„Wild entschlossen!“ – Amanda Rotter und Peter Polansky (Wiener Konzerthaus) im Interview

101 Jahre nach der Eröffnung des Wiener Konzerthauses kämpft das Wiener Konzerthaus mit alten und neuen Werten. Amanda Rotter und Peter Polansky im Gespräch mit Harald Justin.

Das Gewohnte, das immer schon Dagewesene wird oft leider nicht so wertgeschätzt wie es sein müsste. Offenbar lässt sich immer erst nach dem Verlust erahnen, welche Kostbarkeiten den falschen Göttern geopfert wurden. Wie schon öfter in der Geschichte des im Jahr 1913 eröffneten Wiener Konzerthauses gilt es, sich im Kampf der Werte zu behaupten. Im schlimmsten Fall würden die Freunde des Wiener Musiklebens erst nach dem Verlust des Konzerthauses betrauern, wofür es sich bereits heute lohnen würde, sich in die Bresche zu schmeißen.

Das Konzerthaus begründete neben dem Musikverein und der Wiener Staatsoper den Ruf Wiens als Musikmetropole. Jedoch ist das Konzerthaus heute die einzige Institution, deren Programm ganzjährig auf den vier Säulen von Klassik, Moderne, Jazz und Worldmusic beruht. Seit der Eröffnung im Jahr 1913 steht das Haus, das mit seinem Architekturmix aus neoklassizistischem Gründerstil, Sezessionismus und Jugendstil beeindruckt und innen mit knarrendem Holzmobiliar und rotem Plüsch die Aura einer vergangenen Epoche verströmt, für die spannungsreiche Begegnung von Tradition und Moderne. Genau so, als Spielstätte, die Altehrwürdiges mit Modernem und Populärem verbindet und dadurch neue Publikumsschichten erschließt, hatten die Gründungsväter das Haus konzipiert.

Kein Wunder, dass schon seit den zwanziger Jahren in mehreren unabhängig voneinander zu bespielenden Sälen klassische Musik neben Ausdruckstanz stand, spiritistische Sitzungen, Geschäftspräsentationen, Jazz- und Schlagerkonzerte ebenso stattfanden wie Boxmeisterschaften. Heute hat man sich mit der Musik arrangiert, heute muss man sich aber einmal mehr die Frage stellen, wie fragil das Nervensystem des Musiklebens ist, wenn sich im Zeichen der Finanzkrise zeigt, dass das Kulturleben am Tropf des schnellen Mammons hängt. Welche Bedeutung hatte also die Ansage des neuen Chefs des Wiener Konzerthauses Matthias Naske, als er im Jubiläumsjahr 2013 erklärte: „Das Wiener Konzerthaus ist bankrott.“?

Eine solche Bankrotterklärung hätte anderswo das Ende jeglicher Unternehmung bedeutet. In Wien bedeutet es, dass Naske ein Jahr später, am 3. April 2014 bei einer Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung des neuen Programms 2014/2015 zweckoptimistisch in die Zukunft blickt. So habe Kulturminister Ostermayer für das laufende Jahr finanzielle Hilfe zugesagt. Die, so hofft Naske, gebe Spielraum. Aber: „Die Stadt hat die Subventionen vor 17 Jahren eingefroren. So wurde nicht einmal die Inflation ausgeglichen. Die Schulden aus der Generalsanierung wurden weitestgehend abgebaut, von 13,8 Millionen auf 6,4 Millionen. Auf denen sitzen wir jetzt. Freie liquide Rücklagen können wir da nicht vorweisen. Wir leben von der Hand in den Mund. Das ist keine angenehme Situation. Ich glaube, dass das nicht unserem kulturpolitischen Stellenwert entspricht. Unser Vorstand ist wild entschlossen, diesen Zustand zu ändern. Es geht schließlich auch um das kulturelle Leben dieser Stadt.“ Diese wilde Entschlossenheit drückt sich auch in der programmatischen Ansage aus, „Angebote zu schaffen, die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit wahrnehmen können.“

Das wahre Kapital

Mit den Ansagen Naskes im Hinterkopf zwei bewährte Mitarbeitern des Hauses zu treffen, das macht Sinn. Denn wie werden hehre Ansprüche umgesetzt, und von wem, wenn nicht von den Mitarbeitern Naskes? Und ja, bei allen finanziellen Mitteln, die dem Veranstaltungsmonolith zur Verfügung stehen – oder auch nicht – , letztendlich sind es die Mitarbeiter, die das wahre Kapital des Hauses darstellen. Denn um ein gutes Programm zu erstellen, das „die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit wahrnehmen können“, braucht es keine Finanzjongleure, sondern musikalisch begeisterungsfähige, begeisternde Connaisseure des Fachs. Zum Interview mitsamt Essen, kredenzt von der bekannt guten Küche Weinzirls, sind in einem geradezu intimen Séparée jenseits der großen Speisesäle Amanda Rotter und Peter Polansky gekommen. Beide sind seit über zwanzig Jahren für das Konzerthaus tätig, er ist für das Marketing und auch für die Jazzprogrammierung zuständig; sie, nebenbei auch als Sängerin der Gruppen Kabane 13 und Mandys Mischpoche unterwegs, betreut mit der Worldmusic-Abteilung zugleich noch mehrere andere Zyklen. „Wir sind die Cashcows“, die das Geld reinbringen“, lacht sie und freut sich über den Zulauf den die Jazz- und Worldmusic-Konzerte verzeichnen. Beide haben einen gesunden Appetit, nicht nur beim Essen und wie selbstverständlich bestätigen sie die Aussagen ihres Chefs.

Mehr noch, sie konkretisieren, was Naske aus Höflichkeit eher verschwiegen hat. Im Gespräch werfen sie sich wie geübte Pingpongplayer die Bälle zu. Wenn Naske also im Pressegespräch sagte, dass das Konzerthaus Angebote schaffen müsse, die Menschen in ihrer Lebenswirklichkeit wahrnehmen können, wenn er betonte, dass das Konzerthaus den Möglichkeiten der Kultur entsprechen und kulturelles Erleben als elementaren und natürlichen Bestandteil des Lebens für jeden einzelnen Menschen greifbar und erreichbar machen solle, dann ist es an Peter Polansky zu sagen, wie er sein Jazz-Programm gestaltet: „Mein Zugang ist der des Kunden, nicht meine persönliche Leidenschaft.“ Der Dienst am Kunden dürfe aber nicht so weit gehen, sich unter Niveau zu verkaufen, meint er und Rotter erklärt, wie eine solche Qualitätsarbeit überhaupt möglich ist: „Anders als andere Häuser generieren wir unser Programm im Haus. Polansky ergänzt: „Ja, unsere Programmkompetenz wird im Haus generiert.“

Mit der geballten Fachkompetenz am Tisch, wird kräftig zugelangt. „Wer sich unser Programm durchliest, wird feststellen, dass es ein solch’ hochwertiges Programm in der Stadt anderswo nicht gibt. Das ist höchste Qualität. Natürlich haben wir im Porgy & Bess und in der Sargfabrik kompetente Mitbewerber.“
Zu Konflikten mit den anderen Veranstaltern vor Ort kommt es allerdings nicht, wie Rotter hinzufügt: „Mit der Sargfabrik habe ich ein sehr kollegiales Verhältnis, wie zu den meisten anderen Veranstaltern. Wir fahren fast jedes Jahr alle zusammen auf die Weltmusik-Messe, die Womex. Auf der Womex hatten wir die letzten Jahre immer einen gemeinsamen Stand von allen österreichischen Veranstaltern, Agenten und Künstlern. Es gibt einen regelmäßigen Austausch, vor allem mit der Sargfabrik, damit es zu keinen Überschneidungen kommt. Oft profitieren wir davon, wenn eine Gruppe schon mal in Wien in einem kleineren Saal zu Gast war. Und es war schon öfter zu beobachten, dass ein Künstler oder eine Künstlerin zuerst in der Sargfabrik oder im Porgy & Bess auftrat, und irgendwann ist die Zeit reif für einen größeren Veranstalter und dann sind sie bei uns, was aber nicht ausschließt, dass diese Künstler mal wieder zurück in die Sargfabrik oder ins Porgy & Bess gehen.“

Polansky weist auf weitere Pluspunkte des Hauses hin: „Wir wollen aber schon anbieten, was anderswo nicht zu hören ist. Erstklassige Qualität, verbunden mit einer gezielten Publikumsbindung. Wir waren die ersten, die Abonnements nach Inhalten vergaben. Und es waren und sind die Abos, die überzeugen und das finanzielle und inhaltliche Rückgrat des Hauses darstellen.“
Um das Abonnentensystem, einst als Errungenschaft des bürgerlichen Zeitalters zur Bindung des Publikums erfunden, mit Inhalten zu füllen, gilt es sich einen gewissen Hunger zu bewahren. Denn es muss weitergedacht werden als nur bis zu den gerade aktuellen Stars der Szene, die es zu verpflichten gilt. Dass jedes Musik-Genre, und da machen Klassik, Jazz oder World Music keine Ausnahme, aus sich heraus selbst immer wieder neue Stars und Sternchen entwickelt, dass sich jedes Genre so aus sich selbst ständig erneuert, gehört zur Natur der Entwicklung, die man bei der Programmierung gerne in Augen und Ohr behält. In diesem Sinn kann Peter Polansky den Gesetzen der Evolution vertrauen und sich mit Fingerspitzengefühl und langjährig erworbener Kompetenz dem Marketing und der Jazz-Leidenschaft hingeben. Im Programm 2014/2015 verweist er mit Stolz auf das, trotz der Krise, erweiterte Angebot. „Dank einer sorgfältig im Haus gepflegten Kundenkartei von rund 300.000 Adressen können wir das Publikum gezielt ansprechen. Und wenn im neuen Programm Musiker wie Kurt Elling, Georg Breinschmid, Christian McBride, Bachar Khalifé, Chick Corea, Fred Hersch, das Clayton-Hamilton Jazz Orchestra und Brad Mehldau angekündigt werden, dann werden das Konzerte im Großen Saal sein. Erstklassige Musik in einem erstklassigen Rahmen mit maximaler Publikumsbeteiligung.“

Auch der von Amanda Rotter betreute World Music-Bereich braucht sich nicht zu verstecken. Zwar kann, erzählt sie, das Konzerthaus auf eine lange weltmusikalische Tradition zurückblicken. „Bereits in den 1930er Jahren gab es indische und chinesische Musik, bald nach 1945 waren erneut Musiker aus Indien zu Gast sowie russische und französische Volksmusiker. Seit 1965 gab Ravi Shankar regelmäßig Konzerte, und seit den 70er Jahren hatten wir die unterschiedlichsten Konzerte im Haus wie Israels Kibbutz Chor, Manitas de Plata, koreanische Volkstanzgruppen und Mikis Theodorakis. Das waren aber Einzelkonzerte unter dem Label ‚Musik der Völker’. Aber die eigentliche Reihe World – Musik der Welt gibt es exakt seit dem 4.10. 2002. Damals spielten Angelite/Huun-Huur-Tu/Moscow Art Trio. Ich habe mich immer dafür eingesetzt, doch eine eigene Reihe zu etablieren. In den zwölf Jahren ihres Bestehens hatten wir sehr viele wichtige Vertreter der Worldmusic-Szene zu Gast, wie Cesaria Evora, Salif Keita, Habib Koité, Ladysmith Black Mambazo, Angelique Kidjo, Rokia Traoré, Khaled, Natacha Atlas, Goran Bregovic, Taraf de Haidouks, Kocani Orkestar, Boban Markovic, Fanfare Ciocarlia, Paco de Lucia, Ali Akbar Khan, Alim Qasimov, Mariza, Omara Portuondo, Giora Feidman, David Krakauer, Gianmaria Testa, Sexteto Mayor und viele andere.“
Bei den Buchungen, sagt sie, gebe es kein strenges Konzept. „Ich bemühe mich, eine bunte Mischung mit Musikern aus Afrika, Asien, Südamerika und dem Balkan zu erreichen. Meistens verlasse ich mich auf meine Fachkenntnis und mein Bauchgefühl. Aber letztlich ist es immer spannend, wie jemand vom Publikum angenommen wird.“ In der neuen Saison werden das Tomatito Sextet, Carminho, das Edmar Castaeda Trio, Dobet Gnahoré, Habib Koité und das legendäre Orquesta Buena Vista Social Club sich der Gunst des Publikums erfreuen dürfen.

Aber es ist eben nicht allein die Weiterentwicklung der Genres, die im Konzerthaus das Programm gestalten hilft. Zum Jazz- und Worldmusic-Bereich gehören nämlich mittlerweile auch neu und eigens für das Haus konzipierte Zyklen wie „Local Heroes“ mit u.a. den Sofa Surfers und den Playbackdolls, oder die „Spielarten“, bei denen sich österreichische und internationale Musiker begegnen. Ein weiterer Schwerpunkt gilt dem Wienerlied, vertreten durch Roland Neuwirth, den 5/8erl in Ehr’n, dem Trio Lepschi und dem Kollegium Kalksburg. Mit der Konzipierung dieser Zyklen jenseits der Klassik und jenseits der bewährten Jazz- und Worldmusic-Zyklen wird versucht, ein neues Publikum in das Haus zu holen und die eigene Kernkompetenz auszuweiten. „In der Saison 2012/2013 war es erstmals möglich, Worldmusic im Abo zu hören. Mittlerweile hat sich dieser Bereich etabliert“, sagt Rotter und Polansky meint: „Wir haben mittlerweile ein gemischtes Publikum. Viele junge Leute, meistens akademisch gebildet. Manche Abonnenten haben fünf oder sechs Abos.“ Ein komplexes und sorgfältig kommuniziertes Vertriebssystem mit bis zu 28.000 Abonnements pro Saison spricht eine eindeutige Sprache.

Notwendigkeit der Kultur

Derart aufgestellt, sollten alle Sorgen um die Zukunft des Wiener Konzerthauses eigentlich unbegründet sein. Wenn halt nur nicht diese Sorgen um das leidige Geld den Horizont verdüstern würden. „Wir erhalten nur ganz geringe Subventionen. Rund 85 % unserer Gelder erwirtschaften wir selbst“, so Rotter. Polansky stöhnt: “Mit dem Rücken zur Wand ist das Team höchst effizient und erfolgreich in Produktion und Vermittlung von Musik und Konzerten in dieser Stadt.”
Naske meinte wiederum bei der Pressekonferenz auf Befragen: „Wenn es mir in den nächsten zwei, drei Jahren nicht gelingt, das Haus zu konsolidieren und die wirtschaftliche Realität in den Griff zu bekommen, dann muss die Institution ihre Schlüsse daraus ziehen und einen geordneten Rückzug aus der Vielfalt des Angebots antreten.“ Die konzertante Oper wurde bereits aus dem Programm genommen, „weil sie nicht leistbar ist“. Und:“Jede Investition in dieses Haus ist eine Investition in das kulturelle Leben und macht sich tausendfach bezahlt. Es wird von der Politik leicht vergessen, dass die Teilnahme am künstlerischen Leben ein Element der sozialen Integration ist und ein enormes Potenzial für jeden Einzelnen und für die ganze Gesellschaft in sich trägt.“ In diesem Sinn käme eine Bankrotterklärung des Wiener Konzerthauses eigentlich einer der Politik gleich. Dass die leichter zu verschmerzen sei als einige fehlende Euros, ist ein frommer Aberglaube. Denn mangelnder politischer Gestaltungswillen wird langfristig ziemlich teuer werden.

Harald Justin

 

Foto Amanda Rotter und Peter Polansky © Carlos Suarez
Foto Matthias Naske © Sébastien Grébille / Philharmonie Luxembourg
Foto Konzerthaus © Herbert Schwingenschlögl

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