Wien Modern – Rückblick Woche 1

Woche 1 des am 1. November gestarteten Festivals wurde am Mittwoch mit einer ersten Haas-Uraufführung im Musikverein (Klavierkonzert) gekrönt. Jetzt, am Wochenende, gibt es beeindruckende Musikfilme (Frank Scheffer) zu sehen, aber bereits am Sonntag geht es im Schömer-Haus Klosterneuburg auch live-musikalisch weiter. Am Montag, 12.11., spielt das Klangforum Wien Uraufführungen von Klaus Lang (Erste Bank Kompositionsauftrag), Georg Friedrich Haas (REMIX) und eine ÖEA von dessen Schüler Michael Pelzel. “Free Radicals” und Berios Evergreens

Zuweilen durchaus fulminant und bestens besucht: “Free Radicals”, der vom Klangforum Wien unter Beat Furrer bestrittene Eröffnungsabend mit spannenden Paarungen von Kurzfilmen und kurzen Musikstücken ließ keine Wünsche offen und war in keinem Fall bloß krampfhafte Visualisierung von Musik. Die Auswahl der – durchwegs interessanten – gezeigten Filme mit und ohne Ton bot Raum für Diskussionen, voll aufgegangen sind die umrahmenden “Neuproduktionen” der Filmemacherin Bady Minck zu Live-Musik von Beat Furrer und Morton Feldman, großartig interpretiert auch die auf sich allein gestellten Musikstücke (Schönberg, Lutoslawski, Xenakis, Pomárico, David Horne).

Das Klangforum Wien bestach bei seinem zweiten Konzert auch am Sonntag mit tollen Solisten bei Berios “Sequenze”-Evergreens. Allein der etwas hypertroph-aufdringliche Elektronik-Aufputz von Johannes Kretz bei dem aus dem Jahr 1969 datierenden Oboenstück (Solist: Markus Deuter) erzeugte bei Puristen Stirnrunzeln – allzu sehr erschien der ursprüngliche Charakter und Stimmungsgehalt der Musik in verändertem Gewand. Und statt der schon nur mehr mit historisch interessierten Ohren aufzunehmenden frühen elektronischen Musik (“Visage”, 1961), wenn auch immerhin mit der Stimme der Sängerin Cathy Berberian, hätten es ruhig noch zwei mehr der wunderbaren Solostücke aus der “Sequenze”-Serie gewesen sein können. Ein großes Bravo jeweils für die Solistinnen Vera Fischer (Flöte), Sophie Schafleitner (Violine), Lorelei Dowling (Fagott), an den bereits genannten Markus Deuter sowie an Bernhard Zachhuber (Klarinette) und den diesen Abend  berückend “chansonhaft” abrundenden Akkordeonisten Krassimir Sterev.

 

RSO Wien in Hochform

Warum in die Ferne schweifen, wenn die Budgets knapper werden? Was wir am RSO Wien haben, stellte das Orchester in seinen beiden bisher bestrittenen Konzerten auf das Schönste unter Beweis. Unter seinem Chef Bertrand de Billy gelang eine stimmige, durchhörbare und im Leisen differenzierende Realisation des Ligeti-Klassikers Atmosphères und mit den Solisten Grau&Schumacher eine spielfreudig-musikantische, effektvolle und klangschöne Aufführung des für alle Beteiligten immens anspruchsvollen “Concerto” für zwei Klavieren von Luciano Berio, ein alles in allem altmodisch (sau)gutes Stück. Nicht altmodisch, aber von einem großen Alten der Neuen Musik ist Elliot Carters Klavierkonzert “Soundings”, von diesem  2005, im zarten Alter von 96 Jahren komponiert. Poémes (auch 2005) von Georg Friedrich Haas war dann Höhe- und Schlusspunkt: Nach delikatem Viertelton-Soli der Bläser zu Beginn entsteht ein immer gewaltigerer Sog, ein Muskelspiel  von berauschenden, auf- und abbrausenden Klangkaskaden.

Das zweite RSO-Konzert im Musikverein (Dirigent: Martyn  Brabbins) war zur einen Hälfte wieder Luciano Berio gewidmet, u. a. mit der Sequenza II für Harfe solo und dem dazugehörigen Orchesterstück Chemins I für Harfe und Orchester. Und abermals Georg Friedrich Haas: Zur Uraufführung gelangte das von Wien Modern, basel sinfonietta und Philharmonie Luxembourg in Auftrag gegebene neue Konzert für Klavier und Orchester, dessen nicht immer dankbaren Solopart Thomas Larcher bestritt, spielt sich doch das “spannendere” Geschehen im Orchester ab (und in vielen Forte-Abschnitten wurde bei dieser Aufführung das Klavier zugedeckt). Berückend schon der Anfang, wenn ein immer wieder angeschlagener Einzelton des Klaviers, im Nachhall zunächst nur von einer Bratsche übernommen, nach und nach von den Orchesterinstrumenten in minimalen mikrotonalen Schwebungen aufgegriffen wird. Tolle Klänge und schichtenweise aufgebaute Spektren tun sich auf, dem unveränderlich temperierten Klavier entgegengestellt – am Ende kann der Solist diesem Treiben nur eine mehrfach repetierte, insistierende “Ach-habts-mich-doch-gern”-Justament-Figur entgegenstellen. Enno Poppe, auch in Wien dank seiner vom Klangforum bestens eingeführten Ensemblestücke kein Unbekannter mehr, spielt anders, aber eben auch virtuos mit Mikrotonalität und rutschenden Harmonien: Sein viersätziges Orchesterstück “Obst” (2006) macht beste Figur durch exzellente Instrumentierung (in fast neo-klassizistischem Klang-Gewand) und  doppelbödiges Spiel mit kleinen Motiven und tonalen Anklängen.

Klaus Lang in der Peterskirche

Eine eineinhalbstündige Komposition “für junge Stimmen und junges Orchester”, die von Musikschülern aus Schwaz und Telfs (Gesamtleitung Klaus Niederstätter) mit Enthusiasmus und großer Klangdisziplin im Kirchenraum der Peterskirche realisiert wurde: Allein schon durch die beteiligten, teils noch halbwüchsigen Interpreten, die – gefordert, aber nicht überfordert – mit berührendem Ernst bei der Sache waren, ein stimmiges Ereignis. “Der rote Spiegel” heißt das 2005 erstmals realisierte Opus von Klaus Lang – eine Art nichtkonfessionelle Messe oder ein Requiem, das seine Kraft aus stillen, fragmentarischen, tiefschürfenden und doch einfachen Klängen schöpft und zwischendurch aus Zitaten von Musik der Gregorianik, der Renaissance, der venezianischen Mehrchörigkeit besteht. Die Musik und die Gruppen selbst (Streicher-, Blockflöten-, Blechbläser- und  und Schlagwerkensemble sowie Chor), wandern im Kreis. Das musikalische Geschehen spannt einen großen Bogen, ist harmonisch einfach und doch auch wieder raffiniert aufgebaut und verlangt nichts als “Zuhören”, Sich-Versenken, Hingabe, was auf unaufdringlich-unesoterische Weise tatsächlich gelingt. So realisiert ist das in der Tat schon wieder schön und der barocke Raum spielt wunderbar mit.

 

 

 

Charmant und bummvoll: Alte Schmiede

Soll man es charmant finden oder die Misere fehlender Aufführungsorte für zeitgenössische Musik in Wien beklagen? Beides natürlich – und für die Alte Schmiede hoffen, dass der beabsichtigte Raumzugewinn durch einen Umbau und Einbeziehung der Werkstätte in Bälde finanziert werden kann. Auf dichtem Raum zusammengedrängt erlebte man einen Nachmittag mit sehr guter Musik und sehr gut gespielter dazu (bekannte Gesichter und übliche Verdächtige im ensemble on_line vienna, Leitung: Simeon Pironkoff). Zu hören gab es ein vorzügliches neues Stück für Akkordeon solo von Reinhard Fuchs (Feodora, 2007), weiters von Thomas Heinisch eine “Zeichnung für Flöte und Klarinette”, deren Titel “Soon to be a Major Motion Picture” schon 2001 versprach, sowie ein rockig-rauhbeinig-schönes Quintett für Bassflöte, Bassklarinette, Akkordeon, Viola und Violoncello von Bernhard Gander. Im weiteren standen farbenkräftige Stücke von Tristan Murail und Aurelio Cattaneo auf dem Programm des kurzweiligen Samstagnachmittags.

Noch einmal Haas: Quartettfestspiele

Alle (bisher) fünf Streichquartette von Georg Friedrich Haas werden im Lauf des Festivals aufgeführt, den Anfang machte im Neuen Saal das Kairos Quartett aus Berlin. Neben dem 1. Quartett aus 1997 (zuvor – passend –  James Tenneys mikrotonale Studie Koan, 1984) glückte das im völlig abgedunkelten Raum aufzuführende, einer Improvisations-Spielpartitur folgende, “In iij. Noct” genannte dritte überaus eindrucksvoll. 40 Minuten war die (je nach Aufführung zwischen einer halben bis einer Stunde liegende) Spieldauer angeblich, wer nicht auf die Uhr schaute, vergaß Zeit du Raum. Ein (Nacht-)Stück für starke Nerven und sicherlich einer der bisherigen Höhepunkte der Haas gewidmeten Werkschau bei Wien Modern. Außerhalb der Wertung: Felix Kubin im Tanzquartier (keine Platzkarten, wie es war, hat sich bereits herumgesprochen .)

Heinz Rögl

Foto Free Radicals © Bady Minck
Foto Georg Friedrich Haas © Universal Edition/Eric Marinitsch
Foto Reinhard Fuchs: Mit freundlicher Genehmigung von R. Fuchs