten ungemein. Beim Arrangieren eines Songs suchen wir oft nach zusätzlichen Klängen – Elementen, die die Geschichte, die wir erzählen wollen, abrunden, oder ihr eine unerwartete Wendung geben.
Paul Hochrainer: Mit Matthias haben wir auch früher schon zusammengearbeitet. Sein spezielles Geigenspiel bot sich als Klangfarbe, nicht nur bei „Broken Vows“, perfekt an. Bei „Cover the Dust“ hatten wir schon mehrere Lösungen für den Mittelteil ausprobiert, die den Kern der Sache aber einfach nicht ganz getroffen hatten. Joschis Interpretation am Flügelhorn wurde hingegen zu einem echten Highlight auf dem Album.
Wie wichtig ist für euch das Tüfteln an gewissen Soundpartikeln (egal ob jetzt mit der Gitarre oder anderen Instrumenten)?
Dorian Wimmer: Das Tüfteln und Basteln ist unsere Leidenschaft. Wir feilen und polieren, wir diskutieren und lassen passieren. Nicht umsonst sind wir ein „Studio-Projekt“. Die Vision eines Songs steht oft von Anfang an fest – dann spielen wir so lange mit den Bausteinen, bis sich alles in die ROIA-Soundwelt einfügt. Es ist uns auch enorm wichtig, dass jeder Sound und jedes Instrument einen eigenständigen Klang besitzt – „Presets“ und „Samples“ wird man bei ROIA kaum hören – alles ist selbst geformt und mehrmals durch unsere Hände, Ohren und Maschinen gegangen.
Ein typisches Element bei euch ist ja der zweistimmige Gesang. Aber wie werden da die einzelnen Parts aufgeteilt?
Nina Hochrainer: Das läuft im Entstehungsprozess mittlerweile fast automatisch ab. Jede/r von uns hat gewisse Vorlieben und so ergeben sich die Parts ohne viele Diskussionen. Da entwickeln sich erste Bilder zu Worten und Stimmungen zu konkreten Textideen. Gesangslinien werden hin- und hergereicht und dienen als Vehikel, um kreative Prozesse in Bewegung zu setzten. Oft beeinflusst der Gesang auch die bereits bestehende Musik und umgekehrt. Beim Schreiben der Lyrics gehen wir meist von Szenenbildern und Stimmungen aus, die wir beinahe filmisch beschrieben. Wir verwenden das Wechseln der Stimme hier oft als Stilmittel. Das macht die Texte poetisch und rätselhaft.
Ihr seid als Band ja durchaus „generationenübergreifend“ und habt von daher auch sicher sehr unterschiedliche (pop-)musikalische Sozialisationen hinter euch. Wie geht ihr da als Bands mit all dem um? Es ist doch wohl ein Unterschied, ob man z.B. in den 1970s ein Progrock-Fan gewesen ist, oder erst 20 Jahre später, oder ob für einen bei TripHop damals alles neu war, oder man viele Samples schon von früher kannte und es auch keine Veranlassung mehr gab, sich als Teil einer durch Pop-Musik definierten Jugendbewegung zu sehen.
Dorian Wimmer: Generationenübergreifend, ja, das stimmt. In erster Linie machen wir aber Musik, die uns berührt und gefällt. Wir bedienen uns der Elemente unterschiedlicher Stilrichtungen. Aus welchem Jahrzehnt dieser Einfluss stammt, ist für die Arbeit absolut irrelevant. Klar färben persönlichen Vorlieben und musikalischen Prägungen jeden Song – das ist auch gut so, denn nur deshalb klingt ROIA so eigen und kann diese besondere Spannung zwischen den Dingen provozieren.
Wie habt ihr das Album finanziert?
Paul Hochrainer: Alles wurde von uns selbst finanziert, mit einem kleinen Support der SKE. Der zeitliche Aufwand ist enorm, aber wir sind unsere eigenen Chefs und erleben den Prozess der Entstehung eines neuen Albums immer mit großem Behagen und sehen ihn nicht als Bürde. Die Freiheit der Selbstbestimmung ist ein echter Genuss. Einzig den richtigen Moment zu finden, wann die Stücke fertig sind, „kostet“ uns Nerven.
Wird es Live-Konzerte geben und wenn ja, in welcher Besetzung?
Dorian Wimmer: Die Erfahrung der letzten Jahre hat uns gezeigt, dass wir uns hierbei wieder lieber auf die ursprüngliche Freude des gemeinsamen „Studio-Bastelns“ besinnen. Lebensumstände und Prioritäten ändern sich – der Rückzug in die Intimität, das gemeinsam Tüfteln, das Musik machen und Komponieren, das sind definitiv unsere Stärken.
Nina Hochrainer: Zudem ist das Booking von Nischenmusik ein ganz eigenes Kapitel – vor allem in unseren Breitengraden.
Vielen Dank für das Interview.
Didi Neidhart
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