Wien Modern 4 – Bernhard Gander als Shooting-Star beim Klangforum und in der Fluc WanneBernhard Gander, der Komponist, der – spätestens nach dem Kompositionspreis 2006 – in den letzten Jahren international auf sich aufmerksam und dessen Werk “Beine und Strümpfe” in Donaueschingen 2008 von zwei verschiedenen Ensembles (Ensemble Modern unter dem Dirigenten Franck Ollu und Klangforum Wien unter Emilio Pomarico) geprobt und mit großem Erfolg aufgeführt wurde, war im Wien Modern-Portrait mehrfach beim ganzen Festivals vertreten, am Dienstag 17.11. beim Klagforum Wien, dann am darauf folgenden Tag bei “fluc’ n flex” und schließlich auch beim Abschlusskonzert des RSO Wien.
Es waren die “Beine und Strümpfe” (2007), die – abermals unter Emilio Pomarico – den Höhepunkt eines fulminanten Klangforum-Konzertes bildeten. Bernhard Ganders Ensemblestück wurde schon beim Festival Klangspuren Schwaz uraufgeführt, neben seinen “Bunny Games” (Erste Bank Kompositionspreis 2006). Zuvor im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses hörte man auch seine “Baustelle” fête.gare schon aus dem Jahr 2003. Gander: “Ein Jahr lang habe ich immer wieder die Aussicht (auf den Südbahnhof) fotografiert und die Bilder analysiert. Je nach Jahrszeit, Tageszeit und Witterung verändert sich das Abgebildete: Konturen werden weicher oder härter, verschiedene Elemente rücken in den Vordergrund, werden beleuchtet und ,verschwinden’ wieder oder werden verdeckt.” “Beine und Strümpfe”, vier Jahre später entstanden, sind allerdings das wesentlich furiosere Stück, bei dem das Klangforum auch geradezu entfesselt spielte. Bereits bei der Aufführung in Donaueschingen (Wien-Modern Aufführungskritiken in der Presse, Standard oder SN dazu sucht man leider vergeblich …) schreibt Nina Polaschegg in den mica-Musiknachrichten über dieses Stück: “Bernhard Gander beschreibt seine Stücke meist über assoziative Analogien zum Alltag und zur Rockmusik. In diesem Fall ließ er sich von außermusikalischen Bildern inspirieren, von Strümpfen, die ihren Weg zunächst auf den Laufsteg, schließlich in die Disco finden – die Komik oder spielerische Absurdität dieses Vergleichs findet sich in Ganders Musik ebenso. Die Bewegungen tanzender Beine übersetzte er in klangliche Bewegungsabläufe, die Dehnbarkeit der Strümpfe in flexible Rhythmisierungen.
Wer nach Ganders Selbsterklärungen Klänge erwartet, die direkt der Popularmusik entspringen, wird regelmäßig, so auch hier, enttäuscht – und zwar durchaus im positiven Sinne. Beats, die nur die Magengrube interessieren, finden sich hier nicht. Ganders Klangsprache hat nichts mit direkten Gesten aus Pop oder Rock zu tun, selbst wenn er sich immer wieder von einzelnen Strukturideen, von Dauern, Intensitäten oder Klangperspektiven, gelegentlich auch von rhythmischen Rock und Pop-Patterns inspirieren lässt. Alles aber wird – oft komisch oder grotesk oder anarchisch – transformiert. Jazz oder Tanzmusik klingt höchstens als flüchtiges Moment in einem verschlungenen, oft polymorphen Ganzen auf. In “Beine und Strümpfe”, schälten sich aus scheinbar chaotisch-dichten Bewegungsabläufen rhythmisch akzentuierte Repetitionsüberlagerungen heraus, die in wechselnden Bewegungen das Stück prägen.”
Kontrastiert wurde Ganders Musik beim Klangforum-Konzert mit einem späten Xenakis-Werk für 13 Musiker (“Waarg”, 1988) – ein unfangreiches Stück mit symphonischer Partitur – trotz bescheidenem Instrumentariums und einem wieder ungemein tollen Werk von Georges Aperghis (Teeter-Totter; 2008).
fluc `n’ flex
Bernhard Gander lässt bekanntlich seine Liebe zu Heavy Metal, auch zu Horrorfilmen oder Comics und Comicfiguren in seine Musik einfließen. Als Rahmenprogramm seines kammermusikalischen Porträtabends in der Fluc-Wanne beim diesjährigen Festival gab es denn auch eine Horrorfilmnacht -“The Saw” war der Film, den man sehen konnte, wenn man nicht lieber an der Bar stand und plauderte (“Saw you The Saw already?”) und sich von Gander oder auch Polzer immer wieder exquisite “Bloody Marys” (Blutige Marien) nachschenken ließ. Die Fluc-Wanne am Praterstern ist ein wunderbarer Ort, um Neue Musik zu hören, das auch junge Publikum tat dies durchaus konzentriert und angeregt, auch wenn man herumgehen und beim Hören Zwettler Bier trinken konnte.
Gander gibt selber immer kurze “Werkeinführungen”, die er heute im Unterschied zu früher doch für ganz hilfreich hält (nachzulesen auch im Almanach). Die Instrumentalisten vom ensemble on_line waren exqusit, ob solo, im Duo oder als etwas größeres Kammerensemble (bis zum Quintett). “Peter Parker” für Klavier solo (Hsin-Huei Huang) machte den Anfang, gefolgt von Petra Stump und Heinz-Peter Linshalm an zwei Bassetthörnern (“Mr. Vertigo”), schlechtecharakterstücke absolvierte das Klaviertrio Ivana Pristasova, Petra Ackermann und wiederum Hsin-Huei Huang. Klavier, Bratsche (der Bogen von Petra Ackermann lässt bei diesem Stück unweigerlich viele Haare), und Elektronik enthüllen “Die Orpheus-Akte II” (2006), bei der Orpheus am Ende seine Eurydike doch wieder zurückkriegt (ein Happy End!), da er schöner als je zuvor für die Chefs der Unterwelt spielt. “fluc’n flex” für Akkordeon solo (Krassimir Sterev) ist dem nächtlichen Ausgehvergnügungen Ganders in die Lokale Fluc und Flex und dem Solo-Akkordeonisten gewidmet. Und “ö” (“005) schließlich ist ein Quintett, das auch eine wahnwitzige Hommage (Pizzicati) an die Rockgruppe Motörhead beinhaltet. Der Dirigent war Simeon Pironkoff.
Derzeit kann sich Bernhard Gander nicht über mangelnde Aufträge beklagen, berichtet die Wiener Zeitung, die ihn besuchte: “Er schreibt an einem Orchesterstück für Akkordeon und Flügelhorn, dann folgt ein Streichquartett, dann etwas für Tanz, nebenbei macht er kleinere Kammermusiksachen, die ihm eine Herzensangelegenheit sind. Bei der kleinen Form fühle ich mich zu Hause, sagte er.”
Christine Gaiggs und Bernhard Langs “TrikeDoubleThree” im Tanzquartier
Vom 21. November 2009 stammt eine Besprechung in “Der Standard” von “TrikeDoubleThree” im Tanzquartier (die Autoren Gaigg und Bernhard Lang veranstalteten am Abend vor der Premiere dazu auch eine ,Lecture’ im Stadtkino), die wir hier auszugsweise zitieren wollen: ” . Misstrauisch gegenüber den eigenen Potenzialen und feindselig gegenüber dem Fremden oder Neuen: Dieser Gefahr wirken – auch – Künstler wie die Choreografin Christine Gaigg und der Komponist Bernhard Lang entgegen, indem sie ihr Publikum in eine Welt einladen, die nicht von der Pragmatik des Entertainments dominiert ist.
Und das Publikum weiß dieses Engagement auch zu schätzen, wie der Applaus nach der Uraufführung . bewiesen hat. In dieser konzeptuellen, so klar strukturierten wie emotional mitreißenden Arbeit geht es um nichts weniger als die konfliktgeladene Kommunikation zwischen Mensch und Maschine. Speziell um die Frage, wie dieser Konflikt beizulegen ist.
Ein heißes Diskussionsthema, das auch die diesjährige Ars Electronica mit dem Thema “Human Nature” aufgegriffen hat und das Gaigg/Lang nun zuspitzen. Vorgeführt wird Hightech pur: in der Generierung von Klang, in der Produktion von Bildern und im Einsatz hochspezialisierter Körper- und Bewegungsorganisationstechnik. All das angelegt als hochpolitische Auseinandersetzung über die Wahrnehmung von – weiblichen – Körpern in der Kunst. Politisch sein heißt hier, Kritik sowohl am Missbrauch von Bildern und Körpern zu üben als auch an der Vergewaltigung des Publikums durch profitorientierte Entertainmentspekulanten. In dieser Kritik bleiben die an TrikeDoubleThree beteiligten Künstler/innen souverän unaufgeregt.
Vier Tänzerinnen, Veronika Zott, Lieve De Pourcq, Amanda Piña und Sara Canini, treten in eine Bild-und-Sound-Maschine. Sie werden auf Projektionsleinwänden abgelichtet (Video: Winfried Ritsch) und verbünden sich mit den Abbildungen ihrer Körper und ihrer Bewegungen.
Sie tanzen auf Metallplatten, und die Geräusche, die ihr Tanz darauf produziert, werden gesampelt wieder in die Performance eingespeist. Ein ähnliches Verfahren wendet Ritsch zusammen mit Gaigg in der Bildprojektion an. Die Choreografin lenkt die Bildgebung mit einem Pedal live während der Aufführung. Diese Schnittstelle ist der Clou der ganzen Sache. Mit ihrem Fuß – einem ikonischen Körperteil – dirigiert sie die Matrix der Bildgebung und vermenschlicht die Maschine. Was also die Brüder Wachowski mit ihrem Matrix-Pomp nicht schafften, nämlich klarzumachen, dass wir der maschinellen Virtualisierung eben nicht hilflos ausgeliefert sind, zeigt TrikeDouble Three anschaulich.
Die Herleitung dieser Arbeit aus dem Experimentalfilmschaffen von Peter Kubelka, Martin Arnold und Raphael Montañez Ortíz, der Neuen Musik und der konzeptuellen Choreografie zeigt, dass im künstlerischen Neuland mehr Kritikpotenzial liegt als in den konventionellen Inszenierungen des politischen Theaters. (Helmut Ploebst, DER STANDARD/Printausgabe, 21./22.11.2009)
Heinz Rögl
Foto Bernhard Gander: Hans Labner
Foto Bernhard Lang: Katharina Gossow