Windkraft – Kapelle für Neue Musik

„Wenn ich da dabei sein kann, komme ich heim. Wo immer wir spielen, was immer wir spielen“. Keine weiteren Fragen an den Musiker. Auch der Zuhörer kann eintauchen in das Erlebnis Windkraft. Windkraft – Kapelle für Neue Musik ist ein frei arbeitendes Tiroler Ensemble, bestehend aus Bläsern und Schlagwerkern, ergänzt immer wieder durch Pianisten und Kontrabassisten, erweiterbar je nach Desiderat der Partitur. Heuer feiert das Ensemble sein 15-jähriges Bestehen.

An die 100 professionelle Musiker und Musikerinnen bilden den Pool, aus dem Chefdirigent Kasper de Roo für jedes Projekt, jedes Konzert die Besetzung nach Erfordernis und Vorstellung klangspezifisch wählt. „Zeit müssen sie haben, Lust haben sie immer“, sagt er. Und hat als künstlerischer Leiter das Privileg, hier ausschließlich mit Spitzenmusikern zu arbeiten, die große Kontinuität beweisen und es lieben, auf sehr hohem Niveau miteinander zu musizieren. Windkraft  ist ein außergewöhnliches Ensemble, das sich seit seiner Gründung im Jahr 2000 im Rahmen des Tiroler Festivals Klangspuren rasch profiliert und eine singuläre Position innerhalb der Szene Neuer Musik erspielt hat.

Obwohl Windkraft kein permanentes, sondern ein projektbezogenes Ensemble ist – dessen Mitglieder sich freilich sehr gut kennen und bei den verschiedensten Aufgaben treffen –, hat es als „mögliches Repertoire“ über 100 Werke anzubieten. Die Auswahl reicht von Louis Andriessen bis Alexander Wustin, dazwischen liegt mit Birtwistle, Eötvös, Kancheli, Ligeti, Haas, Mansurjan, Martland, Nono, Rihm, Ustwolskaja u. a. viel Prominenz. Man bleibt aber keineswegs bei dieser Generation stehen, zur Aufführung kommen auch Junge und ganz Junge, international entdeckt und aus der eigenen Tiroler Region. Über 30 Uraufführungen gab es bisher, initiiert von beiden Seiten: als Auftragswerke oder Angebot – Komponisten schreiben gern spezifisch für Künstler. Aufträge vergab der Verein Windkraft bisher u. a. an Johannes Maria Staud, Gunter Schneider, Michael Riessler, Jürg Wyttenbach, Herbert Grassl, Franz Hackl, Otto M. Zykan, Franz Schreyer, Gerald Futscher, Hubert Stuppner, Eduard Demetz, Christoph Dienz, Thomas Amann und Manuela Kerer.

Auch Sofia Gubaidulina vertraute den Tiroler Musikern ein Werk an: „Stunde der Seele – Poem für großes Blasorchester und Mezzosopran“ wurde 2004 im Rahmen der Klangspuren mit Nathalie Stutzmann als Solistin in Innsbruck uraufgeführt und als CD produziert.

Denkwürdige Konzerte gab es in den vergangenen 13 Jahren viele – im Grunde ist jedes Projekt ereignishaft. Begonnen hatte es 2000 mit einem Abend, der Musik von Varèse, Xenakis, Ustwolskaja und Messiaen einschloss. Rasch wurden sogenannte heimische Komponisten aus Nord- und Südtirol integriert, außer den oben genannten Werner Pirchner, Haimo Wisser, Marco Döttlinger, Franz Baur, Norbert Hoffmann, Martin Lichtfuss, Michael F. P. Huber.

Windkraft ist der einzige Kulturverein, der in Nord- und Südtirol beheimatet ist. Die Musiker sind Mitglieder führender Orchester und bekannter Ensembles, reisende Solisten, Musiklehrer und -professoren . Als das in Schwaz beheimatete Neue-Musik-Festival Klangspuren 1999 an ein eigenes Ensemble dachte, lag es nahe, sich unter den Bläsern umzusehen. Tirol – die Rede ist von Nordtirol, Südtirol ist vergleichbar – hat bekanntlich eine weltweit einzigartige Dichte an Blasmusikkapellen (2013 waren es 303, mehr als das Land Gemeinden hat) bis hinauf zur Kunststufe, die einen fantastischen Nährboden bilden, und außerordentlich viele Profibläser. Als Christian Thielemann für die Aufführung von Leos Janáčeks Sinfonietta aus den führenden Münchner Orchestern zwölf Trompeter holte, waren fünf Tiroler dabei. Beispiele, nicht als chauvinistisches Kreisen, sondern um die Begabungsfülle anzudeuten. Zu den Klangspuren besteht guter Kontakt, Windkraft agiert aber in allen Belangen selbstständig. De Roo: „Von 2000 bis 2013 hat Windkraft mehr als 100 Aufführungen von Werken österreichischer Komponisten und Komponistinnen im In- und Ausland gegeben.“

Ein Kennzeichen der meisten Tiroler Musiker und Musikerinnen, und damit auch der hochspezialisierten Windkraft, ist ihre Vielseitigkeit. Das ermöglicht Kasper de Roo auch gemischte Programme. „Das Neue“, zitiert dieser fundierte Kenner der Neuen Musik gerne ein Goethe-Wort, „ist immer nur die Verbindung zwischen dem Alten und dem Neuen.“ So sind auch Werke wie Ludwig van Beethovens anspruchsvolle Parthia op. 103 und Wolfgang Amadeus Mozarts dunkel-selbstvergessene „Nacht Musique“ KV 388, beide für zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Hörner und zwei Fagotte, im Windkraft-Repertoire und bezeugen ebenfalls, was Windkraft prägt: technische Perfektion, besondere Klangkultur, intensive Interaktion, Experimentierfreude, Lust an ästhetischen Grenzgängen und immer die innige Zuwendung zur Musik.

Neben zahlreichen Auftritten bei den Festivals Klangspuren Schwaz und Transart Bozen trat Windkraft in Wien, beim Carinthischen Sommer Ossiach, bei den Gustav Mahler Wochen Toblach und im Muziekgebouw Amsterdam auf. Weiters gab es Auftritte beim Eröffnungskonzert Museion Bozen, beim Festival Eclatsconcerts Fribourg, dem Engadin Festival und Valgardena Festival, beim Meran Festival, bei der Eröffnung der Universiade 2005 in Innsbruck, beim Arena Festival Riga und dem Gaida Festival in Vilnius, bei einem Abo Konzert im Münster Basel, einem Kammerkonzert der Stadt Innsbruck und einer „Musik im Studio“ des ORF Tirol. 2007 wurde mit dem WDR Köln ein Konzert inklusive CD-Aufnahme mit „Violent incidents“ von Johannes Maria Staud und „Panic“ von Harrison Birtwistle realisiert.

Aufgrund des großen Publikumsinteresses ist die 2005 ins Leben gerufene Konzertreihe „Die Himmlische Stadt“ auf drei jährliche Konzerte – zu Ostern, zu Pfingsten und im Herbst – erweitert worden. Der Titel dieser besonderen Programme geht zurück auf Olivier Messiaens Komposition „Couleurs de la cité céleste“ für Klavier, Bläser und Schlagzeug aus dem Jahr 1963. Zu Pfingsten 2013 etwa stand Musik von fünf Komponistinnen auf dem Programm, Manuela Kerer, Judith Unterpertinger, Joanna Wozny, Tanja Brüggemann-Stepien und Sonja Huber, mit dem Schlusswort von Werner Pirchners „Streichquartett für Bläserquintett“.

„Bach, Beethoven und Brahms können wir nicht mehr fragen, welches Tempo und welchen Stil sie genau gemeint haben“, sagt Kasper de Roo. „Bei der Ausführung zeitgenössischer Kompositionen können diese Fragen zum Glück sehr wohl beantwortet werden. Die Möglichkeit zum Gedankenaustausch mit der/dem Komponist/in ist eine enorme Bereicherung.“ De Roo und Windkraft geben diese Bereicherung an junge Talente weiter, die eingebunden werden in die offene, unprätentiöse Atmosphäre, in der voller Esprit und Spiellust auf Topniveau musiziert wird. Die Windkraft-Vereine von Nord- und Südtirol leisten wertvollen pädagogischen Aufbau in Kooperation mit Institutionen beider Länder.

De Roos Arbeit im Rahmen der Internationalen Ensemble Modern Akademie, die ihn u. a. nach Griechenland und China führte, hat Folgewirkung für Windkraft, deren Musiker und Musikerinnen sich auch selbst in einem ständigen Prozess des Weiterlernens, Ausprobierens, Vertiefens, neu Belichtens befinden. Da sind Mitglieder des Ensemble Modern willkommen, Ausnahmemusiker, die ihre Erfahrung einbringen können.

Ursula Strohal

Termine: 

20. Mai 2015, Wiener Konzerthaus
Werke von Edgard Varèse, Georg Friedrich Haas, Arturo Fuentes, Johannes Maria Staud, Iannis Xenakis und Giacinto Scelsi

21. Mai 2015, ORF Landesstudio Tirol
Jubiläumskonzert – 15 Jahre WINDKRAFT – Kapelle für Neue Musik
Werke von Edgar Varèse, Georg Friedrich Haas, Werner Pirchner, Johannes Maria Staud, Iannis Xenakis und Giacinto Scelsi

Link:
Ensemble Windkraft