WIENER POPMUSIK – POPMUSIK IN WIEN

Beim Popfest vergangene Woche wurde nicht nur musiziert, es wurde auch diskutiert. Unter anderem nahe liegender Weise über Wiener Popmusik. Gibt es momentan eine Wiener Popmusik oder nur Popmusik in Wien? Gibt es gemeinsame Themen? Bildet sich multikulturelles Zusammenleben in der Wiener Popmusik ab, welche Rolle spielen andere Kunstformen in der Wiener Popmusik?

Diese Fragen diskutierten Karl Fluch (Der Standard), Christian Fuchs (Musiker, Journalist), Eberhard Forcher (Ö3), Christina Nemec (Musikerin, comfortzone), Stefan Redelsteiner (Problembär Records), Robert Rotifer (Musiker, Journalist, Popfest Kurator), Franz Adrian Wenzel (Musiker) unter der Moderation von Walter Gröbchen (monkey music, Journalist)

Eingangs der Diskussion stellte Moderator Walter Gröbchen die jüngst auf seinem Label monkey music erschienene Compilation „Wien Musik“ vor. Ob dieser Versuch eines Querschnitts durch die derzeitige Pop-Landschaft Wiens gelungen und der darauf zu hörende Querschnitt repräsentativ für das derzeitige musikalische Pop-Schaffen sei, ließ er dahin gestellt. Schon oft sei der Versuch unternommen worden, die Musik dieser Stadt in solch einem Sampler zu verdichten. Unter anderem auf einem in den 70er Jahren erschienenen Austropop-geprägten Werk mit Titel „Das neue Wienerlied“, danach sei ihm noch „The Eclectic Sound of Vienna“ und „Das Gelbe vom Ei“ erinnerlich. Nun liege „Wien Musik“ auf dem Tisch und es lasse sich trefflich darüber streiten, so der Moderator.

„Grenzen überwinden“
In den Eingangsstatements von Christina Nemec und Robert Rotifer kristallisierte sich daraufhin schnell ein gemeinsames zentrales Anliegen heraus: Pop als etwas zu sehen nämlich, das Grenzen überwindet. „Wir wollten damals aus Wien raus, weil es zu klein ist“, erzählt Nemec aus den 80er-jahren als der Epoche, die sie inspirierte selber Musik zu machen uns später ein Label zu gründen. Mit dem rhiz habe man zwar einen guten Veranstaltungsort gefunden, dem könne man aber nicht jede Woche „etwas reindrücken“. Also gebe es nur einen Weg: den raus aus Wien. Mit ihrem Label Comfortzone versuche sie genau das zu bewerkstelligen. Das zeige schon die internationale Bandbreite/Herkunft der Artists.

„Eine Fiktion von Wien“
Ähnlich Robert Rotifer: Man definiere sich in Pop-Kreisen eben nicht über die Distanznahme und Begrenzung. Daher sei die im Vorfeld des Popfestes angezettelte Diskussion, ob nun genug Elektronik-Artists am Start stünden oder nicht, auch völlig entbehrlich, so Rotifer. Auch Pieter Gabriel (der unmittelbar vor dem Panel spielte, Anm.) habe an Reglern und Knöpfen gedreht und so, obwohl er gemeinhin als Gitarren-Act gilt, elektronische Effekte eingesetzt. Ob er deshalb gleich ein Elektronik-Act sei oder immer noch Gitarren-Pop spiele, danach krähe doch in Wahrheit kein Hahn. Pop sei damals wie heute dazu da, um Grenzen zu überwinden, so der Journalist und Musiker. Deshalb sei „Da kumm i her, da g´hör ich hin“ von Reinhard Fendrich auch der Anti-Pop-Satz schlechthin. Auch der Nino aus Wien nenne sich ja nur mit einem Augenzwinkern so. Der sei gar kein Kagraner und auch nicht authentisch. Ebenso bilde Ernst Molden mit dem „Häuserl am Oasch“ keine Realität ab, sondern seine ganz persönliche Zauberwelt, die er sich strickt. „Eine Fiktion von Wien eben.“ Es gehe also zu einem ganz wesentlichen Maße um die Selbstdefinition. Die im Vorfeld formulierte Frage nach Multikulti stelle sich ebenso wenig. Es gehe darum, sich genau darüber hinwegzusetzen. Ständig und mit allen Mitteln.

„Kaum Anknüpfungspunkte“
„Aber kann es dann überhaupt so etwas wie einen Wiener Sound 2010 geben?“, wurde Moderator Walter Gröbchen nicht müde zu fragen. Auch Christian Fuchs, Journalist und Protagonist der medial momentan sehr präsenten Band Bunny Lake, verneint. Pop sei schon von seiner Definition etwas Kosmopolitisches, meinte er. Eine Band wie Bunny Lake habe daher kaum Anknüpfungspunkte in die heimische Szene. Im Ausland werde man immer wieder gefragt, aus welcher Szene man den eigentlich komme. Eine wirkliche Antwort habe man darauf noch nie geben können.
„Die Schweizer haben Yello, die Deutschen Kraftwerk, wir Kruder & Dorfmeister. Aber was bringt das schon?“ so Fuchs. Sich dauernd auf Images wie Grantigkeit oder dergleichen zu beziehen führe doch zu nichts. Dass man im Ausland Wien heute vielfach so „arg“ empfinde wie das Berlin in den 80er-Jahren, interpretiere er weder positiv noch negativ,  sondern als schlichte Beobachtung. „Früher hat man die Nase gerümpft, heute empfindet man es als halt als arg.“

„Prinzip Pop braucht etwas, woher es kommt“
In Franz Adrian Wenzels Werk hingegen (Kreisky, Austrofred) sei das Österreichische schon immer sehr präsent, sagt er. Aber es gehe weder darum, irgendwelche Traditionen wieder zu beleben noch einen kalten Finger in die Wunde zu legen. Es sei nun einmal einfach so, dass das Prinzip Pop immer eine Verankerung in Details, immer etwas, woher es kommt, brauche.

„Nicht dagegen wehren“
Stefan Redelsteiner (Problembär Records /Nino aus Wien) vertrat die Auffassung, wir sollten mit der Thematik „Aus Wien kommen, Wien zitieren etc“  lockerer umgehen und nicht so viel überlegen. Bei einem Act wie dem Nino aus Wien bestehe freilich ständig die Gefahr, zu sehr ins Fach Austropop abzugleiten. Und es sei auch immer im Hinterkopf der Journalisten, in ihm den neuen Ambros zu wittern. Aber dagegen anzukämpfen, mache keinen Sinn „Man kann sich nicht dagegen wehren, dass man hierher kommt.“

„Etablierte alte Säcke“

Karl Fluch war der Auffassung, dass das typisch Wienerisch darin bestehe, dass ausnahmslos etablierte alte Säcke, die etwas aus der Distanz beobachten, hier am Panel säßen, während die wesentlichen Protagonisten der Szene fehlten. Die sähe man nur auf der Bühne. „Wenn man den Amtsweg beschritten habe, dann sitzt man gern am Podium. Das ist urtypisch wienerisch.“

Ein Drittel „Made in A“

Radiomoderator Eberhard Forcher bezog sich in seinem Eröffnungs-Statement auf die florierende Szene, aus der er schöpfe. In seiner Sendung kümmere er sich sehr um österreichische Musik. In zwei Stunden mehr als ein Drittel, das sei schon eine ganze Menge, meinte er. Bei der Auswahl der Musik sei es aber völlig egal, ob sie Wien abbilde oder nicht, nur gut müsse sie sein. Aber: „Je mehr das Wienerische erkennbar ist, desto enger werden die Grenzen.“

„Absurd, was als Nische empfunden wird“
Robert Rotifer griff im Anschluss das oft diskutierte „Ö3-Fm4-Problem“, dass man von einem der beiden Sender gespielt für den jeweils anderen nicht mehr in Frage komme, weil zu kommerziell oder zu „indie“, auf. Er empfinde es diesbezüglich als Privileg, diese Grabenkämpfe von außen (dh von England aus, Anm.) nicht mitzubekommen. Grundsätzlich bedürfe die Situation aber der Normalisierung. „Zum Teil ist es absurd, was hierzulande als Nische empfunden wird“, sagte er und ergänzte. „Es ist ein erklärtes Ziel des Pop-Festes, das zum Teil aus der Nische zu holen und es den Leuten vor die Nase zu setzen.“
Von Moderator Gröbchen darauf angesprochen, meint auch Christian Fuchs, dass er sich nicht uncooler fühle, seit er auf Ö3 laufe. Wie er in welcher Szene wahrgenommen werde, sei ihm egal. Es gehe letztlich nur darum, bewusst mit den Leuten kommunizieren. Das sei Pop.

„Die eigene Phänomenologie nicht kapieren“
Ob es das allerdings anderswo gebe, dass man sich an einen Tisch setzt und dort zu analysieren und zu sezieren versuche, was so unlogisch nicht ist, bezweifelte Karl Fluch. „Vielleicht ist das ja die Wiener Art: Die eigene Phänomenologie nicht zu kapieren und darüber einen Verein zu gründen.“ Damit meinte er wohl, mit untauglichen Mitteln die eigene Identität zu erforschen anstatt weiter einfach nur eines zu sein: kreativ.

„Zwanghaft nebensächlich“

Der pauschale Vorwurf führte unweigerlich zum oft zitierten Beispiel Schweden, wo man früh verstanden habe, was in England Teil der Alltagskultur ist, dass Pop nämlich ein immenser und ganz wesentlicher Wirtschaftsfaktor sein könne, wenn er nur entsprechend gepflegt wird, so der Grundtenor. In Österreich hingegen werde er seit jeher „zwanghaft nebensächlich“ behandelt, so Gröbchen. Das Ergebnis kennen und bejammern wir immer und immer wieder.

Ohne Förderungen und ohne kosmopolitischen Ansatz ginge es nicht“, ist sich Nemec sicher. „Auf der Straße sein und spielen alleine reicht nicht.“ In Österreich würde sie ohne Unterstützung von öffentlichen Stellen vielleicht zweihundert Platten machen und hundert davon verkaufen. „So bist du nicht lebensfähig.“

Die wiederkehrende Fokussierung auf globale Märkte veranlasste Franz Adrian Wenzel zu einem pointierten Gegen-Statement. Er wühle gerne in lokalen Strukturen, sagte er. In den abseitigen Feldern, etwa italienischem Progressive-Rock, sei viel Gold versteckt. Angesprochen auf seine Sendung auf Okto-TV, in der er unter anderem Muckenstrunz und Bamschabl interviewte, meinte er nur, dass genau das der Beweis für sein Statement sei. Bamschabl etwa habe über John Coltrane dissertiert.

„Austropop begraben“

Über Bamschabl gelangte schließlich wieder der Begriff „Austropop“ in die Diskussion. Für Problembär-Labelchef Redelsteiner ein „Brechmittel“. „Da denke ich zu allererst an Fendrich.“ Unter dem Begriff Austropop, so Redelsteiner, seien sehr viele Verbrechen begangen worden. Den Begriff könne man daher getrost ein für alle mal begraben.

Auch Robert Rotifer fällt ein: Austropop sei für ihn schlicht träge, satt und ein Inbegriff des Schreckens. Mit dem Popfest habe er einmal etwas anderes bieten wollen als „Schnitzelfresser-Pop“. Diese Missfallensbekundungen veranlassten Moderator Göbchen noch einmal die zentrale Frage „Gibt es einen Wiener Pop 2010?“ zu stellen und um Schluss-Statements zu bitten.

„Eigenen ästhetischen Ansprüchen genügen“

Die Frage nach dem Wiener Pop 2010 müsse er gleich so, wie sie formuliert worden sei, abstechen, so Wenzel. „Nicht eine spezielle Szene und ihre Protagonisten, sondern der Umstand, dass beim Popfest zwischen 50 und 60 Acts hoher Qualität aufgeboten würden, sei beachtenswert. „Selbst ich als Protagonist der Szene kenne drei Viertel nicht“. Allein das zeige, wie weit verzweigt diese Szene sei und wie wenig man sich einem vorherrschenden Stil beugen müsse. Es reiche, den eigenen ästhetischen Ansprüchen zu genügen. Vielleicht sei ja auch genau das das Rezept der solchermaßen florierenden Szene. Danach zu fragen, wer aus dieser Szene besonders herausragt, wäre kontraproduktiv.

Raum geben und Komplexe durchbrechen
Forcher bestätigt. Insgesamt habe sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten vieles zum Besseren entwickelt. Die Medienlandschaft, um die florierende Szene wieder zu spiegeln, gäbe es. Jetzt wäre es an der Zeit, dem Ganzen Raum zu geben. Wenn eine CD wie Bunny Lake großen Rücklauf habe, sei das auch eine Bestätigung für seine Arbeit. Auch dass die Hauptwerbekampagne von fm4 mittlerweile mit österreichische Acts stattfinde, sei ein gutes Zeichen, ergänzt Wenzel.

Er empfände es als überaus angenehm über österreichische Musik schreiben zu können und damit auf Interesse zu stoßen, sagte Fluch. Dass Kreisky von gleich drei Standard-Redakteuren zu den besten Acts 2009 gewählt wurde, sei purer Zufall und ein klares Zeichen dafür gewesen, wie gut sie wirklich sind. „Schließlich sind wir kein nordkoreanisches Parteiblatt.“

Bliebe nur noch eine Frage: „Kann Wien zum Signet für eine Szene werden, die sehr wohl weit verästelt sein kann?“ „Warum nicht?“, waren sich alle Beteiligten einig.  Interesse und Rückenwind für ein Pop-Fest 2011 seien jedenfalls da. Rober Rotifer stellte am Ende der Veranstaltung noch einmal klar, dass es nicht um den Meldezettel gehe. Auch das Hotel Fürstenhof gelte als Wiener Adresse. Ergo: Auch Bands aus den Bundesländern sind hochwillkommen. „Es gibt nicht das „Mir san wer“, sonder vor allem das „Wer san wir eigentlich“. Das Popfest solle dafür sorgen, den viel zitierten und höchst eigenartigen Minderwertigkeitskomplex zu durchbrechen.
Markus Deisenberger

Fotos: Niko Ostermann

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