Wien Modern: 60 Ur- und Erstaufführungen konnten trotz Lockdowns 2020 realisiert werden

Die 33. Ausgabe des Festivals Wien Modern ist am Sonntag 29.11.2020 zu Ende gegangen. Nach dem Eröffnungswochenende mit ausverkauften Konzerten und 5.199 Besucherinnen und Besuchern im Stephansdom und im Wiener Konzerthaus kam der Lockdown. Danach konnten die letzten 27 von insgesamt 32 Spieltagen trotz Veranstaltungsverbot weitgehend über kostenlosen Videostream und Rundfunk durchgeführt werden. Insgesamt rund 60 Ur- und Erstaufführungen konnten realisiert werden, über 50 Videos mit bis zu 7 Kameras und über 20 Stunden Gesamtdauer wurden produziert und kostenlos gestreamt sowie bislang von rund 35.000 Zuschauerinnen und Zuschauern gesehen. Über 20 Streams sind derzeit noch kostenlos anschaubar unter www.wienmodern.at.

Dank sicherer Präventionskonzepte und zahlreicher regelmäßiger Schnelltests konnten die geplanten Neuproduktionen mit dem RSO Wien, den Wiener Symphonikern, dem Klangforum Wien, dem Ensemble PHACE, Polwechsel, dem Arditti Quartet, dem Riot Ensemble und weiteren Ensembles, Künstlerinnen und Künstlern auch unter Pandemiebedingungen weitgehend wie geplant durchgeführt und öffentlich zugänglich gemacht werden. Neben den geplanten Spielstätten und Produktionspartnern wie Wiener Konzerthaus, Musikverein, Stephansdom, Künstlerhaus, Reaktor, WUK, brut, sirene Operntheater, The Acousmatic Project und IGNM sowie fünf österreichischen Musikuniversitäten in Wien, Graz, Linz und Salzburg haben auch ORF RadioKulturhaus, Porgy & Bess, DeSingel Antwerpen, Kings Place London, Warschauer Herbst und viele weitere Kulturinstitutionen spontan zur Ermöglichung des Festivals beigetragen.

Zu den prominentesten der rund 60 Ur- und Erstaufführungen der 33. Festivalausgabe gehören neue Orchester- und Ensemblewerke von Chaya Czernowin, Hugues Dufourt, Sofia Gubaidulina, Edu Haubensak, Clara Iannotta, Johannes Kalitzke, Matthias Kranebitter (Erste Bank Kompositionspreis 2020), Klaus Lang, Tim Mariën, Wolfram Schurig und Germán Toro Pérez sowie Musiktheaterproduktionen von Pia Palme, Thomas Desi / Helga Utz und Alix Eynaudi.

Nur rund 20% der Anfang September angekündigten Produktionen mussten ersatzlos verschoben werden. Ein einziges Konzert musste aufgrund einer Quarantänebestimmung nach einem K1-Fall kurzfristig verschoben werden, ansonsten beeinträchtigte kein einziger Infektionsfall die Durchführung des Festivals.

6 Produktionen (14% des Programms) haben wie geplant mit Publikum vor Ort stattgefunden.
19 Produktionen (44%) haben stattgefunden und wurden über Rundfunk und / oder kostenlosen Stream im Festivalzeitraum zugänglich gemacht.
10 Produktionen (22%) werden auf voraussichtlich 2021 verschoben, jedoch wurden jeweils zum angekündigten Zeitpunkt der Veranstaltung einzelne Aufnahmen online kostenlos zugänglich gemacht.
9 Produktionen (20%) werden auf voraussichtlich 2021 verschoben.
1.858 Personen besuchten die Veranstaltungen mit Kartenverkauf bis 02.11.2020.
Weitere 3.341 die kostenlose Klanginstallation und Performances bis 02.11.2020.

Statement Bernhard Günther

Die Entscheidung, bei Wien Modern 2020 von einem Tag auf den anderen vom Live-Veranstaltungsbetrieb auf Videoproduktion und Streaming umzuschalten, war zunächst schlicht ein Reflex – wie wenn man bei hohem Tempo eine Kurve nimmt, statt geradeaus in eine Wand zu fahren. Ich bin sehr dankbar dafür, dass dieser Kurs sofort von vielen Künstlerinnen und Künstlern, Kulturinstitutionen, dem Festivalteam und dem Vorstand mitgetragen wurde. Ich halte ungewöhnlich viele der teilweise im ersten Lockdown komponierten und im zweiten uraufgeführten Kompositionen künstlerisch für außerordentlich gelungen und freue mich, dass das durch Streaming teilweise zehnmal mehr Menschen hören konnten als das unter den extremen Veranstaltungsbedingungen vor dem Lockdown der Fall gewesen wäre.

Aber so denkwürdig die 33. Festivalausgabe auch gewesen sein mag – als Modell für die Zukunft wünsche ich mir sie nicht: Der Austausch mit dem Publikum vor Ort ist für ein solches Festival digital nicht ersetzbar. Das gilt genauso für das körperliche Live-Erlebnis der neuen Musik mit ihren besonderen Klängen, Stimmungen und Formaten.

Dass gerade das sicherste der neu entwickelten Veranstaltungsformate des diesjährigen Festivals, Georg Friedrich Haas’ Raumkonzept für das Kunsthistorische Museum, vom Holzhammer der zunehmend wirren Verordnungen rund um „Veranstaltungen ohne zugewiesene Sitzplätze“ getroffen wurde, gehört für mich zu den aussagekräftigsten Enttäuschungen des Umgangs mit der Pandemie: Der Kulturbereich hat anerkanntermaßen die sichersten Präventionskonzepte entwickelt und hat innovative, differenzierte präzise und nachhaltige Lösungen anzubieten. Die politische Suche nach Lösungen wirkt auf mich im Vergleich dazu teilweise wie Topfschlagen beim Kindergeburtstag: ohne Sicht nach der lautesten Ansage von außen auf einen Zufallstreffer hoffen und dabei öfter mal das Falsche erwischen. Die Kultur hat bewiesen, dass sie professionell und konstruktiv arbeiten kann. Jetzt ist die Kulturpolitik am Zug.

Ausgewählte Pressestimmen

„Eine glorreiche Auferstehung von Kunst und Musik? Man wird doch noch glauben und hoffen dürfen.“
(Walter Weidringer, Die Presse, über den Festivalauftakt Klangforum Wien: Erwartung, 01.11.2020)

„Ein Werk über Stimmung – der Instrumente wie des Fühlens – und über die Einheit von Geist und Körper. Ein Abend wie ein Abschied von der Kultur vor dem Stillstand.“
(Karlheinz Roschitz, Kronenzeitung, über das Eröffnungskonzert Tuning of Mind and Body und Pauline Oliveros Tuning Meditation, 01.11.2020)

„Dank der Bratschen-Koryphäe Tabea Zimmermann, die sich mit Inbrunst, Virtuosität (auch mit sagenhaft raumfüllendem Ton) und Intensität für Poppes Wurf stark machte, ein durchschlagender Erfolg.“
(Walter Gürtelschmied, Die Presse, über Solistin Tabea Zimmermann und das RSO Wien unter der Leitung von Leo Hussain bei Enno Poppe Filz, 02.11.2020)

„Der Zorn Gottes entlädt sich im Stream“
(Martin Fichter-Wöß, APA / Wiener Zeitung, über Claudio Abbado Konzert: Portrait Sofia Gubaidulina, 06.11.2020)

„Wien Modern: Wenn neue Musik ins Herz trifft […] Ein Erlebnis von schwer zu beschreibender äußerer Wucht und emotionaler Dringlichkeit.“
(Walter Weidringer, Die Presse, über Claudio Abbado Konzert: Portrait Sofia Gubaidulina, 08.11.2020)

„[…] nach einer gewissen Eingewöhnungszeit assoziiert man sich geradezu besoffen: Gamelaninstrumente, Gongs, Glocken, elektronische Musik in ekstatischen Klangarchitekturen.“
(Florian Amort, Frankfurter Allgemeine Zeitung, über Edu Haubensak: Grosse Stimmung, 09.11.2020)

„Der Künstlerische Leiter des Festivals, Bernhard Günther, hat dieses Mal eine gute Nase für das Sphärische, für Werke, die zum Klangbaden einladen.“
(Florian Amort, Frankfurter Allgemeine Zeitung, über das Festivalthema „Stimmung“, 09.11.2020)

„Virtuoses Aufbegehren gegen Stille und Schmerz […] Es ist ein Geben und Nehmen zwischen Orchester und diesem einzigartigen Solisten, der in diesem wundersamen Spiel mit Klängen auf seiner Viola brilliert.“
(Susanne Zobl, Kurier, über Solist Antoine Tamestit und das RSO Wien unter der Leitung von Oksana Lyniv bei Sofia Gubaidulina: Konzert für Viola und Orchester, 09.11.2020)

„Wer nicht hören kann, darf fühlen.“
(Walter Weidringer, Die Presse, über Matthias Kranebitters Encyclopedia of Pitch and Deviation beim Erste Bank Kompositionspreis Konzert, 20.11.2020)

„Die Farbpracht des Stillstands – Klaus Langs Tönendes Licht ist eine raffinierte Meditation über das Phänomen Klang. […] In solchen Momenten aufflackernder Dynamik fliegt dann bisweilen plötzlich ein Klangstern friedvoll vorbei.“
(Ljubiša Tošić, Der Standard, über Klaus Lang tönendes licht, 21.11.2020)

„Ein erquickendes, erhebendes Bad in auratischen Klängen […] Wenn sie sich nach kurzen, aber mächtigen, ja manchmal sogar bedrohlich anmutenden 50 Minuten ins höchste Nichts der Orgel verflüchtigt, bleibt nur Dankbarkeit für ein spirituelles Erlebnis ohne Weihrauchnebel.“
(Walter Weidringer, Die Presse, über Klaus Lang tönendes licht, 21.11.2020)

„Da hat jeder Ton seinen Platz, etwa wenn Streicher und Schlaginstrumente präzise ihr Klangnetz spinnen.“
(Susanne Zobl, Kurier, über Klaus Lang tönendes licht, 21.11.2020)

„Die sinnliche Wucht des Werkes raubte den Atem, tönendes licht ist von Strahlkraft der eindrücklichsten Art.“
(Monika Voithofer, Kleine Zeitung, 22.11.2020)

„Hier kommt die ganze Welt ins Rutschen, die Tektonik der Kontinente kracht zusammen […] Oksana Lyniv ist eine Spezialistin für elegant eingefädelte Menschheitskatastrophen. Das macht sie zur Musikerin der Stunde, und diese ihre vulkanische Intensität ist sogar in ihren Livestreams beängstigend großartig. Bravissima!“
(Reinhard J. Brembeck, Süddeutsche Zeitung, über Dirigentin Oksana Lyniv und das RSO Wien und Sofia Gubaidulina Der Zorn Gottes, 24.11.2020)

„Doch nach dem 3. November wurde die Kultur in Österreich zum Schweigen gezwungen. Nicht aber Wien Modern. Günther entwickelte ein Konzept, wie Konzerte möglich gemacht werden können: Mit einem gut organisierten Sicherheitskonzept konnten die meisten für den Stream gespielt werden.“
(Susanne Zobl, NEWS, über Wien Modern, 27.11.2020)

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