Wien Modern 34 diese Woche: Das Claudio Abbado Konzert im Musikverein, drei Musiktheaterpremieren, zwei Installationen und ein Wochenendspaziergang

Nach den ersten zehn Festivaltagen von Wien Modern mit den ersten drei Musiktheaterpremieren und vielen ausverkauften Veranstaltungen folgen diese Woche gleich die nächsten drei Musiktheaterpremieren – Alles kann passieren von Norbert Sterk & Doron Rabinovici, Jorinde von Maria Gstättner & Hans Schano sowie Growing Sideways von Brigitte Wilfing & Jorge Sánchez-Chiong. Für Formatvielfalt stehen auch neue Installationen von Volkmar Klien und Winfried Ritsch, der zweitägige kostenlose Rundgang durch Ateliers für experimentellen Instrumentenbau am kommenden Wochenende sowie das im Raum verteilte Oratorium von Thomas Kessler und Lukas Bärfuss am Sonntagabend. Der größte Programmpunkt der Woche ist aber im durchaus klassischen Format ein Orchesterkonzert im Musikverein – das Claudio Abbado Konzert am Dienstag mit der großen Uraufführung von Chaya Czernowin im Musikverein. Insgesamt warten bis Ende November rund 80 Ur- und 30 Erstaufführungen an 38 Spielstätten darauf, gehört, entdeckt und diskutiert zu werden.

Zum Wochenauftakt gibt es bei Wien Modern 34 zwei Produktionen an einem Abend im RadioKulturhaus. In den Jahren 1971 bis 1975 fertigte der Komponist Anestis Logothetis eine Reihe von Partitur-Fragmenten an, deren zentrale Motive Insekten sind. 2021 werden diese Skizzen anlässlich seines 100. Geburtstages erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, und zum Ausgangspunkt für eine neue audiovisuelle Komposition und ein Hörstück. Das Komponist*innen Duo Rdeča Raketa (Maja Osojnik/Matija Schellander), die Autorin Natascha Gangl und der Medienkünstler Nikolaos Zachariadis überführen die Blätter ins Heute und in eine eigenständige abstrakte Form, sie legen Logothetis ästhetische Prinzipien offen und feiern das lustvolle Experiment. (Rdeča Raketa / Gangl / Zachariadis: Einsame Ameisen Amnesie, Logothetis 100.4, Montag 08.11.)
Als dritter und letzter Teil des großen netzzeit-Bühnenabschieds im Rahmen von Wien Modern macht das Musiktheater Alles kann passieren von Norbert Sterk nach der Vorlage von Doron Rabinovici und ausgehend von einer Idee von Florian Klenk populistische Politikerzitate zum Material einer Chorprobe: «Der gesprochenen Rede von Politikern lauschend, als wär sie eine Arie oder raffiniert gesetzte Musik, begann ich zu komponieren, beachtete deren rhythmische Eigenheiten, Ambitus, Farbe, Klang und Prosodie.» (Norbert Sterk) (Montag 08.11.)

Die beeindruckenden Dimensionen der hölzernen Torii vor den traditionellen japanischen Shintō-Tempeln bringen es mit sich, dass das Arditti Quartet diesmal im orchestralen Rahmen zu hören ist: The Gates, das meisterhafte Konzert für Streichquartett und Orchester des seit vier Jahrzehnten eng mit dem Streichquartett zusammenarbeitenden Londoner Komponisten James Dillon, beschwört in der ersten Hälfte des Claudio Abbado Konzerts im Bild der Tempeltore «eine Grenze, den Punkt, an dem ein Territorium endet und ein anderes beginnt», so der Komponist. Gewaltige Klangmassen setzt im zweiten Teil die Uraufführung von Atara in Szene, mit den Stimmen von Sofia Jernberg und Holger Falk inmitten des Orchesters: «Zu Beginn des Jahres 2020, also noch bevor die Covid-19-Pandemie zugeschlagen hat, hatte ich ein klares Konzept für das Orchesterstück: ein Stück, das große Blöcke orchestraler Massen zeigt, die durch gewaltige, unvorhersehbare Kräfte immer wieder zu- und auseinanderdriften. Das Stück sollte ein Lamento werden, ein Lamento über die Hybris von uns Menschen zu glauben, dass wir alles um uns herum kontrollieren können, und eine Erinnerung daran, dass es ungeahnte Kräfte gibt, die vielmehr uns und unsere Umwelt bewegen. Ich hatte keine Ahnung, dass im März 2020 unsere Welt zum Stillstand kommen und unser Kontrollverlust über die Natur so umwerfend zutage treten würde.» (Chaya Czernowin) (Dienstag 09.11.)

Die neue Kinderoper Jorinde von Maria Gstättner (Musik) und Hans Schano (Libretto) macht aus dem in Pandemiezeiten gerade Kindern nur allzu bekannten Thema des langen Eingesperrtseins eine Erzählung um das Wechselspiel von Sicherheit und Freiheit. Die junge Regisseurin Azelia Opak, Ausstatter Aleksander Kaplun und das Produktionsteam des Landestheaters Linz und der Wiener Taschenoper zeigen nach Klaus Langs ausverkauftem Besuch vom kleinen Tod die zweite Musiktheaterproduktion für junges Publikum im Rahmen von Wien Modern. (Mittwoch 10.11. + Sonntag 14.11. + Mittwoch 17.11.)

Teil 5 des Fests zum 100. Geburtstags von Logothetis folgt am Freitag im neuen Klangtheater auf dem mdw Campus mit Studierenden des ELAK (Einschreibung | Übertragung | Abtragung, Logothetis 100.5), im Doppelpack mit einer Solo-Performance von Lissie Rettenwander (beides Freitag 12.11. (ausverkauft). Lissie Rettenwander wird darüber hinaus auch bei der Premiere von Winfried Ritschs Installation Gesang der Orgel am Mittwoch im Reaktor live auf der Bühne stehen. (Mittwoch 10.11. + Sonntag 14.11.)

Im Sattel der Zeit ereignet sich in einem Labyrinth aus Papierwänden, die auch als Lautsprecher funktionieren. Am Anfang steht die Uraufführung der gleichnamigen Komposition für Ensemble und Elektronik von Volkmar Klien, bei der sich nicht nur die fünf Musiker*innen, sondern auch das Publikum durch die Installation aus Papierwand-Lautsprechern bewegen. Musiker*innen wie Publikum schneiden sich Wege durch die Papierwände, verändern so den Klang der Dinge und hinterlassen am Ende eine begehbare Installation, in der die Performance resoniert und die in den Tagen darauf im mumok so zugänglich bleibt. (Volkmar Klien) (Donnerstag 11.11.)

Pauline Oliveros, 1932 in Houston / Texas geboren und 2016 in New York City verstorben, war als Komponistin, Akkordeonistin, Direktorin des Center for Music Experiment an der University of California San Diego und Initiatorin des «Deep Listening» eine inspirierende Ausnahmeerscheinung. Die ehemalige Wegbegleiter*innen Mia Zabelka, Herbert Lacina, Andres Bosshard und Zahra Mani gestalten im Café Korb eine sehr persönliche Hommage. (Echoes from the Moon. In memoriam Pauline Oliveros, Freitag 12.11.)

Am Wochenende öffnet Wien Modern die Grenze zwischen Musik und bildender Kunst und lädt jeweils von 11:00 bis 16:00 Uhr zum Stadtspaziergang. 22 Künstler*innen öffnen für das Projekt Instrument Modern ihre Ateliers in der Angewandten, dem Arsenal, am Brunnenmarkt u.v.a. und zeigen experimentelle Musikinstrumente. (Samstag 13.11. + Sonntag 14.11.)

Das Mantra des Fortschritts schwächelt – gute Ausgangsbedingungen für die dritte gemeinsame «choreographische Komposition» von Brigitte Wilfing, Jorge Sánchez-Chiong und ihrer vielgestaltigen Company andotherstage: Nach der Erkundung der Zweidimensionalität vor zwei Jahren im Reaktor geht es diesmal um ein grundlegendes Überdenken der Bewegungsrichtung – und zwar im LE STUDIO, das nach vielen inspirierenden Abenden im Studio Molière kurz nach Wien Modern leider seine Pforten schließen wird. (growing sideways, Samstag 13.11. + Sonntag 14.11.)

Den Elektronikpionier Thomas Kessler und der markante Erzähler, Essayist und Dramatiker Lukas Bärfuss (Büchner-Preis 2019), Ensemble Nikel und Cantando Admont laden zum sonntagabendlichen Kehraus des Wochenendes in die Jesuitenkirche – eine Dämonenbefreiung und ein «szenisches Schauspiel für das Ohr». (Oratorium, Sonntag 14.11.)

Weiterhin zu sehen sind noch Hofstetter Kurts Suite Irrational für Klavier, Sternenhimmel und Sternenpartitur im Digitalen Planetarium des Naturhistorischen Museums (Mittwoch 17.11. + Mittwoch 24.11.) und Elisabeth Schimanas Fugen in den SOHO Studios (Mittwoch 10.11. + Donnerstag 11.11.).

Wien Modern 34

Dieses Jahr eröffnet Wien Modern wieder für einen Monat lang mit insgesamt 120 Veranstaltungen, darunter 80 Ur- und 30 Erstaufführungen und 8 Musiktheateraufführungsproduktionen an 38 Spielstätten in 11 Wiener Gemeindebezirken die größte Plattform zur inspirierenden Begegnung von Künstler*inne und Hörer*innen neuer Musik aller Formen und Farben. Mit dem Personal Pass Limited Edition (€ 150 / € 120 / € 60), dem Personal Pass ((€ 100 / € 80 / € 40) der Vorteilskarte (30% Rabatt ab vier Veranstaltungen) sowie kostenlosen Angeboten bietet das 1988 gegründete Festival Gelegenheit zur Begegnung mit der zeitgenössischen Vielfalt der Musik. Ermöglicht wird Wien Modern von der Stadt Wien Kultur und dem Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS), den Festivalsponsoren Kapsch und Erste Bank, Pro Helvetia, den SKE der austro mechana, AKM, und zahlreichen Koproduktions- und Kooperationspartnern.

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