„Wir assoziieren mit unserer Musik so eine Klangwolke, in die man sich reinlegen kann“ – GAZELLE & THE BEAR im mica-Interview

Mit „Weird Shaped Clouds“ hat das sensationelle Duo GAZELLE & THE BEAR im Jänner 2021 sein Debütalbum veröffentlicht. Hinter GAZELLE & THE BEAR stehen die bestens bekannte Musikerin INES KOLLERITSCH (LUCID KID, AMADEUS VÚLKAN, MARAVICA) und der Schlagzeuger JULIAN BERANN, der sich durchs Arbeiten mit unter anderen ALICE PHOEBE LOU, SOIA und JAMES HERSEY einen Namen gemacht hat. Itta Francesca Ivellio-Vellin hat mit ihnen gesprochen.

Hallo ihr zwei! Das Album ist jetzt seit einigen Wochen draußen – wie fühlt es sich an? Wie geht es euch?

Ines Kolleritsch: Jetzt bin ich auch jeden Fall viel entspannter. Wir haben in den ersten zwei Wochen sehr viele CD- und Vinylbestellungen bekommen, das war voll nice. Auch sehr unerwartet, ich habe mir nicht gedacht, dass so viele Leute was bestellen. Auch Leute, die wir nicht persönlich kennen. Wir haben auch gar nicht wenig gehackelt, muss man sagen, mit den Bestellungen verpacken, zur Post bringen, etc. Aber es ist auf jeden Fall schön, dass das Album endlich draußen ist und einfach sein kann.

Also seid ihr überrascht von den ganzen positiven Reaktionen und Rückmeldungen, die ihr bekommt?

Julian Berann: Ja, schon. Es kam irgendwo schon echt unerwartet.

Im letzten Jahr hattet ihr allerdings auch großen Erfolg mit euren Single-Releases, muss man sagen. Zu Recht natürlich! Besonders schön finde ich auch eure Beschreibung, also eure Bio, die zum Beispiel auf Spotify zu lesen ist: „A journey where the intimacy of singer songwriter music meets modern jazz, hip hop and R’n’B, where two musical minds are about to become one.“ Ein sehr treffender Satz! Habt ihr das geschrieben?

Julian Berann: Ja, wir schreiben eigentlich alle Pressetexte selbst, bis auf eine Ausnahme. Da sitzen wir dann zusammen und zermartern uns den Kopf.

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Pressetexte schreiben ist halt doch was anderes als Songtexte schreiben!

Julian Berann [lacht]: Ja, auf alle Fälle. Vor allem, wenn es auf Deutsch ist.

Apropos Deutsch – Songs auf Deutsch zu schreiben, ist gar nicht euer Ding, oder?

Ines Kolleritsch: Zurzeit nicht, nein. Ich habe einmal einen Song auf Deutsch geschrieben, einen wütenden Song. Da habe ich mich ziemlich aufgeregt, und da hat Deutsch einfach gut gepasst. In dem Fall konnte ich auch die Ecken und Kanten der Sprache dafür nutzen [lacht]. Momentan rege ich mich zwar schon über Sachen auf, aber lass sie nicht musikalisch raus. Englisch umhüllt die Musik, die wir machen, einfach sehr schön. Auf Deutsch schreiben ist extrem schwer, das wird sehr schnell sehr kitschig.

Julian Berann: Ich habe manchmal das Gefühl, dass man auf Deutsch andere Dinge assoziiert, und dass oft Wörter aufgrund von verschiedenen Erfahrungen sehr belastet sind. Ich tue mir auf Englisch einfach leichter. Außerdem ist es so schön inklusiv, die meisten verstehen es.

„Da wir alles gemeinsam machen, durfte ich erfahren, dass Sachen auch oft ganz stressfrei und natürlich verlaufen können.“

Noch einmal zurück zu eurer „Journey“: Wie verläuft denn eure Reise? Ich nehme nicht an, dass ihr schon angekommen seid, aber wie schaut es aus mit einer Zwischenbilanz?

Cover Weird Shaped Clouds
Cover “Weird Shaped Clouds”

Ines Kolleritsch: [lacht]: Es ist voll schön, dass wir so einen guten Workflow gefunden haben, obwohl wir uns echt noch nicht so lang kennen. Es gibt einfach eine voll gesunde, gute Connection und einen gesunden Arbeitsflow. Hätte man ja nicht wissen können, ob es stressig wird oder zu viel Druck dahintersteckt, oder was das Business mit dir macht. Wenn man ein Projekt gemeinsam leitet, sieht diese „Journey“ einfach ganz anders aus, als wenn ich in einer Band als einzige Person schreib und komponier. Das kann ich kaum mit jetzt vergleichen. Da wir alles gemeinsam machen, durfte ich erfahren, dass Sachen auch oft ganz stressfrei und natürlich verlaufen können.

Julian Berann: Wir sind auf jeden Fall auf derselben Wellenlänge, und die Kommunikation zwischen uns funktioniert einfach. Das ist auch ein Prozess, es hat sich immer weiter verbessert. Am Anfang, als alles ganz neu war, ging es sehr easy, dann gab es schon mal Phasen, in denen es ein bissl schwieriger war, aber wir haben es geschafft, uns auch in diesen Phasen immer mehr anzunähern.

Reflektiert ihr viel über die Art, wie ihr arbeitet?

Ines Kolleritsch: Ich bemühe mich sehr. Es ist sehr wichtig darüber zu reden – vor allem, wenn man grad nicht den besten Tag hat. Das ist mir obviously öfter passiert, während der Albumproduktion, nicht zuletzt wegen Corona. Da ist es wichtig, quasi Vorwarnung zu geben, und möglichst bald und klar zu kommunizieren, wie man gerne arbeitet, und wie nicht.

Julian Berann: Auch beim Arbeiten selbst, wenn man merkt, dass man grad mit Unsicherheiten mit sich selbst kämpft, oder noch nicht genau weiß, wie man an eine Sache rangehen möchte. Das gut zu kommunizieren, ist wichtig und darüber haben wir viel geredet. Und wenn eine Session mal einfach zu schwer war, kann man sie ja auch einfach abbrechen.

Ines Kolleritsch: …und sich einfach darauf einigen, dass man an dem Tag vielleicht nicht arbeitet.

War es ein Novum für euch, zu zweit, aber gleichberechtigt zu arbeiten?

Julian Berann: Also, für mich auf jeden Fall. Es ist auch das erste Mal, dass ich bei einem Projekt auch als Komponist und Songwriter tätig bin. Ich habe noch nie Musik veröffentlicht, die von mir ist. Da habe ich mich irgendwie noch nie so richtig rübergetraut, auch wenn es mir immer wichtig war. Aber mit der Ines hat es einfach voll gepasst, in diesem safe space mit ihr.

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Also seid ihr beide gewachsen an dem Projekt?

Ines Kolleritsch: Ja, auf jeden Fall! Ich komponiere seit 10 Jahren, aber in diesen 10 Jahren habe ich das meiste, was ich komponiert habe, nie veröffentlicht. Ich war immer Einzelgängerin, habe immer für mich und allein komponiert, und sich auf eine andere Person einzulassen und gemeinsam zu komponieren, ist einfach eine ganz andere Welt. Da lernt man so viel von sich selbst, wenn man auf eine Person so eingehen kann, in so einer intimen Zusammenarbeit. Das ist auch voll das Geschenk, so durch das Schaffen mit einer Person zu lernen – auch über sich selbst.

„Das ganze Album wäre für die meisten Leute, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe, in Wahrheit super cheesy.“

Julian, du meintest, dass du dich vor diesem Projekt nicht getraut hast, deine Musik zu veröffentlichen. Euer Album klingt schon sehr intim, authentisch und ehrlich. Musste das raus in die Welt, oder hat es Überwindung gekostet, das zu veröffentlichen?

Julian Berann: Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht! Wir haben einfach das gemacht, was aus uns rausgesprudelt ist.

Ines Kolleritsch: Ich kann mich schon an Momente erinnern, wie etwa als es um Lovesongs ging, wo ich mich gefragt habe, ob das nicht zu cheesy ist. Aber das kommt auch von dem Background, aus dem ich komme und in dem ich lange gearbeitet habe. Das ganze Album wäre für die meisten Leute, mit denen ich bisher zusammengearbeitet habe, in Wahrheit super cheesy. Für sie wäre es wohl fast nicht aushaltbar gewesen. Deshalb musste ich mir oft sagen: „Ist doch wurscht, ob es cheesy is, if it feels nice and honest and good, why not write about it?” Da habe ich schon ein bissl Überwindung gebraucht.

Der Albumtitel ist „Weird Shaped Clouds“. Meine erste Assoziation war, dass wenn man Wolken am Himmel sieht, interpretiert jede bzw. jeder etwas anderes hinein – war das die Idee hinter dem Titel? Oder inwiefern stehen komisch geformte Wolken für das Album?

Julian Berann: Der Albumtitel ist mega random entstanden. Wir sind mit friends zusammengesessen und haben über das Album geredet, und irgendwie ist diese Phrase aufgetaucht, und es hat einfach gut gepasst. Wir haben es auch nicht hinterfragt. Wir beide assoziieren mit unserer Musik so eine Klangwolke, in die man sich reinlegen kann. Aber es ist voll schön, dass jede bzw. jeder ein bisschen was anderes hört und reininterpretiert.

Ines Kolleritsch: Aber es ist irgendwie cool, weil tatsächlich steht nichts großartig Poetisches hinter dem Namen, mehr der Gedanke „Ach, das klingt doch nett“. Das hat auch irgendwie das Gewicht rausgenommen. Wie viele Stunden meines Lebens habe ich damit verbracht, mir Band- und Album- und EP-Namen auszudenken?

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Ich habe interessanterweise erst unlängst mit einem Musiker über dieses Thema geredet. Manchmal gefällt einem einfach nur der Klang, und das reicht auch.

Julian Berann: Ich habe auch mal gehört, dass James Blake Texte so schreibt, wie ihm der Klang der Wörter gefallen, und das find ich auch einen sehr interessanten Ansatz.

In einem mica-Interview hat Parov Stelar auch unlängst gesagt, dass ihm der Text nicht wichtig ist – wenn er welchen einsetzt. Es muss keine Message dahinterstehen, oft sind es auch zerschnittene Samples, die überhaupt keinen Sinn ergeben. Trotzdem interpretieren Fans wilde Dinge hinein.

Julian Berann: Geil. [lacht]

Wie sehr vermisst ihr eure anderen Projekte?

Julian Berann: Ich vermisse die ganze Alice-Family [Anm. Alice Phoebe Lou] schon sehr, weil das einfach gute Freundinnen und Freunde von mir sind. Und auch meine musikalische Berlin-Family. Ich vermisse das Spielen mit denen, und auf Tour gehen, Gigs und Jammen. Aber es ist auch einfach sehr schön, Gazelle & the Bear zu haben und sich voll darauf konzentrieren. Was ich natürlich extrem vermisse, sind Live-Auftritte.

Ines Kolleritsch: Alle Projekte, in denen ich sonst aktiv bin, sind eh auch aktiv – zwar wenig, aber doch. Mit Xing spiele ich zum Beispiel in einer Band, da passiert auch was, und bei Leyya spiele ich jetzt auch mit, da ist auch etwas passiert. Meine Projekte sind ja eh alle in Wien.

Herzlichen Dank für das Interview!

Itta Francesca Ivellio-Vellin

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Link:
Gazelle & The Bear (Facebook)