Beim Amadeus 2018 waren sie für den FM4-Award nominiert, zurzeit sind sie beim Label des General Managers von 4AD unter Vertrag. LARS ANDERSSON und PHILLIP DORNAUER sind MOLLY – die Tiroler Band, die von einigen als der aktuell beste Shoegaze-Act gesehen wird. In ihrem 2019 erschienen Debüt-Album „All That Ever Could Have Been” (Sonic Cathedral/Dalliance Recordings) entwerfen sie Sound-Landschaften zwischen Post Rock und Shoegaze, zwischen schroffen Bergspitzen und rauschenden Wellen und zwischen süßer Melancholie und ehrlicher Selbstreflexion. In einer kreativen Corona-Zeit ist das Duo seinem zweiten Album ein ganzes Stück näher gekommen. LARS ANDERSSON (Gitarre, Vocals) erzählt im mica-Interview, warum MOLLY in England besser ankommt als in Österreich, warum es immer schwieriger wird, in Innsbruck Musik zu machen und wie man eine Quarterlife-Crisis übersteht.
Gerade noch vor Corona habt ihr eine Europa-Tournee beendet. Wie geht es euch heute als Künstler?
Lars: Den Umständen entsprechend haben wir es ganz gut erwischt. Es war unsere erste große Headline-Tour und es wäre echt blöd gewesen, wenn die ins Wasser gefallen wäre. Italien mussten wir leider absagen. Wir haben die Zeit zum Lieder schreiben genutzt.
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Für euer Debütalbum „All That Ever Could Have Been” (2019) habt ihr viel Aufmerksamkeit im angloamerikanischen Raum bekommen – mehr als hier in Österreich. Woran könnte das neben der Tatsache, dass ihr auf einem britischen Label erscheint, liegen?
Lars: Unsere ersten Singles sind besser angekommen, weil sie poppiger waren. Das Album ist sehr verwaschen und melancholisch. Alternative Musik kommt in Mitteleuropa weniger an als in England oder im skandinavischen Raum. Wir wollten unbedingt auf ein Label in England, weil Shoegaze – die Richtung, mit der wir angefangen haben – dort entstanden ist und eine Szene hat. Wenn wir in England Konzerte gespielt haben, schon vor dem Album, waren die Reaktionen des Publikums anders.
Inwiefern?
Lars: Die Zuseherinnen und Zuseher haben es einfach ganz anders verstanden. Seit den letzten sieben, acht Jahren ist die alternative Musik in Innsbruck immer weniger geworden. Als ich 2013 meine ersten Konzerte in Innsbruck gesehen habe, gab es noch Booker und Promoter für solche Konzerte – jetzt nicht mehr. Für uns war damit ganz klar, dass wir in den internationalen Raum vordringen wollen. Das soll aber nicht heißen, dass wir nicht gerne mehr Erfolg in Österreich hätten.
Nach eurer FM4-Award-Nominierung 2018 habt ihr in eurem Sound eine andere Richtung eingeschlagen. Ging es da auch um den Mut zur Nische und ein in Kauf nehmen, dass man nicht dauernd auf FM4 gespielt wird?
Lars: Was mit der Musik passiert, passiert. Wir schreiben das, was uns gerade inspiriert. Es verfälscht die Kunst, wenn man von Anfang an denkt, da will ich hin. Wir machen keinen Sound, um eine Klientel zu bedienen oder einem Radiosender zu gefallen. Wo die Inspirationen herkommen, ist eine andere Frage, aber es ist kein Wille dahinter, keine Richtung.
Ihr seid momentan bei den Labels Sonic Cathedral und Dalliance Recordings unter Vertrag. Letzteres gehört unter anderem Rich Walker von 4AD (dem Label von Deerhunter, Grimes oder The National). 2017 wurdet ihr als „Österreichs nächster großer Musikexport” bezeichnet. Setzt dich das unter Druck?
Lars: Ein bisschen, da ich regelmäßig etwas herausbringen möchte. Wir sind an der Schwelle und die Chance will ich nicht vergeben. Musikalisch stehen die Labels voll und ganz hinter uns. Sie sehen auch, dass es eine Chance sein kann, dass wir nicht die typische britische Band sind. Man kann ein Faible aus der Tatsache machen, dass wir aus Tirol sind in der gleichen Hinsicht wie Sigur Rós ein Faible daraus machen, dass sie aus Island sind. Ich will die Chance nützen.
In Großbritannien gibt es immer wieder ein Post-Rock oder Shoegaze-Revival…
Lars: Bands wie My Bloody Valentine haben in den 1990ern ultrakleine Konzerte gespielt und sind total vom Grunge verschluckt worden. Die haben sich Ende der 1990er komplett aufgelöst. Dann haben sie sich alle genau um die Zeit, als wir uns formiert haben, nach der Reihe wieder reformiert – Ride, Lush, Slowdive, MBV – wir sind die Welle mitgeritten. 2014 haben die bei Radio FM4 teilweise absolut keine Ahnung gehabt, was Shoegaze überhaupt ist. Teilweise haben sie „Showgaze” gesagt. Heute ist es wieder ein Begriff.
Früher habt ihr Shoegaze gemacht, jetzt als bezeichnet ihr eure Musik aber als Post Rock. Wohin entwickelt sich euer Sound?
Lars: Genau. Beim letzten Album ist das ein bisschen mehr rausgekommen. Shoegaze verbinde ich mehr mit poppigen Songstrukturen – kürzere Songs und mehr Gesang, was wir teilweise auch noch haben, aber eben nicht nur. Sonic Cathedral ist ein Shoegaze-Label, aber wir versuchen trotzdem, beides zu machen. Nächstes Jahr wollen wir ein neues Album rausbringen, das rein von der Instrumentation her ein bisschen „maximalistischer” klingen wird. Es stehen jetzt schon sieben, acht Songs. Wir hätten es gerne ein bisschen besser und fetter produziert.
Holt ihr euch für den fetteren Sound noch jemanden in die Band dazu?
Lars: Nein, wir bleiben ein Duo, keine Frage. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Ich habe kein Problem, die kommenden Songs live wiederum etwas minimalistischer zu spielen. Was ich mir vorstellen könnte, wären Gastmusikerinnen und -musiker.
„Komplexität war für mich absolut nie wichtig. Wir legen großen Wert auf die schöne Melodie.”
Du hast einmal in einem mica-Interview gesagt, dass euch wichtig ist, dass „hinter den ganzen Effekten gute Songs stecken. Songs, die man auch akustisch spielen kann”. Was macht einen guten Song aus?
Lars: Die Melodie steht im Zentrum. Komplexität war für mich nie wichtig. Wir legen großen Wert auf die schöne Melodie. Sie ist etwas, das man nicht wirklich beschreiben kann: Warum berührt einen etwas, warum macht es melancholisch oder glücklich? Das ist das Ungreifbare, das trotzdem da ist. In der Popmusik, bei Billie Eilish zum Beispiel, wird die Melodie immer unwichtiger. Der Fokus liegt auf der Rhythmik und der Ästhetik. Ich halte mich an Melodien, weil ich die Songs meistens auch akustisch mit der Gitarre, dem Klavier oder mit dem Harmonium schreibe. Ein guter Song hat eine schöne Melodie als Grundpfeiler.
Wenn du findest, dass Popmusik immer unmelodiöser wird, erobert sich dann die ‘alternative Musik’ die Melodie zurück?
Lars: Vielleicht. Bei Tame Impala geht es beispielsweise sehr um die Ästhetik. Der Sound ihres neuen Albums ist nicht mehr ganz der meine, aber die Melodien sind nach wie vor unglaublich eingängig und schön. Das Drumherum ist vielleicht anders, aber die Songs sind gut. In der Popmusik ist es empirisch, dass die Leute immer weniger Melodien machen. Ein Lied mit einer schönen Melodie ist fast schon cheesy in letzter Zeit. Wir bewegen uns an der Schwelle zur cheesiness.
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In einer Spotify-Playlist verratet ihr ein paar eurer Lieblingstracks. Mit dabei sind Hearts Hearts, ein hidden Track von Nirvana, Pond oder Broadcast. Kommt der aktuelle MOLLY-Sound aus den Tracks, die ihr hört?
Lars: Ich weiß nicht genau, woher die Inspirationen kommen. Es müssen nicht nur Bands sein, die einem ähnlich sind – das kann alles sein vom Blues-Song über Klassik bis zum obskuren Ambient-Track. Das erste Mal Pink Floyd zu hören mit 14 hat mich inspiriert, weil ich vorher nicht wusste, dass man Samples in Songs packen kann. Auch auf dem Album haben wir Natur-Samples vom Wandern oder von Wellen in Portugal verwendet.
„Eine Band wie die Red Hot Chili Peppers kommt einfach aus Kalifornien, die kommt nicht aus Kanada. Es ist kein Zufall, dass die so klingen.”
In eurer Musik hört man die Natur, den Wind oder Vogelgezwitscher. Wie wichtig ist geografische, die physische Umgebung für die Entstehung eurer Musik?
Lars: Wir machen keine Volksmusik. Die Kultur von dort, wo wir herkommen, interessiert uns nicht wirklich. Die Geographie kann natürlich inspirierend sein. Eine Band wie die Red Hot Chili Peppers kommt einfach aus Kalifornien, die kommt nicht aus Kanada. Es ist kein Zufall, dass die so klingen. Es ist auch kein Zufall, dass Black Metal aus Norwegen kommt und nicht aus Südamerika. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass das Umfeld viel zur Inspiration von jeder Art von Kunst beiträgt. Das ist bei uns nicht anders.
Dem Magazin Brooklyn Vegan hast du einmal verraten, dass dich die Alpen als eine „gefährliche” und „unheimliche” Landschaft inspirieren. Kannst du das genauer erklären?
Lars: Seit 100 Jahren, seit der Tourismus angefangen hat, werden die Alpen immer mehr zum glücklichen Vergnügungspark stilisiert, der sie eigentlich nie waren. Die Alpen waren immer ein gefährlicher Ort, wo die Natur noch regierte, wo man sich nicht drüber getraut hat, wo es unwirklich war zu leben. Wir haben in der Schule Gedicht von Goethe gelesen, in dem er über die Alpen schreibt. Ich habe das noch immer in Erinnerung. Das war so extrem und anders im Vergleich dazu, wie man heute die Alpen sieht: das Gefährliche, die plötzlichen Wetterumschwünge. Genau das in unsere Musik reinzubringen war immer ein Ding von mir, weil das sonst keiner macht.
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Ihr wurdet bei Field-Recordings für den Song „All That Ever Could Have Been” mal fast von einer kleinen Schafherde überrannt. Sind Schafe gute Instrumente?
Lars: Wir waren am Schwazer Berg und wollten Kühe suchen, um Glocken aufzunehmen. Dann haben wir nur Schafe gefunden. Die waren aber zu weit weg und wir mussten ins Gehege gehen. Das war dann schon gruselig, als die zu laufen begannen. Dann haben wir uns gedacht, wir laufen besser auch weg. Das Video hat mehr Likes bekommen als jeder Song, den wir auf Facebook gepostet haben.
Visuals spielen bei euch eine große Rolle. Für den Song „Sun Sun Sun” habt ihr damals zum Beispiel eine Kamera in den Himmel steigen lassen und dieses Material früher auch bei Bühnenshows abgespielt. Ist eure Musik ein Gesamtkunstwerk?
Lars: Die Alben nicht wirklich, aber live ist es bei dieser Art von Musik wichtig, dass es stimmig ist, wie es auf der Bühne ausschaut. Bei der letzten Tour hatten wir wegen der vielen verschiedenen Venues keine Visuals. Wir verwenden derzeit viel Nebel. Im besten Fall sind wir komplett eingenebelt, sodass man nichts mehr sieht, nur mehr die Lichter und nur mehr den Sound hört, der von der Bühne runterkommt.
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Du lebst in Tirol und hast deine Karriere in Innsbruck gestartet. Wie schwer war das?
Lars: Wir haben, bevor wir woanders gespielt haben, sicher sechs Mal im Weekender gespielt. Es ist unglaublich schade, dass es den nicht mehr gibt. Justin Barwick, der ehemalige Besitzer vom Weekender, ist ein guter Freund von uns und hat uns international weitergeholfen. Er hat auch unsere erste Platte rausgebracht. Das wäre jetzt wahrscheinlich anders. Auch andere Venues in Innsbruck, zum Beispiel die p.m.k., haben sich verändert. Für Indie ist sie nicht mehr die Plattform, die sie mal war. Ich stelle mir es zurzeit in Innsbruck extrem schwer vor, eine alternative Indie-Band aufzuziehen.
Liegt das in Innsbruck auch an der Kulturpolitik? Vor einem Jahr schon wurde zum Beispiel der Hafen einfach geschlossen.
Lars: Geografisch haben wir kein Problem. Wir sind mitten in Europa und man würde sich denken, jede Band kommt sowieso bei uns durch. Entweder es liegt an der Kultur, an der Stadtregierung oder an beidem. Vielleicht liegt es am Stellenwert der Popmusik. Man will die ganze Stadt gentrifizieren, die ganzen schmuddeligen Sachen rausbekommen. Jugendkultur ist eben manchmal schmuddelig und die Musik wird manchmal in Schmuddel- Clubs gespielt. Man würde sich denken, dass das mit einem grünen Bürgermeister anders ist. Davon merkt man aber gar nichts. Die Jugendkultur hat sich auch verändert. Elektronische Musik und Clubs werden immer wichtiger.
Du betreibst selbst ein kleines Studio in Innsbruck, Alpine Audio, auf dem du Bands wie Aux Portes produzierst. Versuchst du damit selber, der Szene im Westen ein bisschen unter die Arme zu greifen?
Lars: Mein Ziel war schon immer, dass ich den ganzen Prozess für meine eigene Musik von vorne bis hinten selber machen kann. Wenn ich ein Album für MOLLY aufnehmen würde, wüsste ich nicht, zu wem ich in Innsbruck gehen könnte. Aux Portes, für die ich gerade gemixt habe, haben auch nicht gewusst, zu wem sie gehen sollen. Das hat Spaß gemacht, vor allem, weil ich auch früher in Aux Portes war. So haben Phillip Dornauer und ich uns kennengelernt. Er war ein Gründungsmitglied dieser Band.
Eure Lyrics wirken sehr introvertiert und selbstreflexiv. Woher kommt die Inspiration für die Texte?
Lars: Viele eigentlich deutschsprachige Bands, die auf Englisch singen, denken, dass Lyrics nicht so wichtig sind. Ein großartiger Song hat immer großartige Lyrics. Ich bin ein Fan von abstrakten Lyrics. Es ist ganz wichtig, dass da Raum für Interpretation ist und dass sich andere Menschen damit identifizieren können. Der Klang der Worte muss passen. „Karma Police” von Radiohead hat eine ganz einfache Melodie, aber es ist der Klang der Phrase „Karma Police”, der den Song so speziell macht. Ich schreibe die Lieder immer ohne Lyrics. Ich singe einfach irgendwas, danach schreibe ich. Es ist ein langwieriger Prozess, bis das ganze zusammenpasst, dass es Sinn ergibt und kohärent ist.
„Melancholie war immer mein künstlerischer Umweg zu einer glücklichen Stimmung.”
„All That Ever Could Have Been” – Warum machst du dir als junger Mensch schon darüber Gedanken? Wie ist das gemeint?
Lars: Ich habe immer schon melancholische Musik gemacht. Melancholische Musik hat mich immer glücklich gemacht – Radiohead zum Beispiel. Melancholie war immer mein künstlerischer Umweg zu einer glücklichen Stimmung. „All That Ever Could Have Been” – man steht jeden Moment in seinem Leben vor Entscheidungen. Wenn man andere Entscheidungen trifft, dann könnte alles anders gewesen sein. Das ist der traurige Grundgedanke, aber er muss nicht unbedingt traurig sein. Was war nochmal die Frage?
Sorgst du dich jetzt schon, was alles hätte sein können?
Lars: Ja, ein bisschen. Es gibt ja diese berühmte Quarter-Life-Crisis. Die Jahre vergehen irgendwie immer schneller. Jede und jeder in ihren bzw. seinen Zwanzigern hat ein bisschen dieses Gefühl, vor allem nach der Schule. Der Gedanke ist ein bisschen scary für viele, für mich auch, teilweise. Dieses Gefühl musikalisch aufzuarbeiten, war interessant. Wenn man fünfzig ist, dann denkt man über sowas mehr nach, als wenn man zwanzig ist. Viele maßgeblichen Lebensentscheidungen trifft man aber in seinen Zwanzigern. Heute hat man das Gefühl, dass man alle Möglichkeiten der Welt hat. Dadurch fehlt es einem ein bisschen an Halt. Studieren ist nicht mehr viel wert. Man scheint so viele Möglichkeiten zu haben, dass gar kein Weg vorgegeben ist.
Kann Musik gegen dieses Gefühl helfen?
Lars: Total. Man hört sie und fühlt sich verstanden, aufgehoben und kann sich damit identifizieren, das ist der springende Punkt. Das ist für viele der größte Wert von Musik und für mich auch.
Wie stellt ihr euch das Musikbusiness mit Festivals und Gigs in einer Welt mit Corona vor?
Lars: Ich kann es mir nicht vorstellen. Stehkonzerte mit Abstand sind unmöglich, vor allem, weil die Venues dadurch weniger Profit machen. Dass es jetzt mit Konzerten light eine neue Normalität geben soll, kann ich mir nicht vorstellen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Benjamin Stolz
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