„WIR FANDEN, DIE VERWENDUNG VON GLAS SOWIE HOLZ UND METALL ALS MEMBRANEN HAT ETWAS POETISCHES.“ ‒ GERHARD ECKEL UND LUDVIG ELBLAUS (UTRUMQUE) IM MICA-INTERVIEW

Das empirisch Sound-erforschende Duo UTRUMQUE, bestehend aus GERHARD ECKEL und LUDVIG ELBLAUS, produziert ab Ende Februar einen sub- bis ultrasonisch manipulierten Sound-Raum, der die Bewegungs- und Stimmmuster von Tänzer:innen und des anwesenden Publikums in iterativen Schleifen – auch mit den Sounds des Außenraumes – verknüpft. Ein ehemaliger Frisörsalon wird während der „Season of Sound“ in ein Musikinstrument verwandelt und die akustischen Eigenschaften der Objekte und Menschen im heuer wieder seine Türen öffnenden, partizipativen Performance-Schauraum „Der Betrieb“ ausgestaltet. Bei allen Aufführungen wird UTRUMQUE anwesend sein, um den Klang in seiner Entwicklung zu beobachten, zu leiten und musikalisch einzugreifen. Michael Franz Woels hat sich mit den beiden vor Ort bei den Proben getroffen, um unter anderem über die Frage nachzudenken: „Wie gehen wir mit den Menschen um, die mit uns im Raum sind?“

Ich möchte unser Gespräch mit der Andeutung eines Zitates beginnen: „Wir sitzen in einem Raum, …“

Ludvig Elblaus: „… anders als der Raum, in dem Sie jetzt sitzen.“

Nachdem wir sozusagen den gesprochenen Anfangsteil des Raumresonanzen-Konzeptkunstwerks „I Am Sitting in a Room“ des amerikanischen Klangkünstlers Alvin Lucier aus dem Jahr 1969 zitiert haben, sprechen wir über die Zusammenarbeit von utrumque und „Der Betrieb“. Die Tänzer:innen Anna Maria Nowak und Alexander Gottfarb haben „Der Betrieb“ 2022 initiiert. Wie haben Sie sich kennengelernt?

Gerhard Eckel: Wir kennen uns schon lange. Anna und Alex nahmen an einem künstlerischen Forschungsprojekt teil, das ich an der Universität für Musik und darstellende Kunst in Graz (KUG) am „Institut für Elektronische Musik und Akustik“ durchgeführt habe. Dieses Projekt hieß „Embodied Generative Music“. Die Idee bestand darin, eine Beziehung zwischen der Körperbewegung und dem durch die Bewegung erzeugten Klang herzustellen. Es basierte hauptsächlich auf Motion-Capture-Technologien. Auf einer sehr detaillierten Ebene konnten wir die Körperbewegungen verfolgen und daraus Klänge erzeugen. Technologisch war es komplex, da man viele Kameras und Reflektoren am Körper brauchte. Zwischen diesen Fragen der Bewegungserkennung besteht für uns ein interessanter Zusammenhang. Ludvig arbeitete auch mit diesen Systemen und wir haben über das Problem gesprochen, dass wir all diese Kameras benötigen. Das war einer der Ausgangspunkte unserer Zusammenarbeit als utrumque.

Ludvig Elblaus: Uns störte das monumentale Ausmaß an Technik, technischem Know-how und das dafür notwendige Budget. Im wahrsten Sinne des Wortes würde es nur dann Sinn machen, wenn wir für ein Symphonieorchester komponierten. Wir haben beide die Erfahrung gemacht, dass es sich irgendwie nicht immer gelohnt hat, lange Probezeiten einzuplanen, nur um diese Systeme zu kalibrieren. Deshalb suchten wir nach einer „menschlicheren und humaneren“ Arbeitsweise. Wir entwickeln nun einen Weg, auf dem wir versuchen, uns in Beziehung zu denen zu setzen, die wir sowohl als Kollaborateure als auch als Publikum in den gemeinsamen Sound-Raum einladen. Wo und wie wollen wir unsere Zeit verbringen? Wie gehen wir mit den Menschen um, die mit uns im Raum sind?

Während der „Season of Sound“ verwandelt utrumque den Schau- und Hörraum von „Der Betrieb“ durch das Verwenden oder Anbringen von riesigen Resonatoren aus Glas, Holz und Metall in ein begehbares Musikinstrument ‒ denn diese Resonatoren funktionieren ähnlich wie Lautsprecher, indem sie wie Membranen in Schwingungen versetzt werden können. Mich interessiert nun, wie man einen Raum „akustisch“ kennenlernt, um ihn dann als Instrument nutzen zu können?

Ludvig Elblaus: Wir waren in früheren Seasons von „Der Betrieb“. Und wir drei hatten bereits Sondierungsarbeiten durchgeführt, die man wohl als Laborarbeit in verschiedenen Grazer Studios bezeichnen könnte. Wir haben im Grunde versucht, eine Sprache zu finden, um diese Prozesse und ihre Verortung in unseren Praktiken zu verstehen. Es geht darum, die Erfahrung, bereits viele Räume mit musikalischen Möglichkeiten gefüllt zu haben, auch an diesem Ort anzuwenden.

Der besondere Bezug zur Stadt ist sehr interessant. Und Menschen, die hereinkommen, verändern mit ihrer Masse den Raum, und wir machen diese visuellen Öffnungen der Glasfenster auch akustisch durchlässig, indem wir Wandler einsetzen, damit Geräusche entstehen. Der Lärm der Stadt kann eindringen und wir können vorsichtig und leise etwas Klang auf die Straße zurückbringen. Dieser Raum hat weichere und härtere Grenzen und es ist uns wichtig, damit zu spielen. Auch die Steuerung der Hörhaltungen anderer ist ein wichtiger Bestandteil dieser Arbeit. Die Starrheit eines Theaterhauses mit seinen Strukturen wie: Hier muss man sitzen, also soll man dort hinschauen. Es ist nicht so klar, was man hören soll, was man hier sehen darf. Wir werden erforschen, wie wir die Gestaltung der Aufmerksamkeitslenkung durch die Bewegung von Klängen und Körpern teilen können.

Gerhard Eckel: Wir schaffen eine Vielfalt an Möglichkeiten. Die Aufmerksamkeit kann wandern. Sie können sogar ein Auto draußen beobachten.

Ludvig Elblaus: Und auch wir werden auftreten. Und zwar in dem Sinne, dass wir das Zuhören aufführen und dadurch das Verhalten anderer leiten. Wenn man sich in eine Klanginstallation begibt und sieht, wie eine Person wie Gerhard in einer Ecke sitzt und konzentriert zuhört, verändert sich das Verhalten aller anderen im Raum. Das ist ein wechselseitiger Bestandteil einer irgendwie inszenierten Aufführung.

Kürzlich habe ich in dem Buch „Stoffwechselpolitik“ von Simon Schaupp gelesen, dass wir nicht vergessen sollten, dass wir in erster Linie „Human Beings“ sind, keine „Human Doings“ – immer versucht, mit etwas beschäftigt zu sein, getrieben von neoliberalen Zwangsvorstellungen.

Gerhard Eckel: Wir betrachten einen Raum als unseren Partner, unser Instrument und haben hier nun eine neue Ebene erreicht, indem wir mechanische Strukturen – wie die Fenster – nutzen, die Töne aufnehmen und erzeugen können.

Ludvig Elblaus: Wir fanden, die Verwendung von Glas sowie Holz und Metall als Membranen hat etwas Poetisches. Wir wollen neue Wege für die Klangprojektion finden, die uns von den traditionelleren elektroakustischen Lautsprecher-Setups wegführen. Zunächst einmal haben wir hier keine symmetrischen Komponenten. In den letzten Jahren haben wir mit eher traditionellen Musikobjekten wie einem Kontrabass und einer kleinen Trommel gearbeitet, die wir mit Kontaktmikrofonen elektrifiziert haben, aber tatsächlich ist dieses Projekt jetzt skulpturaler und von größerem Maßstab.

The Season of Sound
The Season of Sound (c) Victoria Nazarova

„WIR BRINGEN KEINE GERÄUSCHE MIT, SONDERN PLATZIEREN SIE IM RAUM.“

Diese Objekte, diese Resonatoren aus Glas, Holz und Metall an der Wand, erinnern mich sogar an Minimal Art.

Gerhard Eckel: Uns gefällt hier, dass diese Objekte zunächst nicht wie Lautsprecher aussehen. Und sie klingen auch völlig anders. Sie haben einen Charakter, jedes Material ist etwas ganz Besonderes. Wir versuchen, das spielerisch zu nutzen.

Ludvig Elblaus: Es ist ein elektrisch gesteuertes, vibrierendes Objekt. Es wird eine Vibration im Material erzeugt. Diese Objekte klingen und projizieren auch ganz anders als ein Lautsprecher. Ein Lautsprecher ist so konstruiert, dass er konisch ausstrahlt und in dieser Kegelform präzise klingt. Bei einem Instrument wie einer Geige oder einem Kontrabass strahlt der Klang viel spezifischer aus, er ist abwechslungsreicher und angenehmer. Unsere Resonator-Objekte signalisieren und aktivieren auch eine andere Beziehung zum Raum.

Gerhard Eckel: Wir sind so an die Klangwiedergabe durch Lautsprecher gewöhnt, dass wir sie in gewisser Weise für „transparent“ halten. Sie vereinheitlichen aber unsere Klangwahrnehmung und -produktion.Wir nutzen hier Mikrofone und Kontaktmikrofone, um die Schwingungen der Objekte aufzunehmen. Wir können eine Beziehung zwischen dem Schaufenster und einer Wand-Platte beispielsweise im Raum auf der gegenüberliegenden Seite herstellen. Unsere Praxis besteht darin, den Raum oder das Instrument als das Vehikel zu betrachten, das den Klang überhaupt erzeugt. Wir bringen keine Geräusche mit, sondern entwickeln sie aus Raum. Aber der gesamte Raum erzeugt den Klang und jede:r ist Teil dieser Klangerzeugungsmaschine. Wenn sich Menschen darin bewegen, verändern sie den Klang des Rauminstruments.

Ludvig Elblaus: Wir interagieren auch physisch mit Schall, indem wir unsere Masse durch den Raum bewegen. In unseren Experimenten versuchen wir, die Masse des menschlichen Körpers in diese Rückkopplungssysteme einzubringen. Die veränderte Zirkulation von Schallwellen, denen ein Objekt in den Weg stellt wird, kann den Klang formen. Damit der menschliche Körper signifikant mit einer akustischen Welle interagiert, sollte die Wellenlänge der Schallwelle mit den Abmessungen des Körpers vergleichbar sein. Dies bedeutet, dass die Frequenz der Schallwelle so gewählt sein sollte, dass ihre Wellenlänge in der gleichen Größenordnung wie die Körpergröße liegt.

Eine Person im Raum wird also hörbaren und unhörbaren Geräuschen ausgesetzt …

Gerhard Eckel: … und es ist möglich, dass Sie als Publikum allein durch die Bewegung einer Hand die Klanglandschaft im Raum modulieren. Und die Mikrofone in diesem Raum funktionieren ähnlich wie eine Hand, die man auf eine Glasscheibe legt, um tatsächlich die Vibration eines vorbeifahrenden Lastwagens zu spüren. Es ist die gleiche taktile Direktheit, mit der beispielsweise Stimmklänge den Weg zum Computer finden und als Töne durch die Holzplatte zurückkommen.

The Season of Sound
The Season of Sound (c) Victoria Nazarova

„WIR TEILEN DEN MOMENT UND DIE SITUATION UND VERSUCHEN, SIE SUBTIL ZU MODULIEREN.“

Die Zusammenarbeit zwischen utrumque und den Darsteller:innen von „Der Betrieb“ während der „Season of Sound“ basiert auch auf dem gemeinsamen Interesse an der Erforschung von Dauerhaftigkeit, Wiederholung und Variation von (Bewegungs-)Praktiken. Während der Öffnungszeiten sind Sie im Raum anwesend. Was ist Ihre genaue Rolle bei diesen durational Performances?

Gerhard Eckel: Zuhören ist ein sehr wichtiger Teil. Wir teilen den Moment und die Situation und versuchen, sie subtil zu modulieren.

Ludvig Elblaus: Es ist ein Akt des Kuratierens, bei dem Klänge ausgewählt und verfügbar gemacht werden und mit den Tänzer:innen interagiert wird.

Gerhard Eckel: Die Körper fungieren als Instrument.

Ludvig Elblaus: Wir haben Strukturen komponiert, die den Anliegen von „Der Betrieb“ entgegenkommen.

Gerhard Eckel: Der zeitliche Rahmen gefiel uns sehr, denn wenn wir unsere Musik entwickeln, spielen wir ohne Ende mit den Variationen. Und ein Problem, das dabei auftritt, ist: Wie zeigen wir das, und vor allem wo?

Ludvig Elblaus: Selbst ein vierstündiges Konzert ist etwas, für das man kämpfen muss … und es ist immer noch reduktiv. Daher ist die „Season of Sound“ jetzt eine großartige Gelegenheit, über eine längere Dauer im „Einklang mit dem Material zu leben“.

[Nach einer kurzen Darbietung einer sich wiederholenden, langsamen Bewegungsabfolge von einer Seite des Raumes zur anderen von Alexander Gottfarb und ebenfalls sich wiederholenden und sich langsam verändernden Sounds von utrumque wird das Interview fortgesetzt …]

Ich habe die Aktivitäten nun im Raum beobachten können und auch immer wieder meine Augen geschlossen. Wenn ich die Augen geschlossen hatte, konnte ich die Größe des Raumes nicht mehr richtig begreifen …

Ludvig Elblaus: Vor ein paar Jahrzehnten wurde in Aufnahme-Studios ein großer Raum simuliert, indem das Audio-Signal durch eine große Metallplatte geschickt wurde. Das war eine der Nachhall-Techniken des letzten Jahrhunderts. Viele Recording-Studios verfügten über einen separaten Raum, um diesen diffusen Klang zu generieren. Durch den Einsatz dieser Techniken verändern wir ein wenig die normale Wahrnehmung der Raumakustik.

Die Bewegungen von Alexander Gottfarb wirken in gewisser Weise sogar wie ein geheimes Ritual, denn viele Rituale funktionieren mit sich wiederholenden Mustern.

Ludvig Elblaus: Es geht nicht darum, etwas einfach mechanisch zu wiederholen. Es geht darum, sich durch Aufmerksamkeit von der eigenen Erfahrung verzaubern zu lassen. Volle Aufmerksamkeit und Konzentration über einen langen Zeitraum auf alles, was um einen herum geschieht. Wir versuchen, die Besucher:innen dazu zu bringen, auf Details zu achten. Wir möchten für einen Zustand der Entspannung sorgen.

Kurz noch zu dem Namen utrumque [Anm.: lat. für beide, jeder von beiden], der sehr kryptisch (natur-)wissenschaftlich klingt …

Ludvig Elblaus: Als Gerhard und ich anfingen zusammenzuarbeiten, wollten wir verschiedene Aspekte des Feedback-Sounds und seine Beziehung zu Körpern erforschen. Eigentlich hatten wir eine lange Liste von fünfzehn bis zwanzig Aspekten, die wir abarbeiten wollten. Das war vor etwa sieben Jahren. Und wir arbeiten immer noch an der ersten Sache. Einen Namen oder ein Etikett wie utrumque zu finden, um unsere Zusammenarbeit mit dieser ewigen Faltung – von noch etwas und noch etwas und so weiter – zu versehen, fühlte sich passend an. 

Gerhard Eckel: Ein Duo ist eine ideale Situation, weil wir über die Dinge, die wir tun, kommunizieren und verhandeln müssen. Wir teilen die Prinzipien hinter unseren Gedanken und entwickeln sie weiter. Eine bestimmte Ethik geht damit einher. Unsere Arbeitsgrundlage liegt in einer gemeinsamen Ethik, nicht in einer gemeinsamen Ästhetik.

Dem ewigen Gedanken des Klangs folgend … Welche Bereiche anderer Disziplinen inspirieren Ihre Audioforschungen?

Ludvig Elblaus: Physikalische Modellierung. Dynamische Systeme. Uns beschäftigen Fragen wie: Wie schaffen wir gemeinsam ein Verständnis dafür, was vor sich geht? Worin besteht unsere Vermittlungsarbeit, unsere Autorenschaft in der Welt? Wie möchten wir entscheiden, was passieren wird? Handelt es sich eher um ein Zusammensein, oder um eine Art „Tanzen mit der Welt“?  Die Konzepte, die unsere Arbeit im Hintergrund strukturieren, strukturieren auch die Art und Weise, wie wir die Ideen in Beziehung setzen und präsentieren.

Gerhard Eckel: Kybernetik, das umfasst die meisten Aspekte, mit denen wir uns befassen. Und unsere Arbeit ist sehr empirisch: Wie nehmen wir die Welt wahr? Wie verstehen wir sie? Wir können nie wirklich vorhersagen, was passieren wird. Es treten Kräfte auf, die man nicht vorhersagen kann.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Franz Woels

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Termin:

The Season of Sound
26. Februar bis 5. April 2025
Mittwoch-Samstag, 14:00–19:00 Uhr
@Der Betrieb, Vogelweidplatz 13, 1150 Wien
Eintritt frei

Künstlerische Leitung: Alexander Gottfarb, Choreographie und Tanz: Stella Covi, Alexander Gottfarb, Jolyane Langlois, Raul Maia und Lena Schattenberg, Live Musik and Komposition: Gerhard Eckel und Ludvig Elblaus (utrumque), Kostüme: Karin Pauer

Produktion und Management: mollusca productions

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Links:
utrumque
Der Betrieb