Nach dem großen Erfolg mit „Maschin“ legt das in Wien arbeitende Quartett um Sänger und Mastermind MAURICE ERNST mit seinem dritten Album „Schick Schock“ einen Blueprint für lässige, groovebetonte Popmusik mit deutschen Texten vor. BILDERBUCH gelingt momentan fast alles, das Selbstbewusstsein ist groß und der einstigen Schülerband steht nun die Welt offen. Das Interview führte Sebastian Fasthuber.
Beim letzten Album „Die Pest im Piemont“, das 2011 erschienen ist, haben Sie gesagt: „Wir wollen etwas schaffen. Wenn man sich in zehn Jahren fragt, was damals los war, soll man sich an uns erinnern.“ Der Anspruch, etwas Großes hervorzubringen, war also immer schon da?
Maurice Ernst: Voll. Wir wollten immer ein bisschen größer denken und mehr wagen. Für unsere Verhältnisse haben wir das mit dem zweiten Album auch schon gemacht. Das betont heute keiner mehr, weil sich die meisten Leute wenig mit dem zweiten Album auseinandergesetzt haben. Jeder wundert sich über diese Wandlung, die wir vollzogen haben. Aber Bilderbuch war immer eine suchende Band. Und so wie damals David Bowie ein Idol war, ist er das auch heute noch. Wir sind eine Band, die versucht, sich immer wieder selbst zu überraschen. Das ist auch der Weg, den wir weitergehen wollen.
Wie kamen Hip-Hop und R ’n’ B bei Bilderbuch ins Spiel?
Maurice Ernst: Es gab keine Initialzündung, sondern mehrere Dinge, die zusammengespielt haben. Zunächst hatten keinen Proberaum mehr, mussten also anders weitermachen. Auch der damalige Schlagzeuger ist gegangen. Dadurch verlagerte sich die Arbeit mehr auf den Computer. Gleichzeitig haben wir, als das „Pest“-Album rauskam, schon viel Kanye West gehört, besonders das „Dark Twisted Fantasy“-Album. Das hat uns abgeholt, wo wir gerade waren. Dann kam auch Frust auf das österreichische Ding, auf die Szene und das Business hier dazu. So entwickelte es sich, dass wir anders klingen wollten, andere Ansätze suchten und ein eigenes Label starteten.
„Jeder wundert sich über diese Wandlung“
Wie haben Sie die Songs erarbeitet?
Maurice Ernst: Es wurde sehr viel am Computer gearbeitet. Wir haben den Computer als Amp gesehen, unsere Instrumente angesteckt und irgendwelche Effekte dazugeschaltet. Ein Punkzugang. Sehr viel von dem, was da anfangs passiert ist, haben wir behalten und später mit guten Signalen kombiniert. Darum ist der Sound des Albums eine Mischung aus Lo-Fi und Hi-Fi. Die Arbeit lief ganz anders als bei einer Studioproduktion. Wir haben mit Kleinigkeiten begonnen und uns dann langsam zum fertigen Song vorgearbeitet.
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Das Resultat ist poppiger deutschsprachiger R ’n’ B, der sich auf vieles bezieht, aber doch einen ganz eigenen Schmäh hat.
Maurice Ernst: Das Ding soll zum einen schon einen Zeitgeist-Sound haben, der am Punkt ist. Daran haben wir lang gewerkelt und herumprobiert. Natürlich zitieren und collagieren wir auch viel von Falco bis Prince, das ist ja auch das Schöne am Pop, dass man das darf und dabei auch Klischees aufgreifen kann. Aber es geht nie nur um ein großes Role Model oder um eine bestimmte Tradition. Wobei Prince schon sehr wichtig war. Wie Prince machen wir jetzt eine sehr beatmäßige Musik, wo sich die einzelnen Musiker eigentlich nicht so verwirklichen können. Trotzdem wollen wir zeigen, dass wir einen super Gitarristen haben. Ich gehe sogar so weit, dass wir den Guitar Hero zurückbringen wollen, diesen überhöhten Gitarristen, der im Pop jetzt lang nicht da war. Bei „Gibraltar“ zum Beispiel braucht es im Refrain gar keinen Text mehr, da spielt die Gitarre den Refrain. Da kann man von Prince viel lernen.
Wie ist generell die Aufgabenverteilung in der Band?
Maurice Ernst: Man hat nicht mehr sein Instrument als Hauptaufgabe. Diesmal war jeder Produzent. Wir waren vier Produzenten, die miteinander eine geile Platte gemacht haben, ein bisschen wie Gorillaz. Jeder hat seine Finger überall. Früher hat jeder sein Egoding durchgedrückt. Trotzdem hat das Album Virtuosität und sehr viel Soul drin.
Sie waren mit der „Feinste Seide“-EP sehr erfolgreich. War es von Haus aus geplant, wieder ein Album zu machen?
Maurice Ernst: Nicht wirklich. Wir wollten uns nicht mehr festlegen und diesem System entsprechen, das in Österreich eh keinen Halt hat. Wozu brauche ich in Österreich einen Labeldeal? Die Idee war eher, ein Album zu machen, um damit auch ein Repertoire für eine Tour zu haben. Aber es ist nicht nur ein Album, sondern der Sampler einer Epoche dieser Band. Das sind diese zweieinhalb Jahre Schaffensphase von Bilderbuch. Wir wollten diesen Zeitabschnitt mit einem Album krönen.
„Wir wollten immer ein bisschen größer denken“
Früher wirkten Sie beim Versuch, alles richtig zu machen, ein bisschen bemüht. Wie haben Sie zu der Lockerheit gefunden, die Sie jetzt ausstrahlen, und den Popstar in sich entdeckt?
Maurice Ernst: Es passt jetzt alles besser zusammen. Ich mache das jeden Tag und lebe es mehr denn je. Es gibt keinen Plan B mehr und keine Gedanken wie: „Heute bin ich der Rockstar, aber, oh Gott, morgen habe ich eine Prüfung auf der Uni.“ Jetzt drücken wir das Ding durch. Darum kommt es viel mehr aus der Seele raus als früher.
Müssen Sie noch einen Schalter umlegen, wenn Sie auf die Bühne gehen, oder haben Sie den Popstar schon verinnerlicht?
Maurice Ernst: Man verinnerlicht es. Man wird erwachsen und gefestigter in dem, was man macht. Irgendwann zieht man sich auch so an, wie die eigene Musik klingt. Und der Erfolg verschafft natürlich Selbstbewusstsein. Schon „Plansch“ war für uns ein großer Erfolg. Wir haben damals bereits gewusst, dass es klappen wird. Wir waren sehr selbstbewusst und haben gesagt: „Hör dir das an, wie cool klingt das?“ Dabei sind wir Perfektionisten und Leute, die nicht viel cool finden und schon gar nicht uns selbst.
Wie lang schon betreiben Sie Bilderbuch als Fulltime-Job?
Maurice Ernst: Seit einem Jahr. Damals bin ich zum letzten Mal auf die Uni gegangen. Aber ich war immer schon ein schlechter Student, weil ich mich nie wirklich damit beschäftigt habe. Die Entscheidung ist zum richtigen Zeitpunkt gefallen. Wenn nicht jetzt, mit Mitte 20, wann dann?
Schön an Bilderbuch ist, dass Sie nicht nur über Ihre Musik, sondern auch mit starken Bildern kommunizieren: ein gelbes Auto zum Beispiel. Wie strategisch gehen Sie da vor?
Maurice Ernst: Wir wollten eine klare Bildsprache entwickeln. Ich bin sehr stolz auf das zweite Album, aber wir haben in der Außenwirkung viele Fehler gemacht. Diesmal haben wir uns sehr genau überlegt: „Wie soll das Ding ausschauen, wie soll sich das anfühlen?“ Wir haben „Maschin“ mit einem VW Golf geprobt, aber schon gewusst, dass es der gelbe Lamborghini Diablo werden muss. Und wir haben zwei Monate daran gearbeitet, um das Auto zu kriegen. Das ist kein Zufallsprodukt.
Gibt es auch fürs Album ein Bild?
Maurice Ernst: Das steckt im Titel. „Schick Schock“ ist das Gefühl des Albums: ein bissl schick, präpotent, Luxus und Herumstolzieren – aber auch Beastie Boys, frech und jugendlich. Diese zwei gegensätzlichen Sachen wollten wir zusammenführen.
„Wir sind im Arbeiten sehr in uns gekehrt“
Wie hoch sind jetzt die Erwartungen an das Album?
Maurice Ernst: Ich habe ein gutes Gefühl. Unseren Erwartungen sind wir aber schon extrem gerecht geworden. Ich weiß, dass das ein gutes und ein wichtiges Album für die deutschsprachige Musik geworden ist. Klar: Wenn „Maschin“ „Ganz Wien“ ist, dann ist „Der Kommissar“ auf dem Album nicht drauf. Das muss uns aber bis zu einem gewissen Grad wurscht sein. Das Album ist cool, traut sich was und ebnet vielleicht den Weg für was Neues.
Was wollen Sie erreichen?
Maurice Ernst: Wenn ich in „Om“ hingehe und zuerst Peter Cornelius zitiere und im nächsten Satz Falco, dann will ich damit ausdrücken: Wir kaufen denen die Schneid ab und zeigen, dass jetzt neue Leute am Werk sind. Das machen nicht nur wir gerade, das machen auch Wanda auf ihre Art. Wir fahren über die alten Helden drüber. Wir sind die neuen. Wenn wir jetzt wieder anfangen würden, uns zu ducken, wäre erst wieder alles verpufft. Wir müssen schauen, dass wir so weit kommen wie möglich und österreichische Musik auch wieder vorwärtsbringen. Dass wir ein Arena-Open-Air spielen, ist auch ein Statement. Wir wollen zeigen, dass es für eine österreichische Band möglich ist, da vor 3.000 Leuten zu spielen.
Ihr Manager ist nach Berlin gezogen, kommt das für die Band auch infrage?
Maurice Ernst: Nein. Berlin wäre für mich keine künstlerische Entscheidung, sondern eine reine Businessentscheidung. Wen will ich denn dort treffen, den ich nicht schon kenne? Außerdem sind wir eine sehr autarke Band. Wahrscheinlich haben wir mehr Gemeinsamkeiten mit The Notwist als mit irgendwelchen R-’n’-B- und Hip-Hop-Acts. Wir sind im Arbeiten sehr in uns gekehrt. Mich reizt Berlin überhaupt nicht. Eher würde ich für eine Zeit lang nach Triest gehen, in ein nicht deutschsprachiges Land. Aber in Wien habe ich eine Arbeitsbasis.
Sebastian Fasthuber
Fotos: Nikolaus Ostermann
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