Wien Modern 5 – Abschlusskonzert mit dem RSO Wien (Gander, Olga Neuwirth & Xenakis)

Am Samstag vergangener Woche war endgültig Schluss mit der Ära Berno Polzer bei Wien Modern. In der elektrophiliale im Gartenbaukino spielten Christoph Kurzmann (lloopp/ppool/Klarinette/Stimme) und Burkhard Stangl (Gitarre, Vibraphon) das Werk “Schnee”, weiters waren DJ DSL und “Chicks on Speed” bei der Abschlussparty aufgeboten. Fulminant aber auch am Freitag das Abschlusskonzert mit dem RSO Wien unter der Leitung von Peter Eötvös, das mit dem zweimal gespielten, immer noch Staunen erregenden Werk “Terretektorh” (1965/66) für 90 auch im Zuschauerraum verteilte Musiker von Iannis Xenakis endete.  
Peter Eötvös und das ORF Radio-Symphonieorchester begannen auch mit Xenakis: Das Stück “Alax” für 3 Ensembles, 1985 in Köln uraufgeführt, hieße zu Deutsch “Austausch” und meint die “Verwandlung von Ebenen, Unordnung, Ordnung, von Klängen und Strukturen innerhalb und außerhalb der Zeit” (Iannis Xenakis). Drei Ensembles (auch mit viel fellbespanntem Schlagwerk) lassen die Klangereignisse hin- und her wandern, mal melodiös, mal statisch und immer wieder mit den faszinierenden, sich quasi fortpflanzenden Xenakis-Glissandi auch in den Pauken.

Mit Antoine Tamestit an der Solo-Viola, dem – nach dem Musikprotokoll in Graz – auch in Wien wieder faszinierenden Widmungsträger des Bratschenkonzertes von Olga Neuwirth (“Remnants of Songs . an Amphigory”, 2009), erklang nun auch bei Wien Modern das einnehmende fünfsätzige Werk, dem zahlreiche literarische und musikalische Spuren eingewoben sind. 5 Erinnerungsbilder gleichsam, so schreibt Stefan Drees, in denen die Erfahrung von Vergangenheit und die Wahrnehmung von Gegenwart unterschiedlich gebrochen werden. Tamestit ist einer der derzeit besten Bratscher, virtuos und doch auch mit warmem Ton und schönem Vibrato, wenn es denn sein soll – Neuwirth erlaubt sich nicht nur ironische Parodien und Zitate der romantischen Konzertliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts, sondern durchaus auch sehr ernste Töne: Wunderbar aber etwa auch der zweite Satz (durchwegs im Pizzikato auszuführen) und “Sadko” betitelt, der Bezug nimmt auf die Hauptfigur des gleichnamigen russischen Versepos aus dem Mittelalter, einen Barden aus Novgorod, der auf einem Vorläufer der Zither – der Güsli – gespielt hat. Und: “Der fünfte Satz, beginnend mit den Klängen einer Militärtrommel, erweist sich, schließlich das Bild eines Totentanzes beschwörend, als Walzer von geradezu apokalyptischer Hartnäckigkeit (.) unerbittliches Verstreichen von Zeit und Leben als Durchdringung von Grellem, Banalem und Tiefgründigem. Das Ende gehört – wie auch der Anfang des Werkes – wieder der solistischen Viola.” (Drees).

“lovely monster” (2009) ist ein gewichtig besetztes Orchesterstück (u. a. tolle Aufgaben für die drei Schlagzeuger) von Bernhard Gander auf der Höhe seines Könnens. Der Auftrag dafür stammte vom Mozartjahr 2006, ORF/Ö1 und Wien Modern). Das “Monster” muss man einfach immer wieder hören (z.B. heute, Montag am Abend im zeitton!) und die Erklärung des Stückes durch Bernhard Gander ist und bleibt eine Anreihung von “monströsen” Tätigkeitswörtern, die dieses liebliche Tierchen gerne vollführt: stampfen, brüllen, scharfe zähne zeigen, zubeißen, tentakeln, zu boden gehen, sich erholen, herumschlängeln, sich aufrichten, mutieren, schreien . wie ein monster . wie ein orchester. Daniel Ender erzählte Gander für die Zeitung “Der Standard” über die schöne Arbeit mit dem “Monster” RSO Wien: “Das war fantastisch. Die Musiker sind noch in der Pause zu mir gekommen, um zu fragen, was sie wie genau spielen sollen.”

 
“Terretektorh”, Xenakis’ spektakuläre und legendäre Komposition für 88 Musiker erlebt man nicht alle Tage – und es war ganz toll gespielt, man konnte bei der zweiten, unmittelbar folgenden Aufführung den Platz im Konzerthaussaal wechseln, etwa vom Balkon hinunter ins Parterre, konnte Musikern in ihre Stimmen schauen. Es klingt auch von einem anderen Hörplatz aus jeweils anderes. Und es ist eines der revolutionärsten Stücke des griechisch-französischen Komponisten. “Terretektorh” war eine mehrfache Innovation der Musik: “a. Die quasi-stochastische Verteilung der Orchestermusikerinnen und -musiker im Publikum: Das Orchester befindet sich im Publikum und das Publikum befindet sich im Orchester . In der Verteilung der Musikerinnen und Musiker manifestiert sich eine völlig neue, kinetische Vorstellung von Musik, wie sie mit modernen elektroakustischen Mitteln nicht zu realisieren wäre [,,,] Denn während Zuspielungen von 90 Magnettonbändern über 90 im ganzen Raum verteilte Lautsprecher undenkbar sind, ist es im Gegensatz dazu sehr wohl möglich, derartige akustische Effekte mit einem klassischen 90-köpfigen Orchester zu erzielen. b. Um die Klangpalette des Orchesters zu erweitern und mit der oben erwähnten Verteilung die größte Wirkung zu erzielen, wird der Ensembleklang in einem trockenen, geräuschhaften Ton gefärbt. Zu diesem Zweck hat jeder der 90 Musiker neben seinem üblichen Saiten- oder Blasinstrument auch drei Perkussionsinstrumente, und zwar Holzblock, Maracas und Peitsche, sowie kleine Sirenenpfeifen in drei Registern, der en Töne wie Flammen aus dem Klangbild züngeln” (Xenakis). Das war der Höhepunkt der Xenakis-Retrospektive und einer von Wien Modern und einer des RSO Wien, das wir brauchen, merk’s ORF!

 
Statistischer Rückblick auf diese Ausgabe von Wien Modern

Die APA veröffentlichte ihn heute: “Wien – Mit weniger BesucherInnen,geringerer Auslastung, aber einem Zuwachs an Generalpässen ist amSamstag die heurige Ausgabe von ,Wien Modern’ zu Ende gegangen. 15.600BesucherInnen wurden bei der letzten Ausgabe unter der Leitung vonBerno Odo Polzer verzeichnet, 2008 waren es 16.600, 2007 noch 20.200.Die Auslastung lag heuer bei 69,64 Prozent (2008: 79,5, 2007: 73Prozent). Insgesamt gab es von 29.10. bis 21.11. 59 Veranstaltungen an20 Orten, 17 Uraufführungen und 15 Österreichische Erstaufführungen. 21Veranstaltungen waren ausverkauft. 636 Generalpässe wurden ausgegeben,ein Plus von 12,5 Prozent. Die Komponistenporträts waren Robert Ashley,Ole-Henrik Moe und Bernhard Gander gewidmet. Eine Doppel-Retrospektivebeleuchtete das Werk von Edgard Varese und Iannis Xenakis.”
Heinz Rögl

Iannis Xenakis © Archiv der Wiener Konzerthausgesellschaft / Bildarchiv